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»Willkommen« stand über der Haustür geschrieben, und grüne Guirlanden mit roten und weißen Gartenblumen schmückten die Pfosten, als die Herrin des Hauses zum erstenmal wieder über die Schwelle von Wilmshus schritt.
Wilms und Hedwig hatten sie gemeinsam vom Bahnhof abgeholt.
»Ach, wie schön habt ihr alles für mich gemacht,« flüsterte Else erregt, als sie an der Hand ihres Mannes den Flur betrat, und warf sich an seine Brust.
»O Gott, wie danke ich dir, daß du mich das noch erleben ließest. – Erwartet mich der Pastor nicht hier?« setzte sie begierig hinzu.
»Nein, mein Kind,« entgegnete Wilms, »ich dachte, wir wollten zuerst unter uns sein.«
Else nickte: »Ja, du hast recht. Kommt nur schnell in die Stube.« Und als sie in das große Wohnzimmer eingetreten waren, wo bereits ein festlicher, mit Blumen geschmückter Tisch ihrer harrte, da umarmte sie ihre Schwester und küßte sie stürmisch auf den Mund:
»Liebes Heting, das kommt von dir. Nein, wie freue ich mich, daß ich wieder in meinem eigenen Heim bin. Und noch dazu wieder ganz erholt.« – Sie stellte sich vor den Spiegel und nahm sich den Hut ab. »Nicht wahr, Wilms,« fuhr sie hastig fort, »man merkt mir doch gar nichts mehr an? Ich sehe beinahe wieder so aus, wie zu unserer Hochzeit? – Oder findest du nicht?«
»Ja, mein Kind,« antwortete Wilms gedrückt, »du hast dich sehr – sehr erholt.«
Hedwig und er warfen sich dabei einen Blick zu. Beide bemerkten, wie hektisch rot ihre Wangen gefärbt waren und welch tiefe, blaue Ringe die Augen der Heimgekehrten umränderten. Ihre Gestalt war leicht nach vorn geneigt und auch die Schultern vornüber gezogen. Und doch ließ das schmale Gesichtchen noch immer Spuren einstiger Schönheit erkennen.
Unterdessen hatte Else sich wieder zu ihrem Manne gekehrt, sie legte ihm beide Hände auf die Brust und rief zwischen Lachen und Weinen:
»Freust du dich denn gar nicht, Wilms, daß ich wieder da bin? Du bist ja so still.«
Zärtlich hob sie den Mund zu ihm empor und schloß die Augen, als Wilms sich schwer und wortlos zu ihr niederbeugte. Aber während er es tat, streifte sein Blick ängstlich die Jüngere. Schweigend wandte sich Hedwig zum Fenster.
»Und nun wollen wir zu Tisch gehen,« rief Else. »Ihr sollt mal sehen, wieviel ich jetzt essen kann. Nicht mehr so wie früher.«
Mit diesen Worten ließ sie sich auf das Sofa nieder, wo Hedwig sonst bei Tisch gesessen hatte, und zog Wilms neben sich.
Die Schwester mußte ihr gegenüber auf einem Stuhl Platz nehmen.
Dann teilte sie selbst in eifriger Geschäftigkeit die Speisen aus, ja die Heimgekehrte schien an einem Tage alles wieder einholen zu wollen, was sie in jahrelanger Krankheit in der Wirtschaft verabsäumt hatte. Zum mindesten wünschte sie dem Gatten ihre frischgewonnene Kraft zu zeigen, damit er sich daran erfreue.
Und dann begann sie ihre Erlebnisse in der Klinik zu erzählen.
Wilms Stirn verdüsterte sich immer mehr.
Seit Monden schon hatte ihn bei seinem Verkehr mit Hedwig nicht mehr die leiseste Andeutung daran erinnert, daß sein Heim einmal einem Lazarett geglichen, in dem nur über Ärzte, Krankheit und Medikamente verhandelt worden war. Jetzt, während Else umständlich ihre überstandenen Leiden beschrieb, erhob sich förmlich wieder jener laue Krankheits- und Verwesungsgeruch, der jahrelang seine Sinne niedergedrückt hatte.
Hilfesuchend sah er auf Hedwig, aber das Mädchen schien aufmerksam zuzuhören und auch seine Abneigung nicht zu teilen. Das verdarb ihm das erste Mittagsmahl vollständig. Nur zum Schein hielt er noch Messer und Gabel in der Hand, ja er dankte Gott, als seine Frau, die trotz ihres gerühmten Appetites von allem nur flüchtig genippt hatte, endlich die Tafel aufhob.
»Weißt du, Heting,« sagte sie zur Schwester und klopfte ihr beim Aufstehen mütterlich die Wange: »Du siehst blaß aus. Gewiß hast du dich in der letzten Zeit hier überanstrengt. Aber jetzt soll das alles anders werden. Ach, Wilms, wie glücklich bin ich darüber, daß ich jetzt selbst wieder alles in die Hand nehmen werde. Und paßt nur auf, wie rasch ich mich wieder hineinfinde. Dann will ich dich auch ordentlich pflegen, mein kleines Heting.«
Die Angeredete lächelte wehmütig, und wieder trafen sich ihre und des Landmanns Augen in einem langen, vielsagenden Blick.
Es war bereits das drittemal, daß sie so stumm und traurig miteinander sprachen.
Bedrückt und nicht fähig, sich länger zu beherrschen, riß sich endlich Wilms los. Er verabschiedete sich von seiner Frau, um aufs Feld zu gehen, die Saat weiter zu beaufsichtigen.
Aber das alte Spiel wiederholte sich, Else haschte rasch nach seiner Hand.
»Wilms, du willst mich jetzt schon allein lassen?« rief sie mit leisem Ton des Unmuts, »gleich den ersten Tag, wo ich hier bin?«
Dabei wurden ihre Wangen glühend rot, mit den Zähnen nagte sie an der Unterlippe. »Das wirst du doch nicht tun, nicht wahr?«
Hier schon war es ersichtlich, daß die Halbgenesene eine Aufregung oder gar einen Streit nicht würde ertragen können.
Der Landmann blieb stehen.
Das also war seine Zukunft? Sollte er wieder gefesselt werden, daß er der daherfahrenden Not abermals gebunden und widerstandslos überliefert war?
Die Angst um seine Existenz, die ihn schon einmal erfüllt hatte, und die erst seit kurzem gebannt war, von jenem stillen, schweigenden Mädchen dort, das lähmende Entsetzen wollte ihn von neuem erfassen. Aber nur einen Augenblick, dann richtete sich der große Mann entschlossen auf, bereit, endlich, endlich seine Manneswürde gegenüber der Krankheit zu behaupten.
Jedoch er sollte zu keinem unvorsichtigen Wort gelangen. Hedwig hatte in seinen Mienen die heftige Bewegung gelesen und rasch eilte sie, ihm zu helfen.
»Elsing,« erklärte sie mit ihrer freundlichen, aber doch so stolzen Bestimmtheit, als wenn ein Widerspruch von vornherein ausgeschlossen wäre, und legte ihr leicht die Hand auf den Arm: »Dein Mann hat für uns gar keine Zeit weiter, du mußt ihn schon gehen lassen. Es steht zu viel Geldverlust auf dem Spiel, wenn er in diesen Monaten aufgehalten wird.«
Die Kranke warf der Schwester einen überraschten Blick zu:
»So?« sprach sie dann, noch immer ein wenig spitz, »du scheinst hier ja schon viel in der Landwirtschaft gelernt zu haben, Hedwig?«
Allein ganz unvermittelt gab sie nach und winkte lächelnd mit der Hand, daß er sich entfernen solle.
»Geh nur, Wilms – geh. Ihr habt ja recht. Es ist ja wahr. Mir ist es nur, als ob ich mich jetzt gar nicht von euch trennen könnte – aber geh nur.«
Da ging Wilms schwerfällig und bedrückt hinaus. Und als er langsam über seine Felder schritt, auf denen geharkt und gesät wurde, da war ihm weh zumute, viel schlimmer als damals, als sein Weib auf dem Krankenlager gelegen. Wie sollte das enden?
Mitten in seiner schweren Arbeit tanzte ihm alles durcheinander. Hedwigs fragende Augen, ihr herrlicher Wuchs, ihre roten Lippen und daneben wieder das zarte, nervöse Bild der Heimgekehrten, das sich zärtlich an ihn schmiegte, um ihn zu küssen.
Er schauderte zusammen, rings lag heißer Sonnendunst auf der Erde, und doch war es ihm, als hätte eben etwas Kaltes seinen Mund berührt. Ein heftiger, körperlicher Widerwille beschlich ihn, als er sich an die Liebkosungen seines Weibes erinnerte.
»Nein – nein – Gott schütz' mich – bewahr mich davor. – Das darf ich ja nicht denken – Karl, Jochen,« rief er laut seinen Leuten zu.
Er wollte Menschen um sich haben, um die Gespenster mitten in der Sonnenglut zu scheuchen.
§§§
Inzwischen waren die beiden Schwestern allein.
Hedwig riet der Kranken, sie solle sich jetzt etwas niederlegen, allein Else wollte davon nichts wissen, obwohl ihre Bewegungen seit Wilms Fortgange sichtlich matter geworden waren.
»Nein, nein, Heting,« lehnte sie hastig ab, »glaub' mir, das hab' ich jetzt nicht mehr nötig. Wir wollen jetzt lieber die Wirtschaft ein bißchen durchmustern, vor allen Dingen meine Schränke. Darauf freue ich mich schon wochenlang. Hast du sie auch hübsch in Ordnung gehalten?«
Die andere bejahte leidend und schloß im Wohnzimmer einen Wäscheschrank auf, aber Else ging das alles zu langsam. In der Hast riß sie der Jüngeren das Schlüsselbund aus der Hand und lief damit von einem Schrank zum andern. Überall sah sie hinein. Dann hing sie sich die Schlüssel in den Gürtel.
»Ich möchte sie jetzt doch lieber wieder selbst behalten,« erklärte sie Hedwig mit vor Vergnügen gerötetem Gesicht. »Von jetzt an werde ich ja wieder alles allein beaufsichtigen.« Und sie küßte ihre Schwester stürmisch auf die Wange: »Nicht wahr, Heting, du freust dich doch darüber?«
Die Jüngere nickte ernst. Ein wehmütiges Lächeln spielte um ihre Lippen, als die klappernden Dinger wieder den Gürtel ihrer Schwester schmückten.
Jetzt war sie also abgesetzt, sie kam sich überflüssig vor. Mutlos blickte sie zu Boden. Dagegen gab es keinen Kampf. Der Aufenthalt im Zimmer wurde ihr drückend.
»Komm, Else,« nahm sie sich zusammen, »ich habe noch eine Überraschung für dich. Komm mit.«
Sie gedachte der Heimgekehrten den Platz zu zeigen, der früher mit wildem Gestrüpp bedeckt gewesen und sich nun unter Hedwigs Hand in einen blühenden Garten verwandelt hatte.
Sie schritten dorthin.
Und Elses Entzücken war zuerst ganz aufrichtig. Still und selig schlang sie den Arm um Hedwigs Schulter, und so saßen die beiden Schwestern in der blühenden Fliederlaube und träumten in den sinkenden, rosigen Tag hinaus.
Hedwig erinnerte sich an den vergangenen Abend. In ihrem Ohr klang der silberne Ton wieder, wie gestern, als sich ihr Glas mit dem des Landmanns berührt hatte.
So würde fortan Else mit ihrem Mann hier sitzen, dachte das Mädchen, sie aber würde gehen. Sie ließ die Hände in den Schoß sinken und sah über die Stachelbeerhecken fort auf die angrenzende weite grüne Wiese hin, auf der zahllose Schmetterlinge im letzten Abendsonnenschein herumgaukelten.
»Du bist so still?« fragte Else.
In demselben Augenblick kehrte Wilms zurück. Er freute sich darüber, die beiden Frauen an der liebgewordenen Stätte zu finden, und erzählte Else, wie oft sie hier schon gemütlich gespeist hätten. Zum Schluß bat er, daß auch heute an dieser Gewohnheit festgehalten werde.
Else sah erstaunt zu dem vor ihr Stehenden auf.
»Hier?« fragte sie verwundert. »Aber hier wird es doch bald zu kühl?«
»Bewahre, Elsing,« widerlegte Wilms, »wir haben ja gestern erst mit Hedwig hier gesessen, sogar bis spät in die Nacht hinein.«
»So?« entgegnete Else gedehnt. Eine leichte Wolke zog über ihre Stirn, die Falten um ihren Mund prägten sich etwas schärfer aus, es war nur eine ganz leise Andeutung von Verstimmung und ebenso schnell wieder entschwunden, wie sie entstanden war.
Noch war kein Argwohn in der Leidenden erwacht.
»Dann habt ihr euch ja in meiner Abwesenheit ganz gut unterhalten,« meinte sie achselzuckend.
Sie lächelte dabei, wie wenn sie das Ganze für einen Scherz hielte, und liebkoste die Hand ihrer Schwester. Gleich darauf aber verzog sie die Schultern.
Eben war die Sonne hinter rotglühenden Streifen verschwunden, ein laues Lüftchen strich über die Wiesen.
»Mir wird doch zu kalt,« sagte Else matt und erhob sich rasch, »und ich denke, wir wollen deshalb lieber im Zimmer essen. Dafür sind wir ja auch alle drei wieder zusammen.«
Sofort erhoben sich auch die andern. Der Wille der Kranken war mächtiger als ihre eigenen Neigungen. Sitte und Gewohnheit geboten immer dieselbe rücksichtsvolle Unterordnung.
Sorglich legte ihr Hedwig ein Tuch um die Schultern, Else nahm den Arm der Jüngeren, und nach all der selbst auferlegten Anstrengung dieses Tages wandelte sie matt und müde neben der jugendfrischen Führerin her.
Wilms folgte ihnen.
Finster sah er auf die beiden so verschiedenen Gestalten, aber er wagte keinen Vergleich mehr. Nur am Ausgang des Gartens wandte er sich noch einmal nach der blühenden Fliederlaube zurück. Ein schwerer Duft wehte herüber.
»Auch das vorbei,« murmelte Wilms. Verstört riß er sich los. Die Lebensfreude entfloh von ihm, wie ein vorbeipfeifender Vogel, und der düstere Geist der Verzweiflung beschattete ihn wieder mit seinen dunklen Fledermausflügeln.