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Als die Männer das Knacken im Laub hörten und den schwarzen Schatten sahen, hatten sie alle drei das Gefühl, daß ihnen eine Gefahr drohe.
Krag kommandierte mit lauter Stimme:
»Die Revolver! Schießt, wenn er nicht steht!«
Und auf Französisch rief er in die Dunkelheit hinaus:
»Achtung! Keinen Schritt weiter!«
Aber von neuem hörten sie den schleichenden Laut eines Körpers, der sich näherte, und in dem breiten Lichtband von Asbjörn Krags Blendlaterne sahen sie eine merkwürdige Erscheinung, eine phantastische Gestalt. Fast sah es aus, als ob sich ein Mensch auf allen Vieren näherte. Plötzlich sprang dieser Mensch durch die offene Tür ins Zimmer.
In demselben Augenblick fiel ein Schuß, und gleichzeitig ertönte Asbjörn Krags Stimme:
»Nicht schießen!«
Aber es war bereits zu spät. Der eindringende Feind lag auf dem Fußboden und wand sich in den letzten krampfhaften Zuckungen. Es war kein Mensch, es war ein großer, schwarzer Hund.
Die drei Männer beugten sich ratlos über das Tier.
Der Amtmann stieß einen Fluch aus. »Da hätten wir auch was Besseres totschießen können.« sagte er.
Asbjörn Krag legte sich neben dem Tier auf die Erde und hob seine Schnauze. Der Kopf des Hundes fiel schwer herab, das Tier war bereits tot.
»Kennen Sie diesen Hund?« fragte der Detektiv.
Der Amtmann schüttelte verneinend den Kopf.
»Ich kenne alle Hunde hier auf den Höfen, in meilenweitem Umkreis,« sagte er, »diesen Hund aber habe ich noch nie gesehen. Es ist ein fremder Hund, aber er trägt ein Halsband, lassen Sie uns nachschauen.«
Krag drehte an dem Halsband. Es war aus Leder, mit Silberplatten belegt. Auf einer Silberplatte stand der Name, Krag las ihn laut: »Pierre.« Etwas anderes stand nicht darauf. Weder eine Adresse noch der Name des Besitzers. Die französische Fassung des Namens Peter aber weckte Krags Aufmerksamkeit. Er nahm ein Messer und schnitt das Halsband durch.
Beim Schein seiner Blendlaterne untersuchte er es sorgfältig.
Er fand gleich eine Inschrift, die er dem Polizeileutnant zeigte. ES war ein Stempel des großen Pariser Warenhauses » Printemps«, ein Zeichen, daß das Halsband von dort stammte. Zum zweitenmal stießen sie auf den Namen des französischen Warenhauses.
»Das Halsband ist französisch,« sagte er nachdenklich zu dem Polizeileutnant gewandt. »Und der Name des Hundes ist französisch. Es ist merkwürdig, mitten in Schweden auf so etwas zu stoßen. Und da der Amtmann den Hund nicht kennt, kann er uns allerhand zu denken geben.«
»Mit andern Worten,« sagte der Polizeileutnant, »wir haben den Hund des Apachen erschossen.«
»Vielleicht,« antwortete Krag, aber an seinem Tonfall konnte man hören, daß er doch seine Zweifel habe, ob diese Erklärung richtig sei. Indessen legte er das Halsband auf den Tisch. Darauf sah er sich nach dem einzigen Fenster in der Stube um und stellte seine Blendlaterne so auf die Erde, daß ihr Widerschein das Fenster nicht traf.
Dann gab er dem Polizeileutnant ein Zeichen, daß er die Tür schließen solle, und als das besorgt war, bückte er sich wieder zu dem Hund herab.
Es war ein prachtvolles Tier, ein großer, starker Neufundländer. Seine Rasse war unzweifelhaft echt, aber sein Äußeres ließ vermuten, daß er verwahrlost sei. Er war sehr abgemagert und hatte offene Wunden am Kopf und an den Ohren. Vor allen Dingen aber war er furchtbar schmutzig. Der Bauch und die Beine waren ganz von Kot bedeckt. Krag zupfte mit größter Vorsicht daran. Der Kot hing in Strähnen an dem langen Haar des Hundes und war getrocknet. Im übrigen war das ganze Fell von feinem Landstraßenstaub durchsetzt.
Asbjörn Krag blickte auf.
»Wie lange ist es her, seit Sie hier in dieser Gegend Regen gehabt haben?« fragte er.
»Das ist lange her,« antwortete der Amtmann, »wir lechzen hier nach Regen, aber weiter südlich waren Niederschläge.«
»Können Sie sich noch entsinnen,« fragte Krag den Polizeileutnant, »daß es in der Umgebung von Malmö regnete, als wir von dort abfuhren? Dieser Hund ist von weit hergekommen.«
»Nach seinem Aussehen zu urteilen,« sagte der Amtmann, »könnte er direkt aus Frankreich gekommen sein.«
»Dieser Hund,« bemerkte Krag ruhig, erzählt eine eigene Geschichte. Er macht den Eindruck, daß er verwahrlost ist. In Wirklichkeit aber ist er es nicht. Betrachten Sie diese geschwollenen Pfoten! Er ist einen weiten Weg gelaufen. Wahrscheinlich viele Meilen weit. Er ist von Süden gekommen und gestern über aufgeweichte Wege im Regenwetter gelaufen. Später ist er dann ganze Tage auf trockenen Wegen gerannt. Das kann man an dem trockenen und feinen Staub sehen, der sich in seinem Fell festgesetzt hat und der abfällt, wenn ich nur mit der Hand darüberstreiche. Er ist sicher mehrere Tage und Nächte getrabt. Die Wunden sind Denkzettel von Schlägereien mit anderen Hunden auf den Gehöften. Wahrscheinlich hat er versucht, etwas Freßbares zu stehlen und ist fortgejagt worden. Das arme Tier ist ganz abgemagert.«
Krag schob ihn mit dem Fuß zum Kamin.
»Wenn er uns nur etwas erzählen könnte,« sagte er, »wenn er uns nur erzählen könnte, woher er kam und wohin er wollte!«
»Mich dünkt,« sagte der Polizeileutnant, »es ist nicht schwer zu erraten, wohin er wollte.«
»Das meine ich auch,« schob der Amtmann ein, »der Hund wollte natürlich hierher.«
Asbjörn Krag sah den Polizeileutnant zweifelnd an.
»Meinen Sie wirklich, daß der Apache sich einen Hund gehalten hat?«
Der Polizeileutnant schüttelte ratlos den Kopf.
»Wer kann es wissen!« sagte er. »Es scheint ja alles zu stimmen – das französische Halsband, der französische Name, und der Hund ist hierhergelaufen, wo der französische Apache wohnt. Es muß ein treuer Hund gewesen sein, der der Spur von Kopenhagen aus gefolgt ist. Er hat sie bis zum Dampfer verfolgt und ist nach Schweden herübergekommen. Ein Hund, der seinen Herrn sucht, kann ja einen phänomalen Instinkt entwickeln.«
»Sie vergessen,« sagte Krag, »daß man bei dieser Annahme voraussetzen muß, daß der Apache oder die Apachen den Hund aus Frankreich mitgebracht haben. Aus Frankreich direkt, wohl gemerkt, und es erscheint mir doch etwas unwahrscheinlich, daß zwei Verbrecher so ein Tier von Ort zu Ort mit sich schleppen. Dann hätten sie ihn ja auch auf ihrer mystischen Expedition in Trinacria bei sich gehabt. Abgesehen davon, daß dies völlig unwahrscheinlich ist, hat niemand sie mit dem Hund zusammen gesehen. Wo hätten sie ihn die ganze Zeit über verbergen sollen?«
»Wie aber soll man sich die Anwesenheit des Hundes erklären?« sagte der Polizeileutnant.
»Eine Erklärung gibt es, die mir einleuchtend dünkt,« antwortete Asbjörn Krag, »und zwar die, daß wir uns wieder einmal auf falscher Spur befinden.«
Der Polizeileutnant machte ein verdutztes Gesicht, und der Amtmann der jetzt eine Ahnung vom Zusammenhang der Sache bekommen hatte, sagte:
»Ja, auf andere Weise kann ich es mir auch nicht erklären, daß der Russe, den Sie verfolgen, meine Herren, so offen aufgetreten ist. Er hat ja nicht eine einzige seiner Handlungen zu verbergen versucht.«
Asbjörn Krag nickte und lächelte zustimmend.
»Ich glaube wirklich,« sagte er, »daß man uns nutzlos bis tief nach Schweden hineingelockt hat. Jetzt gilt es vor allem festzustellen, ob der Mann, den wir suchen, wirklich der Apache ist.«
Er sah zum Fenster, durch das das beginnende Tageslicht mit mattem Schein hereinzusickern begann.
Er löschte die Blendlaterne. Die drei Männer konnten sich in dem gespensterhaften, grauen Morgenlicht mit knapper Not sehen.
»Wir müssen hier bleiben,« sagte er, »bis der Mann kommt.«
Er zeigte durchs Fenster.
»Sehen Sie dort den kleinen Schuppen,« sagte er. Darin können wir uns verstecken. Vielleicht dauert es nicht mehr lange, bis er kommt, vielleicht aber wird noch geraume Zeit hingehen.«
Sie wanderten alle drei zum Schuppen hinüber, und bevor die Nacht den Morgen noch ganz verdrängt hatte, kam der Bewohner der Villa.