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Bei meinen Besuchen in England hatte ich die beste Gelegenheit, die führenden Männer der Stahl- und Eisenindustrie kennenzulernen – allen voran Bessemer. Bald wählte man mich auch in den Rat des Britischen Eisen- und Stahl-Instituts, und schließlich wurde ich sogar, als erster nichtbritischer Untertan, zum Vorsitzenden dieses Instituts ernannt. Ich wußte diese Ehre wohl zu schätzen, obgleich ich sie zuerst ablehnte, da ich fürchtete, daß mir mein Wohnsitz in Amerika für die mit jenem Amte verbundenen Pflichten nicht genügend Zeit lassen würde.
Da wir durch unsere Brücken- und anderen Bauten gezwungen waren, uns mit der Herstellung von Schmiedeeisen zu befassen, hielten wir es nunmehr für wünschenswert, auch für Roheisen unsere eigenen Lieferanten zu sein. Wir erbauten infolgedessen im Jahre 1870 den Lucy- Hochofen, ein Unternehmen, das wir wohl noch aufgeschoben hätten, wenn wir seine Größe im Anfang hätten übersehen können. Ab und zu hörten wir ältere Fabrikanten düstere Befürchtungen hinsichtlich des schnellen Wachstums und der Ausdehnung unserer jungen Gesellschaft äußern, aber wir ließen uns dadurch nicht abschrecken. Unser Kapital und unser Kredit, meinten wir, sei groß genug, um den Bau eines Hochofens zu rechtfertigen.
Wir hatten jedoch die Kosten um mehr als die Hälfte zu niedrig veranschlagt. Die ganze Sache war ein Experiment. Mr. Kloman verstand nichts vom Hochofenbetrieb. Aber selbst trotz dieses Mangels an gründlichen Kenntnissen kamen keine schwerwiegenden Fehler vor. Der Ertrag des Lucy-Hochofens, der seinen Namen nach meiner lieben Schwägerin führt, überstieg unsere kühnsten Hoffnungen; dieser eine Hochofen förderte das bisher für eine Wochenleistung unerhörte Quantum von 100 Tonnen in einem Tage – so etwas war noch nicht dagewesen. Wir hielten den Rekord, und viele Leute kamen, um das Wunder gebührend anzustaunen.
Allerdings waren die Zeiten für unser Eisenwerk nicht immer gleichmäßig. Es kamen auch Jahre, in denen es schlecht ging. Mancherlei Fehlschläge traten ein, und unser Kapitalverwalter hatte vollauf damit zu tun, immer einen Fonds für den Notfall in Bereitschaft zu halten. Aber während zahlreiche Häuser zusammenbrachen, stand unsere Firma mit ungeschwächtem Kredit immer fest.
Die Roheisenfabrikation machte uns aber doch mehr Sorgen, als irgendein anderer Zweig unseres Geschäftes je zuvor. Einen unschätzbaren Dienst auf diesem Gebiete erwies uns Mr. Whitwell von der berühmten Firma Gebrüder Whitwell in England, deren Hochofensystem allgemein im Gebrauch war. Mr. Whitwell war einer der bekanntesten Leute unter denen, die damals kamen, um den Lucy-Hochofen zu bewundern, und ich zeigte ihm etwas, was uns damals gerade große Schwierigkeiten machte. Sofort sagte er: »Das kommt daher, daß der Winkel des Trichters falsch ist.« Er zeigte uns auch, wie wir es ändern sollten. Mr. Kloman wollte das nicht gleich glauben, aber ich bestand darauf, daß ein kleines Hochofenmodell aus Glas mit zwei Trichtern angefertigt wurde, deren einer so war wie unserer, und der andere so, wie Mr. Whitwell riet. Das Modell wurde hergestellt, und bei meinem nächsten Besuch machten wir mit beiden Trichtern Versuche; das Ergebnis war so, wie uns Mr. Whitwell gesagt hatte. Unser Trichter verteilte die großen Stücke nach den Seiten des Ofens und ließ in der Mitte eine feste Masse, durch welche die Gebläseluft nur teilweise durchdringen konnte. Der Whitwellsche Trichter dagegen warf die Stücke nach der Mitte und die feste Masse nach außen. Das war der ganze Unterschied. Die Schwierigkeiten des Lucy-Ofens waren behoben. Wie freundlich und offen war dies doch von Mr. Whitwell! Kleinliche Eifersüchtelei oder Zurückhalten seiner Kenntnisse lag ihm fern. In einigen Zweigen des Betriebes hatten wir allerhand Neues hinzugelernt und konnten infolgedessen seiner Firma ähnliche Dienste erweisen wie er der unsrigen. –
Meinem Vetter »Dod« (George Lauder) verdanken wir eine wichtige Neuerung in unseren Eisenwerken, die in Amerika bis dahin gänzlich unbekannt war. Er nahm nämlich Mr. Coleman einmal mit nach Wigan in England und zeigte ihm dort das Verfahren der Reinigung und Verkokung der Schlacke aus den Kohlenbergwerken. Schon längst hatte Mr. Coleman darauf hingewiesen, wie vorteilhaft es sein würde, wenn man all das, was auf unseren Kohlenbergwerken einfach fortgeworfen wurde, noch nutzbar machen könnte; es handelte sich dabei um Quantitäten von ziemlich beträchtlichem Wert. Mein Vetter Dod war Maschinentechniker und hatte unter Lord Kelvin an der Universität Glasgow studiert. Als er nun im Dezember 1871 all das bestätigte, was Mr. Coleman gesagt hatte, streckte ich sofort das Kapital vor, das zum Bau entsprechender Werke längs der Pennsylvaniabahn gebraucht wurde. Wir schlossen zehnjährige Kontrakte mit den führenden Kohlenfirmen über die Lieferung ihrer Schlacke und mit den Eisenbahngesellschaften über die Transportbedingungen. Mr. Lauder kam nach Pittsburg, begann mit der Einrichtung der ersten Kokswaschereien in Amerika und leitete das ganze Unternehmen jahrelang. Seine Arbeit war von Erfolg gekrönt (es gelang ihm alles, was er im Minen- oder Maschinenwesen unternahm), und die Anlagekosten waren schon bald gedeckt. Natürlich wünschten späterhin meine Teilhaber, die Kokswerke in unseren Konzern aufzunehmen und auf diese Weise nicht nur die Werke, sondern auch ihren Begründer George Lauder zu gewinnen. »Dod« hatte sein Meisterstück geliefert.
Die Zahl der Öfen wurde allmählich vergrößert, bis wir 500 Stück hatten, die täglich 1500 Tonnen Kohle wuschen. Ich gestehe, daß mir jedesmal, wenn ich an diesen Kohlenöfen bei Larimer Station vorübergehe, der Gedanke kommt: »Derjenige, der zwei Grashalme sprießen macht, wo vorher nur einer stand, erweist der Allgemeinheit eine Wohltat und verpflichtet sich sein Volk zu Dank. Wer aber bestes Heizmaterial aus Stoffen gewinnt, die man früher als wertlos einfach beiseite warf, der hat ein volles Recht, auf seine Leistung stolz zu sein. Es ist schön, aus dem Nichts etwas zu schaffen; aber besonders schön ist es, die erste Firma in unserem Weltteil zu sein, die das fertig gebracht hat.« –
Einen anderen äußerst tüchtigen Teilhaber besaß ich in einem zweiten Vetter aus Dunfermline, Mr. Morrison. Bei einem Rundgang durch die Werkstätten fragte mich der Direktor eines Tages, ob ich wüßte, daß ein Verwandter von mir als ganz hervorragend tüchtiger Mechaniker dort arbeite. Ich verneinte seine Frage und äußerte den Wunsch, jenen im Vorübergehen zu sprechen. Wir gingen also zu ihm heran und ich fragte ihn nach seinem Namen. »Morrison«, sagte er, »der Sohn von Robert Morrison«: das war mein Vetter Bob! – »So! Wie kommst Du denn hierher?« – »Ich dachte, wir könnten unsere Lage verbessern«, erwiderte er. – »Wir? Bist Du denn nicht allein?« – »Meine Frau ist bei mir«, antwortete er. – »Warum bist Du denn nicht zuerst zu Deinem Verwandten gekommen? Ich hätte Dich doch sofort hier unterbringen können!« – »Ich dachte, wenn sich nur überhaupt erst ein Anfang findet, dann braucht man niemandes Hilfe.«
Das war echt Morrison: ganz auf sich selbst gestellt und von niemand abhängig! Kurz darauf hörte ich, daß er Direktor unserer neu erworbenen Werke in Duquesne geworden war, und von dieser Stellung stieg er immer weiter empor. Er ist ein schwer reicher Mann geworden, aber seine Millionen sind ihm nicht zu Kopfe gestiegen. –
Wenn man heute zurückdenkt, so scheint es fast unglaublich, daß noch vor 40 Jahren (1870) die Chemie in den Vereinigten Staaten ein nahezu unbekannter Faktor bei der Roheisengewinnung war. Für die Eisen- und Stahlindustrie war sie wichtiger als alles andere. Der Leiter eines Hochofenbetriebes war damals gewöhnlich ein handfester Kerl, meistens ein Ausländer, der neben sonstigen Fertigkeiten auch die besitzen mußte, hie und da einmal einen Mann tüchtig zu verprügeln, um den anderen widersetzlichen Elementen, die ihm unterstanden, ein warnendes Beispiel zu geben. Den Zustand seines Hochofens mußte er instinktiv, mit Hilfe einer fast übernatürlichen Divinationsgabe beurteilen können, nach Art seiner Kollegen auf dem Lande, die in dem Ruf standen, Öl- oder Wasserquellen vermittelst einer Haselrute zu finden. Er war ein richtiger Quacksalber, der gegen die Leiden seiner Patienten jedes Heilmittel anwandte, das ihm gerade einfiel.
Aus einer Verlegenheit war der Lucy-Hochofen glücklich befreit, aber schon war eine andere da in Gestalt der großen Verschiedenheit der Qualität der Erze, Kalkstein- und Kokssorten, die damals mit wenig oder gar keiner Rücksicht auf ihre Zusammensetzung geliefert wurden. Diese Zustände wurden uns schließlich unerträglich, und wir faßten daher den Entschluß, den Betriebsleiter, der alles rein instinktiv machen zu können glaubte, zu entlassen und den Hochofen einer neuen Kraft anzuvertrauen. Wir hatten da einen jungen Menschen, Henry M. Curry, in der Verschiffungsabteilung, der sich hervorgetan hatte; diesen beschlossen wir zum Betriebsleiter zu machen.
Der Lucy-Hochofen unterstand der besonderen Aufsicht von Mr. Phipps. Seine täglichen Besuche dort bewahrten das Werk vor dem Mißerfolg. Nicht, daß unser Hochofen weniger Geld eingebracht hätte als andere ähnliche Werke im Westen; aber da er so viel größer war als alle anderen, hatten Schwankungen in seinem Betriebe auch erheblich schwerere Folgen. Ich fürchte, mein lieber Sozius hat manchmal dafür büßen müssen, daß er am Sonntag morgen den Lucy-Hochofen besuchte, während sein guter Vater und seine Schwester zu frömmeren Zwecken ausgingen. Aber selbst wenn er mit ihnen zur Kirche gegangen wäre, so hätte doch sein inniges Gebet oft genug nur irgendeiner Schwierigkeit beim Lucy-Hochofen, der damals all seine Gedanken beschäftigte, gegolten.
Der nächste wichtige Schritt war, einen Chemiker als Mr. Currys Berater und Helfer ausfindig zu machen. Wir fanden ihn in der Person des Dr. Fricke, eines gründlich vorgebildeten Deutschen, der uns unerhörte Geheimnisse entschleierte. Wir erfuhren zum Beispiel, daß Eisenerz aus bestrenommierten Bergwerken 10, 15, ja sogar 20 % weniger Eisen enthielt, als wir angenommen hatten. Man stellte auf einmal fest, daß Minen, die bisher nur einen mäßigen Ruf besaßen, hervorragend gutes Erz lieferten. Das Gute war jetzt schlecht, das Schlechte war gut, es erschien überhaupt alles auf den Kopf gestellt. Neun Zehntel aller Unsicherheit bei der Roheisengewinnung schmolzen wie Wachs unter der warmen Sonne chemischer Kenntnisse.
In einem sehr kritischen Zeitpunkt, gerade als es für den Kredit der Firma von höchster Bedeutung war, daß der Hochofen nur beste Erzeugnisse aufwies, war er stillgelegt worden, weil ein außerordentlich stark eisenhaltiges Erz eingeführt worden war an Stelle eines minderwertigen, das nur zwei Drittel der Eisenmenge hergab, die wir aus dem neuen gewannen. Der Ofen war betriebsunfähig geworden, weil zum Schmelzen dieses ganz ausnahmsweise gediegenen Eisenerzes zuviel Kalkstein verwendet worden war. So erlitten wir gerade durch die vorzügliche Qualität des Materials schwere Verluste.
Wie dumm waren wir doch gewesen! Aber wir konnten uns damit trösten, daß unsere Konkurrenz noch dümmer war. Noch Jahre, nachdem wir schon unseren ganzen Betrieb unter Leitung eines Chemikers gestellt hatten, sagten die Besitzer anderer Hochöfen, sie könnten das Gehalt für einen Chemiker nicht ausgeben. Hätten sie die Sachlage richtig übersehen, dann hätten sie gewußt, daß der Betrieb ohne Chemiker viel teurer war. Heute scheint es gerechtfertigt, daß wir die ersten waren, die einen Chemiker im Hochofenbetrieb anstellten, obwohl unsere Konkurrenten das damals für eine unerhörte Extravaganz erklärten.
Der Lucy-Hochofen wurde die einträglichste Abteilung unseres ganzen Betriebes, weil wir fast die einzigen waren, die ein solches Werk auf wissenschaftlicher Grundlage führten. Nachdem wir einmal hinter das Geheimnis gekommen waren, entschlossen wir uns sehr bald (1872), noch einen zweiten Hochofen zu bauen. Nunmehr arbeiteten wir, im Vergleich zu unserem früheren Verfahren, sehr sparsam. Wir kauften jetzt von den Bergwerken, die keinen besonderen Ruf hatten, und solche Produkte, von denen andere Firmen für ihre Hochöfen nichts wissen wollten: um diejenigen Minen, die für ihre Erzeugnisse ungeheure Preise forderten, weil diese in dem Rufe besonderer Güte standen, kümmerten wir uns überhaupt nicht mehr. Ein gelungenes Beispiel hierfür war das berühmte Pilot Knob-Bergwerk in Missouri. Sein Produkt war sozusagen unter aller Kritik; nur wenig von seinem Erz konnte man verwenden, sonst wurde, wie man erzählte, der Hochofen verstopft. Unser Chemiker stellte nun fest, daß es nur wenig Phosphor, aber dafür um so mehr Kieselsäure enthielt. Es konnte gar kein besseres und kaum ein ergiebigeres Erz geben, wenn es nur in der richtigen Weise geschmolzen wurde. Infolgedessen kauften wir große Mengen davon, und die Eigentümer des Bergwerks, deren Besitz nun auf einmal Wert bekam, waren uns sehr dankbar.
Es ist kaum zu glauben, daß wir mehrere Jahre lang die stark phosphorhaltige Schlacke aus den Puddelöfen zu bedeutend höherem Preise verkaufen konnten, als wir für die reine Schlacke aus den Schmelzöfen unserer Konkurrenz bezahlen mußten, die eisenhaltiger und viel weniger phosphorhaltig als die Puddelschlacke war. Bei irgendeiner Gelegenheit hatte einmal ein Hochofen versucht, die Rauchfangschlacke zu schmelzen; aber da sie gediegener war, als das bisher verwandte Material, konnte der Hochofen nicht mit einer Mischung arbeiten, die für das unreine Material berechnet war. So warfen unsere Konkurrenten in Pittsburg jahrelang dieses Material als wertlos in den Fluß.
Es erscheint aber noch viel unglaublicher, daß man ein genau so unberechtigtes Vorurteil gegen die Verwendung der Walzspäne aus den Eisenwerken, die doch reines Eisenoxyd waren, im Hochofen hatte. Das erinnert mich an meinen lieben Freund und Landsmann aus Dunfermline, Mr. Chisholm in Cleveland. Wir trieben manchen Spaß miteinander. Bei einem Besuch seiner Werke in Cleveland sah ich, wie diese wertvollen Walzspäne in den Hof gekarrt wurden. Ich fragte Mr. Chisholm, wo die Leute damit hinwollten, worauf er sagte: »Das wird alles in den Fluß geworfen. Unsere Geschäftsführer haben erklärt, sie hätten immer Unglück, so oft sie versuchten, es im Hochofen wieder umzuschmelzen.« Ich sagte nichts weiter; aber als ich wieder in Pittsburg war, nahm ich mir doch vor, mir auf seine Kosten einen Spaß zu machen. Wir hatten damals einen jungen Angestellten namens Du Puy, dessen Vater bekannt war als Erfinder eines direkten Verfahrens zur Roheisengewinnung, mit dem er damals in Pittsburg Versuche anstellte. Ich veranlaßte nun, daß dieser Du Puy nach Cleveland geschickt wurde, um einen Lieferungsvertrag auf die gesamten Walzspäne aus dem Betriebe meines Freundes abzuschließen. Er kaufte sie für 50 Cent pro Tonne und ließ sie direkt an seine Adresse liefern. Das ging so eine Zeitlang, und ich erwartete täglich zu hören, daß der Spaß entdeckt sei. Aber Mr. Chisholm starb plötzlich, bevor ich ihm noch die Geschichte erzählen konnte. Seine Nachfolger nahmen sich jedoch bald unser Beispiel zum Vorbild.
Ich hatte die Entwicklung des Bessemerverfahrens Das von dem englischen Techniker Sir Henry Bessemer (1813-98) erfundene Verfahren, das eine völlige Neugestaltung der ganzen Stahlindustrie hervorrief. Zur Verbrennung der schädlichen Bestandteile des Roheisens ist die Einwirkung des Sauerstoffs der Luft nötig. Zur Beschleunigung dieses Prozesses baute Bessemer 1855 einen mit kieselsäurereichem Material ausgefütterten Tiegel, in dem er durch das flüssige Eisen Luft hindurch blies. Dadurch erzielte er in 20 Minuten dieselbe Menge Eisen, die der Puddelofen in 24 Stunden lieferte. wohl beobachtet und war mir darüber klar, daß, wenn diese Versuche Erfolg hatten, das Eisen seinen Platz dem Stahl würde räumen müssen. Die Ära des Eisens hatte dann ihr Ende erreicht, das Zeitalter des Stahls brach an. Mein Freund John A. Wright, der Direktor der Freiheit-Eisenwerke in Lewiston, Pennsylvania, einer unserer tüchtigsten und erfahrensten Fachleute, war eigens zu dem Zwecke nach England gefahren, um das neue Verfahren zu studieren. Er war so fest von dessen Vortrefflichkeit überzeugt, daß er eine Gesellschaft veranlaßte, Bessemerwerke einzurichten. Er hatte mit einer Auffassung durchaus recht, aber vielleicht war es noch etwas zu früh, sie zu verwirklichen. Das zur Anlage nötige Kapital war größer, als er es geschätzt hatte. Ferner war nicht zu erwarten, daß ein Verfahren, welches in England damals noch nicht aus dem Stadium der Versuche heraus war, nach seiner Übernahme in dem neuen Lande gleich von Anfang an mit großem Erfolg angewandt werden konnte. Es mußten naturgemäß erst noch lange und kostspielige Versuche gemacht werden, und das hatte mein Freund bei seiner Kalkulation außer acht gelassen.
Die Frage nach einem Ersatz für Eisenschienen hatte für die Pennsylvaniabahn und andere Hauptlinien eine sehr wesentliche Bedeutung gewonnen. An gewissen Kurven in Pittsburg, auf der Verbindungsstrecke zwischen der Pennsylvaniabahn und Fort Wayne mußten, wie ich selbst gesehen hatte, alle sechs bis acht Wochen neue Eisenschienen gelegt werden. Bevor das Bessemerverfahren bekannt war, hatte ich die Aufmerksamkeit des Präsidenten Thomson auf die Bemühungen des Mr. Dodds in England gelenkt, der mit guten Ergebnissen versucht hatte, die Köpfe der Schienen zu karbonisieren. Ich fuhr nach England, kaufte die Doddsschen Patente und riet dem Präsidenten Thomson, 20 000 Dollar für Versuche in Pittsburg zur Verfügung zu stellen. Er willigte ein, und wir bauten einen Hochofen auf unserem Grundstück bei dem oberen Werk, wo wir einige hundert Tonnen Schienen für die Pennsylvaniabahn herstellten. Im Vergleich zu den Eisenschienen war das neue Material erstaunlich gut. Es waren die ersten hartköpfigen Schienen, die in Amerika verwandt wurden. Wir legten sie an einige der schärfsten Kurven, und ihre vorzügliche Haltbarkeit brachte mehr ein, als die uns von Mr. Thomson vorgestreckte Summe. Hätte sich das Bessemerverfahren nicht so glänzend bewährt, so hätten wir, wie ich bestimmt glaube, das Doddssche Verfahren derart verbessern können, daß es allgemein zur Anwendung gekommen wäre. Aber mit dem dauerhaften Stahl, den man durch den Bessemerprozeß gewann, war es freilich schlechthin nicht zu vergleichen.
Unsere Freunde von der Cambria-Eisengesellschaft in Johnstown bei Pittsburg, die bedeutendsten Schienenfabrikanten in Amerika, beschlossen, eine Bessemeranlage einzurichten. In England hatte ich den voll befriedigenden Beweis bekommen, daß das Verfahren mit großem Erfolge anwendbar war, ohne dafür viel Geld auszugeben oder aufs Spiel zu setzen. Auch Mr. William Coleman, der für jede neue Methode empfänglich war, kam zu demselben Schluß. Wir faßten also den Plan, gemeinsam in Pittsburg eine Stahlschienenfabrik zu errichten. Er sowohl wie mein lieber Freund Mr. David Mc Candleß, derselbe, der nach dem Tode meines Vaters meiner Mutter in so gütiger Weise seine ihm von uns nie vergessene Hilfe angeboten hatte, wurden meine Teilhaber. Mr. John Scott, Mr. David A. Stewart und andere kamen noch hinzu. Auch Mr. Edgar Thomson, der Präsident, und Mr. Thomas A. Scott, der Vizepräsident der Pennsylvaniabahn, die eifrig darauf bedacht waren, die Entwicklung der Stahlindustrie zu fördern, wurden Aktionäre. Die Stahlschienen-Gesellschaft wurde am 1. Januar 1873 gegründet. Später wurde die Firma Carnegie, McCandleß & Co. in » Edgar Thomson-Stahl-Gesellschaft« verwandelt, in die auch mein Bruder und Mr. Phipps eintraten, die sich zuerst nicht mit ihrem gar zu unternehmungslustigen Senior an dem Stahlgeschäft hatten beteiligen wollen. –
Zunächst mußten wir unser Augenmerk auf die Wahl eines Ortes richten, an dem das neue Werk stehen sollte. Keiner der in Vorschlag gebrachten Plätze wollte mir so recht zusagen, schließlich fuhr ich nach Pittsburg zu einer Besprechung mit meinen Teilhabern. Unaufhörlich dachte ich darüber nach, und plötzlich, an einem Sonntagmorgen, als ich noch im Bett lag, kam mir die Erleuchtung. Ich stand sofort auf und rief meinen Bruder: »Tom, Ihr beide, Du und Mr. Coleman, habt doch den richtigen Platz entdeckt: direkt bei Braddock, zwischen der Pennsylvania- und der Baltimore- und Ohio-Bahn wie auch dem Flusse ist die beste Lage, die wir in ganz Amerika finden können. Und wir wollen das Werk nach unserem lieben Freund Edgar Thomson nennen. Jetzt gehen wir schnell hinüber zu Mr. Coleman und fahren dann zusammen hinaus nach Braddock.«
Das geschah, und schon am nächsten Tage versuchte Mr. Coleman den Kauf abzuschließen. Der Besitzer, Mr. McKinney, schätzte den Wert seiner Farm aber sehr hoch ein. Anstatt, wie wir gerechnet hatten, 500-600 Dollar mußten wir 2000 für den Morgen zahlen. Aber was wir dann später noch hinzukaufen mußten, hat uns sogar 5000 Dollar pro Morgen gekostet.
Hier, auf dem Schauplatz von Braddocks Niederlage Der Ort heißt nach dem englischen General Braddock, dessen gegen das französische Fort Duquesne (an der Stelle des heutigen Pittsburg) gerichtetes Unternehmen im Juli 1755 hier scheiterte., begannen wir mit dem Bau unserer Stahlschienenwerke. Bei dem Ausschachten des Grundes fand man viele Trophäen aus den Tagen der Schlacht, Bajonette, Säbel und ähnliches. Hier waren Sir Arthur Halkett, der Bürgermeister von Dunfermline, und sein Sohn gefallen. Man wird natürlich fragen, wie sie dahingekommen waren. Um das zu verstehen, muß man wissen, daß damals die Bürgermeister der großbritannischen Städte Mitglieder des Adels waren, die vornehmen Männer der Provinz, die sich herbeiließen, die mit dem Amte verbundenen Ehren entgegenzunehmen, ohne sich weiter um dessen Pflichten zu kümmern; ein Kaufmann galt für das Amt eines Bürgermeisters nicht als gut genug. Noch heute bestehen in England Überreste dieser aristokratischen Auffassung. Es gibt kaum eine Lebensversicherungs- oder Eisenbahn-, ja sogar Fabrikgesellschaft, die nicht an ihrer Spitze irgendeinen Mann mit klangvollem Titel hätte, der die Ehren der Präsidentschaft genießt, aber von den zu seiner Stellung gehörigen Pflichten keine Ahnung hat. So war auch Sir Arthur Halkett als vornehmer Mann Bürgermeister von Dunfermline; von Beruf aber war er Soldat, und als solcher ist er hier gefallen. Es ist ein sonderbares Zusammentreffen, daß das Feld, auf dem zwei Söhne der Stadt Dunfermline ihr Leben dahingegeben haben, von zwei anderen ebendaher stammenden Männern in eine Stätte lebendiger industrieller Arbeit verwandelt werden sollte.
Kürzlich entdeckten wir noch eine andere eigentümliche Tatsache. Die Ansprache, die Mr. John Morley im Jahre 1904 am Gründungstage des Carnegie-Instituts in Pittsburg hielt, erwähnte die Einnahme von Fort Duquesne durch General Forbes und seinen Brief an den Premierminister Pitt, daß er die Stadt ihm zu Ehren in Pittsburg umgetauft habe. Dieser General Forbes war seinerzeit Grundherr von Pittencrieff und geboren in dem Tale, das ich 1903 gekauft und der Stadt Dunfermline als öffentlichen Park geschenkt habe. So sind zwei Männer aus Dunfermline, deren Lebenswerk mit Pittsburg eng zusammenhängt, Grundherren von Pittencrieff gewesen: der eine von ihnen hat der Stadt Pittsburg ihren Namen gegeben und der andere ihre Entwicklung wesentlich gefördert.
Mit der Benennung der Stahlwerke wollten wir meinem Freund Edgar Thomson eine Ehre erweisen; aber die Antwort, die er mir gab, als ich ihn um die Erlaubnis bat, das Werk nach ihm zu nennen, war bezeichnend. Er sagte, soweit amerikanische Stahlschienen in Betracht kämen, wünsche er nicht, daß sein Name in Verbindung damit genannt würde, da sie sich bisher keineswegs als vertrauenswürdig erwiesen hätten. Während des ersten Stadiums, in dem noch hin und her versucht werden mußte, waren natürlich noch allerhand Unzuverlässigkeiten unvermeidlich gewesen. Als ich ihm aber versicherte, daß wir jetzt in Amerika Stahlschienen bis in alle Einzelheiten genau so gut herstellen könnten, wie sie das Ausland lieferte, und daß unsere Schienen denselben Ruf wie unsere Keystone-Brücken und die Kloman-Achsen bekommen sollten, war er einverstanden.
Es lag ihm viel daran, daß wir Land an der Pennsylvaniastrecke kauften, denn zuerst hatte er natürlich immer das Interesse seiner Gesellschaft im Auge, und dadurch hätte die Pennsylvania ein Monopol auf unseren Verkehr gewonnen. Einige Monate später kam er nach Pittsburg, und Mr. Robert Pitcairn, mein Nachfolger als Direktor der Abteilung Pittsburg der Pennsylvania-Gesellschaft, zeigte ihm die Lage der neuen Werke bei Braddock's Station; diese günstige Stelle schaffte uns nicht nur Verbindung mit seiner Linie, sondern auch mit der Konkurrenz, der Baltimore- und Ohiobahn, und mit einem in gewisser Hinsicht noch größeren Konkurrenten, dem Ohiofluß. Robert erzählte mir dann, daß Thomson mit einem leichten Augenzwinkern zu ihm gesagt hätte: »Andy hätte seine Werke ein paar Meilen weiter östlich bauen sollen.« Aber er wußte natürlich recht gut, welche Gründe uns zur Wahl dieses unübertrefflich günstigen Platzes bestimmt hatten. –
Die Werke waren schon ganz gut im Gange, als die Finanzkrise im September 1873 hereinbrach. Das war die aufregendste Zeit während meines ganzen Geschäftslebens. Eines Morgens erreichte mich auf unserem Sommersitz im Alleghanygebirge ein Telegramm, das den Bankerott von Jay Cooke & Co. meldete. Von da ab bekamen wir fast stündlich Nachrichten vom Zusammenbruch irgendeiner bedeutenden Firma. Ein Haus nach dem anderen fallierte. Wir fragten uns jeden Morgen, welches wohl das nächste sein würde. Jeder neue Bankerott schwächte aber auch die Hilfskräfte anderer Firmen. Ein großer Verlust folgte dem anderen, bis ein vollkommener Stillstand des Geschäftslebens eintrat. Jede schwache Stelle kam zum Vorschein, und Firmen, die sonst stark gewesen waren, wurden nun lahmgelegt, weil unserem Lande ein geeignetes Bankwesen fehlte.
Wir brauchten uns über unsere Schulden keine Gedanken zu machen. Nicht das, was wir selbst zu zahlen hatten, verursachte uns schwere Sorgen, sondern das, was wir von unseren Schuldnern zu bekommen hatten. Nicht die Rechnungen, die uns ins Haus kamen, sondern die, die wir selbst hinausgehen ließen, erforderten größte Aufmerksamkeit. Denn bald sollten wir es mit Schuldnern wie mit Gläubigern zu tun bekommen. Sogar unsere Banken mußten uns bitten, unser Guthaben nicht in Anspruch zu nehmen. Ein Vorfall mag die Lage auf dem Geldmarkt illustrieren: einer unserer Zahltage stand bevor, für den wir unbedingt 100 000 Dollar in kleinen Scheinen brauchten; um sie zu erhalten, zahlten wir eine Prämie von 2400 Dollar in Neuyork und bekamen sie durch Eilboten nach Pittsburg geschickt. Geld zu borgen war selbst bei besten Beziehungen unmöglich. Aber durch den Verkauf von Wertpapieren, die ich in Reserve hatte, machten wir beträchtliche Summen flüssig; die Gesellschaft versprach, sie mir später zu ersetzen.
Die Lage war so, daß einige der Eisenbahngesellschaften, deren Linien sich in Pittsburg kreuzten, uns für Materiallieferungen große Beträge schuldeten, am meisten aber die Fort Wayne-Bahn. Ich erinnere mich noch, daß ich eines Tages zum Vizepräsidenten dieser Gesellschaft, Mr. Thaw, ging und ihm sagte, daß wir unser Geld brauchten. Er gab darauf zur Antwort: »Sie müßten Ihr Geld bekommen; aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen bezahlen wir nur das, was protestiert werden kann.« – »Schön«, sagte ich, »zur gleichen Art gehören z. B. auch Ihre Frachtrechnungen. Da werden wir Ihrem ausgezeichneten Beispiel folgen. Ich will sofort Weisung geben. Ihnen für die Fracht keinen Dollar mehr auszuzahlen.« – »Wenn Sie das tun«, erwiderte er, »dann werden Ihre Güter nicht mehr befördert.« Ich erklärte ihm, daß wir es darauf ankommen lassen wollten. Zu dieser äußersten Maßnahme konnte die Eisenbahngesellschaft nicht greifen. In der Tat haben wir eine ganze Zeit lang die Frachtrechnungen nicht bezahlt, und unsere Waren sind doch befördert worden.
Es war für die Pittsburger Fabrikanten einfach unmöglich, ihre wachsenden Verbindlichkeiten einzulösen, wenn die Kunden ihre Zahlungen einstellten. Die Banken mußten fällige Papiere verlängern. Ihr Verhalten uns gegenüber war musterhaft wie immer, und wir kamen glücklich über die schwere Zeit hinweg. Aber in diesen kritischen Tagen gewann zum ersten Male der Gedanke Herrschaft über mich, mehr Kapital zu erwerben und es in unserem Geschäft festzulegen, so daß wir selbst im schlimmsten Falle nicht wieder in die Lage kommen konnten, solche qualvollen, sorgenschweren Tage und Nächte durchzumachen.
Was mein eigenes Verhalten in der großen Krise anbetrifft, so war ich zuerst der aufgeregteste und besorgteste von allen Teilhabern. Ich behielt kaum die Herrschaft über mich selbst. Aber als ich dann sah, wie fest unsere finanzielle Lage war, kam eine philosophische Ruhe über mich; ich fühlte mich gerüstet, wenn es nötig sein sollte, die Direktoren der verschiedenen mit uns in Verbindung stehenden Banken aufzusuchen und ihnen unsere ganze Lage auseinanderzusetzen. Ich wußte, daß uns das keinen Schaden bringen konnte. Keiner von uns hatte verschwenderisch gelebt, im Gegenteil, unsere Lebensweise war alles andere eher als luxuriös gewesen; keiner hatte Geld aus dem Geschäft zurückgezogen, um sich ein prächtiges Haus zu bauen; und vor allem: keiner von uns hatte an der Börse spekuliert oder sein Kapital in Unternehmungen angelegt, die nicht zu unserem Hauptgeschäft gehörten. Wir hatten auch mit anderen keine gegenseitigen Wechselverpflichtungen übernommen. Außerdem konnten wir auf unser im Aufblühen begriffenes Geschäft hinweisen, das jedes Jahr einen erheblichen Überschuß lieferte. So konnte ich lachend die Besorgnisse meiner Teilhaber zerstreuen; aber keiner freute sich doch mehr als ich, daß wir nicht in die Lage kamen, irgend jemand über unsere Finanzverhältnisse Auskunft geben zu müssen.
Unser guter, treuer Freund Mr. Coleman, dem reichliche Geldmittel und glänzender Kredit zur Verfügung standen, stellte uns sein Giro zur Verfügung. Dadurch hatten wir vor anderen viel voraus: William Colemans Name, der wie der festeste Turm schützte, deckte keinen anderen als uns. Deutlich sehe ich den würdigen alten Herrn wieder vor mir, wie ich das alles niederschreibe. Seine Vaterlandsliebe kannte keine Grenzen. Bei einem Besuch seiner Werke, die, wie gewöhnlich, am 4. Juli Der amerikanische National-Festtag in Erinnerung an die Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776. stillstanden, sah er eine Anzahl von Leuten mit Kesselreparaturen beschäftigt. Er ließ den Geschäftsführer rufen und fragte, was das zu bedeuten hätte; alle Arbeit solle sofort eingestellt werden. »Am 4. Juli arbeiten!« rief er, »es gibt doch genug Sonntage, an denen Reparaturen ausgeführt werden können!« Er war wütend.
Als der Wirbelsturm von 1873 kam, begannen wir sofort an allen Stellen die Segel zu streichen. Mit lebhaftem Widerstreben entschlossen wir uns, den Bau der neuen Stahlwerke zu unterbrechen. Einige hervorragende Leute, die sich an diesen beteiligt hatten, waren nicht mehr in der Lage, ihre Zahlungen weiter zu leisten; ich mußte ihren Anteil mit übernehmen und ihnen ihre Einzahlungen voll zurückerstatten. Auf diese Weise kam der Hauptaktienanteil in meine Hand.
Der erste Ausbruch des Sturmes hatte die Finanzkreise getroffen, die mit der Börse zu tun hatten. Ehe die übrige Handelswelt und die Fabrikanten die Wirkung zu spüren bekamen, verging noch eine Weile. Aber die Lage wurde immer schlimmer, und es kam schließlich zu dem Krach, in den auch meine Freunde von dem Texas-Pazifik-Unternehmen mit hineingerissen wurden, wovon ich schon gesprochen habe. Für mich war das der schwerste Schlag. Erst allmählich vermochten die Leute daran zu glauben, daß ich bei meinen bekanntermaßen intimen Beziehungen zu der Texasgruppe mich von deren finanziellen Verpflichtungen hatte fernhalten können.
Mr. Schoenberger, der Vorsitzende der Exchange-Bank in Pittsburg, mit der wir in reger geschäftlicher Verbindung standen, war in Neuyork, als er die Nachricht von der schwierigen Lage Mr. Scotts und Mr. Thomsons erhielt. Sofort eilte er nach Pittsburg und erklärte in einer Direktionssitzung am nächsten Morgen, es sei schlechthin ausgeschlossen, daß ich nicht in diese Angelegenheit verwickelt wäre. Er schlug daher vor, die Bank solle eine weitere Diskontierung unserer umlaufenden Wechsel ablehnen. Er war in größter Erregung, weil der Betrag solcher Wechsel, die unser Giro trugen und diskontiert waren, so bedeutend war. Um ernstlichen Schwierigkeiten vorzubeugen, mußte ich schnell handeln. Ich fuhr mit dem ersten Zuge nach Pittsburg und konnte dort allen beteiligten Personen erklären, daß ich zwar bei dem Texasunternehmen Aktionär sei, meinen Anteil aber bereits bezahlt hatte. Mein Name stand auch nicht für einen Dollar auf einem seiner, noch auch auf irgendeinem anderen umlaufenden Wechsel. Ich stand vollkommen klar und tadellos da, ohne finanzielle Verbindlichkeiten, hatte auch nichts in Händen, was mir nicht gehörte und was nicht voll bezahlt war. Meine einzigen Verpflichtungen waren die, die mir unser Geschäft auferlegte. Und für dieses war ich bereit, jeden Dollar einzusetzen, den ich besaß, und für jede Verbindlichkeit aufzukommen, die die Firma noch einzulösen hatte.
Bis dahin hatte ich in Geschäftskreisen den Ruf eines kühnen, furchtlosen, vielleicht sogar etwas wagehalsigen jungen Mannes. Unsere Unternehmungen waren ausgedehnt gewesen, das Wachstum unseres Hauses unerhört schnell, und obwohl ich noch jung war, hatte ich doch schon mit Millionen gearbeitet. Die alten Pittsburger sagten, meine Laufbahn sei mehr glänzend als solid. Einer, der über besonders reiche Erfahrungen verfügte, sagte: »Wenn Andrew Carnegie es nicht durch seinen Verstand zu etwas brächte, so würde er doch immer schon durch sein Glück weiterkommen.« Ich glaube aber, nichts war weniger zutreffend als dieses Urteil. Jeder unbefangene Beurteiler würde selbst überrascht sein, wenn er sähe, wie wenig ich je für mich oder meine Teilhaber riskiert habe. Wenn ich mich an eine große Sache heranwagte, hatte ich irgendeine bedeutende Gesellschaft, wie zum Beispiel die Pennsylvania-Eisenbahngesellschaft, hinter mir, die meine Verantwortung deckte. Ich besaß in hohem Grade die allen Schotten eigentümliche vorsichtige Art. Aber in den Augen der alten Fabrikanten von Pittsburg erschien ich doch manchmal ein wenig als Draufgänger. Sie waren alt, und ich war jung – das war der ganze Unterschied.
Die Besorgnisse, die in Pittsburger Finanzkreisen gegen mich und unsere Geschäftsaktionen bestanden, wichen schnell einem vielleicht etwas unmotivierten Vertrauen. Unser Kredit wurde unerschütterlich; und später nahmen in Zeiten pekuniärer Schwierigkeiten die Angebote, uns mit Geld auszuhelfen, eher zu als ab, gerade wie die Einlagen der alten Pittsburger Bank nie so groß waren, als wenn sie bei den anderen Banken zurückgingen. Sie war die einzige Bank in Amerika, die ihre in Umlauf befindlichen Scheine in Gold einlöste, und die es verschmähte, sich die gesetzliche Erlaubnis, ihre Scheine in Papiergeld zu bezahlen, zunutze zu machen. Sie gab nur wenige Noten aus, und ich zweifle nicht daran, daß sich diese mutige Handlungsweise als glänzende Reklame wohl bezahlt machte.
Zu dem geschäftlichen Unglück meiner Freunde Mr. Scott, Mr. Thomson und anderer kam später noch eine für uns noch unangenehmere Erfahrung: wir entdeckten nämlich, daß unser Teilhaber Kloman von einigen Spekulanten für die Escanaba-Eisengesellschaft gekapert worden war. Man hatte ihm versichert, der Konzern solle in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden; aber ehe es noch soweit kam, hatten sich seine Kollegen schon eine ungeheure Menge von Verbindlichkeiten aufgeladen, etwa 700 000 Dollar. Es gab kein anderes Mittel als die Bankerotterklärung, um Mr. Kloman wieder frei zu machen.
Dieser Fall war für uns viel fataler als alles Vorangegangene; denn da Mr. Kloman unser Teilhaber war, hatte er nicht das Recht, sein Geld in einer anderen Eisengesellschaft oder einem sonstigen Betrieb, der persönliche Haftung einschloß, anzulegen, ohne die anderen Teilhaber vorher davon in Kenntnis zu setzen. Es ist das erste und unbedingte Gebot für jeden Geschäftsmann: keine Geheimnisse gegenüber seinen Teilhabern! Die Mißachtung dieser Regel hat nicht nur Mr. Kloman, sondern unsere ganze Gesellschaft in Gefahr gebracht, da sein Unglück nun noch zu dem Fehlschlag meiner Freunde von der Texas-Pazifik-Bahn, mit denen ich in engster Verbindung gestanden hatte, hinzukam. Eine Zeitlang fragte man sich wirklich, ob es überhaupt noch gesunde Verhältnisse gäbe. Wo war noch fester Grund, auf dem man sicher stehen konnte?
Wäre Mr. Kloman Kaufmann gewesen, so hätten wir ihn nach dieser Entdeckung unmöglich länger als unseren Teilhaber dulden können. Er war indessen nicht Kaufmann, sondern ein ungewöhnlich tüchtiger Mechaniker mit einigen Geschäftskenntnissen. Aber es war sein Ehrgeiz gewesen, in das Bureau, wo er zu weniger als nichts zu gebrauchen war, zu kommen, anstatt in der Fabrik, wo es nicht so leicht seinesgleichen gab, neue Maschinen zu erfinden und herzustellen. Es war für uns recht schwierig gewesen, ihn an den geeigneten Platz zu stellen und dort festzuhalten. Das mag ihn wohl veranlaßt haben, einen anderen Ausweg zu suchen. Wahrscheinlich hat er sich von einigen Leuten beeinflussen und leiten lassen, die seine großen geschäftlichen Fähigkeiten rühmten, die er noch außer seiner Begabung für die Mechanik besäße – Fähigkeiten, die freilich, wie schon bemerkt, seine eigenen Teilhaber nur in recht bescheidenem Maße schätzten.
Als Mr. Kloman das Konkursverfahren hinter sich hatte und wieder frei war, boten wir ihm einen Anteil von 10% am Geschäft an, wobei wir lediglich unser tatsächlich angelegtes Kapital anrechneten, ohne jede Berücksichtigung des Idealwertes unserer Werke. Wir erboten uns, ihm den Betrag seines Anteils zu stunden, bis er sich durch die künftigen Einnahmen allmählich von selbst abgetragen hätte. Zinsen wollten wir lediglich für unsere Auslage berechnen, und er sollte keinerlei Verantwortung tragen. Das Anerbieten war freilich an die Bedingung geknüpft, daß er sich an keinem anderen Geschäft beteiligen, keine Wechsel für andere unterschreiben dürfe, sondern seine ganze Zeit und Kraft der technischen und nicht der kaufmännischen Leitung des Werkes widmen solle. Hätten wir ihn zur Annahme dieses Angebots bewegen können, so wäre er vielfacher Millionär geworden. Aber sein Stolz oder wohl vielmehr der Stolz seiner Familie ließ das nicht zu. Er wollte ein Geschäft für eigene Rechnung eröffnen und bestand, trotz der dringendsten Vorstellungen sowohl von meiner Seite, als auch seitens meiner Teilhaber, hartnäckig auf seinem Entschluß, ein Konkurrenzunternehmen zu gründen, dessen Geschäftsführer seine Söhne sein sollten. Das Ende vom Liede ist sein Bankerott und vorzeitiger Tod gewesen.
Wie töricht sind wir doch oft, das nicht zu erkennen, was wir unserer Begabung nach am besten, leicht und freudig, als Meister an der rechten Stelle, zu leisten vermögen! Mehr als ein tüchtiger Mann, den ich kannte, wollte durchaus lieber im Bureau sitzen, wo er nichts als Fehler machte, während er doch für den technischen Betrieb hervorragend befähigt war; so haben sie sich alle aufgerieben in Sorgen und Ängsten, ihr ganzes Leben wurde eine Kette von Fehlschlägen, und der Bankerott war das unausbleibliche Ende. Nie hat mir die Trennung von einem Menschen so leid getan wie die von Mr. Kloman. Er war ein Mensch mit einem guten Herzen und von großer technischer Begabung; wenn er allein hätte entscheiden können, dann wäre er wohl gern bei uns geblieben. Geldangebote von anderen, die natürlich nie zur Ausführung gelangten, wenn er sie brauchte, verdrehten ihm den Kopf, und, statt als hervorragender Techniker zu wirken, wurde er schnell ein gänzlich unbrauchbarer Kaufmann.