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Es war jetzt so spät geworden, daß die beiden Freunde sich beeilen mußten.
Das Gepäck wurde auf ein Automobil geladen, und sie setzten sich hinein.
»Ich verstehe allerdings nicht,« sagte der Polizeileutnant, »warum wir mit großem Gepäck von Kopenhagen aufbrechen. Aber das müssen Sie selbst bestimmen.«
»Was sollten wir sonst tun?« fragte Asbjörn Krag.
»Wir hätten ja unser Gepäck hierlassen und nur einen kleinen Besuch in Malmö machen können. Vielleicht ist der Apache schon wieder hier, wenn wir hinüber kommen.«
»Vielleicht,« antwortete Krag, »jedenfalls aber müssen wir seiner Spur folgen. Es könnte ja auch sein, daß die Spur in eine andere Richtung führt, als nach Kopenhagen zurück. Er hat die Reise nach Malmö schon einmal gemacht, und da führte ihn sein Weg in eine ganz andere Richtung, wie Sie sich vielleicht erinnern.«
Der Polizeileutnant wurde nachdenklich.
»Ja,« antwortete er, »das ist wohl wahr. Damals waren die Apachen von Korsör geflüchtet und nach Malmö hinübergefahren.«
»Und wo hatten sie sich damals hingewandt?«
»Zum Badehotel Trinacria,« antwortete der Polizeileutnant. Er war sehr erstaunt über Asbjörn Krags Frage.
»Sie meinen doch nicht,« sagte er, »daß der Apache sich wieder dorthin begeben hat? Dort ist ja alles geschlossen.«
»›Café Babylon‹ nicht.«
»Da haben Sie recht.«
»Und wenn Sie zurückdenken,« fuhr Krag fort, »war gerade das ›Café Babylon‹ der Aufenthaltsort der beiden Apachen. Und wenn Sie es sich ferner recht überlegen, haben Sie mir noch keine befriedigende Erklärung darüber gegeben, warum die beiden ausländischen Verbrecher sich gerade an diesem Badeort herumtrieben. Ich bezweifle, daß es ausschließlich geschah, um zu stehlen. Ebensowenig kann es gewesen sein, um Frau Sonja zu treffen, denn sie wußten zuerst gar nicht, daß sie dort war. Darum ist es möglich, daß mit dem Aufenthalt der beiden Apachen im Badeort, ein Geheimnis verbunden ist. Also stehen wir abermals vor der Möglichkeit, daß sie zu dem Badeort zurückgekehrt sind. Für sie ist es ja einerlei, ob der Badeort geschlossen ist oder nicht, wenn sie nur Obdach im ›Café Babylon‹ bekommen. Darum ist es durchaus denkbar, mein lieber Helmersen, daß sie in diesem Jahre noch einmal nach Trinacria zurückkehren, und daß ich Gelegenheit finde, den Schauplatz Ihrer ersten großen Liebe kennen zu lernen.«
Diese Reden wurden gewechselt, während sie zur Fähre fuhren. Unmittelbar nachdem sie mit ihrem Gepäck an Bord waren, ging die Fähre ab.
Asbjörn Krag hatte weder Rast noch Ruhe. Es zeigte sich, daß die Fähre zufällig dieselbe war, die den Mörder über den Sund gesetzt hatte. Krag begann die Bedienung an Bord auszufragen. Der Polizeileutnant, der dem Verhör beiwohnte, mußte das Talent bewundern, mit dem er die Leute zum Reden brachte.
Krag fragte selten direkt nach einer Sache. Oder richtiger gesagt, er stellte seine Fragen ganz auf den ein, mit dem er sprach. Er kannte die Veranlagung der meisten Menschen, um das Wesentliche herumzugehen. Asbjörn Krag aber besaß die seltene Fähigkeit, das Wesentliche aus ihnen herauszufragen.
Auf der Überfahrt erfuhr er darum ziemlich genau, wie der Apache ausgesehen hatte.
Der Kellner im Restaurant beschrieb seine Kleidung. Kellner haben ja bekanntlich einen guten Blick für die Kleidung der Leute, wonach sie taxieren, was sie an Trinkgeld erwarten können.
Auch die Kellnerin beschrieb eingehend das Gesicht und die Hände des Apachen. Es zeigte sich, daß er ein sehr hübscher Mensch war, der das ungeteilte Interesse der Kellnerin geweckt hatte.
Das Signalement, das Krag auf diese Weise bekam, stimmte allerdings nicht ganz mit dem Signalement überein, das der Polizeileutnant von dem Mann mit dem blauseidenen Halstuch gegeben hatte. Daran aber kehrte Krag sich nicht sonderlich. Er fand es begreiflich, daß der Apache sich verkleidet hatte.
Weil Krag Wert darauf zu legen schien, dieses Signalement so genau wie möglich zu haben, trug er es in sein Notizbuch ein.
Der Mann, der nach dem Mord, den er an Frau Sonja begangen hatte, mit der Fähre nach Schweden fuhr, wurde von dem Kellner und der Kellnerin folgendermaßen beschrieben:
Er war mittelgroß, aber schmächtig gebaut. Der Kellner meinte, daß er nicht mehr als zwanzig Jahre alt sei, die Kellnerin riet auf fünfundzwanzig.
Haare und Augenbrauen fast blauschwarz.
Das Haar war sehr voll und fiel in dicken Locken in die Stirn.
Die Augen des Burschen waren groß und dunkel und hatten einen eigentümlich scheuen Glanz. Die Kellnerin behauptete, daß sie einmal Tränen darin gesehen habe. Sie beschrieb seine Hände als aristokratisch und gepflegt.
Bart hatte er nicht, aber auf Kinn und Oberlippe jenen bläulichen Ton, der auf kräftigen Bartwuchs deutet.
Dann sein Anzug. Er war nicht elegant, eher bescheiden gekleidet. Er trug einen blauen Jackettanzug, der fertig gekauft zu sein schien. Er saß ihm nicht besonders. Der Kellner hatte die Beobachtung gemacht, daß sein Zeug etwas zerdrückt aussah, was darauf deuten konnte, daß es eine Zeitlang eingepackt gelegen hatte. Auf alle Fälle aber war das Zeug neu. Überhaupt war alles an ihm nagelneu, die Stiefel, der Schlips und die Sportmütze – aber nichts von allem schien ihm richtig zu passen.
Seine Sprache hatte gleich den Ausländer verraten, aber er konnte sich doch sehr gut auf Dänisch verständigen.
Im Restaurant hatte er ein Kotelett gegessen und beim Bezahlen ein goldenes Zwanzigkronenstück wechseln lassen. Gleich nach der Ankunft in Malmö war er auf eines der kleinen Hotels am Hafen zugegangen. Die Kellnerin, die ihn die ganze Zeit im Auge behalten hatte, meinte, daß er im »Hotel Hafnia« eingekehrt sei. Alle diese Aufschlüsse waren ja vortrefflich und ausführlich, dennoch schienen sie Asbjörn Krag nicht recht zu befriedigen. Er saß eine Weile grübelnd und stumm über sein Taschenbuch gebeugt.
»Was, meinen Sie zu all dem?« fragte er den Polizeileutnant.
»Ich meine,« antwortete dieser, »daß wir hier einen guten Steckbrief von dem Mörder haben. Ob es der Mann mit dem Halstuch ist oder nicht, jedenfalls wird er uns nach diesem Steckbrief nicht entgehen können. Einiges paßt ja auf den Mann mit dem Halstuch, nur daß er schmächtig gebaut sein soll, will mir nicht in den Sinn. Der Mann mit dem blauseidenen Halstuch war ganz im Gegenteil sehr muskulös und kräftig. Indessen kann man vielleicht davon ausgehen, daß die Kellnerin sich geirrt hat, und daß andere Dinge, die nicht stimmen, seiner Verkleidung zuzuschreiben sind.«
Asbjörn Krag schüttelte den Kopf.
»Es ist dennoch etwas Mystisches an der Sache,« sagte er, »ich finde die Spuren sind gar zu deutlich. Der Mensch hat nicht den geringsten Versuch gemacht, sich zu verbergen. Er ist ganz offenkundig an Bord gegangen, hat sich ins Restaurant gesetzt, mit dem Kellner und der Kellnerin gesprochen, und als er von Bord ging, ist er frischweg auf eines der kleinen Hotels losgesteuert. Das sieht so aus, als ob er die Polizei auffordern wollte, ihm zu folgen. Offen gesagt, mein lieber Helmersen, so tritt kein Mörder auf.«
Die Fähre hatte jetzt Malmö erreicht.
Die beiden Herren ließen ihr Gepäck von dem Hoteldiener nach »Hotel Malberg« bringen. Sie selbst begaben sich sofort nach dem »Hotel Hafnia«.
Unterwegs sagte Asbjörn Krag:
»Ich wünschte fast, daß unser Besuch im ›Hotel Hafnia‹ ohne Erfolg bliebe.«
»Warum in aller Welt?«
»Weil das mit meiner Annahme, daß der Mörder ein schlauer und gefährlicher Bursche ist, besser übereinstimmen würde.«
Asbjörn Krags Wunsch aber sollte nicht in Erfüllung gehen.
Im Hotel erinnerte man sich sogleich des fremden Menschen in dem blauen Jackettanzug. Er hatte dort vom Abend bis zum nächsten Nachmittag gewohnt. Er war ganz ohne Gepäck eingetroffen, hatte aber am nächsten Vormittag eine Menge Gepäck aus Kopenhagen nachgeschickt bekommen.
Auf die Frage, ob sie wüßten, wohin er sich gewandt habe, antworteten sie, daß sie darüber Bescheid geben könnten.
Er hatte sich vormittags nach seiner Ankunft im Hotel an ein Vermietungsbureau gewandt, um eine Wohnung auf dem Lande zu mieten und war dann gleich mit einer Lokalbahn weitergereist.
Das Vermietungsbureau würde die Adresse gewiß angeben können.
»Wieder eine Enttäuschung,« murmelte Krag. »Das geht zu leicht, ich bin nicht zufrieden.«