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IX.

Am nächsten Morgen erschien der dicke Kreisphysikus.

Aus seinem äußeren Gebaren konnte man schwer enträtseln, was er von dem Zustand der Pächterfrau hielt. Er küßte ihr zwar ein paarmal die Fingerspitzen, aber doch mit Zurückhaltung.

Das war ein seltsames Zeichen, denn Patienten, an denen der beleibte alte Dr. Rumpf Freude erlebte, beehrte er mit seiner stürmischsten Zärtlichkeit.

Bei Else jedoch benahm er sich beinahe mitleidig. Er streichelte ihr nach der Untersuchung das feine blonde Haar aus der Stirn und sagte begütigend wie zu einem kleinen Kinde:

»Na, es macht sich ja. Aber schonen, mein Kinding, immer hübsch schonen. Nur recht still, das ist die Hauptsache.«

Damit begab er sich in den Garten, wo Wilms und Hedwig seiner schon harrten.

»Ja,« meinte er dort mit leisem Kopfschütteln, »es ist ja zum Stillstand gekommen bei Ihrer Frau, lieber Wilms – wollen 's Beste hoffen. Aber keine Aufregungen, hören Sie, davor müssen Sie sie in acht nehmen, ich sage es Ihnen ausdrücklich, eine Erregung wäre das reine Gift für die Kranke.«

Als der Physikus kurz nachher vom Hofe heruntergefahren war, blieben der Pächter und das Mädchen noch einen Augenblick nebeneinander im Garten stehen.

Tiefe Niedergeschlagenheit malte sich in den ehrlichen Zügen des Landmanns.

»Heting,« begann er endlich heiser, während er sich scheu umblickte, und seine Brust hob sich so gewaltsam, als ob er unter Bergesschwere seufze: »Es ist schrecklich, was mir fortwährend im Kopf herumgeht, aber nicht wahr, du wirst keinen Abscheu vor mir bekommen? Heting,« er ergriff ihre Hand und keuchend flüsterte er weiter, als ob's ein Geheimnis wäre: »Ich kann das Ungewisse nicht mehr ertragen, es geht über meine Kräfte. Ich wünschte, es wäre so oder so, biegen oder brechen, entweder sie würde gesund, oder – sie ginge von uns.«

Dabei stierte er erhobenen Hauptes verzweifelt in den blauen Himmel hinauf, wie wenn er von dort oben eine tröstende Antwort erwarte.

Aber nichts regte sich, nur der Wind führte Wiesenduft in den Garten hinein.

Wilms preßte plötzlich mit beiden Händen seinen mächtigen Kopf und stöhnte laut auf: »Großer Gott – wie kann ich nur an so was denken? – – Ich bin ja woll selbst schon wahnsinnig geworden – schon wahnsinnig,« wiederholte er tonlos.

»Warum soll man nicht einen Wunsch hegen?« sprach Hedwig verloren vor sich hin.

Sie hatte bis jetzt wie ein weißes Marmorbild den Jammer des Mannes, den sie glücklich machen wollte, mitangesehen, jedoch während sie das letzte sprach, erweiterten sich ihre großen Augen schreckhaft weit. Regungslos starrte sie in die Ferne. Etwas Rotes, Blutendes flimmerte ihr dort undeutlich entgegen, ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und als sie Wilms noch einmal anblickte, wurde sie leichenblaß.

Entsetzen.

Sie mußte etwas Gräßliches erschaut haben.

Grußlos gingen die beiden auseinander. Bald darauf betrat Wilms das Wohnzimmer, um sich von seinem Weibe zu verabschieden. Munter und emsig fand er Else an ihrem Nähtisch sitzen, eifrig damit beschäftigt, Leinenzeug zusammenzusticheln.

»Wo ist Hedwig?« fragte sie rasch bei seinem Eintritt und hob ihre hellen Augen.

Wilms stutzte: »Wahrscheinlich in der Küche,« gab er unbeholfen zurück. Er log. Etwas Unerkanntes, Dunkles zwang ihn dazu.

Sein Weib ließ ihre Arbeit langsam in den Schoß sinken und sah ihn an. Eben hatte ihr Dörthe, die Obermagd, erzählt, daß sich Hedwig mit dem Herrn im Garten erginge. Und doch sagte er, daß er mit ihrer Schwester nicht zusammengetroffen wäre?

Sie atmete rasch, ihre Finger erzitterten ein wenig, in der Hast stach sie sich mit der Nadel, daß ein kleiner Blutstropfen hervorquoll.

Wilms wollte ihr rasch sein Taschentuch herumwinden. Sie wehrte ihn ab:

»Laß das. – Es macht nichts,« sagte sie fest, obwohl ihre schwache Stimme leise zitterte. Dann wandte sie sich und schaute eine Zeitlang still zum Fenster hinaus. Als sie ihrem Mann ihr Antlitz wieder zukehrte, hatte es seinen alten Ausdruck zurückgewonnen, nur ihre Augen blickten nachdenklich und grübelnd vor sich hin.

»Adieu Wilms,« sagte sie etwas gezwungen, und nachdem sie sich noch die Hände gereicht hatten, bat sie ihren Gatten: »Schick' mir doch Christian einmal herein. Er soll eine Einladung zu Pastors tragen.«

Wilms stand bereits an der Tür. Er wurde verlegen. »Wen soll ich – –?« fragte er zögernd.

»Nun den alten Christian.«

»Ach so den – – ja – den – Elsing – den hab' ich entlassen.«

Wilms wußte, daß er Unrecht auf sich geladen hatte, er hatte den Alten fortgejagt aus Liebe zu dem schönen Weibe, vor deren Kammer er damals gestanden. Der Mann hatte ein Menschenalter auf dem Hofe gedient. Der Schweiß brach ihm aus der Stirn, in seiner Befangenheit scharrte er mit den Stiefeln auf dem sandbestreuten Estrich der Stube hin und her und wagte die Augen nicht zu seinem Weibe zu erheben. Aber Else saß zuerst ganz stumm. »Du hast den alten Christian entlassen?« murmelte sie endlich ungläubig. »Im Ernst?«

Der Pächter nickte.

Die Kranke fuhr auf: »Aber weißt du denn nicht, daß ich dem Alten versprochen hatte, er könne hier sein Leben beschließen!« rief sie entrüstet.

In heftigem Unmut warf sie ihr Leinenzeug von sich und preßte beide Hände an die Schläfen. Die Augen, die sich immer dunkler umränderten, begannen krankhaft zu leuchten.

Auch Wilms bemerkte es. Angsterfüllt trat er näher: »Du sollst dich doch nicht aufregen, Elsing,« bat er atemlos. »Hörst du, mein Kind, nicht deswegen.«

Allein Elses Geduld war erschöpft. Ein Tränenstrom brach hervor, sie schleuderte die Schere auf den Fußboden, daß sie klirrte, und war ganz fassungslos.

»Ich will endlich wissen, was hier hinter meinem Rücken vorgegangen ist?« rief sie empört, obgleich sie nach Luft rang. »Warum hast du denn nur den alten Mann entfernt, wie?«

»Weil er sich ausverschämt benommen hat.«

»Gegen dich?«

Da kam die Frage. Wilms stotterte. Das Blut stieg ihm zu Kopfe.

»Gegen mich – Elsing? – Nein, das gerade nicht.«

»Gegen wen denn?«

»Gegen – gegen deine Schwester – gegen Hedwig.«

Else zuckte schmerzhaft zusammen. Dann schnellte sie empor und machte ein paar widerspruchsvolle Bewegungen.

»Und da hat Hedwig wohl auch verlangt,« schluchzte sie wütend, »daß er fort soll? – Nicht wahr?«

Jedoch gerade der Ausbruch ihres Zornes verstockte den Landmann. Über der Nase zogen sich bei ihm ein paar tiefe Falten zusammen:

»Natürlich,« gab er langsam zurück, »auf Hedwigs Wunsch hab' ich's dann getan.«

Da verlor die Leidende allen Halt.

»Aber sie hat hier nichts zu wünschen,« schrie sie jetzt gänzlich sinnlos. »Was geht dich überhaupt meine Schwester an, während du doch ganz genau wußtest, daß ich nie und nimmer meine Einwilligung zu dieser Entlassung geben würde? – Sag mir bloß, was geht dich dabei Hedwig an?«

Sie wollte noch weiter klagen, aber plötzlich brach sie ab, und ihr Blick richtete sich verwirrt auf ihren Mann.

Was ging so schnell mit ihm vor?

Er sah sie groß an, der ungelenke Riese, als ob er dieses schwache Frauenbild zum erstenmal sähe. Die Fäuste ballten und öffneten sich wieder, seltsam schwer ging die Brust.

»Elsing,« kam es dumpf heraus, indem er schwerfällig auf sie zutrat – »nu is es genug – nu will ich nichts weiter davon hören, du bist krank, das halt ich dir zugut.«

Wuchtig und nachdrücklich wie nie hatte er gesprochen. Es klang hart und herb, als ob Steine aufeinander geworfen werden.

Kopfnickend schritt er dann zur Tür. Jedoch eh' er sie erreicht hatte, schwankte plötzlich sein Weib auf ihn zu, um mit ihren schwachen Armen seine Brust zu umklammern:

»Wilms, ich weiß ja nicht, was ich spreche,« stammelte sie halb ohnmächtig, und in dem blassen Gesicht schlossen sich müde die Augen, »ich – ich – ach Gott, ich tu' ja alles aus Liebe zu dir. – Glaubst du das denn nicht?«

Kraftlos lag sie in seinen Armen, Wilms mußte sie aufheben.

»Ja, ja, das glaub' ich,« murmelte er durch das eine Wort verwandelt und bezwungen – »du arme Dirn – komm, Elsing.«

Er trug sie zum Sofa und bettete sie sanft hinauf.

Wie er sich aber zu ihr niederbeugte, warf sie die Arme um seinen Hals und hob ihre Lippen stürmisch zu den seinen.

»Nicht wahr, du bist wieder gut?« lächelte sie.

»Ja, ja, Elsing.«

Ein heißer Kuß brannte auf seinem Munde. Dann befand er sich draußen und schritt gebeugter, als je zuvor, seinen Feldern zu.

In einer Furche lag ein Schmetterling, der von einem Sandklos getroffen war. Mitleidslos stampfte ihn der Landmann mit schwerem Stiefel in die Erde.

»Dir is wohl,« sprach er rauh.

§§§

Und dieselbe Hedwig, auf welche die Kranke eben anfing neidisch zu werden, trat zur Türe herein und brachte der völlig erschöpft Liegenden eine Tasse Bouillon. Das rührte die Leidende und stimmte sie um. Zwar flossen noch immer Tränen aus ihren Augen, aber sie zog dennoch das schöne blühende Mädchen zu sich nieder und streichelte zärtlich sein braunes, goldig schimmerndes Haar. »Nicht wahr, Heting,« flüsterte sie kaum vernehmbar, »du bist nicht schlecht zu mir, nicht wahr?« Und sie hob das Gesicht der Schwester empor und forschte in ihren dunklen, sprechenden Augen: »Nein, nein, du wirst mir nicht weh tun,« setzte sie getröstet hinzu.

Später, als Hedwig sie schon wieder verlassen hatte, nahm die Leidende, die da glaubte genesen zu sein, die Bibel und versuchte, ihre bösen Gedanken durch die heiligen Worte zu bemeistern. Jedoch verständnislos überflog sie die breiten Zeilen, und ihre Lippen murmelten allerlei abgebrochene Laute, die nicht hierher gehörten. Zerstreut erhob sie sich endlich und schritt mehrmals unsicher durch das weite Zimmer.

»Weshalb er mich wohl belogen hat?« sann sie, ohne eine Antwort finden zu können. Müde und abgespannt lehnte sie endlich am Fenster und blickte auf den Hof hinaus, über dem warmer Sonnenschein lag.

Da wurde sie aufmerksam. Welch eine Gestalt saß dort draußen auf dem Prellstein vor dem Tor? Ein schlotterndes abgelebtes Menschenkind hockte dort und richtete seine erloschenen Augen unverwandt auf das Gehöft.

Die Spähende beugte sich vor. Das war ja der alte Krischan? Eine merkwürdige Freude befiel die Leidende. Sie fragte sich nicht, ob es passend sei, mit dem entlassenen Knecht zu verkehren, hastig, mit fieberischer Eile lief sie auf ihn zu und berührte seine Schulter.

Mühsam hob der Greis das nickende Haupt, und als er die Frau in dem einfachen, grauen Kleide erkannte, lief ein schwaches Lächeln über die vertrockneten Lippen.

Für Else war er stets ein treuer Kettenhund gewesen.

»Arm' Fru,« sagte er und strich mit seiner welken, zitternden Hand an ihrem Arm herunter. »Arm' Fru.«

Das war die Begrüßung.

»Nein, nein,« rief Else laut, damit er sie verstände. »Ich bin nicht mehr krank, Krischan, ich fühle mich viel wohler.«

»Arm' Fru,« nickte der Alte unverändert, beinahe mitleidig.

Else erschrak. Was meinte der Taube damit? Ohne Überlegung, mit jähem Erröten fragte sie ihn, warum er ihre Schwester denn beleidigt hätte?

»Ick?« flüsterte der Alte und hob das Kinn. Dann raffte er sich auf und keuchte der Wartenden etwas ins Ohr.

Ein paar Worte nur, aber Else taumelte zurück und wurde schneeweiß. Nur ein paar helle, rote Flecken glühten auf ihren Wangen.

»Du lügst, Krischan,« schrie sie auf. »Das ist nicht wahr.«

Allein der Greis verstand das unglückliche Weib nicht, oder ließ sich nicht stören. Denn von neuem streichelte er mit seiner Knochenhand über ihren Arm und brachte mit Anstrengung hervor:

»Arm' Fru – ne, ne, ick heww's sülwst seihn, as sei tausamen in'n Schlidden seten hewwen. De beiden täuben warten nu all ungedüllig.«

»Warten?« stöhnte die Ärmste schwach. Alles drehte sich vor ihr. Sie mußte sich an die Mauer der Einfahrt lehnen.

»Dat Sei, min arm' Fru, starwen süllen. Se luren all up den Dod von de Fru. Dann willen sei sick friegen.«

Ein herzzerreißender Schrei, schrill, kreischend gellte über die Landstraße und wurde von den Mauern des Pachthauses zurückgeworfen.

Die Gepeinigte glaubte zu ersticken, eine eisige Hand griff nach ihrer Kehle, das Gesicht des Krüppels tanzte wie hundert Fratzen um sie herum. Noch gurgelte sie etwas.

»Hilfe – – Hilfe.«

Dann ein dumpfer Fall.

»Arm' Fru,« ächzte der greise Knecht und beugte sich zu ihr hinab, »arm' Kinding, sei hed di ümbracht, de anner Dirn.«

§§§

Aber Else war nicht gestorben.

»Klang das nicht wie ein Hilferuf?« fragte Hedwig die Obermagd, mit der sie gemeinsam in der Molkerei weilte. Auch Dörthe hatte den schrillen Ruf vernommen. Als sie nachforschten, fanden sie die Herrin des Hauses unter dem Unkraut des Grabenbords hingestreckt, weiß wie eine zertrümmerte Statue, die, in Schmutz und Unrat, der Vergessenheit anheimgefallen.

Ein zerschlagenes Menschenbild.

Beim Fall hatte sie einen Stein gestreift, eine blutige Narbe zog sich davon über die Stirn.

Da warf sich das schöne Mädchen in die Knie. Ihr Mund öffnete sich:

»Ist – sie tot – Dörthe?«

Die Magd schrie auf. »Ne, ne, Fräulein, sie bewegt sich ja – heben Sie ihr den Kopf.«

»Ja, ja – sie lebt,« wiederholte Hedwig erwachend.

Gottlob, was eben vor ihren Ohren gesaust und gebraust hatte, war nicht wahr. – Sie hatte ihr wohl den Tod gewünscht, aber das war im Fiebertraum, in einer Vision geschehen. – Sie lebte ja – sie lebte – Gott sei Dank. Jetzt waren es nur Gedanken gewesen, schlimme Gedanken, aber kraftlos – großer Gott – sie lebte ja.

Mit starken Armen umfaßte sie den starren, zuckenden Leib und trug ihn, wankend und zitternd unter der Last, zum Erstaunen der Magd allein, ohne Hilfe in das große Zimmer. Dort entkleidete sie die Schwester und bettete sie auf das Lager, das die Hausherrin wieder aufnahm in seine weißen Kissen.

Ja, die Kranke kehrte zurück in die linnene Gruft.

Ob für immer?

»Nein, dann gab es ja noch die feuchte, die schwarze Ruhestätte, auf der Blumen blühen,« dachte Hedwig, die wie früher an dem Bett saß und auf die sich regenden Atemzüge der Kranken lauschte. Und diese Behausung hatte sie der Schwester gewünscht, grübelte sie weiter, um allein den Mann zu besitzen, dessen Herz ihr schon gehörte, den sie erzogen, gebildet, veredelt hatte, und der sich nach ihr sehnte, wie nach der Erlösung. Der morsche Körper dort sollte im Grabe liegen, und der junge blühende Leib bei dem geliebten Manne. Sie fuhr auf und blickte nach der Kranken hin. Inzwischen hatte sie ihre ganze Kraft und Besonnenheit zurückgewonnen. Sah das wächserne, bleiche Gesicht der Leidenden nicht schon aus, wie das einer Leiche? – Ja, Hedwig war sich jetzt völlig klar. Die Kranke unten – sie selbst oben. Das war das Rechte, keine Sünde, es zu wünschen, nur der Lauf der Natur.

Leise erhob sie sich, um durch das Fenster auf die Landstraße hinauszuspähen; ob Wilms und der Arzt noch nicht kämen, nach denen sie sofort geschickt hatte. Dabei mußte sie an dem langen Mahagonispiegel vorüber. Unwillkürlich blieb sie vor ihm stehen und zog sich die Taille zurecht.

Das Glas zeigte ein wunderschönes, zur Reife strebendes Weib, ganz dazu geboren, um zu wirken, zu schaffen und glücklich zu machen. Sie lächelte schwermütig, als sie sich musterte. Noch sah sie hinein, da befremdete sie etwas. Auch das Bett hinter ihr spiegelte sich in der Scheibe und jetzt – täuschte sie sich? nein, die Kissen bewegten sich, die magere Gestalt richtete sich auf, und ein paar umflorte, düster umschleierte Augen starrten nach ihr hin.

»Hed – wig,« stöhnte etwas.

Die Gerufene flog zu Else hin und ergriff ihre Hand, die Kranke schaute sie gläsern an, als suche sie sich zu besinnen.

»Wie komm' ich hierher?« flüsterte sie und befühlte angsterfüllt die Kissen des Bettes.

Plötzlich schob sie sich an Hedwigs Brust, stieß jedoch plötzlich die Schwester mit heftigstem Abscheu von sich.

»Else, ich bin es ja,« rief Hedwig befremdet, »erkennst du mich denn nicht?«

Allein die Bedauernswerte schien schon zu phantasieren. Sie wälzte sich stöhnend herum und bedeckte ihre Augen mit einem Kissen, wie wenn sie dem Anblick der Schwester entfliehen wollte.

»Ja, ich erkenne dich,« wimmerte sie mit so schriller Stimme, daß es die Jüngere wie mit spitzen Nadeln durchdrang. »Du hast dich hier eingeschlichen, um mir mein Glück zu stehlen. – Du wartest nur auf meinen Tod! – – Aber ich sterbe noch nicht – ich mache dir nicht Platz – ich will leben – hörst du, ich will leben!«

Hedwig verstand, um was es sich handelte. Kalt rann es ihr über den Rücken hinab. Immer den Blick auf das schluchzende, schmerzzerwühlte Weib gerichtet, tastete sie sich rückwärts zum Tisch und umklammerte dort fest die Kante. Auch sie mußte sich halten. Alles schwankte und fiel in ihr, aber während des Hinstarrens biß sie noch immer die Zähne trotzig zusammen.

Nie war sie so schön, wie in diesem stummen Ringen mit der Sterbenden.

Da raffte sich die Fiebernde nochmals auf und krallte beide Fäuste nach der Schwester. Der höchste Paroxysmus war erreicht. Hedwig grauste. Gespenstisch sah die Verfallene mit dem schwarzen Schatten im Gesicht bereits aus, als ob eine Tote noch die Fäuste schüttele.

»Geh' mir aus den Augen,« kreischte das arme Weib – »fort – fort – ich will dich nicht sehen – du willst mich vergiften –! – Meinen Mann hast du auch verführt, – heut nacht warst du bei ihm – ich weiß alles – Jesus Christus, Ehebrecherin du! – Jesus – Erbarmen.« Dann ein langes Röcheln, und sie fiel ohnmächtig auf ihr Lager zurück.

In demselben Moment betrat Wilms das Zimmer.


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