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XIII.

Der Detektiv erwartete jeden Augenblick, daß der Mann mit dem Elfenbeinstock den Revolver erheben und ihn niederschießen werde wie einen Hund. Er war einen Moment fest überzeugt, daß er eine sichere Beute des Todes sei. Indem er ein paar Schritte beiseite trat, brachte er den Tisch zwischen sich und den Angreifer.

Die junge Dame war verschwunden. Doch hatte Krag das Gefühl, daß sie sich in dem Nebenzimmer befinden müsse.

Der Mann mit dem Elfenbeinstock verfolgte mit glühenden Blicken jede seiner Bewegungen. Wie ein Raubtier stand er da, das auf seine Beute lauert.

Nun hob er die Waffe. Krag wußte, daß nur der äußerste Grad von Kaltblütigkeit ihn retten konnte. Er setzte sich ruhig auf einen Stuhl im hellen Lampenlicht, lachte höhnisch der Revolvermündung entgegen und sagte:

»Wie dumm Sie sind.«

Der andere wurde stutzig, hielt aber nach wie vor die Waffe in der Richtung von Krags Kopf.

»Sie kennen mich nicht«, fuhr Krag fort. »Glauben Sie, ich hätte mich ohne Schutz in die Höhle des Löwen begeben?«

»Ich habe Sie vollkommen in der Gewalt«, antwortete der andere in abstoßend grobem Ton.

»Ganz recht«, lachte Krag wieder. »Seien wir ehrlich gegeneinander. Ja, vorläufig haben Sie mich in der Gewalt. Sie können mich jeden Augenblick niederknallen. Aber was wäre die Folge davon? Vor dem Hause, im Garten und auf der Straße, sind mindestens fünfzehn Polizisten versammelt, die herbeistürzen, sobald sie den Schuß hören. Sie dürfen mir glauben, daß die Villa vollkommen umzingelt ist.«

»Ehe ich zugrunde gehe, sollen Sie sterben«, zischte der andere wutentbrannt.

»Nehmen Sie doch Vernunft an,« sagte Krag, »sprechen wir ruhig miteinander. Gestatten Sie, daß ich eine Zigarette rauche, und darf ich auch Ihnen eine anbieten?«

Krag faßte nach der Tasche, wurde aber mitten in der Bewegung aufgehalten durch des anderen Zuruf:

»Wenn Sie einen Finger rühren, schieße ich.«

Krag zog die Hand zurück.

»Ich spreche besser, wenn ich rauche,« sagte er gleichmütig, »nur deshalb wollte ich es.«

Allmählich gewann er seine ganze Ruhe zurück. Sollte er wirklich hier den Tod finden, so wollte er die letzten Augenblicke seines Lebens doch als ganzer Mann tragen. Immer gehässiger richtete sich der Blick des anderen auf ihn.

»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen«, sagte Krag. »Aber zuvor will ich wissen, ob sie ihn anzuhören beabsichtigen, oder ob sie mich gleich niederzuschießen gedenken.«

Mit einem höhnischen Auflachen zog der Mann seine Uhr aus der Tasche.

»Ich gebe Ihnen noch zehn Minuten Zeit«, sagte er.

»Für alle Fälle?« fragte Krag. »Auch wenn mein Vorschlag annehmbar ist?«

»Ja, auch wenn Ihr Vorschlag annehmbar ist.«

»Das sind harte Bedingungen«, bemerkte Krag lächelnd. »Aber auch zehn Minuten sind wertvoll. Ich bitte Sie also, mich anzuhören.«

»So sprechen Sie. Aber rasch.«

»Sie haben also den Mord an dem jungen Mädchen begangen.«

»Wer weiß das?«

»Ich«

»Ph! In zehn Minuten ist dieser Zeuge von der Erde verschwunden.«

»Aber meine Aufzeichnungen liegen wohlverwahrt auf der Polizei. Der Chef kennt die ganze Angelegenheit.«

»Tut nichts. Ich brauche nur Zeit. Innerhalb vierundzwanzig Stunden bin ich längst über die Grenze. Was haben Sie mir sonst noch vorzuschlagen?«

»Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, Selbstmord zu begehen«, sagte Krag sehr ernst.

Der andere lachte laut auf. Krag aber fuhr unbeirrt fort:

»Wenn Sie mich hier erschießen, werden Sie binnen wenigen Minuten von den herbeieilenden Polizisten übermannt sein. Und dann wird nicht nur der Mord an dem Mädchen geahndet, sondern auch der an mir. Außer Ihnen werden alle Hausbewohner verhaftet, auch die junge Dame, die soeben hier war.«

Krag bemerkte, daß dieses letzte Wort nicht ohne Eindruck auf den Mann blieb.

»Wagen Sie es, sie zu berühren!« rief er aus.

»Sie wird als Mitschuldige festgenommen werden«, sagte Krag. »Wir haben sie schon lange im Verdacht. So sehen Sie also, welchen Dingen Sie sich und andere aussetzen.«

»Und was soll ich nach Ihrer Meinung tun?« fragte der Mann höhnisch.

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf, daß ich eine ganze Stunde lang nichts gegen Sie unternehmen will, wenn Sie mir die Waffe geben, die Sie in der Hand haben.«

»Und ich?«

»Sie können während dieser Stunde tun, was Sie wollen.«

»Kann ich das Haus gemeinsam mit der jungen Dame unbehindert verlassen?«

Krag überlegte.

»Nein,« sagte er dann, »das geht nicht. Das Haus dürfen Sie nicht verlassen. Doch sonst können Sie tun, was Sie wollen.«

»Sie jagen mich also in den Tod?«

Krag zuckte die Schultern. Er war namenlos gespannt. Doch zugleich erkannte er, daß er durch sein ruhiges Auftreten an Boden zu gewinnen begann.

»Es wäre ja lächerlich, wenn ich auf Ihren Vorschlag einginge. Etwas anderes wäre es, wenn Sie mich gehen ließen und mir eine Stunde Vorsprung gäben.«

»Sie würden ja doch nicht an meinen Leuten vorüberkommen, die das ganze Haus umringen.«

In diesem Augenblick vernahm man in der Stille der Nacht eine Tür sich öffnen und schließen. Gleich darauf näherten sich Schritte. Die Portieren glitten zur Seite, und das junge Mädchen stand auf der Türschwelle. Sie war entsetzlich bleich. Krag sagte sich, daß ihr Wiedererscheinen nichts Gutes bedeutete.

Es dauerte eine Weile, ehe sie sprechen konnte. Dann sagte sie, zu dem Manne mit dem Elfenbeinstock gewandt:

»Der Herr dort lügt. Nicht ein einziger Polizist befindet sich in der Nähe.«

»Stimmt das auch, Lina?«

»Unbedingt. Ich habe selbst soeben den Hof und den Garten, wie auch die Straße ringsum untersucht.«

»So geh in dein Schlafzimmer, und laß mich weiter mit dem Manne hier unterhandeln. Er interessiert mich.«

Er hob den Revolver wieder in die Richtung von Krags Kopf.

Die junge Dame verließ leise das Zimmer, indem sie Krag einen letzten Blick zuwarf, einen Blick voller Verachtung und Mitleid zugleich. Krag nickte höflich und sagte liebenswürdig:

»Gute Nacht, Fräulein.«

Der Mann mit dem Elfenbeinstock lachte heiser und zeigte seine leuchtenden Raubtierzähne.

»Sie sind doch ein Teufelskerl«, sagte er. »Sie wären der rechte Mann für mich gewesen. Aber nun sollen Sie keine Gelegenheit mehr finden, sich in meine Dinge einzumischen. Sieben Minuten sind bereits vorüber.«

»Also noch drei Minuten,« sagte Krag ruhig wie zuvor, »und ich bin gewesen.«

»Ganz recht. Der Schuß wird keine Aufmerksamkeit erregen. Die junge Dame und ich sind allein im ganzen Hause. Die Dienerschaft und die Umwohnenden sind an meine Extravaganzen gewöhnt. Sie hatten sich wahrscheinlich hinten an meinen Wagen gehängt, also weiß keiner von Ihren Kameraden, wo Sie sich befinden. Man wird den ganzen Tag nach dem berühmten Detektiv Asbjörn Krag suchen. Doch finden wird man ihn nie. Ich will schon für seine Leiche sorgen.«

»Geben Sie mir den Revolver!« rief Krag.

»Hahaha! Sie sind spaßig bis zu Ihrem letzten Augenblick.«

»Wenn Sie mir nicht den Revolver geben, so ...«

»Nun, so ...?«

»So bin ich gezwungen, ihn Ihnen fortzunehmen.«

»Nur noch anderthalb Minuten. Wollen Sie nicht ein letztes Gebet sprechen? Das würde ich an Ihrer Stelle tun.«

Die beiden Widersacher saßen sich an dem Tisch gegenüber. Krag zunächst der Lampe. Auf dem Tisch lag die Uhr und tickte. Jede Sekunde brachte ihn dem verhängnisvollen Moment näher.

»Wieviel Zeit habe ich noch?« fragte er.

Der andere beugte ein wenig den Kopf und sah auf die Uhr.

»Eine halbe Minute ...«

In diesem Augenblick glitt Krag rasch wie ein Aal unter den Tisch, hob ihn mit beiden Händen und warf ihn gegen seinen Feind. Die Lampe fiel zu Boden, die elektrische Birne zerbrach, und das Zimmer lag in tiefer Dunkelheit. Er hörte einen Fluch und einen Schuß und fühlte, daß eine Kugel seinen Arm streifte. Er sprang zur Verandatür und schlug sie mit einem Fußtritt auf, daß die Sprossen und Scherben nur so tanzten. Einen Augenblick später war er von der Veranda in den Garten hinuntergesprungen.


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