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Alexander nach Baktra – Verfolgung des Bessos, dessen Auslieferung – Zug gegen die Skythen am Jaxartes – Empörung in Sogdiana – Bewältigung der Empörer – Winterrast in Zariaspa – Zweite Empörung der Sogdianer – Bewältigung – Rast in Marakanda – Kleitos' Ermordung – Einbruch der Skythen nach Zariaspa – Winterrast in Nautaka – Die Burgen der Hyparchen – Vermählung mit Roxane – Verschwörung der Edelknaben – Kallisthenes' Strafe
Der nächste Feldzug galt dem oxianischen Lande. Dort hatte Bessos, der die Tiara des Großkönigs und den Namen Artaxerxes angenommen, eifrigst Vorbereitungen gemacht, um sich dem weiteren Vordringen der Makedonen zu widersetzen. Außer den Truppen, die noch seit der Ermordung des Großkönigs um ihn waren, hatte er aus Baktrien und Sogdiana etwa 7000 Reiter um sich versammelt, auch einige tausend Daer waren zu ihm gestoßen; mehrere Große des Landes, Dataphernes und Oxyartes aus Baktrien, Spitamenes aus Sogdiana, Katanes aus Paraitakene, befanden sich bei ihm auch Satibarzanes hatte sich, nachdem seine Empörung im Rücken Alexanders mißglückt war, nach Baktrien geflüchtet, – ein Unfall der für Bessos den großen Vorteil mit sich zu führen schien, daß Alexander, einmal von dem großen Wege nach Baktrien abgelenkt, wahrscheinlich die schwer zugänglichen Pässe über den Kaukasus scheuen, und den Feldzug gegen Baktrien entweder ganz aufgeben oder wenigstens Zeit zu neuen und größeren Rüstungen lassen, vielleicht einen Einfall nach dem nahen Indien machen werde; und dann konnte es nicht schwer sein, in den neuunterworfenen Ländern in seinem Rücken einen allgemeinen Aufstand zu organisieren.
Bessos ließ die Gegenden am Nordabhange des Gebirges mehrere Tagereisen weit verwüsten, um so jedes Eindringen eines feindlichen Heeres unmöglich zu machen; er übergab dem Satibarzanes, welcher auf die Anhänglichkeit seiner ehemaligen Untertanen rechnen konnte, etwa 2000 Reiter, um mit diesen eine Diversion im Rücken der Makedonen zu machen, die, wenn sie glückte, den Feind gänzlich abschnitt. Die Areier erhoben sich bei dem Erscheinen ihres ehemaligen Herrn, ja der von Alexander eingesetzte Satrap Arsames selbst schien die Empörung zu begünstigen. Auch nach Parthien hin sandte Bessos einen seiner Getreuen, Barzanes, um dort eine Insurrektion zu Gunsten des alten Persertums zu bewirken.
Alexander erhielt die Nachricht von dem neuen Aufstande der Areier in Arachosien; sofort sandte er die Reiterei der Bundesgenossen, 600 Mann, unter ihren Führern Erigyios und Karanos, sowie die griechischen Söldner unter Artabazos, 6000 Mann, unter denen auch die in den kaspischen Pässen übergetretenen unter Andronikos waren, nach Areia, ließ zugleich dem Satrapen in Hyrkanien und Parthien, Phrataphernes, den Befehl zukommen, mit seinen Reiterscharen zu jenen zu stoßen. Zu gleicher Zeit war der König selbst aus dem Arachosischen aufgebrochen und unter der strengsten Winterkälte über die nackten Paßhöhen, welche das Gebiet der Arachosier von dem der Paropamisaden trennen, gezogen. Er fand dies Hochland stark bevölkert, und obschon jetzt tiefer Schnee die Felder überdeckte, doch Vorräte genug in den zahlreichen Dörfern, die ihn freundlich aufnahmen. Er eilte in die offenere Landschaft des oberen Kabulstromes hinab und über diesen bis an den Fuß des hohen Hindukusch, des ›Kausasus‹, jenseits dessen Baktrien liegt. Hier hielt er Winterrast.
Aus dem Lande von Kabul führen sieben Pässe über das Gebirge Hindukusch nach dem Stromtale des Oxos; drei von diesen führen an den Quellflüssen des Pundschir aufwärts, am weitesten östlich die von Khawak mit einer Paßhöhe von 13 200 Fuß nach Anderab; diese und noch mehr die drei nächsten, welche zu den Quellen des Surkab hinabführen, sind vier bis fünf Monate hindurch vom Schnee so bedeckt, daß man sie kaum passieren kann; man muß dann den westlichen Paß, den von Dundan Shikan, einschlagen, auf dem man mit etwa sechzig Meilen von Kabul nach Balk gelangt; dieser Weg führt durch mehrere Bergketten diesseits und jenseits des Hauptgebirges, und die Täler zwischen denselben sind an Quellen, an Weide und Herden reich, von friedlichen Hirtenstämmen bewohnt.
Alexander lagerte, das hohe Gebirg ›zu seiner Linken‹, an einer Stelle, wo er den beschwerlichen Ostpässen, namentlich dem nach Anderab, näher war als dem bequemeren Westpaß. Mußte ihn Bessos nicht über diesen kommen zu sehen erwarten und demnach seine Maßregeln getroffen haben? Es war angemessen, die näheren Pässe zu wählen und lieber dem Heere eine längere Rast zu gewähren, um so mehr, da die Pferde des Heeres durch die Wintermärsche schwer mitgenommen waren. Es kam noch ein anderer Umstand hinzu; was der König im Kabullande hörte und sah, mußte ihn erkennen lassen, daß hier die Eingangspforte zu einer neuen Welt sei, voll kleiner und großer Staaten, voll kriegerischer Volksstämme, bei denen die Nachricht von der Nähe des Eroberers unzweifelhaft Aufregung genug veranlassen mußte, vielleicht selbst Maßregeln, ihm, wenn er nach Norden weitergezogen, die Rückkehr durch die Pässe, die er jetzt vor sich hatte, unmöglich zu machen. Zur Sicherung dieser Position wurde an der Stelle, wo das Heer lagerte, eine Stadt ›Alexandreia am Kaukasus‹ angelegt und ihr eine starke Besatzung gegeben; es wurde der Perser Proxes zum Satrapen des Landes, Neiloxenos von den Hetairen zum Episkopos bestellt.
Sobald die Tage der strengsten Kälte vorüber waren, brach Alexander aus der Winterrast auf, um das erste Beispiel eines Gebirgsüberganges zu geben, mit dessen staunenswürdiger Kühnheit nur die ähnlichen Wagnisse Hannibals zu wetteifern vermögen. Die Verhältnisse, unter denen Alexander den Marsch unternehmen mußte, erschwerten denselben bedeutend; noch war das Gebirge mit Schnee bedeckt, die Luft kalt, die Wege beschwerlich; zwar fand man zahlreiche Dorfschaften und die Einwohner friedlich und bereitwillig zu geben, was sie hatten, aber sie hatten nichts als ihre Herden; die Berge, ohne Waldung und nur hie und da mit Terpentinbüschen bewachsen, boten keine Feuerung dar; ohne Brot und ungekocht wurde das Fleisch genossen, nur gewürzt mit dem Silphion, das in den Bergen wächst. So zog man vierzehn Tage lang über Bergstraßen; je näher man den Nordabhängen kam, desto drückender wurde der Mangel; man fand die Gegenden verwüstet und verödet, die Ortschaften niedergebrannt, die Herden fortgetrieben; man war genötigt sich von Wurzeln zu nähren und das Zugvieh der Bagage zu schlachten. Nach unsäglicher Anstrengung, von der Witterung und dem Hunger mitgenommen, mit Verlust vieler Pferde, in traurigstem Aufzuge erreichte das Heer endlich am fünfzehnten Tage die erste baktrische Stadt Drapsaka oder Adrapsa, noch hoch im Gebirge.
Alexander stand am Eingang eines Gebietes doch sehr anderer Art, als die er bisher leicht genug unterworfen hatte. Baktrien und Sogdiana waren Länder uralter Kultur, einst ein eigenes Reich, vielleicht die Heimat des Zarathustra und der Lehre, die sich über ganz Iran verbreitet hatte. Dann den Assyrern, den Medern, den Persern unterworfen, hatte dieses Land, im Norden und Westen von den turanischen Völkern umgeben und stets von ihren Einfällen bedroht, die hervorragende Bedeutung eines zum Schutz Irans wesentlichen, zur militärischen Verteidigung organisierten Vorlandes bewahrt. Daß Bessos, ›Satrap des Landes der Baktrier‹, in der Schlacht von Arbela zugleich mit den Sogdianern und den an Baktrien grenzenden Indern die skythischen Saken, nicht als seine Untertanen, sondern als ›Verbündete des Großkönigs‹, geführt hatte, ließ hier eine Einheit der militärischen Leitung und eine Mitwirkung der Skythenstämme erwarten, der gegenüber die Bewältigung dieser Lande doppelt schwierig werden konnte.
Vielleicht, daß sie der plötzliche Anmarsch des makedonischen Heeres von unerwarteter Seite her erleichterte. Nach kurzer Rast rückte Alexander in raschen Märschen durch die Pässe, welche die nördlichsten Vorberge bilden, nach Aornos hinab und von dort über die Fruchtebenen Baktriens nach Baktra, der Hauptstadt des Landes; nirgends fand er Widerstand.
Bessos, solange die Feinde noch fern waren, voll Zuversicht und in dem Wahne, daß die Gebirge und die Verwüstungen an ihrer Nordseite das turanische Land schützen würden, hatte nicht sobald von dem Anrücken Alexanders gehört, als er eilends aus Baktra aufbrach, über den Oxos floh und, nachdem er die Fahrzeuge, die ihn über den Strom gesetzt, verbrannt hatte, sich mit seinem Heere nach Nautaka im Sogdianerlande zurückzog. Noch hatte er einige Tausend Sogdianer unter Spitamenes und Oxyartes, sowie die Daer vom Tanais bei sich; die baktrischen Reiter hatten, sobald sie sahen, daß ihr Land preisgegeben wurde, sich von Bessos getrennt und in ihre heimatlichen Gebiete zerstreut, so daß Alexander mit leichter Mühe alles Land bis zum Oxos unterwarf. Zu gleicher Zeit kam Artabazos und Erigyios aus Areia zurück; Satibarzanes war nach kurzem Kampfe besiegt, der tapfere Erigyios hatte ihn mit eigener Hand getötet; die Areier hatten die Waffen sofort gestreckt und sich unterworfen. Alexander sandte den Solier Stasanor in jene Gegenden, mit dem Befehl, den bisherigen Satrapen Arsames, der bei dem Aufstande eine zweideutige Rolle gespielt hatte, zu verhaften und statt seiner die Statthalterschaft zu übernehmen. Die reiche baktrische Satrapie erhielt der greise Artabazos, denen, die sich in ihr Schicksal ergaben, gewiß zu nicht geringer Beruhigung. Aornos, am Nordeingang der Pässe, wurde zum Waffenplatz ausersehen; es wurden die Veteranen, die zum ferneren Dienst untauglich waren, sowie die thessalischen Freiwilligen, deren Dienstzeit um war, in die Heimat entlassen.
So war mit dem Frühling des Jahres 329 alles bereit, die Unterwerfung des transoxianischen Landes zu beginnen. Die eigentümlichen Verhältnisse desselben hätten, gehörig benutzt, einen langen und vielleicht glücklichen Widerstand möglich gemacht. Das fruchtreiche, dichtbevölkerte Talland von Marakanda, im Westen durch weite Wüsten, im Süden, Osten und Norden durch Gebirge mit höchst schwierigen Pässen geschützt, war nicht bloß leicht gegen jeden Angriff zu verteidigen, sondern überdies zu steter Beunruhigung Areias, Parthiens und Hyrkaniens günstig gelegen; leicht konnten dort bedeutende Kriegsheere zusammengebracht werden; die daischen und massagetischen Schwärme in den westlichen Wüsten, die skythischen Horden jenseits des Jaxartes waren stets zu Raubzügen geneigt; selbst indische Fürsten hatten sich bereit erklärt, an einem Kriege gegen Alexander Anteil zu nehmen. Wenn auch die Makedonen siegten, boten die Wüsten im Westen, die Felsburgen des oberen Landes sichere Zuflucht und Ausgangspunkte zu neuen Erhebungen.
Um so wichtiger war es für Alexander, sich der Person des Bessos zu bemächtigen, bevor seine Usurpation des königlichen Namens zur Losung eines allgemeinen Aufstandes wurde. Er brach aus Baktra auf, um Bessos zu verfolgen. Nach einem mühseligen Marsche über das ödere Land, das das Fruchtgebiet um Baktra vom Oxos trennt, erreichte das Heer das Ufer des mächtigen und reißenden Stromes. Nirgend waren Kähne zum Übersetzen, hindurchzuschwimmen oder hindurchzuwaten bei der Breite und Tiefe des Stromes unmöglich, eine Brücke zu schlagen zu zeitraubend, da man weder Holzung genug in der Nähe hatte, noch das weiche Sandbett und der heftige Strom des Flusses das Einrammen von Pfählen leicht hätte bewerkstelligen lassen. Alexander griff zu demselben Mittel, dessen er sich an der Donau mit so gutem Erfolg bedient hatte; er ließ die Felle, unter denen die Truppen zelteten, mit Stroh füllen und fest zunähen, dann zusammenbinden, pontonartig ins Wasser legen, mit Balken und Brettern überdecken und so eine fliegende Brücke zustande bringen, über welche das gesamte Heer in Zeit von fünf Tagen den Strom passierte. Ohne Aufenthalt rückte Alexander auf der Straße von Nautaka vor.
Während dieser Zeit hatte das Schicksal des Bessos eine Wendung genommen, wie sie seines Verbrechens und seiner Ohnmacht würdig war. In steter Flucht vor Alexander, jedes Wollens und Handelns unfähig, schien er den Großen in seiner Umgebung ihre letzte Hoffnung zu vereiteln und zu verraten; natürlich, daß selbst in solcher Erniedrigung der Name der Macht noch lockte; und gegen den Königsmörder ward Unrecht für erlaubt gehalten. Der Sogdianer Spitamenes, von dem Anrücken des feindlichen Heeres unterrichtet, hielt es an der Zeit, durch Verrat an dem Verräter sich Alexanders Gunst zu erwerben. Er teilte den Fürsten Dataphernes, Katanes, Oxyartes seinen Plan mit, sie verständigten sich bald, sie griffen den ›König Artaxerxes‹, sie meldeten an Alexander: wenn er ihnen eine kleine Heeresabteilung schicke, wollten sie den Bessos, der in ihrer Gewalt sei, ausliefern. Auf diese Nachricht gewährte Alexander seinen Truppen einige Ruhe und sandte, während er selbst in kleineren Tagesmärschen nachrückte, den Leibwächter Ptolemaios den Lagiden mit etwa sechstausend Mann voraus, die hinreichend schienen, selbst wenn das Barbarenheer sich der Auslieferung des Bessos widersetzen sollte, dieselbe zu bewerkstelligen. In vier Tagen legte dieses Korps einen Weg von zehn Tagereisen zurück und erreichte die Stelle, wo tags zuvor Spitamenes mit seinen Leuten gelagert hatte. Hier erfuhr man, daß Spitamenes und Dataphernes in Beziehung auf Bessos Auslieferung nicht sicher seien; deshalb befahl Ptolemaios dem Fußvolk langsam nachzurücken, während er selbst an der Spitze der Reiter eiligst weiterzog; bald stand er vor den Mauern eines Fleckens, in dem sich Bessos, von Spitamenes und den anderen Verschworenen verlassen, mit dem kleinen Rest seiner Truppen befand; ihn mit eigener Hand auszuliefern hatten sich die Fürsten geschämt. Ptolemaios ließ den Flecken umzingeln, die Einwohner durch einen Herold auffordern, Bessos auszuliefern, so werde er ihrer schonen. Man öffnete die Tore, die Makedonen rückten ein, nahmen Bessos fest und zogen in geschlossener Kolonne zurück, mit ihrer Beute zu Alexander zu stoßen; doch ließ Ptolemaios vorher anfragen, wie Alexander befehle, daß der gefangene Königsmörder vor ihm erscheinen solle. Alexander befahl, ihn nackt, ins Halseisen gebunden vorzuführen, und ihn rechts an dem Wege, wo er mit dem Heere vorüberziehen würde, aufzustellen. So geschah es; als Alexander ihm gegenüber war und seiner ansichtig wurde, ließ er seinen Wagen halten und fragte ihn: warum er Dareios, seinen König und Herrn, seinen Verwandten und Wohltäter festgenommen, gefangen fortgeschleppt, endlich ermordet habe? Bessos antwortete: er habe dies nicht auf seine Entscheidung allein getan, sondern in Übereinstimmung mit allen, die damals um Dareios Person gewesen seien, in der Hoffnung, sich so des Königs Gnade zu verdienen. Darauf ließ ihn der König geißeln und durch den Herold bekanntmachen, was ihm der Königsmörder gesagt habe. Bessos ward nach Baktra abgeführt, um gerichtet zu werden.
So hat Ptolemaios diesen Vorgang berichtet, während nach Aristobulos Spitamenes und Dataphernes selbst den Bessos in Ketten übergeben haben. Damit scheint angedeutet, was die kleitarchische Überlieferung noch bestimmter hervorhebt, daß Spitamenes, Dataphernes, Katanes, Oxyartes von dem Könige zu Gnaden aufgenommen, wohl auch in ihrem Besitz bestätigt worden sind. Alexander mochte glauben, damit auch des sogdianischen Landes sicher zu sein. Er zog zwar von Nautaka weiter nach Marakanda, der Hauptstadt Sogdianas, ließ auch dann, weiter nach dem Jaxartes marschierend, eine Besatzung in Marakanda zurück; aber unsere Quellen erwähnen nicht, daß er einen Satrapen der Sogdianer bestellt, noch daß er andere Maßregeln zur Unterwerfung getroffen habe; er forderte nur eine bedeutende Lieferung von Pferden, um seine Reiter, die im Hochgebirge und auf dem weiteren Hermarsch viele Verluste erlitten hatten, wieder vollständig beritten zu machen.
Um so bemerkenswerter ist die beiläufige Notiz in unseren Quellen, daß Alexander die ›Hyparchen des baktrischen Landes‹ nach Zariaspa beschieden habe, zu einer Zusammenkunft, die mit dem Worte bezeichnet wird, das bei den Griechen für die im Perserreich üblichen jährlichen Musterungen in den Kanarien hergebracht ist. Selbst wenn Alexander die baktrischen Hyparchen nur zur Musterung beschieden hat, um sie zur Heeresfolge aufzubieten, – in keinem anderen Teile der persischen Monarchie hatte er bisher Ähnliches getan. Gedachte er diesen Landen am Oxos ein anderes Verhältnis zu seinem Reich, eine anders geartete Organisation zu geben als den bisher eroberten? Wir werden später sehen, daß er in Sogdiana einen der Großen des Landes zum ›König‹ bestellte, daß er sich mit der Tochter eines anderen vermählte, daß er einem dritten – er wird ausdrücklich Hyparch genannt –, nachdem er ihn auf seiner Felsenburg zur Kapitulation genötigt, seine Burg und sein Gebiet ließ, daß er einen vierten, der in gleichem Falle war, in gleicher Weise zu Gnaden annahm, ihm auf ein größeres Gebiet Aussicht machte. Die in diesen Landen zahlreichen edlen Herren mit ihren Burgen, ihren Gebieten, die in unseren Quellen erwähnt werden, diese ›Hyparchen‹, wie sie genannt werden, erscheinen wie Lehensfürsten, wie Territorialherren unter des Reiches Hoheit, wie die Pehlewanen im Dschah-nameh. Es waren die Elemente vorhanden, eine Einrichtung zu treffen, die nach der Lage dieser Lande sich wohl empfehlen konnte; und vielleicht war die Ernennung des Artabazos in diesem Sinne gemeint. Wir kommen auf die Frage im späteren zurück.
Schon mit seinen Märschen bis Marakanda konnte Alexander eine ungefähre Vorstellung von der charakteristischen Formation des transoxianischen Landes gewonnen haben. War er über Kilif nach Nautaka (Karschi) marschiert, so hatte er zur Linken die weite Wüste gehabt, während ihn zur Rechten die zum Teil bis 3000 Fuß hohen Vorberge eines Hochgebirges begleiteten, dessen Schneegipfel (namentlich den Hazreti-Sultân) er auf dem weiteren Marsch, von Nautaka am Kaschkafluß hinauf nach Schehrisebz, als er den Paß von Karatübe überstieg, etwa zehn Meilen im Osten erblickte. Dann stieg er in das Tal des Sogdflusses (Polytimetos) hinab nach Samarkand, das noch 2150 engl. Fuß über dem Meere liegt, fast unter demselben Meridian mit Balk, mit der Mündung des Derbentflusses in den Oxos, der 300 Fuß über dem Meere ist, mit Schehrisebz in dem Tal des Kaschka, mit jenem Paß von Karatübe von fast 3000 Fuß Höhe. Die hohe Talmulde des Sogdflusses ist im Norden durch neue von Ost nach West streichende Bergzüge begleitet, durch welche nordostwärts die Pässe zum Jaxartes hinabführen, der von Osten herabkommend bei Chodjend in plötzlicher Wendung nordwärts weiterströmt; an dieser Stelle treten die Berge vom Süden und die höheren vom Norden her nahe an den mächtigen Strom, scheiden so das reiche Tal des mittleren Jaxartes, die Ferghana von dem unteren, dem zur Linken sich die weite Wüste ausdehnt. Chodjend ist von Samarkand in der Luftlinie etwa 30 Meilen entfernt, Balk von Samarkand etwa 42 Meilen, Balk von Chodjend 60, doppelt so weit wie Mailand von Basel.
Noch ein anderes Moment in der Formation dieser weiten Gebiete darf hervorgehoben werden. Jenes Anderab oder Adrapsa, wo Alexander nach Übersteigung der Hochpässe des Kaukasus im Beginn dieses Jahres gerastet hatte, liegt ungefähr unter dem gleichen Meridian mit der Nordwendung des Jaxartes bei Chodjend, beide 65 Meilen in der Luftlinie voneinander entfernt. Als Alexander von Anderab in der Richtung auf Kunduz, wie es scheint, hinabstieg, war er auf wenige Meilen der Stelle nahe, wo die beiden mächtigen Ströme Koktscha und Abi-Pandscha, jener von den indischen Hochketten, dieser von dem riesigen Pamirplateau, dem ›Dach der Welt‹, herabströmend, sich zum Oxos vereinigen. Unterhalb dieser Stelle erhält der mächtige Strom eine Reihe von Zuflüssen von Norden her aus dem schneereichen Hochgebirge, das dem Jaxartes parallel und ihm bis auf 15-20 Meilen nahe, nach dem Süden mehrere Gebirgsketten hinabsendet, zwischen ihnen jene mehr oder minder engen Flußtäler, die sich nach dem Oxos öffnen und unter sich nur durch schwierige Paßwege in Verbindung stehen. Erst mit dem vierten, dem westlichsten dieser Zuflüsse, dem von Derbent, der zehn Meilen nördlich von Balk sich in den Oxos ergießt, verändert sich der Charakter der Landschaft; das massige Gebirge mit den Schneekuppen zwischen den Quellen des Derbent und dem Sogd bei Samarkand sendet fächerartig seine Ausläufer nach West, Südwest und Süd; und die von ihnen entspringenden Wasser vereinigen sich in dem Kaschka, der an Karschi (Nautaka) vorüberfließt, dann in der Wüste verrinnt. Auch der Sogdfluß, in weitem Bogen aus westlicher in südliche Richtung sich wendend, strömt an Buchara vorüber dem Oxos zu, aber verliert sich, ehe er ihn erreicht, in einer Steppenlache.
Für die politische Gestaltung scheint hier vor allem maßgebend, daß die breitentwickelte Absenkung nach dem Oxos zu dem Lauf des Jaxartes gleichsam den Rücken kehrt, daß das Tal des Sogdflusses, durch Schneegebirge von dem übrigen Stromsystem des Oxos getrennt, nur wie ein Vorland, eine Barriere desselben gegen den Jaxartes und die Wüsten in dessen Westen ist, daß der Bergzug, den man in dem Paß des eisernen Tores überschreitet, die natürliche Grenze zwischen diesem Vorland und dem talreichen baktrischen Lande bildet, daß dies Land in dem Plateau von Pamir einen natürlichen Abschluß und Bollwerk gegen das hohe innere Asien hat.
Wenigstens die Übersicht der weiteren militärischen Tätigkeit Alexanders in diesen Gebieten wird sich nun leichter gewinnen lassen.
Er zog von Marakanda nordwärts, die Ufer des Tanais, den die Anwohner Jaxartes ›den großen Strom‹ nannten, zu erreichen. Die Heerstraße von Marakanda nach Kyropolis, der letzten Stadt des Reiches, nicht fern von den Südufern des Tanais, führt durch die Pässe der von räuberischen Stämmen bewohnten oxischen Berge, durch die Landschaft von Uratübe. Hier war es, wo einige Scharen Makedonen, beim Fouragieren in den Bergen verirrt, von den Barbaren überfallen und niedergemacht oder gefangen wurden; sofort rückte Alexander mit den leichteren Truppen gegen sie aus. Sie hatten sich, an 30 000 Bewaffnete, auf ihre steilen und mit Burgen besetzten Berge zurückgezogen, von denen aus sie die heftigen und wiederholten Angriffe der Makedonen mit Schleudern und Pfeilen zurückschlugen; unter den vielen Verwundeten war Alexander selbst, dem durch einen Pfeilschuß das Schienbein zerschmettert wurde; dadurch zu neuer Wut entflammt, nahmen die Seinigen endlich die Höhe. Der größte Teil der Barbaren wurde niedergehauen, andere stürzten sich von den Felsen hinab und zerschmetterten in den Abgründen; nicht mehr als 8000 blieben am Leben, sich dem Könige zu unterwerfen.
Alexander zog dann aus diesen Berggegenden nordwärts, ohne Widerstand zu finden. Der eigentümliche Charakter dieser Landschaft Ferghana hat sie zu allen Zeiten zu einer wichtigen Völkergrenze und zur Vormauer orientalischer Kultur gegen die Horden der turanischen Steppen gemacht. Im Süden und Osten durch mächtige Gebirge, im Norden durch den Strom und die Bergzüge, die ihm ihre wilden Gebirgswasser zusenden, geschützt, ist sie nur von Westen und Nordwesten her fremden Einfällen offen; und allerdings lauern dort in dem weiten Steppenlande, das sich auf beiden Seiten des unteren Jaxartes ausdehnt, die Wanderhorden streitbarer Völkerschaften, welchen das Altertum den gemeinschaftlichen Namen der Skythen zu geben pflegt; es sind die Turanier der alten Parsensage, gegen deren Invasionen gewiß frühzeitig jene merkwürdige Reihe von Grenzburgen errichtet worden ist, die unter anderen und anderen Völkerverhältnissen ihre Wichtigkeit bis in die neue Zeit behauptet haben. Alexander fand sieben Städte dieser Art vor, die, wenige Meilen voneinander entfernt, den Rand der Steppe begleiten; die bedeutendste unter ihnen war die Stadt des Kyros, größer und stärker befestigt als die übrigen, die für die Hauptfeste der Landschaft galt. Alexander ließ in diese Pässe makedonische Besatzungen einrücken, während er selbst mit der Armee einige Stunden nordostwärts an der Stelle lagerte, wo der Tanais mit plötzlicher Wendung gen Norden die letzten Stromengen bildet, um sich fortan durch die Sandsteppen weiter zu wühlen. Alexander erkannte die Wichtigkeit dieser Lokalität, der natürlichen Grenzfestung gegen die Räuberhorden der Wüste; von hier aus war es leicht, den Einfällen der Skythen im Norden und Westen zu begegnen; für einen Feldzug in ihr Gebiet bot sie den gelegensten Ausgangspunkt; Alexander hoffte, daß sie nicht minder wichtig für den friedlichen Verkehr der Völker werden müßte; und wenn, was kaum zu bezweifeln, schon in jener Zeit Handelsverbindungen des Tieflandes mit dem Inneren Hochasiens bestanden, so führte aus dem Lande der Serer die einzige Gebirgsstraße, die von Kaschgar, den riesigen bis 25 000 Fuß hohen Gebirgswall des Tian-schian hinab über Osch unmittelbar zu dieser Stelle hin, die zu einem Markte der umwohnenden Völker überaus günstig gelegen war.
In der Tat schienen sich die Verhältnisse mit den skythischen Nachbarn freundlich gestalten zu wollen; von dem merkwürdigen Volke der Abier, sowie von den ›Skythen Europas‹, kamen Gesandtschaften an den König, mit ihm Bündnis und Freundschaft zu schließen; Alexander ließ mit diesen Skythen einige seiner Hetairen zurückreisen, angeblich, damit sie in seinem Namen Freundschaft mit ihrem Könige schließen sollten, in der Tat aber, um über das Land der Skythen, über die Größe der Bevölkerung, über die Lebensweise, die körperliche Beschaffenheit und das Kriegswesen der Skythen sichere Nachricht zu erhalten.
Indes begann im Rücken Alexanders eine Bewegung, welche mit außerordentlicher Gewalt um sich griff. Der Haß gegen die fremden Eroberer vereint mit dem wildbeweglichen Sinn, der zu allen Zeiten die herrschende Klasse der Bevölkerung dieser Lande ausgezeichnet hat, bedurfte nur eines Anstoßes und eines Führers, um in wilder Empörung auszubrechen; und Spitamenes, der sich in seinen hochfahrenden Hoffnungen getäuscht sehen mochte, eilte, diese Stimmungen, das Vertrauen, das ihm Alexander geschenkt hatte, und dessen Fernsein zu benutzen. Die Sogdianer, die mit ihm an Bessos Flucht und Vergewaltigung teilgenommen, bildeten den Kern einer Erhebung, zu der die Bevölkerung der sieben Städte den ersten Anstoß und vielleicht das verabredete Signal gab; die von Alexander in diesen Städten zurückgelassenen Besatzungen wurden von den Einwohnern ermordet. Nun loderte der Aufruhr auch im Tal des Sogdflusses empor; die nicht große Besatzung in Marakanda schien kaum imstande, ihm Widerstand zu leisten, sie schien dem gleichen Schicksal verfallen. Die Massageten, die Daer, die Saken in der Wüste, alte Kampfgenossen des Spitamenes und durch die Makedonen nicht minder bedroht, durch die Vorspiegelung von Mord und Plünderung leicht zur Teilnahme gereizt, eilten sich der Bewegung anzuschließen. In den baktrischen Landen wurde das Gerücht verbreitet, daß die Zusammenkunft der Hyparchen nach Zariaspa, die Alexander angesetzt hatte, bestimmt sei, die Führer des Volks mit einem Schlage zu beseitigen; man müsse der Gefahr vorbeugen, sich sichern, ehe es zum Äußersten komme. Oxyartes, Katanes, Chorienes, Haustanes, viele andere folgten dem im Sogdlande gegebenen Beispiel. Die Kunde von diesen Vorgängen verbreitete sich über den Jaxartes in die Steppen der asiatischen Skythen; voll Mordlust und Raubgier drängten sich die Horden an die Ufer des Stromes, um sogleich bei dem ersten Erfolge, den die Sogdianer erringen würden, mit ihren Pferden den Strom zu durchschwimmen und über die Makedonen herzufallen. Wie mit einem Schlage war Alexander von unermeßlichen Gefahren umringt; der geringste Unfall oder Verzug mußte ihm und seinem Heere den Untergang bereiten; es bedurfte seiner ganzen Energie und Kühnheit, um schnell und sicher den Weg der Rettung zu finden.
Er rückte eiligst nach Gaza, der nächsten der sieben Festen, indem er Krateros gegen Kyropolis, wohin sich die meisten Barbaren der Umgegend geworfen hatten, mit dem Befehl voraussandte, die Stadt mit Wall und Graben einzuschließen und Maschinen bauen zu lassen. Vor Gaza angekommen, ließ er sofort gegen die nicht hohen Erdwälle der Stadt den Angriff beginnen; während Schleuderer, Schützen und Maschinen durch einen Hagel von Geschossen die Wälle bestrichen und rein fegten, war das schwere Fußvolk von allen Seiten her zugleich zum Sturm herangerückt, hatte die Leitern angelegt, die Mauern erstiegen, und in kurzem waren die Makedonen Herren der Stadt; auf Alexanders Befehl mußten alle Männer über die Klinge springen; die Weiber, Kinder, alle Habseligkeiten wurden den Soldaten preisgegeben, die Stadt in Brand gesteckt. Noch an demselben Tage wurde die zweite Feste angegriffen und auf die gleiche Weise erstürmt; die Einwohner traf dasselbe Schicksal. Am nächsten Morgen standen die Phalangen vor der dritten Stadt, auch sie fiel bei dem ersten Sturm. Die Barbaren der zwei nächsten Festen sahen die Rauchsäule der eroberten Stadt emporsteigen; einige, aus derselben entronnen, brachten die Nachricht von dem fürchterlichen Ende der Stadt; darauf hielten die Barbaren in beiden Städten alles für verloren, in hellen Haufen stürzten sie aus den Toren, in die Berge zu flüchten. Alexander hatte, dies ahnend, bereits in der Nacht seine Reiterei mit dem Befehl vorausgesandt, die Wege um beide Städte zu beobachten; so rannten die fliehenden Barbaren den dichtgeschlossenen Ilen der Makedonen in die Klinge und wurden meist niedergemacht, ihre Städte genommen und niedergebrannt.
Nachdem so in zwei Tagen die fünf nächsten Festen bewältigt waren, wandte sich Alexander gegen Kyropolis, vor der bereits Krateros mit seinen Truppen angekommen war. Diese Stadt, größer als die schon eroberten, mit stärkeren Mauern und im Inneren mit einer Burg versehen, war von ungefähr 15 000 Mann verteidigt, den streitbarsten Barbaren der Umgegend. Alexander ließ sofort das Sturmzeug auffahren und gegen die Mauern zu arbeiten beginnen, um möglichst bald eine Bresche zum Angriff zu gewinnen. Während die Aufmerksamkeit der Belagerten auf die so bedrohten Punkte gerichtet war, bemerkte Alexander, daß der Fluß, der durch die Stadt herabkam, ausgetrocknet wie er war, durch die Lücke, die sich dort in der Mauer befand, einen Weg darbiete, in die Stadt zu kommen. Er ließ Hypaspisten, Agrianer und Schützen auf das nächstgelegene Tor losrücken, während er selbst mit wenigen anderen unbemerkt durch das Flußbett in die Stadt hineinschlich, zu dem nächsten Tore eilte, es erbrach, die Seinigen einrücken ließ. Die Barbaren, obschon sie alles verloren sahen, warfen sich mit der wildesten Wut auf Alexander; ein blutiges Gemetzel begann, Alexander, Krateros, viele Offiziere wurden verwundet, desto heftiger drangen die Makedonen vor; während sie den Markt der Stadt eroberten, waren auch die Mauern erstiegen; die Barbaren, von allen Seiten umringt, warfen sich in die Burg; sie hatten an achttausend Tote verloren. Sofort schloß Alexander die Burg ein; es bedurfte nicht langer Anstrengungen, Wassermangel nötigte sie zur Übergabe.
Nach dem Falle dieser Stadt war von der siebenten und letzten Feste kein langer Widerstand zu erwarten; nach dem Berichte des Ptolemaios ergab sie sich auf Gnade und Ungnade, ohne einen Angriff abzuwarten, nach anderen Nachrichten wurde auch sie mit Sturm genommen und die Bevölkerung niedergemacht. Wie dem auch sei, Alexander mußte gegen die aufrührerischen Barbaren dieser Gegend um so strenger verfahren, je wichtiger ihr Gebiet war, er mußte sich um jeden Preis in vollkommen sicheren Besitz dieser Paßgegend setzen, ohne welche an die Behauptung des sogdianischen Landes nicht zu denken war; mit dem Blute der trotzenden Gegner, mit der Auflösung aller alten Verhältnisse mußte die Einführung des Neuen, das Transoxiana für Jahrhunderte umgestalten sollte, beginnen.
Durch die Unterwerfung der sieben Städte, aus denen die Reste der Bevölkerung zum Teil in Fesseln abgeführt wurden, um in der neuen Stadt Alexandreia am Tanais angesiedelt zu werden, hatte sich Alexander den freien Rückweg nach Sogdiana erkämpft; es war die höchste Zeit, daß die in Markanda zurückgelassene und von Spitamenes belagerte Besatzung Hilfe erhielt. Aber schon standen die skythischen Horden, durch die Empörung der sieben Städte gelockt, an den Nordufern des Stromes bereit, über die Abziehenden herzufallen; wollte Alexander nicht alle am Tanais errungenen Vorteile und eine Zukunft neuen Ruhmes und neuer Macht aufgeben, so mußte er die am Strome genommene Position auf das Vollständigste befestigen, und den Skythen ein für allemal die Lust zu Invasionen verleiden, bevor er nach Sogdiana zurückkehrte; vorläufig schien es genug, wenn einige tausend Mann zum Entsatz von Marakanda geschickt wurden. In einem Zeitraume von etwa zwanzig Tagen waren die Werke der neuen Stadt für den dringendsten Bedarf fertig, und für die ersten Ansiedler die notwendigen Wohnungen errichtet; makedonische Veteranen, ein Teil der griechischen Söldner, überdies aus den Barbaren der Umgegend, wer da wollte, und die aus den zerstörten Festungen fortgeführten Familien bildeten die erste Bevölkerung dieser Stadt, der der König unter den gebräuchlichen Opfern, Wettkämpfen und Festlichkeiten den Namen Alexandreia gab.
Indessen lagerten die skythischen Horden noch immer am jenseitigen Ufer des Flusses; sie schossen wie zum Kampf herausfordernd Pfeile hinüber; sie prahlten und lärmten, die Fremdlinge würden wohl nicht wagen, mit Skythen zu kämpfen, wagten sie es, so sollten sie inne werden, welch ein Unterschied zwischen den Söhnen der Wüste und den persischen Weichlingen sei. Alexander beschloß über den Strom zu gehen und sie anzugreifen; aber die Opfer gaben ihm keine günstigen Zeichen; auch mochte er von der Wunde, die er bei der Einnahme von Kyropolis empfangen, noch nicht so weit wiederhergestellt sein, um persönlich an dem Zuge teilnehmen zu können. Als aber die Skythen mit ihrem Prahlen immer frecher wurden, und zugleich aus Sogdiana die bedrohlichen Nachrichten einliefen, ließ der König seinen Zeichendeuter Aristandros zum zweiten Male opfern und den Willen der Götter erforschen; wieder verkündeten die Opfer nichts Gutes, sie bezeichneten persönliche Gefahr für den König; da befahl Alexander mit den Worten, daß er sich selbst lieber der höchsten Gefahr aussetzen, als länger den Barbaren zum Gelächter dienen wolle, die Truppen an das Ufer rücken zu lassen, die Wurfgeschütze aufzufahren, die zu Pontons verwandelten Zeltfelle zum Übergang bereit zu machen. Es geschah; während auf dem jenseitigen Ufer die Skythen auf ihren Pferden laut lärmend auf- und niederjagten, rückten die makedonischen Scharen in voller Rüstung längs dem Südufer auf, vor ihnen die Wurfmaschinen, die dann plötzlich alle zugleich Pfeile und Steine über den Strom zu schleudern begannen. Das hatten die halbwilden Skythen noch nie gesehen; bestürzt und verwirrt wichen sie vom Ufer zurück, während Alexanders Truppen unter dem Schmettern der Trompeten über den Fluß zu gehen begannen; die Schützen und Schleuderer, die ersten am jenseitigen Ufer, deckten den Übergang der Reiterei, die zunächst folgte; sobald diese hinüber waren, eröffneten die Sarissophoren und die schweren griechischen Reiter, im ganzen etwa 1200 Pferde stark, das Gefecht; die Skythen, ebenso flüchtig zum Rückzug, wie wild im Angriff, umschwärmten sie bald von allen Seiten, beschossen sie mit einem Hagel von Pfeilen, setzten, ohne einem Angriff standzuhalten, der weit kleineren Zahl der Makedonen hart zu. Da aber brachen die Schützen und Agrianer mit dem gesamten leichten Fußvolk, das eben gelandet war, auf den Feind los, bald begann an einzelnen Punkten ein stehendes Treffen; es zur Entscheidung zu bringen, gab der König drei Hipparchien der Hetairen und den Akontisten zu Pferd den Befehl zum Einhauen; er selbst sprengte an der Spitze der übrigen Geschwader, die in tiefen Kolonnen vorrückten, den Feinden in die Flanke, so daß diese jetzt, von allen Seiten angegriffen, nicht mehr imstande, sich zum fliegenden Gefecht zu zerstreuen, an allen Punkten zurückzujagen begannen; die Makedonen setzten ihnen auf das heftigste nach. Die wilde Hast, die drückende Hitze, der brennende Durst machte die Verfolgung höchst anstrengend; Alexander selbst, auf das Äußerste erschöpft, trank, ohne abzusitzen, von dem schlechten Wasser, das die Salzsteppe bot; schnell und heftig stellte sich die Wirkung des unglücklichen Trunkes ein; dennoch jagte er den Feinden noch meilenweit nach; endlich versagten seine Kräfte, die Verfolgung wurde abgebrochen, der König krank in das Lager zurückgetragen; mit seinem Leben stand alles auf dem Spiele.
Indes genas er bald. Der Angriff auf die Skythen hatte ganz den erwünschten Erfolg; es kamen Gesandte ihres Königs, das Vorgefallene zu entschuldigen: es sei die Nation ohne Anteil an jenem Zuge, den ein einzelner Haufe beutelüstern auf eigene Hand unternommen; ihr König bedaure die durch denselben veranlaßten Verwirrungen; er sei bereit, sich den Befehlen des großen Königs zu unterwerfen. Alexander gab ihnen die in dem Gefechte Gefangenen, etwa 150 an der Zahl, ohne Lösegeld frei, eine Großmut, die auf die Gemüter der Barbaren nicht ihren Eindruck zu machen verfehlte, und die, mit seinen staunenswürdigen Waffentaten vereint, seinem Namen jenen Nimbus mehr als menschlicher Hoheit gaben, an welche die Einfalt roher Völker eher zu glauben als zu zweifeln geneigt ist. Wie sieben Jahre früher an der Donau auch unbesiegte Völker ihre Huldigungen darbrachten, so kamen jetzt auch von den sakischen Skythen Gesandte, dem Könige Frieden und Freundschaft anzutragen. So waren sämtliche Völker in der Nachbarschaft beruhigt und traten zum Reiche in das Verhältnis, mit welchem Alexander für jetzt sich begnügen mußte, um desto schneller in Sogdiana erscheinen zu können.
Allerdings standen die Dinge in Sogdiana sehr gefährlich; dem Aufstande, welcher von Spitamenes und seinem Anhange begonnen war, hatte sich der sonst friedliche arbeitende Teil der Bevölkerung, vielleicht mehr aus Furcht als aus Neigung, angeschlossen; die makedonische Besatzung vor Marakanda ward belagert und bedeutend bedrängt, dann hatte sie einen Ausfall gemacht, den Feind zurückgeschlagen und sich ohne Verlust in die Burg zurückgezogen; das war etwa um dieselbe Zeit geschehen, als Alexander, nach der schnellen Unterwerfung der sieben Festungen, Entsatz schickte. Auf die Nachricht davon hatte Spitamenes die Belagerung aufgehoben und sich in westlicher Richtung zurückgezogen. Indes waren die makedonischen Truppen, die Alexander nach dem Fall von Kyropolis abgesandt, in Marakanda angekommen, 66 makedonische Ritter, 800 griechische Söldnerreiter, 1500 schwerbewaffnete Söldner; die Führung der Expedition hatten Andromachos, Karanos und Menedemos, ihnen hatte Alexander den Lykier Pharnuches, der der Landessprache kundig war, zugeordnet, überzeugt, daß das Erscheinen eines makedonischen Korps die Empörer in die Flucht zu jagen hinreichen, im übrigen es besonders darauf ankommen werde, sich mit der sonst friedliebenden Masse der Bevölkerung Sogdianas zu verständigen. Die Makedonen hatten sich, als sie die Gegend von Marakanda bereits von Spitamenes geräumt sahen, denselben zu verfolgen beeilt; bei ihrem Nahen war er in die Wüste an der Grenze Sogdianas geflüchtet; indes war es ihnen notwendig erschienen, noch weiter zu verfolgen, und die Skythen in der Wüste, welche den Empörern Zuflucht zu gestatten schienen, zu züchtigen. Dieser unüberlegte Angriff auf die Skythen hatte zur Folge, daß Spitamenes sie zu offenbarem Beistande bewegen und seine Streitmacht mit 600 jener kühnen Reiter, wie sie in der Steppe heimisch sind, vermehren konnte. Er rückte den Makedonen auf der Grenze der Steppe entgegen; ohne einen förmlichen Angriff auf sie zu machen oder von ihnen zu erwarten, begann er die geschlossenen Reihen des makedonischen Fußvolks zu umschwärmen und aus der Ferne zu beschießen, der makedonischen Reiterei, wenn sie auf ihn losrückte, zu entfliehen und sie durch wilde Flucht zu ermüden, an immer anderen und anderen Punkten seine Angriffe erneuend. Die Pferde der Makedonen waren durch die starken Märsche und durch den Mangel an Futter erschöpft, viele von den Leuten lagen schon tot oder verwundet auf dem Platze; Pharnuches forderte, die drei Befehlshaber sollten die Führung übernehmen, da er nicht Soldat und mehr zum Unterhandeln als zum Kämpfen gesandt sei; sie weigerten sich, die Verantwortlichkeit für eine Expedition zu übernehmen, die schon so gut wie mißglückt war; man begann, sich von dem freien Felde zu dem Strome zurückzuziehen, um dort unter dem Schutz eines Gehölzes den Feinden Widerstand zu leisten. Aber der Mangel an Einheit im Befehl vereitelte die letzte Rettung; am Fluß angelangt, ging Karanos ohne Meldung an Andromachos mit den Reitern hinüber; das Fußvolk, in dem Wahne, daß alles verloren sei, stürzte sich in wilder Hast nach, um das jenseitige Ufer zu erreichen. Kaum gewahrten dies die Barbaren, so sprengten sie von allen Seiten heran, gingen oberhalb und unterhalb über den Fluß, und von allen Seiten umzingelnd, von hinten nachdrängend, von den Flanken her einhauend, die an das Ufer Steigenden zurückdrängend, ohne den geringsten Widerstand zu finden, trieben sie die Makedonen auf einen Werder im Flusse zusammen, wo die Barbaren von den beiden Ufern her den Rest der Truppen mit Pfeilen durchbohrten. Wenige waren gefangen, auch diese wurden ermordet; die meisten, unter ihnen die Befehlshaber, waren gefallen; nur vierzig Reiter und dreihundert Mann vom Fußvolk hatten sich gerettet. Spitamenes selbst rückte sofort mit seinen Skythen gegen Marakanda, und begann, durch die errungenen Vorteile ermutigt und von der Bevölkerung unterstützt, die Besatzung der Stadt zum zweiten Male zu belagern.
Diese Nachrichten nötigten den König, auf das schleunigste die Verhältnisse mit den skythischen Völkern am Tanais zu ordnen; zufrieden, in der neugegründeten Stadt am Tanais zugleich eine Grenzwarte und eine wichtige Position für künftige Unternehmungen zu besitzen, eilte er, indem er den größeren Teil des Heeres unter Krateros Führung nachrücken ließ, an der Spitze des leichten Fußvolkes, der Hypaspisten und der Hälfte der Hipparchien nach dem Sogdtale; mit verdoppelten Tagemärschen stand er am vierten Tage vor Marakanda. Spitamenes war auf die Kunde von seinem Herannahen geflüchtet. Der König folgte, sein Weg führte über jene Ufergegend, die an den Leichen makedonischer Krieger als Walstatt des unglücklichen Gefechtes kenntlich war; er begrub die Toten so feierlich es die Eile gestattete, setzte dann den flüchtenden Feinden nach bis die Wüste, die sich endlos gen Westen und Norden ausdehnt, vom weiteren Verfolgen abzustehen nötigte. So war Spitamenes mit seinen Truppen aus dem Lande gejagt; die Sogdianer, im Bewußtsein ihrer Schuld und voll Furcht vor des Königs gerechtem Zorn, hatten sich bei seinem Herannahen hinter die Erdwälle ihrer Städte geflüchtet, und Alexander war an ihnen, um erst Spitamenes zu verjagen, vorbeigeeilt; seine Absicht war nicht, sie ungestraft zu lassen; je gefährlicher dieser wiederholte Abfall, je wichtiger der sichere Besitz dieses Landes, und je unzuverlässiger eine erzwungene Unterwerfung der Sogdianer war, desto notwendiger erschien die größte Strenge gegen die Empörer. Sobald Alexander vom Saum der Wüste zurückkehrte, begann er das reiche Land zu verwüsten, die Dörfer niederzubrennen, die Städte zu zerstören, an zwölf Myriaden Menschen sollen in dieser greuelhaften Züchtigung niedergemetzelt worden sein.
Nachdem auf diese Weise Sogdiana beruhigt war, ging Alexander, indem er Peukolaos mit 3000 Mann zurückließ, nach Zariaspa im Baktrianischen, wohin er die Hyparchen des Landes zu jener Versammlung berufen hatte. Mögen die Baktrier, geschreckt durch das harte Gericht, welches über Sogdiana verhängt worden, sich nun unterworfen, oder von Anfang her ihre Teilnahme für die Empörung minder betätigt haben, jedenfalls fand Alexander militärische Unternehmungen gegen sie für jetzt nicht nötig, und von einer Bestrafung des vielleicht beabsichtigten Abfalls in Baktrien ist nicht mehr als eine unbedeutende Notiz überliefert. Diejenigen von den Großen, welche mit in den sogdianischen Aufstand verwickelt waren, hatten sich in die Berge geflüchtet und hielten sich in den dortigen Felsenschlössern für sicher.
Der Winter 329 auf 328, den Alexander in Zariaspa zubrachte, war in vielfacher Beziehung merkwürdig. Die Versammlung der baktrianischen Großen, das Eintreffen neuer Kriegsvölker aus dem Abendlande, mehrere Gesandtschaften europäischer und asiatischer Völker, dazu das rüstige Treiben in diesem stets siegreichen, abgehärteten Heere, das bunte Gemisch makedonischen Soldatenlebens, persischen Prunkes und hellenischer Bildung, das alles zusammen gibt das eben so seltsame charakteristische Bild für die Hofhaltung des jugendlichen Königs, der sehr wohl wußte, daß er zu dem Ruhm seiner Siege und Gründungen noch die feierliche Pracht des Morgenlandes und die volle Majestät des höchsten irdischen Glückes hinzufügen müsse, wenn nicht die neugewonnenen Völker an der Größe irre werden sollten, die sie als überirdisch zu verehren bereit waren.
Wie sehr Alexander die Vorurteile des Morgenlandes ehrte, bewies das Gericht über Bessos, das mit aller der Feierlichkeit gehalten wurde, die das Verbrechen des Königsmordes zu verdienen schien. Der Versammlung der nach Zariaspa berufenen Großen wurde Bessos in Ketten vorgeführt; Alexander selbst sprach die Anklage wider den Königsmörder; er befahl dann, ihm Nase und Ohren abzuschneiden, ihn nach Ekbatana abzuführen, ihn dort auf dem Tage der Meder und Perser ans Kreuz zu schlagen. Vor den Augen der Versammlung nach persischer Sitte verstümmelt und gestäupt, ward Bessos zur Hinrichtung nach Ekbatana abgeführt.
Um diese Zeit trafen Phratapharnes, der parteiische Satrap, und Stasanor von Areia in Zariaspa ein; sie brachten in Fesseln den treulosen Arsames, der als Satrap von Areia die Invasion des Satibarzanes begünstigt hatte, den Perser Barzanes, dem von Bessos die parthische Satrapie übergeben worden war, sowie einige andere Großen, die der Usurpation des Bessos ihre Unterstützung geliehen hatten. Mit ihnen war der letzte Rest einer Opposition vernichtet, die bei besserer Führung das Gewaltrecht der Eroberung in sehr ernstes Gedränge zu bringen vermocht hätte; wer jetzt noch Partei gegen Alexander hielt, schien sich einer untergegangenen Sache oder der leichtsinnigsten Selbsttäuschung zu opfern.
Unter den Gesandtschaften, die im Laufe des Winters in des Königs Hoflager eintrafen, waren besonders die der europäischen Skythen merkwürdig. Alexander hatte im vorigen Sommer mit den skythischen Gesandten einige seiner Hetairen zurückgehen lassen; diese kamen jetzt in Begleitung einer zweiten Gesandtschaft zurück, welche von neuem die Huldigungen ihres Volkes und Geschenke, wie sie den Skythen die wertvollsten erschienen, überbrachte: ihr König sei in der Zwischenzeit gestorben, des Königs Bruder und Nachfolger beeile sich, dem König Alexander seine Ergebenheit und Bundestreue zu versichern, des zum Zeichen biete er ihm seine Tochter zur Gemahlin an; verschmähe sie Alexander, so möge er gestatten, daß sich die Töchter seiner Großen und Häuptlinge mit den Großen von Alexanders Hof und Heer vermählten; er selbst sei bereit, wenn Alexander es wünsche, persönlich bei ihm zu erscheinen, um seine Befehle entgegenzunehmen; er und seine Skythen seien gewillt, sich in allem und jedem den Befehlen des Königs zu unterwerfen. Alexanders Bescheid war seiner Macht und den damaligen Verhältnissen angemessen; ohne auf die Vorschläge zu einer skythischen Brautfahrt einzugehen, entließ er die Gesandten reichbeschenkt und mit der Versicherung seiner Freundschaft für das Volk der Skythen.
Um dieselbe Zeit war der Chorasmierkönig Pharasmanes mit einem Gefolge von 1500 Pferden nach Zariaspa gekommen, dem großen Könige persönlich seine Huldigung zu bringen, da bei der freundlichen Aufnahme, die Spitamenes unter den ihm benachbarten Massageten gefunden hatte, er selbst leicht verdächtig werden konnte; er herrschte über das Land des unteren Oxos, und versicherte, Nachbar des kolchischen Stammes und des Weibervolkes der Amazonen zu sein; er erbot sich, wenn Alexander einen Feldzug gegen die Kolchier und Amazonen zu unternehmen und die Unterwerfung des Landes bis zum Pontos Euxeinos zu versuchen geneigt sei, ihm die Wege zu zeigen und für die Bedürfnisse des Heeres auf diesem Zuge zu sorgen. Alexanders Antwort auf diese Anträge läßt einen Blick in den weiteren Zusammenhang seiner Pläne tun, die, so kühn sie auch sind, von der merkwürdigen Einsicht in das geographische Verhältnis der verschiedenen Länderstrecken, von deren Dasein durch seine Züge die erste Kunde verbreitet wurde, das sicherste Zeugnis ablegen. Er hatte sich bereits durch den Augenschein und durch die Berichte seiner Gesandtschaft und der Eingeborenen überzeugt, daß der Ozean, mit dem er das Kaspische Meer auch jetzt noch in unmittelbarer Verbindung glaubte, keineswegs die Nordgrenze des Perserreiches nahe sei, und daß skythische Horden noch ungemessene Landstrecken gen Norden innehätten, daß es unmöglich sei, für das neue Reich auf dieser Seite eine Naturgrenze in dem großen Meere zu finden; dagegen erkannte er sehr wohl, daß für die vollkommene Unterwerfung des iranischen Hochlandes, die seine nächste Absicht blieb, der Besitz der angrenzenden Tiefländer wesentliche Bedingung sei, und die Folgezeit hat gelehrt, wie richtig er den Euphrat und Tigris, den Oxos und Jaxartes, den Indos und Hydaspes zu Stützpunkten seiner Herrschaft über Persien und Ariana gemacht hat. Er antwortete dem Pharasmanes, daß er für jetzt nicht daran denken könne, in die pontischen Landschaften einzudringen; sein nächstes Werk müsse die Unterwerfung Indiens sein; dann, Herr von Asien, gedenke er nach Hellas zurückzukehren und durch den Hellespont und den Bosporus in den Potos mit seiner ganzen Macht einzudringen; bis auf diese Zeit möge Pharasmanes das, was er jetzt anbiete, aufschieben. Für jetzt schloß der König mit ihm Freundschaft und Bündnis, empfahl ihn den Satrapen von Baktrien, Parthien und Areia, und entließ ihn mit allen Zeichen seines Wohlwollens.
Noch gestatteten die Verhältnisse keineswegs, den indischen Feldzug zu beginnen. Sogdiana war zwar unterworfen und verheert worden, aber das strenge Strafgericht, das Alexander über das unglückliche Land verhängt hatte, weit entfernt, die Gemüter zu beruhigen, schien nach einer kurzen Betäubung in allgemeiner Wut seinen Rückschlag finden zu sollen; zu Tausenden waren die Einwohner in die ummauerten Plätze, in die Berge, in die Bergschlösser der Häuptlinge des oberen Landes und der oxianischen Grenzgebirge geflüchtet; überall, wo die Natur Schutz bot, lagen Banden von Geflüchteten, um so gefährlicher, je hoffnungsloser ihre Sache war. Peukolaos vermochte nicht, mit seinen 3000 Mann die Ordnung aufrecht zu erhalten und das platte Land zu schützen; von allen Seiten her sammelten sich die Massen zu einer furchtbaren Insurrektion, und es schien nur ein Anführer zu fehlen, der die Abwesenheit Alexanders benutzte. Spitamenes, der, nach dem Überfall am Polytimetos zu urteilen, nicht ohne militärisches Geschick war, scheint, ins Land der Massageten geflüchtet, ohne weitere Verbindung mit diesem zweiten Abfall der Sogdianer gewesen zu sein; wenigstens wäre sonst nicht zu begreifen, warum er nicht früher mit seinen Skythen herbeieilte. Denn daß Alexander den Aufstand sich so weit entwickeln ließ, ehe er ihn zu unterdrücken eilte, war ein Zeichen, daß für den Augenblick seine Streitkräfte nicht so angetan waren, um diese kühnen und zahlreichen Feinde in ihren Bergen aufzusuchen; nach der Besetzung von Alexandreia in Arachosien, am Paropamisos und Tanais konnten kaum mehr als 10 000 Mann disponibel sein. Erst im Laufe des Winters trafen bedeutende Verstärkungen aus dem Abendlande ein; eine Kolonne Fußvolk und Reiter, die Nearchos, der Satrap von Lykien, und Asandros von Karien geworben hatten, eine zweite, die Asklepiodoros, der Satrap von Syrien, und Menes, der Hyparch, heranführte, eine dritte unter Epokillos, Menidas und Ptolemaios, dem Strategen der Thraker, im ganzen fast 17 000 Mann zu Fuß und 2600 Reiter, so daß nun erst der König Truppen genug um sich hatte, die Insurrektion Sogdianas bis in ihre letzten Schlupfwinkel zu verfolgen.
Mit dem Frühjahr 328 verließ er das Hoflager von Zariaspa, woselbst in den Lazaretten die Kranken von der makedonischen Ritterschaft nebst einer Bedeckung von etwa 80 Mann Söldnerreitern und einige Edelknaben zurückblieben. Das Heer ging an den Oxos; eine Ölquelle, die neben dem Zelte des Königs hervorsprudelte, ward von Aristandros für ein Zeichen erklärt, daß man zwar siegen, aber mit vieler Mühe siegen werde; und in der Tat bedurfte es großer Vorsicht, diesen Feinden, die von allen Seiten her drohten, zu begegnen. Der König teilte sein Heer so, daß Meleagros, Polysperchon, Attalos, Gorgias mit ihren Phalangen in Baktra zurückblieben, das Land in Obhut zu halten, während das übrige Heer, in fünf Kolonnen geteilt, unter der Führung des Königs, des Hipparchen Hephaistion, des Leibwächters Ptolemaios, des Strategen Perdikkas, des baktrischen Satrapen Artabazos, dem der Strateg Koinos beigegeben war, in verschiedenen Richtungen in das sogdianische Land einrückten. Über die Einzelheiten dieser Unternehmungen sind keine weiteren Nachrichten überliefert; nur im allgemeinen wird angeführt, daß die verschiedenen festen Plätze des Landes teils durch Sturm genommen wurden, teils sich freiwillig unterwarfen; in kurzer Zeit war der wichtigste Teil des transoxianischen Landes, das Tal des Polytimetos, wieder in des Königs Gewalt, und von den verschiedenen Seiten her trafen die einzelnen siegreichen Kolonnen in Marakanda zusammen. Indes waren noch die Berge im Osten und Norden in Feindes Hand, und man durfte vermuten, daß Spitamenes, der sich zu den raublüsternen Horden der Massageten geflüchtet hatte, dieselben zu neuen Einfällen bereden würde; zu gleicher Zeit mußte alles angewendet werden, um dem furchtbar zerrütteten Zustande des Landes möglichst durch eine neue und durchgreifende Organisation ein Ende zu machen, besonders der zersprengten, obdachlosen und der notwendigsten Bedürfnisse entblößten Bevölkerung zu helfen und sie zu beruhigen. Demnach erhielt Hephaistion den Auftrag, neue Städte zu gründen, in diese die Einwohner der Dorfschaften zu vereinigen, Lebensmittel herbeizuschaffen, während Koinos und Artabazos gegen die Skythen zogen, um wo möglich des Spitamenes habhaft zu werden, Alexander selbst aber mit der Hauptmacht aufbrach, mit der Einnahme der einzelnen Bergschlösser die Unterwerfung des Landes zu vollenden. Er nahm sie ohne große Mühe. Er kehrte nach Marakanda zurück, dort zu rasten. Furchtbare Vorgänge sollten diese Ruhetage bezeichnen.
Der greise Artabazos hatte um Enthebung von seinem Dienst gebeten, der König statt seiner den Hipparchen Kleitos, den schwarzen Kleitos, wie man ihn nannte, zum Satrapen von Baktrien bestimmt. Große Jagden, Gastmähler füllten die Tage; unter diesen war der eines dionysischen Festes, statt dessen, so heißt es, der König die Dioskuren feierte; der Gott habe darum gezürnt, und so sei der König zu schwerer Schuld gekommen; nicht ungewarnt; er habe schöne Früchte vom Meer her gesandt erhalten und Kleitos einladen lassen, sie mit ihm zu essen; Kleitos habe darüber das Opfer, das er eben bringen wollen, verlassen und sei zum Könige geeilt; drei zum Opfer besprengte Schafe seien ihm nachgelaufen; nach Aristandros Deutung ein trauriges Zeichen; der König habe für Kleitos zu opfern befohlen, doppelt in Sorge durch einen seltsamen Traum, den er in der letzten Nacht gehabt, und in dem er Kleitos in schwarzem Kleide zwischen den blutenden Söhnen Parmenions habe sitzen sehen.
Abends, so ist die weitere Erzählung, kam Kleitos zur Tafel; man war beim Weine froh bis in die Nacht hinein; man pries Alexanders Taten: er habe Größeres getan als die Dioskuren, selbst Herakles sei ihm nicht zu vergleichen; nur der Neid sei es, der dem Lebenden die gleichen Ehren mit jenen Heroen mißgönne. Schon war Kleitos vom Wein erhitzt, die persische Umgebung des Königs, die übergroße Bewunderung der Jüngeren, die frechen Schmeicheleien hellenischer Sophisten und Rhetoren, die der König in seiner Nähe dulde, hatten ihn schon lange verdrossen, jenes leichtsinnige Spielen mit den Namen der großen Heroen brachte ihn auf: das sei nicht die Art, des Königs Ruhm zu feiern, seine Taten seien auch nicht gar so groß wie jene meinten, zum guten Teil gebühre den Makedonen der Ruhm. Alexander hörte mit Unwillen so verletzende Reden von einem, den er vor allen ausgezeichnet, doch schwieg er. Immer lauter wurde der Streit; auch König Philipps Taten kamen zur Sprache, und als nun behauptet wurde, er habe nichts Großes und Bewunderungswürdiges getan, sein Ruhm sei, Alexanders Vater zu heißen, da sprang Kleitos auf, den Namen seines alten Königs zu vertreten, Alexanders Taten zu verkleinern, sich selbst und die alten Strategen zu rühmen, des toten Parmenion und seiner Söhne zu gedenken, alle die glücklich zu preisen, die gefallen oder hingerichtet seien, ehe sie die Makedonen mit medischen Ruten gepeitscht und bei den Persern um Zutritt zum Könige bitten gesehen. Mehrere der alten Strategen standen auf, verwiesen dem von Wein und Eifer Erhitzten seine Rede, sie suchten vergeblich die steigende Unruhe zu stillen; Alexander wandte sich zu seinem Tischnachbarn, einem Hellenen: »Nicht wahr, ihr Hellenen scheint euch unter den Makedonen wie Halbgötter unter Tieren umherzuwandeln?« Kleitos lärmte weiter; er wandte sich mit lauter Stimme an den König: »Diese Hand hat dich am Granikos errettet; du aber rede, was dir gefällt, und lade fürder nicht freie Männer zu deiner Tafel, sondern Barbaren und Sklaven, die deines Kleides Saum küssen und deinen persischen Gürtel anbeten!« Länger hielt Alexander seinen Zorn nicht, er sprang auf, nach seinen Waffen zu greifen; die Freunde hatten sie fortgeschafft; er schrie seinen Hypaspisten auf makedonisch zu, ihren König zu rächen; keiner kam; er befahl dem Trompeter Lärm zu blasen, schlug ihn mit der Faust ins Angesicht, da er nicht gehorchte: gerade so weit sei es mit ihm gekommen, wie mit Dareios zu jener Zeit, da er von Bessos und dessen Genossen gefangen fortgeschleppt sei und nichts als den elenden Namen des Königs gehabt habe; und der ihn verrate, das sei dieser Mensch, der ihm alles danke, dieser Kleitos. Kleitos, der von den Freunden hinausgeführt war, trat in dem Augenblick, da sein Name genannt wurde, zum anderen Ende des Saales wieder herein: »Hier ist Kleitos, o Alexander!« und rezitierte dann die Verse des Euripides von dem üblichen Brauch, daß das Heer »mit seinem Blut Siege erkämpfe, aber deren Ehre nur dem Feldherrn zugeschrieben werde, der preislich in seinem hohen Amt thronend das Volk verachte, er, der doch nichts sei«. Da riß Alexander einer Wache die Lanze aus der Hand und schleuderte sie gegen Kleitos, der sofort tot zu Boden sank. Entsetzt wichen die Freunde; des Königs Zorn war gebrochen; Bewußtsein, Schmerz, Verzweiflung bewältigten ihn; man sagt, er habe den Speer aus Kleitos Brust gezogen und gegen den Boden gestemmt, sich auf der Leiche zu ermorden; die Freunde hielten ihn zurück, sie brachten ihn auf sein Lager. Dort lag er weinend und wehklagend, rief den Namen des Ermordeten, den Namen seiner Amme Lanike, der Schwester des Ermordeten: das sei der schöne Ammenlohn, den ihr Pflegling zahle; ihre Söhne seien für ihn kämpfend gefallen, ihren Bruder habe er mit eigener Hand ermordet, ermordet den, der sein Leben gerettet; er gedachte des greisen Parmenion und seiner Söhne, er wurde nicht satt, sich als den Mörder seiner Freunde anzuklagen, sich zu verfluchen und den Tod zu rufen. So lag er drei Tage lang über Kleitos Leichnam, eingeschlossen in seinem Zelte, ohne Schlaf, ohne Speise und Trank, endlich vor Ermattung stumm, nur einzelne tiefe Seufzer tönten noch aus dem Zelte hervor. Die Truppen, voll banger Sorge um ihren König, kamen zusammen und richteten über den Toten: er sei mit Recht getötet; sie riefen nach ihrem Könige; der hörte sie nicht; endlich wagten es die Strategen, das Zelt zu öffnen, sie beschworen den König, seines Heeres und seines Reiches zu gedenken, sie sagten, nach den Zeichen der Götter habe Dionysos die unselige Tat verhängt; es gelang ihnen endlich, den König zu beruhigen; er befahl dem zürnenden Gotte zu opfern.
So im wesentlichen die Angaben unserer Quellen; sie genügen nicht den wirklichen Verlauf des schrecklichen Ereignisses, noch weniger zwischen dem Mörder und dem Ermordeten das Maß der Schuld festzustellen. Wie furchtbar die Tat war, zu der den König der wilde Zorn des Momentes hinriß, – in Kleitos trat ihm zum ersten Mal die ganze Entrüstung und Empörung entgegen, die sein Wollen und sein Tun unter denen, auf deren Kraft und Treue er sich verlassen mußte, hervorgerufen hatte, die tiefe Kluft, die ihn von der Empfindung der Makedonen und Hellenen trennte. Er bereute den Mord, er opferte den Göttern; was er anders hätte tun sollen, unterlassen die Moralisten, die ihn verdammen, zu sagen.
Während dieser Vorgänge in Marakanda hatte Spitamenes noch einen Versuch gemacht, in die baktrischen Lande einzudringen; unter den Massageten, zu denen er mit dem Rest seiner Sogdianer geflüchtet war, hatte er einen Haufen von 600 bis 800 Reitern angeworben und war an deren Spitze plötzlich vor einem der festen Grenzplätze erschienen, hatte die Besatzung herauszulocken gewußt und sie dann von einem Hinterhalt her überfallen; der Befehlshaber des Platzes fiel in die Hände der Skythen, seine Leute waren meist geblieben, er selbst wurde gefangen mit fortgeschleppt. Durch diesen Erfolg kühner gemacht, erschien Spitamenes wenige Tage darauf vor Zariaspa; die Besatzung dort, zu der auch die Wiedergenesenen aus den Lazaretten, meist Hetairen von der Ritterschaft, zu rechnen waren, schien zu bedeutend, um einen Angriff rätlich zu machen; plündernd und brennend zogen sich die Massageten über die Felder und Dörfer der Umgegend zurück. Als dies Peithon, der die Verwaltung dort hatte, und Aristonikos, der Kitharöde, erfuhren, riefen sie die achtzig Reiter Besatzung, die Wiedergenesenen von der Ritterschaft und die Edelknaben, die dort waren, zu den Waffen, und eilten vor die Tore, die plündernden Barbaren zu züchtigen; diese ließen ihre Beute im Stich und entkamen mit Mühe, viele wurden gefangen oder niedergemacht, und fröhlichen Mutes zog die kleine Schar zur Stadt zurück. Spitamenes überfiel sie aus einem Hinterhalt mit solchem Ungestüm, daß die Makedonen geworfen und fast abgeschnitten wurden; sieben von den Hetairen, sechzig von den Söldnern blieben auf dem Platze, unter ihnen der Kitharöde; Peithon fiel schwer verwundet in die Hände der Feinde, es war nahe daran, daß die Stadt selbst in ihre Gewalt kam. Schnell ward Krateros von dem Vorfall unterrichtet, die Skythen warteten seine Ankunft nicht ab, sondern zogen sich gen Westen zurück, indem sich immer neue Haufen mit ihnen vereinten; am Rande der Wüste holte sie Krateros ein, es entspann sich ein hartnäckiger Kampf; endlich entschied sich der Sieg für die Makedonen; mit Verlust von 150 Mann floh Spitamenes in die Wüste zurück, die jede weitere Verfolgung unmöglich machte.
Nachrichten solcher Art mochten mehr als die Bitten der Freunde oder der Trost frecher Schmeichler dazu dienen, den König seiner Pflicht zurückzugeben. Es wurde von Marakanda aufgebrochen; die dem Kleitos bestimmte Satrapie von Baktra erhielt Amyntas, Koinos blieb mit seiner und Meleagros' Taxis und 400 Mann von der Ritterschaft, mit sämtlichen Akontisten zu Pferd und den anderen Truppen, die bisher Amyntas gehabt, zur Deckung der Sogdiana zurück; Hephaistion ging mit einem Korps nach dem baktrischen Lande, um die Verpflegung der Heere für den Winter zu besorgen; Alexander selbst zog nach Xenippa, wohin viele der baktrischen Empörer sich geflüchtet hatten. Bei der Nachricht von Alexanders Anrücken wurden sie von den Einwohnern, die nicht durch unzeitige Gastfreundschaft ihr Hab und Gut in Gefahr bringen wollten, verjagt, und suchten nun, durch heimlichen Überfall den Makedonen Abbruch zu tun; etwa 2000 Pferde stark warfen sie sich auf einen Teil des makedonischen Heeres; erst nach einem langen schwankenden Gefecht wurden sie zum Weichen gezwungen, sie hatten gegen 800 Mann, teils Tote, teils Gefangene verloren; so zusammengeschmolzen, ohne Führer, ohne Proviant, zogen sie es vor, sich zu unterwerfen. Dann wandte sich der König gegen die Felsenburg des Sisimithres ›im baktrianischen Lande‹; es kostete schwere Anstrengungen, ihr nahe zu kommen, schwerere, den Sturm vorzubereiten; bevor der Angriff erfolgte, ergab sich Sisimithres.
Indes hatte Spitamenes, bevor ihm von den Erfolgen des Feindes und von dessen Macht das ganze Grenzgebiet gesperrt würde, noch einen Versuch auf das sogdianische Land machen zu müssen geglaubt; an der Spitze der mit ihm Geflüchteten, und mit 300 skythischen Reitern, welche die versprochene Beute lockte, erschien er plötzlich vor Bagai an der sodischen Grenze gegen die Wüste der Massageten. Von diesem Einfall benachrichtigt, rückte Koinos schleunig mit Heeresmacht gegen ihn; nach einem blutigen Gefechte wurden die Skythen mit Verlust von 800 Mann zum Rückzüge gezwungen. Die Sogdianer und Baktrier, die auch den letzten Versuch scheitern sahen, verließen, Dataphernes an ihrer Spitze, den fliehenden Spitamenes und ergaben sich an Koinos; die Massageten, um die Beute im Sogdianerlande betrogen, plünderten die Zelte und Wagen der Abtrünnigen; sie flohen mit Spitamenes der Wüste zu. Da kam die Nachricht, daß Alexander gegen die Wüste im Anzuge sei; sie schnitten dem Spitamenes den Kopf ab und schickten ihn an den König.
Der Tod dieses ebenso kühnen wie verbrecherischen Gegners machte der letzten Besorgnis ein Ende; es begann dem ›Garten des Orientes‹ endlich die Ruhe, deren er nur bedurfte, um selbst nach so vielen Kämpfen und Zerrüttungen bald wieder zu dem alten Wohlstand zu erblühen. Der Winter war herangekommen, der letzte, den Alexander in diesen Landen zuzubringen gedachte; die verschiedenen Heeresabteilungen sammelten sich um Nautaka, die Winterquartiere zu beziehen. Dorthin kamen die Satrapen der nächstgelegenen Landschaften, Phrataphernes von Parthien und Stasanor von Areia, die im vergangenen Winter bei ihrer Anwesenheit in Zariaspa verschiedene, wahrscheinlich auf das Heerwesen bezügliche Aufträge erhalten hatten. Phrataphernes wurde zurückgesandt, um den Satrapen der Mardier und Tapurier, Autophradates, der Alexanders Befehle auf eine gefährliche Weise zu mißachten begann, festzunehmen. Stasanor ging in seine Lande zurück. Nach Medien wurde Atropates mit dem Befehle gesandt, den Satrapen Oxydates, der sich pflichtvergessen gezeigt hatte, zu entsetzen und dessen Stelle zu übernehmen. Auch Babylon erhielt, da Mazaios gestorben war, in der Person des Stamenes einen neuen Satrapen. Sopolis, Menides und Epokillos gingen nach Makedonien, Truppen von dort zu holen.
Die Winterrast in Nautaka wurde, so scheint es, zu Vorbereitungen für den indischen Feldzug benutzt, den Alexander gegen den Sommer des nächsten Jahres, sobald die Hochgebirge zugänglicher wurden, zu beginnen gedachte. Noch hielten sich in den diesseitigen Bergen einige Burgen, auf die sich die letzte Kraft der Widerspenstigen zurückgezogen hatte.
Der König wandte sich mit dem ersten Beginn des Frühlings gegen den ›sogdianischen Felsen‹, auf den der Baktrier Oxyartes die Seinigen geflüchtet hatte, weil er die Feste für uneinnehmbar hielt. Sie war mit Lebensmitteln für eine lange Belagerung versehen, ihren Bedarf an Wasser hatte sie durch den reichlich gefallenen Schnee, der zugleich das Ersteigen der Felsen doppelt gefährlich machte. Vor dieser Burg angekommen, ließ Alexander sie zur Übergabe auffordern, indem er allen, die sich in derselben befanden, freien Abzug versprach; ihm wurde geantwortet: er möge sich geflügelte Soldaten suchen. Entschlossen, auf jeden Fall den Felsen zu nehmen, ließ er im Lager durch den Herold ausrufen: die Felsenstirn, die über der Burg hervorrage, müsse erstiegen werden, zwölf Preise seien denen bestimmt, die zuerst hinaufkämen, zwölf Talente dem ersten, dem zwölften ein Talent; für alle, die an dem Wagnis teilnähmen, würde es ruhmvoll sein. Dreihundert Makedonen, die im Bergklettern geübt waren, traten hervor und empfingen die nötigen Weisungen; dann versah sich jeder mit einigen Eisenpflöcken, wie sie beim Zelten gebraucht werden, und mit starken Stricken. Um Mitternacht nahten sie der Stelle des Felsens, die am steilsten und deshalb unbewacht war. Anfangs stiegen sie mühsam, bald begannen jäh abstürzende Felswände, glatte Eislagen, lose Schneedecken; mit jedem Schritt wuchs die Mühe und die Gefahr. Dreißig dieser Kühnen stürzten in den Abgrund, endlich mit Tagesanbruch hatten die anderen den Gipfel erreicht, und ließen ihre weißen Binden im Winde flattern. Sobald Alexander das verabredete Zeichen sah, sandte er von neuem einen Herold, der den feindlichen Vorposten zurief: die geflügelten Soldaten hätten sich gefunden, die seien über ihren Häuptern, weiterer Widerstand sei unmöglich. Bestürzt, daß die Makedonen einen Weg auf den Felsen gefunden hatten, zögerten die Barbaren nicht länger, sich zu ergeben, und Alexander zog in die Felsenburg ein. Reiche Beute fiel hier in seine Hand, unter dieser viele Frauen und Töchter sogdianischer und baktrischer Edlen, auch des Oxyartes schöne Tochter Roxane. Sie war die erste, für die er in Liebe entbrannte; er verschmähte das Recht des Herrn über die Gefangene; die Vermählung mit ihr sollte den Frieden mit dem Lande besiegeln. Auf die Kunde davon eilte Roxanens Vater zu Alexander; um der schönen Tochter willen ward ihm verziehen.
Noch blieb die Burg des Chorienes im Lande der Paraitakenen, wohin sich mehrere der Abtrünnigen geflüchtet hatten. In den unwegsamen waldigen Bergschluchten, die man durchziehen mußte, lag noch der tiefe Schnee; häufige Regenschauer, Glatteis, furchtbare Gewitter machten die Märsche noch beschwerlicher. Das Heer litt an dem Notwendigsten Mangel, viele blieben erstarrt liegen; des Königs Beispiel, der Mangel und Mühsal mit den Seinen teilte, hielt allein noch den Mut der Truppen aufrecht; es wird erzählt, daß der König, als er abends am Biwakfeuer saß, sich zu erwärmen, und einen alten Soldaten von der Kälte erstarrt und wie bewußtlos heranwanken sah, aufstand, ihm die Waffen abnahm, ihn auf seinem Feldstuhl beim Feuer niedersitzen ließ; als der Veteran sich erholt hatte, seinen König erkannte und bestürzt aufstand, sagte Alexander heiter: »Siehst du, Kamerad, auf des Königs Stuhl zu sitzen bringt bei den Persern den Tod, dir hat es das Leben wiedergegeben.«
Endlich langte man vor der Burg an; sie lag auf einem hohen und schroffen Felsen, an dem nur ein schmaler und schwieriger Pfad hinaufführte; überdies strömte auf dieser allein zugänglichen Seite in einer sehr tiefen Schlucht ein reißender Bergstrom vorüber. Alexander, gewohnt, keine Schwierigkeit für unüberwindlich zu halten, befahl sofort, in den Tannenwäldern, die ringsumher die Berge bedeckten, Bäume zu fällen und Leitern zu bauen, um vorerst die Schlucht zu gewinnen. Tag und Nacht wurde gearbeitet, mit unsäglicher Mühe gelangte man endlich in die Tiefe hinab; nun wurde der Strom mit einem Pfahlwerk überbaut, Erde aufgeschüttet, die Schlucht ausgefüllt; bald arbeiteten die Maschinen und schleuderten Geschosse in die Burg hinauf. Chorienes, der bisher die Arbeiten der Makedonen gleichgültig mit angesehen hatte, erkannte mit Bestürzung, wie sehr er sich verrechnet habe; einen Ausfall auf die Gegner zu machen, verhinderte die Natur des Felsens, gegen Geschosse von oben her waren die Makedonen durch ihre Schirmdächer geschützt. Endlich mochten frühere Beispiele ihn überzeugen, daß es sicherer sei, sich mit Alexander zu vergleichen, als es zum Äußersten kommen zu lassen; er ließ Alexander durch einen Herold um eine Unterredung mit Oxyartes bitten; sie wurde gestattet, und Oxyartes wußte seinem alten Kampfgenossen leicht die letzten Zweifel zu nehmen, die ihm geblieben sein mochten. So erschien Chorienes, von einigen seiner Leute umgeben, vor Alexander, der ihn auf das huldvollste empfing und ihm Glück wünschte, daß er sein Heil lieber einem rechtschaffenen Mann als einem Felsen anvertrauen wolle. Er behielt ihn bei sich im Zelte und bat ihn, von seinen Begleitern einige abzusenden, mit der Anzeige, daß die Feste durch gütlichen Vertrag an die Makedonen übergeben und daß allen, die sich auf der Burg befänden, das Vergangene verziehen sei. Am Tage darauf zog der König, von 500 Hypaspisten begleitet, hinauf, um die Burg in Augenschein zu nehmen; er bewunderte die Festigkeit des Platzes und ließ den für eine lange Belagerung getroffenen Vorsichtsmaßregeln und Einrichtungen alle Gerechtigkeit widerfahren. Chorienes verpflichtete sich, das Heer auf zwei Monate mit Lebensmitteln zu versorgen; er ließ aus den überaus reichen Vorräten seiner Burg den makedonischen Truppen, die durch die Kälte und die Entbehrungen der letzten Tage sehr mitgenommen waren, Brot, Wein und eingesalzenes Fleisch zeltweise verteilen.
Alexander gab ihm die Burg und das umliegende Gebiet zurück; er selbst ging mit dem größten Teil des Heeres nach Baktra, indem er Krateros mit 600 Mann von der Ritterschaft, mit seiner Taxis und drei anderen weiter nach Paraitakene hinein gegen Katanes und Austanes, die einzigen noch übrigen Empörer, absandte; die Barbaren wurden in einer blutigen Schlacht überwunden, Katanes erschlagen, Austanes gefangen vor Alexander gebracht, das Land zur Unterwerfung gezwungen; in kurzem folgte Krateros mit seinen Truppen dem Könige nach Baktra.
Es mag gestattet sein, hier auf eine frühere Bemerkung zurückzukommen, die, unsicher wie sie ist, nur den Anspruch macht auf einen Punkt hinzuweisen, der für den Zusammenhang wichtig ist. Ein späterer Schriftsteller, der aus sehr guten Quellen gearbeitet hat, gibt bei Gelegenheit der Satrapienverteilung im Sommer 323 die Notiz: das Königtum in Sogdiana habe Oropios innegehabt, nicht als väterliches Erbe, sondern Alexander habe es ihm gegeben; da es ihm aber geschehen sei, daß er in Folge eines Aufstandes flüchtend seine Herrschaft verloren, so sei auch Sogdiana an den Satrapen von Baktrien gekommen. Daß kein anderer Schriftsteller davon weiß, ist nach der Art unserer Überlieferung kein Grund zum Mißtrauen gegen diese Nachricht. Welcher Name sich hinter dem gewiß fälschlich benannten Oropios verbirgt, ist nicht mehr zu erkennen, vielleicht der eines der Großen, die nach tapferem Widerstande ihren Frieden mit Alexander machten und sich ergeben zeigten, wie jener Chorienes oder wie Sisimithres, von dem Curtius sagt, der König habe ihm seine Herrschaft zurückgegeben und ihm Hoffnung auf eine noch größere gemacht.
Sind diese Beobachtungen richtig, so hat Alexander hier im oxianischen Lande dasselbe System für seine Reichsmarken versucht, das, wie wir sehen werden, im indischen Lande zu umfassender Anwendung kam; die Sogdiana wird die transoxianische Mark unter einem abhängigen Könige; sie und die bis an den Tanais hin begründeten hellenistischen Freistädte, hinter ihnen die große Satrapie Baktrien, welche auch noch die reichbevölkerte Margiana umfaßt, decken die den schweifenden Horden der Wüste zugewandte Seite des Reiches, die großen Straßen nach Hekatompylos, nach dem arischen Alexandrien, über den Kaukasus nach Indien, die Handelsstraße durch die Ferghana nach dem hohen Asien. Man begreift, warum Alexander die Ferghana selbst, das heutige Chôkand, nicht seinem Reich hat zufügen wollen; er begnügte sich, mit Chodjend den Paß dorthin in seiner Gewalt zu haben; mit noch einem Vorlande mehr würde er die Nordmark seines Reiches und die Kraft der Defensive dort nur geschwächt haben.
Es waren zwei Jahre verflossen, seit Alexander in diese Landschaften gekommen war und ein Unternehmen begonnen hatte das, je größere Schwierigkeiten zu überwinden gewesen waren, desto vollständiger gelungen schien. Es hatte Mühe genug, blutiger Maßregeln, immer neuer Kämpfe gegen empörte Massen, und gegen den trotzigen Widerstand der Herren auf ihren Felsenburgen bedurft. Jetzt war die Bevölkerung gebändigt, die Häupter des Landes gezüchtigt und ihre Burgen zerstört, denen, die sich endlich unterworfen, verziehen; es war in einer bedeutenden Zahl neuer Städte dem hellenistischen Leben, für das auch diese Lande gewonnen werden sollten, Kraft, Anhalt und Beispiel gegeben; es war eine Form des Regimentes gegründet worden, das der besonderen Art dieser Lande und der militärischen Bedeutung derselben angemessen schien. Den Abschluß bildete die Vermählung des Königs mit der schönen Tochter eines dieser sogdianischen Pehlevanen, die jetzt gefeiert wurde; mag immerhin persönliche Neigung der nächste Anlaß zu dieser Verbindung gewesen sein, sie war eben so sehr eine Maßregel der Politik, gleichsam ein äußeres Zeichen und Vorbild der Verschmelzung Asiens und Europas, die Alexander als die Folgewirkung seiner Siege, als die Bedingung der Dauer dessen, was er schaffen wollte, erkannte und in allmählicher Erweiterung durchzuführen versucht hat.
Freilich lagen in diesem Wollen, in dieser sich weit und weiter treibenden Verwirklichung Notwendigkeiten von sehr bedeutsamer Art. Nach der Natur der Elemente, die sich zusammenfinden und verschmelzen sollten, mußte das sprödere, gebundenere, durch die Wucht der trägen Massen stärkere asiatische vorerst überwiegen; sollte es gewonnen werden, so war es unvermeidlich, daß die Anschauungsweise, die Vorurteile, die Gewöhnungen der orientalischen Völker die Richtung gaben, in der sie, wenn die abendländische Macht sie nicht bloß unterworfen haben und beherrschen, sondern gewinnen und versöhnen wollte, an diese gewöhnt werden und an dem unendlich reichen entwickelten Wesen der Sieger allmählich teilzunehmen lernen konnten. Darum die asiatische Hofhaltung, mit der sich Alexander umgab, darum seine der medischen sich annähernde Tracht, in der er erschien, wenn die Waffen ruhten, darum das Zeremoniell und die Pracht des Hofes, die der Morgenländer als das ›Gewand des Staates‹ an seinem Gebieter zu sehen fordert, darum endlich das Märchen von des Königs göttlicher Abstammung, über die er selbst mit seinen Vertrauten scherzte.
Die Makedonen ihrerseits hatten längst über die Reichtümer Asiens, über das neue wunderreiche Leben, das sich mit jedem Tage in steigender Flut über sie ergoß, über die steten Strapazen des Heerdienstes und den steten Taumel des Sieges, des Ruhmes und der Herrschaft jene Einfalt und Dürftigkeit abgetan, die vor einem Jahrzehnt noch der Spott der attischen Rednerbühne gewesen war; die Begeisterung für ihren König, der nach wie vor unter ihnen kämpfte, der wunderbare Glanz seines Heldentums, in dessen Widerschein sie sich sonnten, der Reiz des Herrseins, das jedem in seiner Sphäre hohes Selbstgefühl und die Begier zu neuen Taten gab, hatte sie vergessen lassen, daß sie friedliche Bauern und Hirten in der Heimat sein konnten. Und in der Heimat die Hirten und Bauern und Städter, wie überholt von dem plötzlichen Aufschwung ihres kleinen Landes zu der Höhe des Ruhmes und der geschichtlichen Größe, – sie hörten der Heimkehrenden wunderbare Erzählungen, sahen die Reichtümer Asiens dem Vaterlande zuströmen, lernten schnell sich als das erste Volk der Welt fühlen; die Hoheit des Königtums, das einst nah und vertraulich auf einer Scholle Erde mit ihnen geweilt hatte, wuchs wie die Entfernungen nach Babylon, nach Ekbatana, nach Baktrien und Indien, ins Unendliche.
Das Volk der Hellenen endlich, geographisch in so viele exzentrische Kreise auseinandergelebt, und da, wo es in dichter Masse beieinander saß, politisch nach wie vor höchst zersplittert, kam im Verhältnis zu den Völkermassen Asiens der Zahl der unmittelbar Beteiligten nach kaum in Rechnung; desto mehr fiel das, was man als die Summe der geschichtlichen Entwicklungen der Griechenwelt bezeichnen kann, ihre Bildung, ins Gewicht. Die Elemente dieser Bildung oder richtiger ihre Ergebnisse für den einzelnen und für das Gemeinleben waren die Aufklärung und die demokratische Autonomie. Die Aufklärung mit allem ihrem Segen und Unsegen, da Unglaube, dort Aberglaube, oft beides zugleich, hatte die Geister der alten schlichten Religiosität, dem Glauben an die ewigen Mächte und der Scheu vor ihnen entwöhnt, und nur noch die Hefe von Zeremonien, Opfern, Zeichen und Zauberwirkungen war in der Sitte und konventioneller Geltung geblieben; klug sein galt jetzt statt fromm sein; Frivolität, Lust am Wagen und Gewinnen, der Ehrgeiz, sich irgendwie hervorzutun; und das Raffinement mit dem, was man Besonderes konnte, zu wuchern, das waren und wurden immer mehr die Impulse der praktischen Moral. Und die Demokratie war die gegebene Form für das Gemeinwesen auf solcher Basis; wie schon Solon von seinen Athenern gesagt hatte: »Jeder für sich gehen sie des Fuchses Wege, vereint sind sie betäubten Verstandes.« Je breiter sich diese Demokratie entwickelt hatte – die Freiheit mit Sklavenarbeit und die Sklaven als ihre arbeitende Klasse –, desto dreister und schärfer war jener Individualismus geworden, der in der hellenischen Staatenwelt die Rivalitäten immer spröder, die Schwächeren auf ihre Ohnmacht trotziger, die Stärkeren in ihrer Macht selbstsüchtiger gemacht, die Zerbröckelung und gegenseitige Lähmung endlich bis zu unmöglichen Zuständen getrieben hatte – bis Alexanders Siege völlig neue Bahnen öffneten und jeder Kraft und Begierde und Begabung, aller Fahrigkeit und Wagelust ein unermeßliches Feld ersprießlicher Arbeit erschlossen. Mochte daheim in Sparta, Athen, mancher Stadt sonst Trauer, Groll, arger Wille genug bleiben, mochten die Hellenen in Taurien mit ihren Skythen, die in Sizilien und Großgriechenland mit den Puniern und Italikern sich schlagen und vertragen, so gut es ging – Tausende und aber Tausende lockte die erschlossene neue Welt des fernen Morgenlandes, sie folgten den Werbern Alexanders oder zogen auf eigene Hand ihm nach, in seinem Heere zu dienen oder im Lager allerlei Geschäft und Verdienst zu versuchen, in den neuen Städten sich anzusiedeln; sie gewöhnten sich an die asiatische Art zu leben, auch wohl an asiatische Unterwürfigkeit gegen den König und die großen Herren, wenn ihnen übrigens nur ihre Parrhesie und ihr sonstiger Betrieb nach hellenischer Art blieb; die ›Gebildeten‹, soweit sie nicht vorzogen, Gegner des Neuen zu sein, wurden um so enthusiastischere Bewunderer des großen Königs; Rhetoren, Poeten, Witzlinge, wie sie waren, gefielen sie sich darin, Phrasen, wie sie auf die Helden von Marathon und Salamis, auf Heroen wie Perseus und Herakles, auf die Siege des Bakchos und Achilleus hergebracht waren, auf ihn anzuwenden; selbst die Ehren der alten Heroen und des Olymps mußten zum Preise des mächtigen Herrschers dienen. Längst hatten die Sophisten gelehrt, daß alle die, zu welchen man wie zu Göttern betete, eigentlich ausgezeichnete Kriegshelden, gute Gesetzgeber, vergötterte Menschen seien; und so gut manches Geschlecht sich von Zeus oder Apollon abzustammen rühme, ebensogut könne ja wieder der Menschen einer durch große Taten wie einst Herakles in den Olymp kommen, oder wie Harmodios und Aristogeiton heroischer Ehren teilhaftig werden. Hatten nicht hellenische Städte dem Lysander, dem Vernichter der attischen Macht, Altäre gestiftet und Opfer gebracht und Päane gesungen? Hatte Thasos nicht in feierlicher Gesandtschaft ›Agesilaos dem Großen‹, wie man ihn nannte, die Apotheose und die Errichtung eines Tempels angetragen? Um wieviel Größeres hatte Alexander getan? Kallisthenes schrieb in seiner Geschichte ohne Bedenken von dem Orakel des Ammon, das Alexander als Sohn des Zeus bezeichnet habe, von dem der Branchiden bei Miletos, das den gleichen Ausspruch getan. Wenn späterhin in hellenischen Staaten ihm göttliche Ehren zu gewähren in Vorschlag gebracht wurde, so war es nicht im Interesse der Religion, sondern Parteisache, daß dem Antrage teilweise widersprochen wurde.
Alles dies vorausgesetzt, kann man sich ein ungefähres Bild von der Umgebung Alexanders machen. Dies bunte Durcheinander der verschiedenartigsten Interessen, das geheime Spiel von Rivalitäten und Intrigen, der unablässige Wechsel von Gelagen und Kämpfen, von Festlichkeiten und Strapazen, von Überfluß und Entbehrung, von strengem Dienst im Felde und zügellosen Genüssen in den Kantonierungen, dazu das stete Weiterdringen in andere und andere Länder, ohne Sorge für die Zukunft und nur der Gegenwart gewiß, das alles vereinte sich, der Umgebung Alexanders jene abenteuerliche und phantastische Haltung zu geben, die zu dem wunderbaren Glanze seiner Siegeszüge paßte. Neben seiner überwiegenden Persönlichkeit treten die einzelnen selten aus der Masse hervor, ihr Verhältnis zum Könige ist ihr Charakter; so der edle Krateros, der, so heißt es, den König, der milde Hephaistion, der den Alexander liebe; so der immer zuverlässige und dienstbereite Lagide Ptolemaios, der ruhige durch und durch treue Koinos, der reckenhafte Lysimachos. Kenntlicher sind die allgemeinen Charaktere: die makedonischen Edlen, militärisch, trotzig, herrisch, bis zum Gespreizten voll Selbstgefühl; die asiatischen Fürsten, zeremoniös, prunkend, Meister in jeder Kunst des Luxus, der Unterwürfigkeit und Intrige; die Hellenen, teils im Kabinett des Königs wie der Kardianer Eumenes oder für andere technische Zwecke beschäftigt, teils als Dichter, Künstler, Philosophen im Gefolge des Königs, der auch unter den Waffen der Musen nicht vergaß, und weder Geschenke noch Huld und Herablassung sparte, um die für sich zu gewinnen, welche er um den Ruhm der Wissenschaft beneidete.
Unter diesen Hellenen in Alexanders Gefolge waren besonders zwei Literaten, die durch sonderbare Verknüpfung der Umstände einige Bedeutung in den Verhältnissen des Hoflagers gewannen. Der eine war der oben erwähnte Olynthier Kallisthenes; Schüler und Neffe des großen Aristoteles, der ihn seinem königlichen Zöglinge zugesandt hatte, begleitete er den König nach dem Osten, um als Augenzeuge die Großtaten der Makedonen der Nachwelt zu überliefern; er soll gesagt haben: er sei zu Alexander gekommen, nicht um sich Ruhm zu erwerben, sondern ihn berühmt zu machen; daß ein göttliches Wesen in ihm sei, werde man nicht um deswillen glauben, was Olympias von seiner Geburt lüge, es werde von dem abhängen, was er in seinem Geschichtswerk der Welt sagen werde. Die Fragmente dieses Geschichtswerkes zeigen, wie hoch er ihn gefeiert hat; von jenem Zuge über den pamphylischen Strand sagt er, die Wellen des Meeres hätten sich niedergelegt, wie um vor dem Könige die Proskynesis zu machen; vor der Schlacht von Gaugamela läßt er den König die Hand zu den Göttern erheben und ausrufen: wenn er des Zeus Sohn sei, so möchten sie ihm beistehen und für die hellenische Sache entscheiden. Seine hohe Bildung, sein Talent des Vortrages, seine gemessene Haltung gaben ihm auch in militärischen Kreisen Ansehen und Einfluß. Sehr anders Anaxarchos von Abdera; er gehörte einer veralteten Philosophenschule an, deren materialistischer Tendenz seine Persönlichkeit entsprach; er war ein Mann der Welt, dem König stets untertänig und oft lästig; einst bei einem Gewitter fragte er ihn: »Donnerst du, Sohn des Zeus?« Worauf Alexander lachend antwortete: »Ich mag mich meinen Freunden nicht so furchtbar zeigen, wie du wohl wünschest, der du deswegen meine Tafel verachtest, weil ich statt der Fische nicht Satrapenköpfe vorsetzen lasse«; ein Ausdruck, dessen sich Anaxarchos bedient hatte, als er den König sich an einem Gericht kleiner Fische, die ihm Hephaistion geschickt hatte, freuen sah. In welchem Sinne seine Schrift von dem Königtum geschrieben war, zeigen die Trostgründe, mit denen er nach Kleitos Ermordung den König aufzurichten suchte: »Weißt du nicht, o König«, sagte er damals, »daß darum die Gerechtigkeit zur Beisitzerin des König Zeus gemacht ist, weil alles, was Zeus tut, gut und recht ist? Ebenso muß, was ein König auf dieser Welt getan, zunächst von ihm selbst, dann von der übrigen Menschheit für Recht erkannt werden.«
Es ist nicht mehr ersichtlich, wann und auf welchem Anlaß sich die Beziehungen des Königs zu Kallisthenes zu lockern begannen. Einst, so wird erzählt, war Kallisthenes beim Könige zur Tafel und wurde von diesem aufgefordert, beim Weine eine Lobrede auf die Makedonen zu halten; er tat es mit der ihm eigentümlichen Kunst unter dem lautesten Beifall der Anwesenden. Dann sagte der König: es sei leicht das Ruhmreiche zu rühmen, er möge seine Kunst beweisen, indem er gegen dieselben Makedonen spräche und durch gerechten Tadel sie des Besseren belehren. Das tat der Sophist mit schneidender Bitterkeit: der Griechen unselige Zwietracht habe die Macht Philipps und Alexanders gegründet, im Aufruhr komme auch ein Elender bisweilen zu Ehren. Empört sprangen die Makedonen auf, und Alexander sagte: »Nicht von seiner Kunst, sondern von seinem Haß gegen uns hat der Olynthier einen Beweis gegeben.« Kallisthenes aber ging heim und sagte dreimal zu sich selbst: »Auch Patroklos mußte sterben und war mehr denn du!«
Daß der König die asiatischen Großen nach dem Zeremoniell der persischen Hofsitte empfing, war natürlich; es war eine für sie empfindliche Ungleichheit, wenn die Hellenen und Makedonen sich ohne solche Formen der Devotion der Majestät des Königs nahen durften. Wie einmal des Königs Stellung und Auffassung war, mochte es ihm erwünscht sein, daß diesen Unterschied zu beseitigen die morgenländische Proskynesis zur Hofsitte werde; aber ebenso mochte er den Vorurteilen, an welchen mancher haftete, nicht durch einen Befehl Anlaß zur Mißdeutung und Unzufriedenheit geben wollen. Hephaistion und einige andere übernahmen es, die Sache einzuleiten; beim nächsten Gelage, so heißt es, habe es zur Ausführung kommen sollen; von Anaxarchos sei da in diesem Sinne gesprochen worden, von Kallisthenes in eingehender und ernst abmahnender Weise und in unmittelbarer Anrede an den König so schroff dagegen, daß der König, sichtlich verletzt, jede weitere Erwähnung der Sache untersagt habe. Eine andere Erzählung sagt: der König habe bei Tafel die goldene Schale genommen und zunächst denen, mit welchen die Proskynesis verabredet gewesen sei, zugetrunken; dann sei der so Begrüßte, nachdem er seine Schale geleert, aufgestanden, habe die Proskynesis gemacht, sei dann vom Könige geküßt. Als nun die Reihe an Kallisthenes gekommen und der König ihm zugetrunken, dann mit Hephaistion, der an seiner Seite gesessen, weiter gesprochen, habe der Philosoph die Schale geleert, sich erhoben, zu Alexander zu gehen und ihn zu küssen; der König habe nicht bemerken wollen, daß die Proskynesis unterlassen sei, aber einer der Hetairen habe gesagt: »Küsse ihn nicht, o König, er ist der einzige, der nicht angebetet.« Alexander habe ihm darauf den Kuß geweigert und Kallisthenes, indem er sich hinweggewendet, gesagt: »So gehe ich um einen Kuß ärmer fort.«
Noch manches andere wird von diesen Vorgängen berichtet; bemerkenswert erscheint die Angabe, daß Hephaistion gesagt habe, auch von Kallisthenes sei in der vorhergehenden Besprechung die Proskynesis ausdrücklich zugesagt, nicht minder die Angabe, daß Lysimachos, der Somatophylax, und zwei andere den König auf des Sophisten hochmütiges Verhalten hingewiesen, Äußerungen von ihm über Tyrannenmord angeführt hätten, die um so mehr zu beachten seien, da viele der jungen Edelleute an ihm hingen, seine Worte wie Orakel, ihn selbst wie den einzigen Freien unter den Tausenden des Heeres betrachteten.
Nach einer schon von König Philipp herstammenden Einrichtung wurden die Söhne des makedonischen Adels mit ihrem Eintritt ins Jünglingsalter einberufen, um als ›königliche Knaben‹ um des Königs Person und militärisch als seine ›Leibwächter‹ ihre Laufbahn zu beginnen; sie waren im Felde seine nächste Begleitung, sie hatten die Nachtwache in seinem Quartier, sie führten ihm das Pferd vor und hoben ihn in den Bügel, sie waren um ihn bei Tafel und auf der Jagd; sie standen unmittelbar unter seiner Obhut, und nur er durfte sie strafen; er sorgte für ihre wissenschaftliche Ausbildung, namentlich für sie waren wohl die Philosophen und Rhetoren und Poeten, die Alexander begleiteten, berufen worden.
Unter diesen jungen Adligen war Hermolaos, der Sohn des Sopolis, desselben, der von Nautaka aus auf Werbung für Makedonien gesandt war. Hermolaos, ein eifriger Verehrer des Kallisthenes und seiner Philosophie, hatte, so scheint es, die Ansichten und Tendenzen seines Lehrers mit Begeisterung aufgefaßt; mit jugendlichem Unwillen sah er diese Vermischung des persischen und hellenischen Wesens, die Zurücksetzung des makedonischen Herkommens. Bei einer Jagd, als ein Eber auf die Wildbahn kam, und dem Könige, der nach der Hofsitte den ersten Wurf hatte, vor den Speer rannte, erlaubte sich der junge Mann den ersten Wurf und erlegte das Tier; ein Dienstvergehen, das der König unter anderen Umständen vielleicht nicht beachtet hätte, bei Hermolaos aber als absichtlich ansah und demgemäß bestrafte, indem er ihn züchtigen und ihm sein Pferd nehmen ließ. Hermolaos fühlte nicht sein Unrecht, nur die empörende Kränkung, die ihm angetan sei. Sein Busenfreund war Sostratos, der Sohn des Tymphaiers Amyntas, desselben, der mit seinen drei Brüdern bei der Philotas-Verschwörung in den Verdacht der Teilnahme gefallen war, und, um sich aller Schuld frei zu zeigen, den Tod im Kampfe gesucht hatte; diesem Sostratos teilte sich Hermolaos mit: das Leben sei ihm verleidet, wenn er sich nicht rächen könne. Leicht war Sostratos gewonnen: es sei ja Alexander, der ihm schon den Vater entrissen, der ihm jetzt den Freund beschimpft habe. Die beiden Jünglinge zogen noch vier andere aus der Schar der Edelknaben ins Geheimnis; es waren Antipatros, der Sohn des Asklepiodoros, des gewesenen Statthalters von Syrien, Epimenes, Arseas' Sohn, Antikles, Theokritos' Sohn und der thrakische Philotas, des Karsis Sohn; sie verabredeten, in der Nacht, wenn Antipatros die Wache habe, den König im Schlafe zu ermorden. Der König, so wird erzählt, habe diese Nacht mit den Freunden gegessen, sei dann länger als sonst in ihrer Gesellschaft geblieben; als er nach Mitternacht habe aufbrechen wollen, sei ein syrisches Weib, eine Wahrsagerin, die ihm seit Jahren gefolgt sei und anfangs wenig beachtet, allmählich, da sich ihr Rat und ihre Warnung mehrfach bewährt, seine Beachtung und sein Ohr gewonnen habe, – diese Syrerin sei, da er fortgehen wolle, plötzlich ihm gegenüber gewesen und habe ihm gesagt: er möge bleiben und die Nacht durch trinken. Der König habe dem Rat Folge geleistet, und so sei für diese Nacht der Plan der Verschworenen vereitelt worden. Sicherer scheint das Weitere zu sein; die unglücklichen jungen Leute gaben ihren Plan nicht auf, sie beschlossen ihn in der nächsten Nachtwache, die auf sie fiel, auszuführen; Epimenes sah tags darauf seinen Busenfreund Charikles, den Sohn des Menandros, sagte ihm, was bereits geschehen, was noch im Werke sei. Bestürzt eilte Charikles zu seines Freundes Bruder Eurylochos, beschwor ihn, durch schnelle Anzeige den König zu retten; dieser eilte in des Königs Zelt und entdeckte dem Lagiden Ptolemaios den furchtbaren Plan. Auf seine Anzeige befahl der König, sofort die Verschworenen zu verhaften; sie wurden verhört, gefoltert; sie bekannten ihren Plan, ihre Genossen, Kalisthenes' Mitwissenschaft; auch dessen Verhaftung erfolgte. Das zum Kriegsgericht berufene Heer sprach über die Verschworenen das Urteil, vollzog es nach makedonischer Art. Kallisthenes, der Hellene und nicht Soldat war, wurde in Ketten gelegt, um später gerichtet zu werden. Alexander soll darüber an Antipatros geschrieben haben: ›Die Knaben sind von den Makedonen gesteinigt worden, den Sophisten aber will ich selbst bestrafen, und auch diejenigen, die ihn zu mir geschickt haben, und die in ihren Städten Verräter gegen mich aufnehmen.‹ Kallisthenes ist dann während des indischen Feldzuges nach Aristobulos' Angabe als Gefangener gestorben, nach Ptolemaios gefoltert und gehenkt worden.