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Erstes Buch.

I.

Es war Tag geworden.

Noch immer rieselte der Regen und troff an den kleinen Fenstern der Krankenstube herunter. Bleigraues Licht stahl sich zögernd durch die Gardinen und mischte sich mit dem Schein der Lampe, die auch jetzt noch vor dem Bette brannte.

Auf dem großen Bauerngutshof erwachte einiges Leben. Man hörte zuweilen ein dumpfes Aufbrüllen der Kühe, und dazwischen das vereinzelte Rufen der Knechte. Doch klang alles gedämpft, als fürchte man, die Kranke zu stören.

Etwas Totes, Gedrücktes lag über dem Gehöft; und je mehr das trübe Sonnenlicht vorrückte, in desto größere Lautlosigkeit verfiel das Anwesen.

In dem weiten, zur ebenen Erde gelegenen Zimmer wurde ein schwacher Ruf laut. Kränklich, hohl, gebrochen, ein wenig gereizt klang er, aber so leise die Stimme auch flüsterte, sofort fuhr aus dem ledernen Sessel neben dem Bette ein Mann von mächtiger, imposanter Gestalt auf, rieb sich ein wenig die Augen, strich ein paarmal energisch über seine dicken, kurzgeschorenen Haare und legte dann seine Finger behutsam auf die Hand der leidenden Frau.

»Na, Elsing,« forschte er aufmunternd, wobei er seine Stimme soviel als möglich herabdämpfte, »geht's ein bißchen besser?«

Statt einer Antwort rang die Angeredete die Hände und vergrub ihr Antlitz in die Kissen: »Du lieber Gott,« stöhnte sie leise, und es war beinahe, als ob aus dem weißen Linnen ein Schluchzen dränge.

Der Mann ließ seine Hand aufs Knie sinken und starrte auf den hellen, sandbestreuten Estrich der Stube.

Plötzlich warf sich das junge Weib herum und forschte hastig: »Du bist wohl eingeschlafen, Wilms?«

Seltsam, – neidisch fast schien die Frage.

»Ja, ich bin ein wenig eingenickt,« gab der Gatte zu. Und wieder konnte man leise Entschuldigung aus den Worten hören. »Ich sitz' ja nun auch bald die vierte Nacht so,« murmelte er halb für sich.

Es wurde still.

Aus der Ecke nur tönte das schwere Tick-tack einer unförmlichen Kastenuhr, und zuweilen knirschte der Sand unter dem Stiefel des Mannes.

Die Leidende seufzte und schien die rechte Lage nicht finden zu können. Endlich streckte sie sich und blickte in das trostlose Grau des Regentages hinaus.

Welche Traurigkeit dort draußen und hier drinnen.

Gegen die Fenster stäubte der Regen, Hagelkörner schlugen scharf gegen die Scheiben, und über die Wangen der Liegenden floß eine Träne.

»Lösch' die Lampe aus, Wilms,« bat sie, »meine Augen – es tut mir weh.«

Er schraubte das Licht herunter, sofort sah es in der Stube noch fahler aus.

»Armes Weib,« murmelte er, »armes Weib.« Er strich über ihre Haare und richtete sich langsam auf. Dann schritt er zur Tür. – Aber er sollte nicht hinausgelangen.

»Wilms.«

Sein Weib hatte sich aufgerafft. »Du sollst nicht fort,« rief sie angstvoll, »ich kann nicht allein bleiben – mich friert, wenn du draußen bist!«

»Elsing – unsere Wirtschaft leidet darunter – ich muß –«

»Ja, ja – die Wirtschaft – immer die Wirtschaft,« stieß die Kranke hervor und fiel erschöpft in ihre Kissen zurück, »und ich liege hier in meinem Elend – zwei Jahre – zwei ganze Jahre schon, und keiner hilft mir, keiner, zur Last falle ich jedem – auch dir –«

»Elsing, ich –«

»Ja, auch dir,« fuhr sie atemlos fort, »ich merk' das sehr wohl – du hast nur Mitleid für mich – nur Mitleid. Und wir haben uns doch aus Liebe geheiratet.«

Er war zögernd an ihr Bett getreten und plötzlich umschlang sie seinen Hals: »O Gott – o Gott, ich bin wohl sehr häßlich geworden?« forschte sie, am ganzen Leibe zitternd. »Nicht wahr, gesteh's nur ganz offen.«

»Elsing,« – die Stimme des Mannes zitterte leicht. Er hatte sich auf den Bettrand gesetzt und ließ ein paar Strähnen ihrer langen, blonden Haare durch seine Finger gleiten. »Elsing,« beteuerte er dann, »für mich bist du noch so schön, wie in der ersten Stunde – sieh doch bloß deine langen, weichen Flechten – und der kleine Mund und die lieben, blauen Augen – alles so hübsch, mein armes Kind.«

Es mußte ihn doch übermannt haben, denn er schloß sein Weib in beide Arme und küßte es zärtlich auf die Lippen. Die Kranke schmiegte sich befriedigt an seine Brust und für einen Augenblick schien sie beglückt und hoffnungsfreudig. Wenigstens wandte sie sich bald auf die Seite und forderte ihn mit ihrer erregten Stimme auf: »Wilms, gib mir die Bibel von dem Tisch – so, und nun geh – geh nur und schlag ein Auge auf die Wirtschaft – es muß ja doch sein.«

Da ging der Mann schwerfällig hinaus; allein als sich die Tür geschlossen hatte, blieb er stehen und lauschte zurück.

Und trübe schüttelte er den Kopf. – Mit welch fieberhafter, leidenschaftlicher Glut sein Weib dort drinnen las. Sie sang beinahe; – ekstatisch, wie berauscht tönten die heiligen Worte:

'Und siehe, ein Weib, das zwölf Jahre siech war, trat zu ihm und rührete seines Kleides Saum an.

Da wandte sich Jesus um und sahe sie und sprach: Sei getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Und das Weib ward gesund zur selbigen Stunde.'

»Und ward gesund zur selbigen Stunde,« wiederholte es drinnen, wie verzückt. Dann einen Moment Stille, aber plötzlich mit herzzerreißendem Schluchzen: »O Gott – und ward gesund – lieber – lieber – Gott.«


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