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Der Abend überraschte Tounens und seine indianischen Diener noch mitten in der Hochgebirgswelt der Kordilleren. An einem kleinen See, umrahmt von den gewaltigen, schneebedeckten Bergriesen, ließ Tounens die Zelte aufschlagen. Ein spärlicher Pflanzenwuchs war glücklicherweise um den See vorhanden und gewährte den genügsamen Tieren, die abgesattelt sich frei bewegen durften, das notwendige Futter. Hoch oben in der klaren Abendluft kreisten Kondore um ihre Felsennester. Sie waren die einzigen lebendigen Wesen in der sonst leblosen, stummen, aber großartigen Natur. Der Franzose, der die Alpen seines Vaterlandes genau kannte, wurde nicht müde, die Eigenart dieser ihm völlig neuen Gebirgsnatur zu bewundern. Die helle, besonders rote, oft ins Purpurne gehende Färbung der völlig nackten, abschüssigen Berge, die malerischen und wilden gen Himmel strebenden Felsspitzen lieferten ein so eigenartiges Bild, daß Tounens in seiner Erinnerung hierfür nirgends einen Vergleich finden konnte. Es schien ihm, als sei er mitten hineingestellt in eine geheimnisvolle andere Welt.
Diese ganze Umgebung voll Eigenart, kühnster merkwürdigster Bildung in den Formen paßte trefflich zu den Absichten des Reisenden. Diese waren ja auch eigenartig, geheimnisvoll und kühn genug. Tounens lächelte bei diesem vergleichenden Gedanken vor sich hin. Es macht sich alles vortrefflich; der Anfang meines Unternehmens ist vielversprechend, und die nächsten Tage schon werden mir unendlich viel des Fesselnden und Neuen bringen. Ich freue mich darauf. Der Franzose erinnerte sich, daß ihm Ignacio Tapia unterwegs oft von einem Kaziken, einem Stammeshäuptling der Araukaner, gesprochen hatte, der, gleich berühmt durch seine Tapferkeit wie seine Gastfreundschaft, am See Villarica wohne und großen Einfluß auf die übrigen Kaziken und die Indianer Araukos überhaupt ausübe. Sein Name sei Kalvukura; er verstehe ein wenig Spanisch.
Ignacio hatte empfohlen, zuerst zu ihm zu gehen. Nichts war Tounens erwünschter gewesen als eben dieser Bericht. Deshalb hatte er auch den schwierig zu begehenden Saumpfad durch die Hochkordilleren gewählt, um ohne Umweg zu Kalvukuras Sitz zu gelangen. In Tounens Charakter lag nicht der Hang zu langem Grübeln; sein heiteres Gemüt liebte das Düstere nicht. Er machte sich daher auch gar keine weiteren Sorgen über die Möglichkeit eines Mißlingens seiner Pläne. Das alles kommt noch früh genug, sagte er sich; wozu mich jetzt schon unnützerweise quälen? Ich nehme meine Sache ernst, aber durchaus nicht tragisch, selbst nicht, wenn sie scheitert. Ich stehe allein und kann über meine Person frei verfügen; folglich schulde ich auch niemand Rechenschaft, ereigne sich, was da wolle. Weg also mit allen Zweifeln und mutig vorwärts, dem Unbekannten, dem Reizvollen, Abenteuerlichen entgegen! Über diesen Selbstgesprächen schlief Tounens in seinem Zelte ein.
Auch der zweite Tag der Kletterei im Gebirge ging vorüber, ohne daß Tounens mit seiner Begleitung aus dem Felsengewirr herausgelangt wäre. Erst im Laufe des dritten Tages nach seinem Abschied von den Gauchos kam der Franzose nach wiederholtem Überschreiten von Paßhöhen endlich über die Wasserscheide, die Chile von Argentinien trennt. Jetzt hatte er die Grenze tatsächlich erreicht; die Wasser flossen von den Kordilleren nach Westen, dem Stillen Ozean zu.
Obgleich es noch Tag und der Eintritt der Dämmerung erst in einigen Stunden zu erwarten war, beschloß Tounens, in der luftigen Höhe das Nachtlager herzurichten. Während Cäsar und Anibal damit beschäftigt waren, kletterte Tounens auf einen nahen Berg, um von diesem aus einen umfassenderen Blick auf die Landschaft werfen zu können. Ein prachtvolles Rundbild breitete sich, als er auf der Felsenzinne angelangt war, vor ihm aus und belohnte ihn für die Mühe des Aufstiegs. Was Tounens sofort in die Augen sprang, war ein ins Land vorgeschobener hoher, kegelförmiger Berg, der allein in stolzer Einsamkeit sein schneebedecktes Gewand im Abendsonnenschein zu dem Beschauer herüberleuchten ließ. Leichte Rauchwolken stiegen aus der Spitze des Berges in die klare Abendluft auf und verrieten Tounens, daß das, was er hier vor sich sah, ein noch tätiger Vulkan sei. Kein Zweifel, der Berg mußte der Vulkan Villarica sein, an dessen Fuß der See gleichen Namens lag, das Ziel seiner Reise. Weithin schweifte Tounens Blick. Was er sah, entzückte ihn geradezu. Große dunkelgrüne Waldungen, die bis hoch hinauf in die Berge reichten, schlossen das Land gegen Osten hin ab. Unterbrochen waren diese Urwälder in der Ferne durch große grüne Flächen; da und dort konnte Tounens scharfes Auge auch deutlich Getreidefelder unterscheiden, deren sattes Gelb sich stimmungsvoll aus dem Grün ihrer Umgebung abhob. Im Süden zeigte sich, einem Silberbande gleich, ein breiter Strom, dessen Wasser das auf sie fallende Sonnenlicht, einem blitzenden Spiegel gleich, blendend zurückwarfen. Der Ausdruck eines tiefen Friedens lag über der ganzen schönen Landschaft. »Ich grüße dich, Arauco, Land meiner Träume!« rief Tounens, begeistert den Hut schwenkend, als er sich satt gesehen und zum Abstieg bereit machte. Zuvor aber zog er seinen Kompaß aus der Tasche und merkte sich genau Richtung und Lage des Villarica. In gehobener Stimmung, die ihn keine Ruhe finden ließ, verbrachte Tounens die letzte Nacht in den Kordilleren.
In aller Frühe trieb er seine Indianer an, zu satteln und den Abstieg in die Hochebene auszuführen. Zuerst war das Reiten noch ohne weiteres möglich. Der Weg führte über Alpenweiden mit reichem Blumenflor. Eine köstliche, würzige Luft wehte ihnen entgegen, als sie in die Nähe des subtropischen Hochwaldes kamen, damit auch in den ersehnten kühlen Schatten, den mächtige, edelgeformte Bäume aller Art spendeten, unter denen immergrüne Buchen und gewaltige Araukarien, die Andestannen, vorherrschten. Wo der Schatten dichter war, bedeckten hohe Farnkräuter den Boden.
Tounens und die beiden Indianer mußten absteigen; die überall von den Bäumen herabhängenden und zwischen den Stämmen sich hindurchschlingenden Lianen erlaubten kein Reiten mehr. Die Maultiere und Pferde liefen geduldig den Reitern nach, die sich langsam, Schritt für Schritt, durch das dichte Pflanzengewirr des Waldes den Weg bahnen mußten. Oft sank der Fuß der Männer in dicke Schichten morastigen Torfes ein, der sich aus einer Masse faulender Pflanzen gebildet hatte und dem Fuße nachgab. Umgestürzte Bäume versperrten vielfach den Weg und zwangen die Reisenden zu zeitraubenden Umwegen. Der Zug durch den Wald, der kein Ende zu nehmen schien, stellte Tounens Geduld auf eine harte Probe. In den Pampas wie in den Kordilleren hatte man doch noch Ausblick, sah, wohin die Richtung zu nehmen war; aber hier in diesem Walde, der in dem Maße undurchdringlicher zu werden schien, als Tounens in ihm vordrang, war kaum noch ein Zurechtfinden möglich. Am meisten hinderten die vielen Bambusen die kleine Karawane im Vorwärtskommen. Sie bildeten oft ein undurchdringliches Unterholz, durch das die beiden Indianer mit den Äxten erst einen Weg schlagen mußten.
»Wahrhaftig ein schwer zugängliches Land ist Arauko!« hatte im Laufe des Tages Tounens oft genug ärgerlich vor sich hin gebrummt. Rasch vergessen aber war aller Unmut, als er gegen Abend bemerkte, daß der Wald lichter wurde und mehr und mehr in eine Art von Parklandschaft überging. Die Ermüdung des Franzosen wie auch der Indianer infolge der übergroßen Anstrengung des Tages erlaubte keinen weiteren Marsch mehr. Mächtige Lorbeerbäume luden zur Ruhe ein. Tounens schoß einige wilde Tauben, deren es hier eine Menge gab und die die Indianer äußerst schmackhaft zu bereiten verstanden. Sie nahmen zu diesem Zwecke die Tiere aus, ohne deren Federn vorher zu rupfen, schlugen die Vögel in eine Schicht feuchter Erde ein und legten die so hergerichteten Tiere in die Glut des Feuers. Nach einer Stunde wurden diese aus dem Feuer genommen, die steinharte Form, an der nun alle Federn hafteten, wurde auseinandergeschlagen, und einladend duftend lag die gebratene Taube da. Erquickt durch das gute Mahl und froh gelaunt nach den glücklich überstandenen Mühsalen der Walddurchquerung, streckte sich Tounens auf seinem Lager aus und genoß, seine Pfeife rauchend, die Schönheit der grünenden und blühenden Natur in vollen Zügen. Die Vierbeiner ließen sich das reichlich vorhandene Gras schmecken und zeigten ihre wiedererwachte Lebensfreude durch munteres Springen und Spielen an. Grün gefiederte Papageien tummelten sich kreischend in den Bäumen, und in bunten Farben blitzende und glitzernde Kolibris huschten geschäftig von Blume zu Blume.
Welch ein Gegensatz hier im ganzen Leben und Weben der Natur gegenüber jenseits der Kordilleren! Frischer, saftiger dünkte Tounens das Gras, blumenreicher das Land, großartig geradezu der Wald, der eine natürliche Schutzmauer dieser reichen, gesegneten Gegend bildete. Er war gespannt, bis er die Bekanntschaft mit den Araukanern machte; es wunderte ihn, daß hier herum bis jetzt keiner anzutreffen war.
»Holla, Cäsar, Anibal«, wandte sich Tounens an die Indianer, die eben mit einer Menge Holz beladen zur Lagerstätte zurückkamen, »habt ihr keinen Araukaner angetroffen?«
»Nein, Herr«, entgegnete Anibal, der besser Spanisch sprach als Cäsar, »aber irr' ich mich nicht, so sind wir nicht mehr allzuweit von einer Niederlassung entfernt.«
»Woraus schließt du das?«
»Beim Holzsammeln fand ich frische Spuren von Pferdehufen im Grase, ein Zeichen, daß auch der Reiter nicht weit weg sein kann.«
»Das ist richtig«, bestätigte Tounens. »Wir wollen also auf unserer Hut sein. Macht besser kein Feuer mehr für die Nacht, die ja sowieso nicht kalt ist! Das hat morgen früh noch Zeit beim Teekochen.«
»Ihr braucht keine Sorge zu haben, Herr«, antwortete Anibal, »die Araukaner sind Vettern von uns und lassen uns wie Euch unbelästigt, solange wir selbst ihnen nichts tun. Im übrigen ist es nicht Indianerart, über freie Männer ohne weiteres herzufallen«, setzte Anibal mit einem Anflug von Stolz hinzu.
Tounens biß sich auf die Lippen; dieser leichte Vorwurf traf ihn um so mehr, als er nach allem, was er seit Wochen in Südamerika unter den Gauchos wie in den letzten Tagen unter seiner indianischen Begleitung beobachten konnte, vollkommen berechtigt war. »So zündet meinetwegen das Feuer an!« knurrte Tounens und schloß das Zelt.
Anibal hatte recht gehabt. Ruhig, ohne Störung ging die erste Nacht auf araukanischem Boden vorüber. Dem sonnigen Tage war ein regnerischer Morgen gefolgt; trübe, grau in grau, zeigte sich das Land, durch das Tounens ritt. Eine genaue Ortsbestimmung war des schlechten Wetters halber sehr schwer; der Franzose mußte sich ausschließlich auf seinen Kompaß verlassen, den er oft genug während des Vormittags zu Rate zog. Gegen Mittag zerriß der Wolkenschleier für einen Augenblick und ließ die Sonne durch. Zu seiner Genugtuung konnte Tounens feststellen, daß er den richtigen Weg eingeschlagen hatte, denn die Pyramide des Villarica schimmerte plötzlich durch eine Spalte des zurückgezogenen Wolkenvorhangs, um rasch wieder durch neue Wolkenmassen verdeckt zu werden. Von neuem setzte der Regen ein, diesmal stärker als vorher. Schweigend ritten die Männer durch die Gegend, die allmählich den Charakter einer Wiesenlandschaft angenommen hatte.
Stunden waren vergangen, ohne daß sich eine menschliche Behausung gezeigt hätte. Die frühe Dämmerung des Regentages machte sich bereits bemerkbar, und Tounens überlegte schon, wo und wie er am besten, geschützt gegen die Nässe, mit seinen Leuten die Nacht zubringen könnte, als plötzlich lautes Hundegebell aus der Nähe an sein Ohr schlug. Er hielt sein Pferd an, rief Anibal herbei und befahl ihm, den Ort aufzusuchen, von dem das Hundegebell ausgehe. »Wir warten so lange hier auf dich.«
»Gut, Herr.« Damit ritt der Indianer fort. Der natürliche Spürsinn ließ Anibal rasch die Niederlassung auffinden, aus der immer noch das laute Gekläff von Hunden tönte. Es war ein großes Blockhaus mitten in einer Art von Gemüsegarten, ringsherum durch dichtes Bambusgesträuch nach außen hin abgeschlossen. Durch das tolle Gebaren der Hunde aufmerksam gemacht, war der Bewohner vor den Eingang getreten. Anibal rief ihn über die Bambushecke hinweg an.
Der Araukaner war erstaunt, einen Pampasindianer vor sich zu sehen. »Woher kommst du zu so ungewohnter Zeit?« fragte Lemunau; so war der Name des Araukaners.
»Von jenseits der Berge.«
»Und was willst du hier?« forschte Lemunau etwas mißtrauisch.
»Ich und ein Genosse von mir begleiten einen Fremden, der dein Land kennenlernen will. Willst du uns nicht Unterkunft für die Nacht gewähren?«
»Wer ist der Fremde?«
»Er kommt von jenseits des Großen Wassers.«
»Nein, das weiß ich ganz bestimmt.«
»Wo ist er?«
»Ein paar Büchsenschüsse von hier wartet er auf deinen Bericht.«
Der Indianer besann sich.
»Ist dir sein Besuch nicht angenehm, so reiten wir eben trotz des Regens weiter«, erklärte Anibal.
»Sage ihm«, antwortete Lemunau, ohne die Bemerkung Anibals zu beachten, »daß mein Haus für diese Nacht das seine sei! Ich erwarte ihn, dich und deinen Bruder.«
Anibal galoppierte fort. Kurz nachher verriet Pferdegetrappel das Nahen des Fremden.
»Hier ist unser Herr«, stellte Anibal Lemunau den Franzosen vor. Tounens sprang aus dem Sattel und schritt auf den Araukaner zu, der ihn mit scharfem Blicke stumm musterte.
Des Franzosen stattliche Gestalt und sein offenes Wesen machten auf den Indianer Eindruck. »Tritt näher, Fremder!« sprach er, Tounens die Hand reichend, die dieser lebhaft schüttelte. »Verstehst du unsere Sprache?«
Anibal übersetzte die Anrede.
»Sag ihm, daß ich seine Sprache nur den Zeichen und Gebärden nach verstehe, daß ich ihm aber für seine Worte danke!«
»So komm in mein Haus!« bat Lemunau, freundlicher geworden. »Ihr könnt absatteln und eure Sachen ins Haus tragen; die Tiere selbst werde ich nachher mit euch auf die Weide führen.« Mit diesen Worten wandte sich Lemunau an die Begleiter Tounens.
Der Franzose trat in das Blockhaus, wo gleich beim Eingange von Frauenhand ein weiches Lager aus Schaffellen für ihn hergerichtet wurde. Lemunau lud seinen Gast mit einer Handbewegung ein, sich auf das Lager zu setzen. In einer Ecke des Raumes brannte ein helles Feuer, auf dem zwei Frauen ein schmackhaftes Mahl bereiteten, ohne dem Fremden die geringste Beachtung zu schenken. Mit Neugierde betrachtete Tounens das Innere des Hauses, das mehrere Abteilungen enthielt, die durch Bambusgeflecht voneinander geschieden waren. Eine auffallende Sauberkeit trat ihm wohltuend im ganzen mit Matten belegten Raume entgegen. Lemunau, der ernst und schweigsam vor seinem Gaste saß, erregte dessen besondere Teilnahme. Das tiefschwarze Haar des Indianers war durch ein langes Band um den Kopf zusammengehalten, die Gesichtszüge waren ausdrucksvoll, die dunklen Augen lebhaft, die Lippen schmal und die Farbe der Haut ins Weißliche spielend. Tounens sagte sich, daß sein Gastgeber kein gewöhnlicher Mensch sei. Die Vorstellung, die er sich von der äußern Erscheinung der Araukaner gemacht hatte, wurde durch das erste Zusammentreffen mit einem Vertreter dieses merkwürdigen Volkes in keiner Weise enttäuscht. Auch die Frauen, die still und bescheiden das Mahl auftrugen, machten keinen üblen Eindruck. Ihre schlanke Gestalt hatte entschieden europäischen Anklang. Das Lendentuch von dunkelblauer Farbe, um die Hüften durch einen Gürtel festgehalten und unter diesem bis zur linken Schulter aufgezogen, ließ den rechten Arm und die rechte Brust frei; ein zweites Tuch, das am Halse durch eine schwere silberne Nadel zusammengehalten war, hatten die Frauen um Nacken und Schulter geschlagen. Das glänzend schwarze Haar war geflochten. Die nackten Füße waren auffallend klein, ebenso die Hände.
Tounens ließ sich das saftige Hammelfleisch und die Bohnen mit Maisbrot wie auch die frische Milch schmecken und dankte in spanischer Sprache den Frauen herzlich für das gute Essen. Lächelnd über die fremde Laute, aber ohne selbst ein Wort zu sprechen, zogen sich die Frauen, Mutter und Tochter, wie Tounens bei näherer Prüfung der Gesichter feststellte, in ein Nebengemach zurück und erschienen für den Abend nicht mehr.
Unterdessen hatten Cäsar und Anibal sämtliches Gepäck in den großen Vorderraum geschafft, in dem sich ihr Gebieter befand. Lemunau, der mit Tounens zusammen gegessen hatte, stand auf, ließ mit einer Art von Entschuldigung den Franzosen allein und sorgte mit den beiden Indianern für die Unterkunft der Pferde und Maultiere. Erst nachdem dies geschehen war, erhielten Cäsar und Anibal ihr Abendbrot.
Mit Behagen streckte sich Tounens auf dem weichen Lager aus. Das gute Essen, die angenehme Wärme der Behausung im Gegensatz zu der feucht-kühlen Witterung des Reisetages, das Feuer in der Ecke, dessen Rauch kunstgerecht durch einen besonderen Abzug nach außen geleitet wurde, wirkten beruhigend und zugleich einschläfernd auf den ermüdeten Franzosen, der, zufrieden mit seinem Einzug ins Araukanerland, bald fest einschlief. Anibal und Cäsar unterhielten sich flüsternd noch lange am Feuer mit Lemunau. Sie erzählten ihm von ihrer langen Reise durch die Pampas, ihrem Übergange über die Kordilleren und konnten des Fremden Mut, Kühnheit und Ritterlichkeit nicht genug rühmen. Lemunau erfuhr im Laufe des Gesprächs, daß sein Gast zu Kalvukura reisen wolle, ein Umstand, der Tounens in der Wertschätzung des Araukaners sofort bedeutend steigen ließ.
Ein heller Sommermorgen war dem regnerischen Tage gefolgt. Tounens schlief noch immer. Die Pampasindianer hatten Lemunaus Frau verraten, was ihr Herr zum Frühstück genieße. So war dieses schon fertig, als der Franzose sich endlich auf seinem Lager reckte und streckte. Helles Sonnenlicht flutete durch die offene Tür in das Innere des Hauses. Tounens griff nach der Uhr, er rieb sich die Augen. War es möglich, daß er sich so verschlafen hatte? Und doch, kein Zweifel, die Uhr zeigte auf acht. Um diese Zeit war er sonst schon lange unterwegs.
Er sprang auf und wollte eben zur Türe eilen. Da trat der Araukaner in voller Ausrüstung ein, zum Ausreiten bereit und gefolgt von Anibal. Höflich grüßte er seinen Gast und ließ ihn durch Anibal bitten, zuerst das Frühstück einzunehmen, bevor er seine Reise fortsetze. Gestatte er es, so wolle Lemunau ihn zu Kalvukura begleiten, der ein entfernter Verwandter von ihm sei. Tounens nahm das Anerbieten mit großer Freude an; nichts konnte ihm erwünschter sein als diese Begleitung. Nachdem er gefrühstückt hatte, wollte er sich, ehe er sein Pferd bestieg, das gleich den Maultieren tadellos besorgt worden war, seinen Gastfreunden gegenüber erkenntlich zeigen. Er hatte schon in Frankreich gehört, daß die Araukaner das Gold verschmähten, da sie diesem Metalle die Ursache der so verderblich für sie ausgefallenen Kriege mit den Spaniern zuschrieben; deshalb hatte sich Tounens für alle Fälle mit hübschen, geschmackvollen Erzeugnissen der französischen Silberindustrie versehen. Tounens streifte zwei silberne Ringe vom kleinen Finger der Linken und überreichte diese Lemunau, diesem durch Worte und Zeichen zu verstehen gebend, daß das Geschenke für die Frauen seines Hauses seien, als Zeichen des Dankes für die freundliche Aufnahme und Bewirtung. Zuerst wollte der Araukaner nichts von einer Annahme der Ringe wissen; schließlich aber ließ er sich doch herbei, die Frauen zu rufen, und übergab diesen die Gabe des Fremden. Sie dankten ihm hierfür mit sichtbarer Freude.
Tounens schüttelte den Frauen die Hand, bestieg sein Pferd und trabte ab. Ihm zur Seite ritt Lemunau; Cäsar und Anibal folgten, die Maultiere am Zügel führend. Der Franzose bewunderte Lemunaus Sitz; der Mann schien mit seinem Pferde wie verwachsen, jede Bewegung des Tieres übertrug sich unwillkürlich auf seinen Reiter. Die ganze Ausstattung des Araukaners war eigenartig vornehm. Das Zügelzeug war in feinster Weise aus ungegerbten Häuten verfertigt und mit Silber verziert; an die bloßen Füße waren silberne Sporen geschnallt, die Bügel bestanden aus einem mit zierlichen Holzschnitzereien versehenen halben Holzschuh, und der hohe, mit Fellen belegte Bocksattel war ebenfalls mit Silber beschlagen.
In den folgenden Stunden kamen sie an vielen mit Stroh bedeckten Blockhäusern vorbei. Diese lagen, wie das Haus von Lemunau, einsam inmitten grüner Matten oder Gärten, umhegt von Bambus. Was Tounens außer dem Reichtum des Landes an Getreide, Rindvieh, Schafen und Pferden auffiel, war die überall herrschende Sauberkeit und der große Fleiß der weiblichen Indianerbevölkerung, die nie müßig herumlungerte, sondern alle Arbeit in Haus, Hof und Feld zu verrichten schien. Freundlich grüßten die Insassen der Niederlassungen die Vorüberziehenden; die Gegenwart Lemunaus war für den Franzosen offenkundig von Nutzen.
Näher und näher kamen die Reiter der Pyramide des Villarica. Dunkle Araukarienwaldungen nahmen sie schließlich in ihren kühlen Schatten auf. Der Weg war durch den Regen des vorhergegangenen Tages im Walde derartig sumpfig, daß ein Vorwärtskommen nur langsam vor sich ging und ohne Pferde überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Darüber wurde es Nachmittag. Endlich war auch die letzte Strecke in dem Walde zurückgelegt, und als die Reiter aus diesem herauskamen, lag, hell beschienen von der Sonne, der See Villarica vor ihnen. Im Hintergrunde, auf einer großen Lichtung, tauchten eine Reihe von Blockhäusern auf, jedes für sich in grüner, saftiger Umrahmung von Wiesen und Wald. Es war die Wohnstätte von Kalvukura, auf die nun die Reiter zuhielten.