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VII.

Wieder brannte die große Staatslampe in dem weiten Wohnzimmer des Pächters. Und es war wirklich schon gemütlicher geworden.

Ein eiskalter Regen hatte sich draußen eingestellt, und während man sonst in dieser Übergangszeit frierend und schauernd seine Zeit verbrachte, knisterte jetzt ein lustiges Feuer in dem mächtigen Kachelofen, und ließ von Zeit zu Zeit das wohltuende Geräusch der berstenden und knackenden Holzklötze vernehmen.

Hedwig, lachend über die Beschränktheit, welche mit der Heizung kalendermäßig erst beginnen will, wenn der erste Schnee fällt, hatte selbst dem alten Kachel-Patriarchen die erste reichliche Nahrung zugeführt, und jetzt saß die Kranke in einem gewaltigen Lehnstuhl mit Decken eingehüllt davor, wärmte sich, und wartete auf die Wiederkehr von Mann und Schwester, die gemeinsam zum Pastor des großen Dorfes gewandert waren, um den Geistlichen mit Familie zu einem Besuch in das Haus des Pächters abzuholen. Auch der Förster mit seiner Frau wollte herüberkommen. Hedwig hatte darauf bestanden, denn um jeden Preis gedachte sie, Menschen und Geselligkeit in dies verödete Heim zurückzuführen.

So saß die Leidende und hielt oft die Hand vor das zuckende Feuer, bis sie ihr Blut durch die Haut hindurchschimmern sah.

Eine wohlige Wärme durchströmte sie. Beinahe hätte sie sich behaglich gefühlt. – Wenn sie nur nicht so verlassen und einsam geblieben wäre.

Wozu mußten auch die beiden gemeinsam gehen? Hedwig allein hätte doch auch genügt. Aber Wilms hatte sie durchaus in dem Wetter nicht unbegleitet aufbrechen lassen wollen – »es schicke sich nicht,« hatte er geäußert, und nun waren sie schon über eine Stunde fort.

Die Uhr schlug.

Die Kranke wurde immer ungeduldiger. Mägde und Knechte kümmerten sich nicht um sie. Seit langer Zeit zum erstenmal wurde im Hause flott gearbeitet; der Pächter hatte mit Hedwigs Hilfe eine Molkerei eingerichtet. Heute war die dazu nötige Maschine aus Stralsund eingetroffen, welche ein Freund des Mädchens auf Kredit geliefert, und das Gesinde setzte sie gegenwärtig instand.

Else konnte deutlich das Lachen und Schwatzen der Leute vernehmen.

Nicht einmal eine Klingel war ihr zur Hand, mit der sie vielleicht hätte läuten können.

Ganz verlassen – ohne jede fremde Hilfe.

Sie begann sich zu ängstigen.

Wilms könnte doch wirklich längst zurück sein. Das war doch rücksichtslos von ihm und namentlich ihr, der Verzärtelten, etwas völlig Ungewohntes.

Leise begann sie zu stöhnen und rückte in dem Sessel hin und her – dann hielt sie wieder die Hand vor die Glut und lauschte.

Draußen prasselte gleichmäßig der Regen hernieder. Man hörte förmlich die Blasen platzen – – aber plötzlich, die Kranke horchte angestrengt, ein rascher, dumpfer Hufschlag tönte dazwischen, dann kam etwas auf den Hof gesprengt – – ein Pferd wieherte hell und anhaltend – ein kurzer Stimmwechsel – –

Und es wurde an die Tür geklopft. Rasch und energisch, und ehe die überraschte Frau sich noch besinnen konnte, trat ein junger Mann in Joppe und Reithosen in die Stube und machte ihr an der Schwelle eine kurze liebenswürdige Verbeugung.

Die Sporen klirrten dabei hell an den hohen Stiefeln, und von der Lodenjoppe troff das Wasser herunter.

»Pardon,« begann er und zog ein wenig befangen die Mütze – »ich weiß, es ist eine große Freiheit, daß ich hier gleich die ganze Landstraße mit hineinbringe. Nicht wahr? – Treffe ich Herrn Wilms wohl zu Hause?«

»Nein – nein – leider« – Else machte vergebliche Anstrengungen, sich zu erheben – »mein Mann und meine Schwester sind fort – aber wer – – mit wem habe ich denn –?«

Und wieder versuchte sie, sich auf den kraftlosen Füßen aufzurichten, wurde jedoch durch das höfliche und doch zwanglose Nähertreten des Reiters daran verhindert.

»Oh« – meinte er gutmütig, während er bedauernd den Kopf schüttelte – »ich hörte schon, Sie seien nicht wohl, liebe Frau, und nun tut es mir doppelt leid, daß ich Sie so erschrecken muß. – Aber dieses niederträchtige Wetter draußen – Sie sehen ja, ich bin durchnäßt, wie eine Morchel – und da dacht' ich, Herr Wilms würde mich wohl ein Stündchen bei sich aufnehmen. – Ich bin nämlich der Graf Brachwitz, der Sohn natürlich – Ihr Mann kennt mich ganz genau – vielleicht haben auch Sie schon von mir gehört – – ist's wirklich erlaubt? Sie sind zu liebenswürdig.«

Damit zog er sich den von Else angebotenen Stuhl ganz in die Nähe der Kranken, musterte sie halb teilnahmsvoll, halb verlegen und streckte dann die Hand befriedigt dem mächtigen Ofenfeuer entgegen.

»Prachtvoll,« äußerte er behaglich und zog den einen mächtigen Stulpenstiefel auf das Knie herauf, wobei er sich trotzdem leicht gegen die Hausfrau verneigte: »Habe ich wirklich Ihre gütige Erlaubnis, auf Herrn Wilms zu warten, bis er wieder kommt, oder der Regen aufhört? – Oder falle ich Ihnen lästig?«

»O – bewahre,« hüstelte die Kranke.

Und sie sprach die Wahrheit. Der vornehme Besuch, der sie, ohne daß sie es recht empfand, so höflich und dabei doch etwas von oben herab behandelte, schmeichelte und imponierte ihr auf das äußerste. Noch nie hatte die Grafenfamilie in der Umgegend jemals Besuche abgestattet, und jetzt saß wie durch ein Wunder der junge, jugendschöne Aristokrat vor ihr und bemühte sich, ihr allerlei Artigkeiten zu sagen.

Er hörte Elses Krankengeschichte geduldig an und lächelte nur ein wenig suffisant, als Else ihm mitteilte, daß sie als Mädchen stets gesund gewesen, und ihr Leiden erst in der Ehe begonnen habe.

»So? – hm« – der junge Graf streichelte sich den Bart und nickte weise: »Ja, ja, verehrte Frau, das Heiraten. – Ich bin auch prinzipiell dagegen. Wenn es nur ein anderes Mittel gäbe, zu einem Majoratsherrn zu gelangen, dächte ich gar nicht daran. Ich habe überhaupt etwas Solides in meiner Natur. Nicht wahr, das sieht man mir an? – hm« – – – er schlug mit seiner Reitpeitsche, die er noch in der Hand hielt, lässig gegen ein Stuhlbein und begann sich ein wenig ungeduldig im Zimmer umzusehen. Augenscheinlich fing ihm das Tête-à-tête mit der Kranken an langweilig zu werden.

»Würden der Herr Graf vielleicht irgendeine Erfrischung zu sich nehmen wollen?«

»Nein – nein – bewahre – lassen Sie sich nur nicht stören – wir plaudern ja hier ganz vorzüglich. Hm – ein recht gemütliches Zimmer – ein bißchen groß – – ja – sitzen Sie oft so allein? Mir ist es doch, als wenn ich neulich eine Verwandte von Ihnen am Bahnhof getroffen hätte. Oder schon wieder abgefahren?«

»Wirklich, der Herr Graf haben das bemerkt? Nein, meine Schwester Hedwig ist noch hier und wird überhaupt lange Zeit bei uns bleiben.«

»So? Na da mache ich Ihnen mein Kompliment, eine außergewöhnlich hübsche junge Dame – also, Ihre Schwester? – Na ja, die Ähnlichkeit ist unverkennbar« – hier verbeugte sich der Reiter wieder mit jener verbindlichen Art, die ihn unbewußt so prächtig kleidete. – »Ein Fräulein Schröder, das sich jetzt längere Zeit in Stralsund aufhielt – nicht wahr?«

»Das wissen Sie ebenfalls?« flüsterte die Kranke, sichtlich geschmeichelt.

Es fiel ihr nicht auf, daß der Aristokrat seinen Kopf vom Feuer zurückwandte, in das er bisher eifrig hineingestarrt, um seine scharfen blitzenden Augen minutenlang forschend auf ihr eingefallenes, blasses Antlitz zu richten, als ob er in ihr etwas Verborgenes, Geheimnisvolles suchen wolle. – Dann aber schien er befriedigt zu sein. »Ja, ja« – fuhr er gleichgültig fort: »Wir kennen uns – oberflächlich natürlich nur, denn solch zartes Pensionsfräulein wird mit einem Offizier nicht gerne zusammengebracht – das können Sie sich doch denken.«

»Ach – der Herr Graf scherzen nur –«

»Durchaus nicht – man erzählt die schauderhaftesten Geschichten von mir – – na hier wird es ja auch bald losgehen und – –«

Er unterbrach sich, stand auf und lauschte: »Hören Sie? – Dort draußen fährt ein Wagen über die Chaussee – zwei feste Traber übrigens, jetzt lenken sie über die Brücke – das dürften wohl Ihr Mann und Fräulein Schwester sein.«

»Ja wahrscheinlich, und sie bringen Pastors gleich mit.«

»So? Das kleine Pastorenfräulein hat sich gut entwickelt, seit ich es nicht mehr gesehen habe. Sehr nett. Ein bißchen blaß, englisch Teegesicht, aber man muß auch damit vorlieb nehmen.«

Else rückte in ihrem Stuhl hin und her. Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihr, daß ihr Gast einen Ton gegen sie anschlug, der sich nicht paßte.

»Und die Försterfamilie kommt heute ebenfalls,« brachte sie rasch hervor, während ihre glänzenden Augen sich ungeduldig auf die Tür richteten, durch die die Erwarteten im nächsten Augenblick eintreten mußten. »Ich erhalte heute zum erstenmal Besuch, Herr Graf – seit – seit langer Zeit.«

»Ach das freut mich in Ihrem Interesse wirklich ganz außerordentlich,« meinte der Reiter und schritt langsam ans Fenster, ohne auf den langen Seufzer der Kranken die geringste Rücksicht zu nehmen. »Also der Herr Förster ebenfalls mit Gemahlin,« murmelte er dabei vor sich hin, und bei sich dachte er noch: »Merkwürdig, wie mir das Herz schlägt. – Ich habe doch Angst, diesem Mädchen wieder entgegenzutreten.«

§§§

Die erste Begrüßung war vorüber. Die beiden Damen der Pastorenfamilie waren bereits auf das mächtige, schwarze Ledersofa plaziert hinter dem gewaltigen, runden Tisch und warfen von dort aus erstaunte Blicke auf den Grafen Brachwitz; der Geistliche selbst, ein kleines gebücktes, weißhaariges Männchen, das durchaus nicht zu seiner hageren, übergroßen Ehehälfte zu passen schien, sprach über Elses Stuhl gebeugt der Kranken jene Trostesworte zu, die er bei seinen häufigen Besuchen mit denselben Worten fast mechanisch wiederholte. Aber auch er zwinkerte unter seinen Brillengläsern verdutzt zu dem Reiter hinüber, als könne er sich dessen Anwesenheit nicht erklären, und Wilms stand bei seinem vornehmen Gast in der Fensternische, schüttelte ihm befangen die Hand und verwickelte ihn in allerlei landwirtschaftliche Fragen, ohne sich innerlich jedoch von der ängstlichen Vorstellung lösen zu können, was dieser Besuch wohl bedeute.

So vergingen die ersten Minuten des Beisammenseins. Bis die Kranke endlich fragte: »Wo bleibt denn Hedwig?« Alle hatten das Mädchen mit hereintreten sehen, aber dann mußte sie sich gleich wieder entfernt haben.

»Vielleicht ordnet sie noch in der Küche etwas an,« entschuldigte Wilms. Aber wieder mußte er auf den jungen Brachwitz sehen, der unruhig neben ihm verharrte.

»So? In der Küche?« warf dieser hin. »Dann erscheint wohl bald die Aufwartung. Vermutlich ein tüchtiges Glas Glühwein bei der Nässe draußen und der famose Landschinken, den Sie hier besitzen – na ängstigen Sie sich nicht, Herr Wilms, ich drücke mich sofort, den ungebetenen Gast werden Sie los.«

»Aber Sie werden uns doch die Ehre schenken und erst eine Kleinigkeit zu sich nehmen, Herr Graf,« drängte die Kranke mit schwacher Stimme von ihrem Stuhl aus.

»Sie wollen mich also wirklich mit durchfüttern, verehrte Frau? – Abgemacht – dann bleibe ich. – Na, lieber Pastor, besinnen Sie sich noch, wie Sie mich konfirmiert haben? Seitdem haben wir uns selten gesehen. Fräulein Paula ist inzwischen eine Dame geworden. – Guten Abend, mein liebes Fräulein – alle Wetter, ich wage gar nicht mehr 'Du' zu sagen. Oder darf ich es doch noch?«

So sagte der Edelmann jedem etwas Angenehmes, lachte und plauderte und hatte sich überraschend schnell die Neigung der Anwesenden gewonnen.

Endlich erschien auch die Försterfamilie. Der Förster, eine herkulische Gestalt mit langem, fuchsrotem Bart, dröhnender Stimme, großer Gutmütigkeit und voller Kriegserinnerungen. Ein behäbiger Vierziger. Die Försterin, eine schlanke, üppige Erscheinung mit tiefblauen, gefährlichen Augen, einem wunderbar weißen, frischen Teint, und beständiger Neigung zur Fröhlichkeit. Ein schönes Weib, das in naiver Koketterie gefallen wollte.

Man stellte die Stühle um den Tisch. Zwei Mägde deckten frisches Linnen darüber, Wilms schob den Lehnstuhl der Kranken heran und brachte auch einen Sitz für Hedwig herbei.

Wo sie nur bleiben mochte?

»Ist denn das Fräulein noch in der Küche?« fragte er zum Schluß eine der Mägde.

»Nein, Herr, das Fräulein is oben in ihr Zimmer.«

»Wilms, dann hole sie doch bitte herunter,« forderte ihn Else erregt auf und fingerte krampfhaft auf der Tischplatte herum. »Warum hält sie uns so lange auf? Ich versteh' das gar nicht – der Herr Graf kennt sie doch auch.«

»Gewiß,« unterbrach der junge Brachwitz seine Unterhaltung mit der Försterin, »und ich würde mich aufrichtig freuen, unsre flüchtige Bekanntschaft wieder anzuknüpfen.«

»So geh doch,« drängte die Kranke erregt.

Da ging der Landmann zögernd hinaus und stieg wieder die schmale Treppe hinan, die unter das Dach führte. Neben der Kammer, die er selbst seit der Krankheit seiner Frau bewohnte, lag das Zimmerchen, das man Hedwig eingeräumt hatte. Unsicher tastete er sich in dem dunklen Gang zurecht. Ihre Tür stand offen.

Es war so seltsam still dort drinnen.

Sollte sie auch hier nicht zu finden sein?

Es wurde ihm so beklommen, eine peinigende Furcht bedrückte den großen Mann, das Mädchen könnte sich heimlich entfernt haben.

Er sagte sich zwar gleich, daß er sie nicht vermissen würde, aber es lag hier etwas Verstecktes, Geheimnisvolles in der Luft, das ihm den Atem benahm.

Fürchtete er wirklich so sehr ihre Flucht?

Sein Herz klopfte, zögernd trat er näher.

In dem kleinen, kahlen Raum verbreitete ein Lichtstümpfchen einige Helle. Dunkle Schatten kämpften gegen die schwachen Lichtwellen. Das Fenster stand offen. In dem Luftzug zuckte das kleine Flämmchen auf und ab. Ein Bett war zu sehen, ein eleganter Lederkoffer, ein Waschtisch, ein Schrank, zwei Rohrstühle, sonst nichts. Vor dem Fenster aber ragte die Gestalt der Bewohnerin auf.

Sie mußte sich eben gewaschen, oder Haupt und Brust im Wasser gekühlt haben, denn sie umklammerte noch mit entblößten Armen das Fensterkreuz und lehnte regungslos in den kalten Regen hinaus, den man dumpf und eintönig auf den Blechbeschlag spritzen hörte.

Arm und Nacken weiß und rosig, als wäre ein verwunschenes, wunderschönes Marmorbild lebendig geworden. Deutlich sah der Pächter, daß die feine Haut vor Frost schauderte, und doch gab sie sich unbeweglich der Kälte preis, als wäre ein Übermaß von Glut und Lebenstrotz in ihr.

Wilms wollte zurücktreten, allein er fand sich wie festgewurzelt. O, wie unrein erschien ihm das Bild, unpassend, widerwärtig, und doch konnte er der eigenen Erstarrung kein Ende bereiten, immer mußte er hinblicken, während Haß, Abneigung, Bewunderung, und ein fernes, verabscheutes Verlangen in seinem ehrlichen Gemüt durcheinander irrten.

Ja, ähnlich hatte Else ausgesehen – damals in den Stunden des Glücks – aber doch entfernt nicht so sicher, so stolz, so seltsam in ihrer Schönheit.

Seine Lippen bebten.

Der Frost begann ihn ebenso zu schütteln, wie das schöne Geschöpf dort drinnen.

Da schlug der Wind die Tür zu. Krachend fuhr sie ins Schloß. Das ganze Haus hallte. Und Wilms taumelte auf und raffte sich empor.

»Wie Else über den Knall zusammengefahren sein wird – das arme Weib,« – war sein erster, unwilliger Gedanke, – dann wartete er noch ein paar Minuten, klopfte schließlich laut an die Tür und überschritt auf ein verwundertes »Herein« die Schwelle. Hedwig nestelte noch an ihrer schwarzen Taille und machte eben die letzten Knöpfe zu. – Langsam wandte sie ihm den Rücken und fragte rasch über ihre Schulter fort.

»Warum kommst du hier herauf? Geht es Else etwa wieder schlechter?«

»Nein, Gottlob nicht, ich soll dich hinunterholen.«

»Mich? – Ja, ich wollte mich erst ein wenig säubern nach dem schmutzigen Weg von vorhin. Du siehst ja. – Sind denn unsere Gäste schon alle versammelt?«

»Ja, es sind alle da. Auch der Förster. Er will mir das Heu abkaufen, Gott sei Dank. Du hast also bei der Frau deinen Willen durchgesetzt, ich danke dir dafür, mein Kind. Und – und Herr von Brachwitz befindet sich ebenfalls unten. Du hast ihn wohl schon vorhin bemerkt?«

»Ja, ich sah ihn.«

»Sag' einmal – Hedwig – gehört denn der Herr zu deinen Freunden?«

»Nein.«

»Also bloß solch eine flüchtige Bekanntschaft?«

»Ja – nein – das heißt, ich kenne ihn näher.«

»Sieh – ich will mich nicht 'rein mischen – es geht mich ja nichts an – aber – er hat dir wohl drüben den Hof gemacht? Nicht?«

»Auch das.«

Das Mädchen wandte sich jetzt langsam, so daß der Pächter voll in ihr eigentümlich blasses Antlitz blicken konnte, und maß ihn forschend mit ihren braunen, spähenden Augen. »Aber weshalb fragst du?« fuhr sie langsam fort, »besucht er euch denn sonst nicht?«

»Nein – nie.«

»Nie?«

Über die Gestalt der Fragenden lief ein Zittern, die dunklen Augen in dem blassen Gesicht brannten in unterdrückter, schmerzlicher Glut.

Schweigend trat sie vor einen schmalen Hängespiegel, zog ihre straff sitzende Taille zurecht und strich über ihr bräunliches, glänzendes Haar.

Wilms, der ebenfalls seinen Blick auf das Glas wenden mußte, sah, wie die vollen blühenden Lippen des jungen Weibes zuckten, wie ihre weißen Zähne sich hineingruben, und sich über das ganze Antlitz wieder jener lächelnde, trotzige, wildbegehrliche Zug verbreitete, den der Pächter in seiner verständnislosen Befangenheit nicht begriff, über den er nachgrübelte, und der ihn anwiderte.

»Hedwig« – – murmelte er unwillkürlich.

»Ja, Schwager,« antwortete sie leise.

Er schritt zur Tür und wandte sich verlegen hin und her.

»Ich glaube,« stieß er heiser hervor, »er kommt deinetwegen.«

Die Sprache versagte dem kräftigen Manne.

Ohne daß er es wußte, packte ihn grenzenlose, tiefe Scham, daß er sich in die Herzensangelegenheiten dieses Mädchen drängen wollte, und doch – eine zehrende Neugier nagte in seiner Brust weiter, wie weit die Beziehungen der beiden wohl gediehen seien, ob überhaupt von einem innigen Gefühl gesprochen werden könnte – oder ob – das Blut stieg ihm dabei in die Stirn – ob sich etwas Unreines, Gemeines hineinmische.

»Nicht wahr,« wiederholte er, »er kommt wohl deinetwegen?«

»Meinetwegen?« sprach sie gedankenverloren nach.

Ein Windstoß fegte plötzlich zum Fenster hinein. Klirrend warf er die Scheiben gegeneinander und blies das Lichtstümpfchen auf dem Tisch aus, so daß völlige Dunkelheit entstand.

Der Pächter hörte, wie Hedwig tief aufatmete. Dann trat sie zu ihm auf die Schwelle und sagte, während sie beide aus dem finsteren Raum hinausschritten, mit ihrer gewöhnlichen Bestimmtheit:

»Lassen wir doch den Grafen. – Er ist eine häßliche Erinnerung für mich, die ich gern abschütteln möchte. – Übrigens« – lachte sie leicht – »brauchst du dir dabei gar nichts Besonderes zu denken, Schwager – eine ganz alltägliche Dummheit. – –«

Sie unterbrach sich und klagte über die dicke Finsternis, die Gang und Treppe einhülle. Mühsam tasteten sie sich zurecht. Beide dicht beieinander. Ihr Kleid streifte seinen Fuß und es war ihm, als wenn eine wohltuende Wärme von ihr ausströme.

Da stieß sie einen leichten Schrei aus.

Auf dem obersten Absatz der Treppe hatte sie fehlgetreten und griff nach dem Arm des Mannes, was er erschrocken duldete. So stiegen sie hinab. Langsam, als ob sie tiefen Gedanken nachhingen.

Erst als das Öllämpchen des Flures ihre Gesichter matt erhellte, kehrte sie sich ihrem Schwager voll zu und meinte mit der alten unbeirrten Ruhe und ihrer klaren Stimme: »Es trifft sich aber doch gut, daß Herr von Brachwitz dich einmal besucht. Nach allem, was du mir gesagt hast, wird es doch notwendig sein, mit ihm über eine Herabsetzung der Pacht ernsthaft Rücksprache zu nehmen.«

Das schlug Wilms wie eine schwere Keule gegen die Stirn. – »Ja, ja,« stotterte er und neigte schwerfällig den Kopf. – Seine Schuldenlast, die ganze Zerfahrenheit seiner Besitzung, die kranke Frau dort drinnen, Mißernte und die hohe Pacht – alles zusammen stürzte plötzlich wieder auf ihn ein und legte sich eisern, klammerfest um sein banges Herz.

Not, Sorge, Krankheit standen wieder auf dem ziegelsteingepflasterten Flur, bereit, den Herabsteigenden zu empfangen. Dort oben in Hedwigs Kammer hatte er gar nicht an diese seine grauen Gäste gedacht.

Leise stöhnend, ließ er das Mädchen an sich vorüberschreiten und folgte ihr dann schweren Trittes.

Als sie das Wohnzimmer öffnete, hatten sich seine müden, schleppenden Gedanken wieder so völlig verschoben, daß er im Rücken Hedwigs mit mattem Erstaunen darüber nachdachte, wie scharf das schwarze Sammetband, das sie um den Hals gelegt hatte, von der weißen Haut seiner Schwägerin abstach.

»Wie sich die beiden wohl begrüßen werden?« grübelte er noch, dann strömte ihnen die Helle des erleuchteten Zimmers entgegen.


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