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Hier dürfte es am Platze sein, von einigen Streitigkeiten mit den Arbeitern zu erzählen, die ich im Laufe meiner Praxis zu regeln hatte; denn sowohl Unternehmer als auch Arbeiter können daraus eine gute Lehre ziehen.
Eines Tages schickten uns die Hochofenarbeiter unserer Stahlwerke ein mit zahlreichen Unterschriften versehenes Zirkular des Inhalts, daß sie die Arbeit einstellen würden, wenn ihnen die Firma nicht bis Montag nachmittag um 4 Uhr eine Lohnerhöhung gewährte. Nun lief aber der Tarif, mit dem sich diese Leute einverstanden erklärt hatten, erst am Ende des Jahres, bis zu dem noch einige Monate waren, ab. Ich sagte mir, wenn die Leute gewillt sind, dieses Abkommen zu brechen, dann hat es eigentlich keinen Zweck, ein neues mit ihnen zu schließen. Trotzdem nahm ich den Nachtzug von Neuyork und war in aller Morgenfrühe in den Werken.
Ich bat den Direktor, die drei Arbeiterausschüsse, die für die Werke maßgebend waren, einzuberufen – nicht allein den Ausschuß der Hochöfen, den eigentlich die Sache allein anging, sondern auch die vom Walz- und vom Stahlwerk. Sie kamen und wurden von mir selbstverständlich mit der größten Höflichkeit empfangen, nicht nur, weil dies ein Gebot der Klugheit war, sondern weil es mir immer Freude machte, mit unseren Leuten in Berührung zu kommen. Ich muß sagen, daß ich die guten Eigenschaften der Arbeiter mit jedem Mal mehr schätzen lerne, je öfter ich mit ihnen zusammentreffe. Aber es ist bei ihnen ähnlich wie bei den Frauen, von denen Barrie sagt: »Es ist kein Zweifel, der liebe Gott hat alles höchst vollkommen geschaffen, bloß bei den Frauen hat er doch einige ganz verflixt komplizierte Knoten angebracht«; sie haben ihre Vorurteile und Sonderheiten, die respektiert werden müssen, denn die Wurzel aller Mißverständnisse ist Unwissenheit und keineswegs Feindseligkeit.
Der Ausschuß saß im Halbkreis um mich herum; alle hatten natürlich, wie ich, den Hut abgenommen. Die Versammlung machte einen musterhaften Eindruck. Ich wandte mich zunächst an den Vorsitzenden des Walzwerk-Ausschusses: »Mr. Mackay« (er war ein alter Herr und trug eine Brille), »haben wir mit Ihnen eigentlich noch einen Vertrag bis zum Ablauf des Jahres?« Er nahm langsam die Brille ab, hielt diese verlegen in der Hand und sagte: »Ja, Herr, wir haben einen Kontrakt; Mr. Carnegie, nicht einmal Ihr Geld würde hinreichen, um uns zum Vertragsbruch zu verleiten.« – »So spricht ein richtiger amerikanischer Arbeiter«, sagte ich. »Ich bin stolz auf Sie.«
»Mr. Johnson« (er war Sprecher der Stahlschienenarbeiter), »haben wir mit Ihnen einen ähnlichen Kontrakt?« Mr. Johnson war ein kleines, mageres Männchen. Er sprach langsam und überlegt: »Mr. Carnegie, wenn man mir einen Kontrakt zum Unterzeichnen vorlegt, dann lese ich ihn mir genau durch; und wenn er mir nicht paßt, dann unterzeichne ich ihn nicht, und wenn er mir paßt, dann unterzeichne ich ihn; aber wenn ich ihn einmal unterzeichnet habe, dann halte ich ihn auch.« – »Auch daraus spricht der selbstbewußte amerikanische Arbeiter«, sagte ich.
Jetzt wandte ich mich an den Sprecher der Hochofenarbeiter, einen Iren namens Kelly, und richtete an ihn die gleiche Frage. »Mr. Kelly, haben wir mit Ihnen auch einen Kontrakt bis zum Ende dieses Jahres?« Mr. Kelly antwortete, er könnte das nicht so genau sagen. Man hätte da ein Blatt herumgeschickt, und er hätte es unterschrieben, aber genau durchgelesen hätte er es nicht, und er hätte auch nicht recht begriffen, was darin gestanden hätte. In diesem Augenblick fuhr unser Direktor, Kapitän Jones, ein hervorragender Geschäftsführer, aber ein etwas hitziger Herr, dazwischen: »Bitte sehr, Mr. Kelly, Sie wissen ganz gut, daß ich es zweimal mit Ihnen gelesen und besprochen habe!« – »Ruhe, Ruhe, Kapitän! Mr. Kelly hat das Recht, seine Auffassung darzulegen. Ich unterzeichne auch manches Papier, das ich mir nicht vorher durchlese – z. B. die Dokumente, die mir von unseren Anwälten und meinen Teilhabern zur Unterschrift vorgelegt werden. Mr. Kelly hat gesagt, daß seine Unterschrift hier in derselben Weise erfolgt ist, und seine Aussage muß gelten. Aber, Mr. Kelly, ich bin immer der Meinung, daß es das beste ist, die Bestimmungen eines Vertrags auszuführen, wenn man ihn schon einmal unvorsichtigerweise unterschrieben hat; man muß sich nur dann vornehmen, das nächste Mal besser aufzupassen. Wäre es für Sie nicht besser, noch vier Monate unter diesem Vertrag zu arbeiten, und wenn Sie den nächsten unterschreiben, lieber achtzugeben, daß Sie seinen Inhalt richtig verstehen?« Darauf erfolgte keine Antwort. Ich stand also auf und sagte: »Meine Herren vom Hochofenausschuß, Sie haben der Firma gedroht, Ihren Vertrag zu brechen und – was sehr verhängnisvoll werden kann – den Hochofen zu verlassen, wenn Sie nicht bis heut nachmittag um 4 Uhr eine zusagende Antwort auf Ihre Forderung empfangen. Es ist noch nicht drei Uhr, aber die Antwort ist fertig. Sie können den Hochofen verlassen. Ehe wir Ihrer Drohung nachgeben, lassen wir lieber Gras im Fabrikhof wachsen. Der schimpflichste Tag, den die Arbeiterschaft je erleben kann, ist der, an dem sie sich durch Vertragsbruch selbst ihrer Ehre begibt. Mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen.«
Das Komitee verschwand langsam, und die Teilhaber saßen schweigend da. Ein Fremder, der uns geschäftlich besuchen wollte und den Leuten auf dem Korridor begegnete, berichtete uns dann: »Als ich hereinkam, ging ein Mann mit einer Brille auf einen Iren los, den er Kelly nannte, und sagte zu ihm: ›Ihr dummen Kerle könnt euch das jetzt und für die Zukunft merken: Mit eurer verdammten Afferei machen wir hier einfach nicht mit!‹«
Später hörten wir dann von einem unserer Angestellten, wie sich die Sache in den Hochöfen weiter entwickelt hatte. Kelly und sein Komitee gingen hinunter. Natürlich hatte sich schon eine große Menge von Arbeitern versammelt und erwartete sie ungeduldig. Als sie den Hochofen erreicht hatten, rief Kelly den Wartenden entgegen: »Macht, daß ihr an eure Arbeit kommt, ihr Affen, was steht ihr hier herum? Gott verdamm' mich – der Kleine hat die Sache mal wieder richtig angepackt. Er will nicht gegen uns kämpfen; aber er sagt, lieber läßt er sich totschlagen, als daß wir ihn von seinem Platz herunterkriegen. Schert euch an eure Arbeit, ihr Affen!«
Die Iren und Schottisch-Iren sind seltsame Menschen, aber im Umgang die besten und leicht zu behandeln, wenn man es nur richtig anfängt. Dieser Kelly wurde mir später ein zuverlässiger Freund und mein glühender Bewunderer, obwohl er vorher einer unserer ärgsten Hetzer gewesen war. Nach meiner Erfahrung kann man sich immer auf die große Masse der Arbeiterschaft verlassen; sie werden immer tun, was recht und billig ist, wenn sie nicht gerade durch unbedingten Gehorsam an ihre Führer gebunden sind. Aber ihr loyales Verhalten ihren Führern gegenüber ist, wenn es auch sachlich falsch sein mag, doch auch für uns ein Grund, stolz auf sie zu sein. Man muß sie nur anständig behandeln. –
Auch die Art, wie wir einmal einen Streik im Stahlschienenwerk abbrachen, ist interessant. Leider hatten auch in diesem Falle 134 Arbeiter aus einer Abteilung sich durch einen geheimen Eid verpflichtet, Lohnerhöhung für den in einigen Monaten bevorstehenden Jahresschluß zu fordern. Das neue Jahr schien ein schlechtes Geschäftsjahr zu werden, und andere Eisen- und Stahlfabrikanten im ganzen Lande hatten die Löhne bereits herabgesetzt. Trotzdem aber hielten sich diese Leute, weil sie mehrere Monate zuvor geschworen hatten, sie würden nicht ohne Lohnerhöhung weiterarbeiten, für verpflichtet, auf ihren Forderungen zu bestehen. Wir konnten aber die Löhne unmöglich heraufsetzen, wenn die Konkurrenz sie herabsetzte. Infolgedessen stellten sie die Arbeit ein. Ihr Streik brachte auch den Betrieb aller anderen Abteilungen des Werkes zum Stillstand. Schon ein oder zwei Tage vor der festgesetzten Zeit ließen sie die Hochöfen im Stich. Wir kamen dadurch in größte Verlegenheit.
Ich eilte nach Pittsburg und war überrascht, die Hochöfen, entgegen dem Abkommen, schon verlassen zu finden. Für den Morgen meiner Ankunft in Pittsburg war eine Verhandlung mit den Leuten festgesetzt. Sie schickten mir aber die Nachricht vom Werk aus, »die Arbeiter hätten die Hochöfen im Stich gelassen und würden erst am nächsten Morgen zu mir kommen«. Das war ja ein schöner Empfang! Ich antwortete: »Das werden Sie nicht. Sagen Sie ihnen, daß ich morgen nicht mehr hier bin. Die Arbeit einstellen kann jeder. Es kommt nur darauf an, sie wieder in Gang zu bringen. Eines schönen Tages werden dieselben Leute die Arbeit gern wieder aufnehmen wollen, aber dann werden sie mit der Laterne nach jemand suchen können, der sie wieder in Betrieb bringt. Dann werde ich ihnen sagen, was nun geschieht: die Werke kommen nicht eher wieder in Gang, als bis eine veränderliche Lohnstaffelung angenommen wird, die sich nach den Preisen, die wir für unsere Erzeugnisse erzielen, richtet. Dieser Tarif soll dann drei Jahre lang gelten; er wird nicht von seiten der Arbeiter aufgestellt werden, sondern von uns. Diese haben uns schon so viele Tarife unterbreitet, daß wir jetzt auch einmal an der Reihe sind, ihnen einen Tarif vorzulegen. Und jetzt«, sagte ich zu meinen Teilhabern, »fahre ich heute nachmittag nach Neuyork zurück. Hier ist nichts mehr zu tun.«
Kurz nachdem die Arbeiter meinen Bescheid erhalten hatten, fragten sie bei mir an, ob sie mich nicht noch am Nachmittag vor meiner Abreise sprechen könnten. Ich antwortete: »Natürlich!« Sie kamen, und ich sagte zu ihnen: »Meine Herren, Ihr Sprecher hier, Mr. Bennett, hat Ihnen erzählt, ich würde hier erscheinen und die Angelegenheit in irgendeiner Weise zu Ihrer Zufriedenheit regeln, wie es mir bisher immer gelungen ist. Das ist wahr. Er hat Ihnen auch gesagt, daß ich nicht kämpfen wolle. Das stimmt ebenfalls, er ist ein guter Prophet. Aber er hat Ihnen noch etwas anderes erzählt, worin er sich leider ein wenig geirrt hat. Er sagte Ihnen nämlich, ich könnte nicht kämpfen. Meine Herren«, und dabei sah ich Mr. Bennett gerade ins Gesicht und hob meine geschlossene Faust, »er hat nicht daran gedacht, daß ich ein Schotte bin. Aber ich will Ihnen etwas sagen: ich will nicht gegen Sie kämpfen; ich habe Besseres zu tun, als mit Arbeitern zu kämpfen. Ich will nicht kämpfen, aber ich werde mit jedem Komitee fertig, wenn ich nur will, und diesmal will ich. Die Werke werden nicht eher in Betrieb gesetzt, als bis die Arbeiter nicht mit Zweidrittelmehrheit beschließen, sie wieder in Gang zu bringen, und dann, wie ich Ihnen schon heute morgen sagen ließ, wird nach unserem veränderlichen Tarif gearbeitet. Ich habe Ihnen jetzt nichts weiter zu sagen.«
Sie zogen sich zurück. Etwa zwei Wochen später kam einer unserer Diener in Neuyork in meine Bibliothek mit einer Karte, auf welcher ich die Namen von zweien unserer Arbeiter las, dazu den Namen eines sehr verehrten Herrn. Die Leute sagten, sie kämen von den Pittsburger Werken und möchten mich gern sprechen. »Fragen Sie ob einer von diesen Herren zu den Hochofenarbeitern gehört, die entgegen der Abmachung die Arbeit im Stich ließen.« Der Diener kam zurück und meldete »Nein«. Ich sagte: »In diesem Falle gehen Sie also hinunter und sagen Sie ihnen, daß ich sie mit größtem Vergnügen empfangen würde.«
Ich begrüßte sie selbstverständlich mit aufrichtiger Herzlichkeit und Wärme, und wir saßen eine Weile und schwatzten über Neuyork, das sie zum ersten Male sahen. »Mr. Carnegie, wir sind aber eigentlich gekommen, um mit Ihnen über die Geschichte in den Werken zu sprechen«, sagte schließlich einer der Abgesandten. »Ach ja, richtig!« erwiderte ich. »Haben die Leute abgestimmt?« – »Nein«, sagte er. Darauf gab ich zurück: »Dann werden Sie entschuldigen, wenn ich nicht weiter über dieses Thema zu reden wünsche. Ich habe gesagt, ich würde nicht eher darüber verhandeln, als bis man sich mit Zweidrittelmehrheit für die Wiederaufnahme der Arbeit erklärt hätte. Meine Herren, Sie kennen Neuyork noch nicht. Erlauben Sie, daß ich Sie zu einer kleinen Spazierfahrt einlade, damit ich Ihnen die Fünfte Avenue und den Park zeigen kann; wir sind dann um halb zwei zum Lunch wieder zurück.«
Sie nahmen meine Aufforderung an. Wir berührten alle möglichen Themen, nur nicht das, über das sie reden wollten. Wir verlebten angenehme Stunden, und ich weiß, sie fühlten sich wohl beim Lunch. Zwischen dem amerikanischen und dem ausländischen Arbeiter besteht ein großer Unterschied. Der amerikanische ist sicherer im Auftreten; er setzt sich zu Tisch wie ein geborener Herr. Das ist wirklich großartig.
Sie fuhren nach Pittsburg zurück, ohne daß noch ein Wort über die Werke gesprochen worden wäre. Aber die Leute stimmten bald ab (nur wenige Stimmen waren gegen die Wiederaufnahme), und ich fuhr wieder nach Pittsburg. Ich legte dem Komitee den Tarif vor, nach welchem nun gearbeitet werden sollte. Es war ein gleitender Lohntarif auf Grund der erzielten Preise. Bei einem solchen Tarif werden Unternehmer und Arbeiter wirklich zu Gefährten, da sie sowohl gute als auch schlechte Zeiten in gleicher Weise miteinander teilen. Natürlich ist eine unterste Lohngrenze festgesetzt, so daß den Leuten immer ein Existenzminimum gesichert ist. Da die Arbeiter den Tarif schon gesehen hatten, war es unnötig, ihn noch einmal durchzugehen. Der Wortführer sagte: »Mr. Carnegie, wir nehmen alles an. Und jetzt«, fuhr er zögernd fort, »möchten wir Sie noch um eine Gefälligkeit bitten, die Sie uns hoffentlich nicht versagen werden.« – »Nun, meine Herren, wenn Ihre Bitte vernünftig ist, gewähre ich sie Ihnen gern.« – »Ja, es ist folgende: Würden Sie wohl gestatten, daß die Führer unserer Vereinigung die Abmachung im Namen der Leute unterzeichnen?« – »Aber natürlich, meine Herren! Mit dem größten Vergnügen! Und nun, da ich Ihre Bitte gewährt habe, wollen Sie auch mir einen Wunsch erfüllen. Sie tun mir einen persönlichen Gefallen, wenn nach den Unterschriften der Führer jeder Arbeiter noch seinen eigenen Namen unter das Papier setzt. Sehen Sie, Mr. Bennett, dieser Tarif soll für drei Jahre gelten, und irgendein Arbeiter oder eine Gruppe von Arbeitern könnte einmal auf den Gedanken kommen, daß der Präsident Ihrer Union gar nicht das Recht hätte, ihn auf so lange Zeit zu verpflichten; wenn wir aber die Unterschrift jedes einzelnen haben, sind damit alle Mißverständnisse von vornherein ausgeschlossen.« Es entstand eine kleine Pause; dann sagte ein Mann, der neben Mr. Bennett stand, leise (aber für mich doch vernehmlich) zu diesem: »Donnerwetter, der hat uns aber einen Strich durch die Rechnung gemacht!«
Das stimmte. Aber nicht durch einen direkten Angriff, sondern mit Hilfe einer Kriegslist hatte ich das erreicht. Hätte ich nicht gestattet, daß die Unionführer unterzeichneten, so wäre das für sie ein Anlaß zu weiterem Kampf gewesen. So aber, nachdem ich ihrem Wunsche nachgegeben hatte, konnten sie doch nicht gut eine so einfache Bitte wie die meinige abschlagen, daß jeder freie und unabhängige amerikanische Bürger auch für sich unterschreiben solle. Soviel ich mich erinnere, haben die Führer den Tarif nie unterschrieben, aber ich kann mich auch irren. Warum hätten sie es auch tun sollen, wenn doch jedes einzelnen Mannes Unterschrift gefordert wurde? Übrigens vernachlässigten die Arbeiter, die genau wußten, daß die Union ihnen nach Annahme des Tarifs nichts mehr nützen konnte, bald ihre Beitragszahlungen, und die Union löste sich auf. (Das war im Jahre 1889, also vor nunmehr 27 Jahren. Seitdem ist der Tarif nicht wieder geändert worden. Selbst wenn die Arbeiter es könnten, würden sie ihn nicht ändern wollen. Er bietet ihnen nur Vorteile, wie ich es ihnen vorhergesagt hatte.)
Von all den Diensten, die ich der Arbeiterschaft erwiesen habe, ist die Einführung des gleitenden Lohntarifes einer der größten. Er bedeutet die Lösung der Arbeiterfrage, da er im Glück wie im Unglück Kapital und Arbeiterschaft zu Gefährten macht. In den früheren Jahren wurde in Pittsburg nach jährlichen Tarifen gearbeitet; aber das ist nicht gut, denn dann bereiten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer immer zum Kampf vor, der dann kaum ausbleibt. Für Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer ist es bedeutend besser, wenn für den Tarif kein Ablauftermin festgesetzt wird. Er sollte immer mit sechsmonatlicher oder jährlicher Kündigung laufen; dann wird er wahrscheinlich jahrelang halten. –
Nur um zu zeigen, welche Rolle manchmal Kleinigkeiten bei den Differenzen zwischen Unternehmern und Arbeitern spielen können, möchte ich hier zwei Fälle erzählen, die infolge anscheinend ganz bedeutungsloser Zwischenfälle leicht gütlich beigelegt wurden. Als ich eines Tages zu einer Besprechung mit einem Ausschuß ging, der unserer Meinung nach unbillige Forderungen gestellt hatte, erfuhr ich, daß dahinter ein Mann steckte, der, obwohl Arbeiter in unserem Werk, außerdem noch heimlich eine Kneipe hielt. Er war ein großer Grobian. Die mäßigen, ruhigen Arbeiter hatten Angst vor ihm und die Trinker steckten bei ihm in der Kreide. Er war der eigentliche Anstifter der Bewegung.
Wir begrüßten uns freundlich wie immer. Am Tisch war der Platz ihres Führers am einen Ende und meiner am anderen, so daß wir einander gegenübersaßen. Nachdem ich den Anwesenden meine Vorschläge unterbreitet hatte, sah ich, wie der Führer langsam seinen Hut vom Boden nahm und aufsetzte, womit er andeuten wollte, daß er im Begriff stand, fortzugehen. Das war eine Gelegenheit für mich. »Mein Herr, Sie befinden sich hier in anständiger Gesellschaft! Nehmen Sie den Hut ab oder verlassen Sie das Zimmer!« Ich sah ihm voll ins Gesicht. Es herrschte eine erwartungsvolle Stille, daß man eine Stecknadel hätte zu Boden fallen hören. Der berüchtigte Raufbold zögerte ein Weilchen. Ich wußte, daß er, was er auch tun würde, geschlagen war. Wenn er hinausging, so geschah das, weil er durch das Aufbehalten des Hutes unhöflich gegen die Gesellschaft gewesen war; dann konnte er nicht mehr als Gentleman gelten. Wenn er aber blieb und seinen Hut abnahm, dann war er durch meine Zurechtweisung blamiert. Mir konnte es gleichgültig sein, wofür er sich entschied. Zwei Wege gab es nur für ihn, und beide waren für ihn gleich fatal. Er hatte sich selbst in meine Hand geliefert. Ganz langsam nahm er den Hut wieder ab und stellte ihn auf den Fußboden. Während der ganzen Beratung sprach er kein Wort mehr. Den Leuten machte der Zwischenfall viel Spaß; die Angelegenheit wurde friedlich geregelt.
Der andere Fall: Als wir den Arbeitern den dreijährigen Tarif vorlegten, wählten sie ein Komitee von 16 Männern, die mit uns verhandeln sollten. Zuerst kamen wir nicht recht vorwärts, und ich gab bekannt, daß mich dringende Verpflichtungen am nächsten Tage nach Neuyork zurückriefen. Darauf fragten die Leute an, ob wir auch mit einem Ausschuß von 32 Männern verhandeln würden, da sie zu dem bestehenden Komitee noch weitere Leute hinzuzuziehen wünschten. Das war ein sicheres Zeichen dafür, daß sie untereinander nicht mehr einig waren. Wir erklärten uns natürlich damit einverstanden. Das Komitee kam von den Werken aus zu mir nach Pittsburg ins Bureau. Die Verhandlungen wurden von Billy Edwards, einem unserer besten Leute, der später eine bedeutende Stellung einnahm, eröffnet. Dieser war der Meinung, daß das Angebot der Firma im großen und ganzen anständig sei, aber seiner Ansicht nach war der Tarif nicht gleichmäßig. Für einige Abteilungen wäre er ja ganz gut, aber andere kämen doch schlecht dabei weg. Die Mehrzahl der Anwesenden stimmten ihm bei, aber als sie nun sagen sollten, welche Abteilungen sie für benachteiligt hielten, gingen natürlich die Meinungen weit auseinander. Da waren auch nicht zwei Männer aus den verschiedenen Abteilungen unter einen Hut zu bringen. Billy Edwards fing an: »Mr. Carnegie, wir finden, daß die auf die Tonne entfallende Gesamtlöhnung ganz angemessen ist, aber wir meinen, daß sie zwischen uns nicht ganz richtig verteilt ist. Nehmen Sie, lieber Mr. Carnegie, zum Beispiel einmal meine Arbeit …« – »Halt, halt!« rief ich dazwischen. »So etwas gibt's nicht, Billy. Mr. Carnegie nimmt keinem anderen Manne seine Arbeit weg. Das wäre ja unter so hochwertigen Arbeitern eine ganz unverzeihliche Beleidigung.« Schallendes Gelächter folgte. Die Leute applaudierten und konnten nicht aufhören zu lachen. Mit Billy waren wir fertig. Der Streit war nun schnell beigelegt. –
Oft handelt es sich bei Zwistigkeiten mit den Arbeitern nicht allein oder doch jedenfalls nicht in der Hauptsache um die Geldfrage. Wertschätzung, freundliche Behandlung, korrektes Verhalten sind oft von allergrößtem Einfluß im Verkehr mit dem amerikanischen Arbeiter.
Der Arbeitgeber kann seinen Leuten oft so manches Gute und Nützliche ohne viel Mühe erweisen. Als ich einmal bei einer Versammlung fragte, ob ich etwas für sie tun könnte, stand derselbe Billy Edwards auf und sagte, die meisten Leute steckten tief in Schulden bei den Krämern, weil sie ihren Lohn monatlich empfingen. Noch deutlich erinnere ich mich seiner Worte: »Ich habe eine tüchtige Frau, die gut zu wirtschaften versteht. Jeden vierten Sonnabend nachmittag gehen wir nach Pittsburg hinein und kaufen alles, was wir für den nächsten Monat brauchen, im ganzen; dabei sparen wir ein Drittel der Kosten. Aber das können nicht viele von unseren Leuten. Die Krämer verlangen hier sehr hohe Preise. Und noch etwas: sie rechnen nämlich die Kohlen ganz besonders teuer. Wenn Sie nun die Leute anstatt monatlich alle vierzehn Tage ablohnen würden, so wäre das für die Leute ebenso wertvoll wie eine Lohnerhöhung von 10 %, oder gar noch mehr.« – »Mr. Edwards, das läßt sich machen«, war meine Antwort. Uns erwuchs daraus einige Arbeit und die Notwendigkeit, noch ein paar Leute einzustellen, aber das war doch nur eine Kleinigkeit.
Die Bemerkung über die hohen Preise brachte mich auf den Gedanken, ob die Leute nicht einen Konsumverein gründen könnten. Auch das wurde ausgeführt; die Firma bezahlte die Miete für das Haus, bestand aber darauf, daß die Arbeiter das Lager beschaffen und verwalten sollten. So entstand der Braddock-Konsumverein; er war aus mehr als einem Grunde eine äußerst schätzbare Einrichtung, nicht zum mindesten deswegen, weil die Leute dabei die Erfahrung machten, daß auch ein Geschäftsbetrieb keine so ganz einfache und leichte Sache ist. Die Kohlenschwierigkeiten wurden dadurch behoben, daß die Gesellschaft sich bereit erklärte, all ihren Angestellten Kohlen zum Selbstkostenpreis zu verkaufen; das war ungefähr die Hälfte von dem, was die Kohlenhändler forderten. Wir ließen die Kohlen den Leuten auch ins Haus bringen, wofür der Käufer nur den reinen Transportpreis zu zahlen hatte. –
Noch etwas anderes. Wir sahen, daß die Leute sich um ihre Ersparnisse Sorgen machten, denn zu den Banken haben die vorsichtigen, sparsamen Arbeiter wenig Vertrauen, und unsere Regierung war damals leider noch nicht dem Beispiel Englands, das Postsparkassen einrichtete, gefolgt. Wir boten den Arbeitern daher an, ihre Ersparnisse bis zu 2000 Dollar zu verwalten und ihnen, um ihre Sparlust anzufeuern, 6 % Zinsen zu zahlen. Diese Spargelder wurden ganz getrennt vom Geschäft von einem besonderen Kuratorium verwaltet und an diejenigen ausgeliehen, die sich ein eigenes Heim bauen wollten. Solche Einrichtung gehört, wie ich glaube, zu dem Besten, was man für den sparsamen Arbeiter tun kann. –
Solche Fürsorgebestrebungen erweisen sich, selbst vom rein wirtschaftlichen Standpunkt betrachtet, auch für die Gesellschaft als höchst vorteilhaft. Es rentiert sich, wenn man im Verhältnis zu den Arbeitern über den Buchstaben des Vertrages hinausgeht. Zwei meiner Teilhaber »wußten (wie Mr. Phipps es ausdrückte), daß ich immer geneigt war, den Forderungen der Arbeiter nachzugeben, selbst wenn sie noch so unvernünftig waren«; aber wenn ich auch manchen Fehler in dieser Hinsicht gemacht haben mag, so wünschte ich trotzdem doch, ich wäre noch viel, viel nachgiebiger gewesen. Nichts hat der Firma so viel eingebracht wie die freundschaftliche Gesinnung unserer Arbeiter.
So hatten wir bald einen Stamm von Arbeitern, der, das kann ich wohl sagen, seinesgleichen suchte – die besten Arbeiter und die trefflichsten Menschen, die ich je zusammen gesehen habe. Differenzen und Streiks gehörten nun der Vergangenheit an. Hätten wir es in Homestead mit unseren eigenen alten Leuten anstatt mit solchen, die wir erst von überallher zusammensuchen mußten, zu tun gehabt, so wäre es ausgeschlossen gewesen, daß die Unruhen von 1892 dort Platz griffen. Der Tarif, der 1889 in den Stahlschienenwerken eingeführt wurde, ist bis heute (1914) in Kraft geblieben, und ich glaube nicht, daß seitdem in den Werken auch nur die leisesten Mißhelligkeiten mit den Arbeitern vorgekommen sind. Die Leute lösten, wie ich bereits sagte, ihre alte Union auf, weil es keinen Sinn mehr hatte, bei einem dreijährigen Kontrakt Beiträge für die Union zu bezahlen. Die Arbeiter-Union ist aufgelöst, aber eine bessere ist an ihre Stelle getreten, nämlich das herzliche Einverständnis zwischen den Arbeitgebern und ihren Leuten, das für alle Beteiligten die allerbeste Union bildet.
Es liegt im Interesse des Unternehmers, daß die Leute gut verdienen und laufende Arbeit haben. Der veränderliche Lohntarif ermöglicht es der Gesellschaft, sich dem jeweiligen Stande des Marktes anzupassen, infolgedessen immer Aufträge zu bekommen und die Werke in Betrieb erhalten zu können, was für den Arbeiter das wesentlichste ist. Hohe Löhne sind ja ganz gut, aber eine feste Stellung ist noch viel wichtiger. Hinsichtlich der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeiterschaft sind meiner Ansicht nach die Edgar Thomson-Werke geradezu vorbildlich. Man sagt mir, daß die Leute auch jetzt (1914) noch lieber in zwei als in drei Schichten arbeiten wollen; aber wir werden bestimmt zur Arbeit in drei Schichten kommen. Je weiter unsere Kultur fortschreitet, desto kürzer wird der Arbeitstag werden. Acht Stunden Arbeit wird die Regel sein – acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf und acht Stunden Erholung.
Viele Vorkommnisse in meiner geschäftlichen Praxis haben mir gezeigt, daß Konflikte mit der Arbeiterschaft nicht nur von der Lohnfrage herrühren. Ich glaube, man beugt allen Streitigkeiten am besten dadurch vor, wenn man die Leute kennenzulernen sucht und sich wirklich für sie interessiert, so daß sie selbst zufrieden sind in dem Bewußtsein, daß man für sie sorgt und sich über ihren Erfolg mitfreut. Ich kann ehrlich sagen, daß ich stets Freude hatte an den Besprechungen mit unseren Arbeitern, wobei es sich keineswegs immer nur um Lohnfragen handelte. Je mehr ich die Leute kennenlernte, um so lieber wurden sie mir. Gewöhnlich besitzen sie da zwei gute Eigenschaften, wo der Unternehmer deren nur eine hat, und sicherlich sind sie in ihrem Verhalten untereinander nicht so kleinlich.
Der Arbeiter ist dem Kapital gegenüber gewöhnlich machtlos. Wenn ein Unternehmer einmal beschließt, die Werkstätten stillestehen zu lassen, dann hört ja auch für ihn auf einige Zeit sein Verdienst auf, aber er braucht deshalb in seinen Lebensgewohnheiten, in seiner Ernährung, seiner Kleidung oder seinen Vergnügungen keine Änderung eintreten zu lassen; er kennt nicht die lähmende Furcht vor der Not. Das ist der große Unterschied zwischen ihm und seinen Arbeitern, für die eine Verringerung des Erwerbs der Gegenstand schwerster Sorge ist. Sie haben wenig Behaglichkeit und nur das Notwendigste für Frau und Kinder, in Krankheitsfällen vermögen sie kaum eine angemessene Pflege zu beschaffen. Nicht den Kapitalismus haben wir zu fürchten, sondern den in seiner Existenz bedrohten Arbeiter. Wenn ich morgen meine geschäftliche Tätigkeit wieder aufnehmen sollte, so würde ich keine Furcht vor Arbeiteraufständen haben; nur liebevolle Fürsorglichkeit für die armen, oftmals nur irregeleiteten und doch im Grunde gutartigen Arbeiter würde meine Seele erfüllen und milde stimmen; und dadurch würden auch sie milde gestimmt werden.