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X.

Der Kutscher bog rasch in eine Nebenstraße ein. Asbjörn Krag folgte ihm. Er sprang von einem Torweg in den anderen, um nicht gesehen zu werden. Die Straße war fast vollkommen dunkel, nur hier und da qualmte eine dämmerige Laterne.

Der Kutscher hatte sich am Eingang des Cafés von dem Bolzen getrennt. Der letztere war wieder in das Lokal zurückgegangen. Krag sagte sich, daß er sich scheinbar Jens' annehmen und ihn vor der verfolgenden Polizei verbergen werde. Und er überlegte: Vielleicht wollte der Schurke die Gelegenheit benutzen, den anderen völlig aus dem Wege zu räumen. In diesem Falle hätte er, Krag, ja den jungen Burschen in eine schlimme Lage gebracht.

Aber es war jetzt nicht der rechte Moment, hierüber nachzudenken. Nun galt es, den Kutscher im Auge zu behalten. Es war ja aller Wahrscheinlichkeit nach der Mann mit dem Elfenbeinstock, den er hier vor sich hatte.

Der Verfolgte und der Verfolger kamen nun in eine belebtere Gegend, und Krag brauchte also nicht mehr an den Hausmauern entlang zu schleichen oder in den Türgewölben unterzutauchen. Er tat, als sei er leicht berauscht und schwankte die Straße entlang. Argwöhnisch betrachteten ihn ein paar Schutzleute, denen er begegnete.

Plötzlich bog der Mann in dem Kutschermantel ab und ging nach dem Jernbanetorv. Hier standen drei, vier Droschken. Krag entdeckte sofort außer diesen noch eine große Equipage, auf die der Kutscher zusteuerte.

Krag wurde unruhig. Sollte es doch tatsächlich ein gewöhnlicher Kutscher sein? Hatte er sich durch einen falschen Verdacht narren lassen? Vielleicht hatte der Bolzen geahnt, daß etwas im Verzuge sei und ihn hinters Licht geführt.

Auf dem großen Marktplatz befand sich außer den Droschkenkutschern keine Menschenseele. Krag mußte unbedingt gesehen werden, wenn er über den leeren Platz schlich. Er zog es daher vor, an den Häusern entlang über die Karl Johansgate zum Bahnhof zu gehen und kam so hinter die Wagen, wo er sich in der Dunkelheit verbarg. Niemand hatte ihn gehört oder gesehen.

Der Kutscher stand da und redete mit seinen Kollegen. Er sprach deutlich und laut, in norwegischer Sprache. Krag hatte es also mit einem Landsmann zu tun.

»War inzwischen jemand hier?« hörte er ihn fragen.

»Nein«, antwortete ein anderer.

»Das ist doch merkwürdig, auch da fand ich ihn nicht.«

»Auf wen wartest du denn?«

»Habe ich es dir nicht erzählt, Jaso? Nun, aus dem Hotel dort wurde nach einem Wagen telephoniert.«

Der Kutscher wies mit dem Finger in die Richtung, aus der er gekommen war.

Krag wußte nun, daß er auf der richtigen Spur war.

Der andere Kutscher lachte laut, und auch die übrigen stimmten ein.

»Da hat man dich ja ordentlich angeführt«, sagte einer von ihnen.

Der Kutscher überlegte einen Augenblick und rief dann mit angenommenem Ärger:

»Ja, irgend so ein verfluchter Hund. Aber da läßt sich nichts weiter tun. Ich muß mit dem leeren Wagen zurückfahren. Danke, daß Ihr mir auf meine Pferde aufgepaßt habt. Ein anderes Mal werde ich mich besser vorsehen.«

Damit schwang er sich auf den Bock, knallte mit der Peitsche und rollte davon. Krag sah seinen Wagen in der Karl Johansgate verschwinden. Sobald er außer Sehweite war, sprang er aus seinem Versteck hervor.

»Hallo!« rief einer der Kutscher ihm zu, »was bist denn du für ein Lumpenkerl? Kommst wohl direkt aus dem Loch?«

Krag schlug seine Hand zur Seite.

»Donnerwetter, hast aber Kräfte!« sagte der andere. »Am besten wär's wohl, einen Schutzmann zu rufen.«

Ein zweiter von ihnen zündete blitzschnell ein Streichholz an und leuchtete dem Detektiv ins Gesicht.

»Hört einen Augenblick gut zu«, sagte dieser da mit seiner gewohnten Stimme. »Es ist Zeit, daß Ihr mich erkennt. Ich bin Asbjörn Krag.«

»Tod und Teufel! Asbjörn Krag? Sie sehen aber aus!« riefen die Kutscher durcheinander.

»Wir haben keine Minute zu verlieren. Welches ist Ihr Wagen?« fragte er den ihm zunächst Stehenden.«

»Hier. Steigen Sie ein, Meister, erweisen Sie meinem Wagen die große Ehre.«

»Einen Mantel her.«

Ein zweiter Kutscher warf rasch seinen Gummimantel ab und reichte ihn Krag, der bereits im Wagen saß.

»Wohin geht die Jagd?«

»Hinter der Equipage her.«

»Ich verstehe. Sie fuhr über den Karljohan. Wieviel Finderlohn gibt's, Meister?« fragte der Kutscher und machte vom Bock aus Honneur.

»Einen blauen Lappen, wenn Sie ihn fassen, ehe er bei dem Grand Hotel vorüberkommt.«

»Gut.«

Ein lauter Peitschenknall brachte das Pferd in Galopp.

Als sie an der Post waren, sah Krag die Equipage vor sich. Sie fuhr langsamer, als er es erwartet hatte. Schon am Storting hatte er sie eingeholt. Die Droschke fuhr nun eine lange Weile hinter dem Wagen her. Den Drammensvej hinauf und durch die Bygdö Allee. Hier war ein lebhafter Wagenverkehr, so daß sie ihn verfolgen konnten, ohne daß der Kutscher es merkte. Als die Equipage jedoch nach dem Elisenbergvej abschwenkte, fand Krag es geraten, die Droschke zu verlassen. Er hatte inzwischen seine Maske abgeworfen, war wieder Asbjörn Krag, gab dem Kutscher den Mantel und den versprochenen Geldschein, und dieser machte sofort kehrt. Krag aber lief der Equipage nach. Als er sie erreicht hatte, hängte er sich hinten an, mit einer Fertigkeit, die darauf schließen ließ, daß dieser Kniff wohlgeübt war. Da saß er nun ruhig und ließ sich von dem Manne fahren, den er verfolgte.

Zehn Minuten lang fuhr der Wagen durch verschiedene Straßen. Der Kutscher schien keine Eile zu haben. Krug hörte, daß er, auf seinem Bock sitzend, ein Liedchen vor sich hinsummte.

Endlich hielt er vor einem großen Hause, das in einem hoch umzäunten Garten lag. Rasch öffnete sich die Tür, und eine Stimme fragte:

»Haben Sie jemanden mit?«

»Nein«, antwortete der Kutscher.

Dann wurden die beiden Türflügel weit aufgemacht, und der Wagen glitt auf einem breiten Kiesweg hinein.

Krag pries die Dunkelheit. Er hockte zusammengekauert zwischen den Hinterrädern. Unmöglich konnte ihn jemand entdecken. Nun aber sprang er ab und verbarg sich hinter einem Gebüsch.

Er hörte den Kutscher mit jemandem sprechen, verstand jedoch nicht, was sie sagten. Jetzt vernahm er auch noch eine Frauenstimme. Er wartete, bis die Pferde in den Stall geführt und der Kutscher in seiner Wohnung verschwunden war.

Der Hof war nun leer. Krag sah sich eine Weile um; er wußte nicht recht, wo er sich befand. Bald aber erkannte er seine Umgebung. Er stand in einem der ersten Patrizierhäuser Kristianias, aber er erinnerte sich im Augenblick nicht, wer es bewohnte.

Im Haupthause sah er in drei Fenstern des Erdgeschosses Licht. Ebenso in der Kutscherwohnung, in der sich ein Schatten hin und her bewegte, der des Kutschers.

War dieser Kutscher tatsächlich der Mann mit dem Elfenbeinstock, so war er ein tüchtiger Kerl, dachte Krag. Es wäre dann kein Wunder, daß die Polizei ihn bisher nicht gefunden hat. Sie konnten doch nicht auf den Gedanken kommen, das der Verbrecher sich hinter einer solchen Maske verbarg.

Krag fuhr zusammen: die Tür des Haupthauses hatte sich geöffnet.

Die Tochter des Hauses! dachte er und verbarg sich in dem dunkelsten Schatten der Mauer.

Das junge Mädchen schritt vorsichtig über den Hof und klopfte an die Tür des Kutschers. Dieser kam heraus. Er war barhäuptig. Das Mädchen sah sich einen Augenblick ängstlich um, als fürchte sie, belauscht zu werden. Dann sagte sie etwas zu dem Manne.

Krag fing ein Wort auf, ein einziges Wort, das ihn zusammenfahren ließ.


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