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II.

Dicht vor ihm stand Hedwig in ihrem einfachen, schwarzen Kleid und streckte ihm mit froher Herzlichkeit die Hand entgegen. Ein anmutiges Lächeln umspielte dabei ihr blühendes Antlitz. »Na, Schwager,« neckte sie leicht, »der neue Gast gefällt dir wohl nicht?«

In dem Ofen brannte ein flackerndes Feuer, in der hellen, durchwärmten Stube weilte ein liebes, reizendes Geschöpf, bereit, den großen Mann von seinem schweren Pelze zu befreien; es war alles so, wie er es sich gedacht hatte.

Aber den ungeschickten Mann würgte es zuerst, als ob von unsichtbarer Hand seine Kehle zusammengepreßt würde. – Halb religiöse Vorstellungen durchflogen ihn, wie er sie als Knabe gehegt, oder von Else angenommen hatte.

Sie war da.

Die Versuchung war wieder da.

All die Angst, die er ihretwegen in der langen Zeit erduldet, stürzte in seine Erinnerung und wandelte seinen Gegengruß, als er sich endlich aufraffte, zu einem unverständlichen Murmeln.

»Hedwig – – willkommen – du –«

Dann bemerkte er, daß sie ihm noch immer die Hand entgegenhielt, und preßte sie unbeholfen zwischen seinen Fingern.

»O –« sie verzog schmerzhaft den Mund.

Von seinem Pelz troff das Eiswasser auf ihr Kleid.

Er entschuldigte sich und wurde verlegen, als sie ihm beim Ausziehen behilflich war.

Der Tisch war weiß gedeckt, ein heißer Grog dampfte schon, alles war für ein schmackhaftes Abendbrot zubereitet. Sogar die beiden Servietten waren in anmutige Falten gelegt. Man konnte merken, daß diesmal eine Frau von guter Erziehung den Tisch besorgt hatte.

Verblüfft musterte Wilms diese Anstalten.

Es kam ihm alles so überraschend, er konnte sich so gar nicht in den neuen Zustand finden. Ungelenk nötigte er endlich den Gast auf das Sofa und setzte sich dem Mädchen auf einem Stuhl gegenüber.

Lächelnd über seine Verlegenheit wollte ihm Hedwig einige Speisen vorlegen, jedoch er hielt plötzlich ihre schon erhobene Hand fest und begann ungestüm zu fragen:

»Noch nicht – noch nicht – vor allen Dingen, wie geht es meiner Frau?«

Das Mädchen nickte ermunternd: »Gut – überhaupt überraschend – so gut, daß sie schon in acht Tagen hier eintreffen wird.«

»Was? Gott sei Dank,« murmelte Wilms. »Kann sie denn schon gehen?«

»Ja, zwar noch auf einen Stock gestützt, aber es wird mit jedem Tag besser.«

»Und du, Hedwig?« stockte er und sah sie wieder so verständnislos an, daß sie in ein fröhliches Gelächter ausbrach.

»Du willst fragen, was ich nun eigentlich hier bei dir will?« begann sie endlich.

»Ja, – das heißt – –«

»Kannst du dir's wirklich nicht denken? Was seid ihr Männer doch schwerfällig. – Vorausgeschickt bin ich – aufräumen soll ich, das Unterste zu oberst kehren, damit Else alles fein sauber vorfindet. Nicht wahr, Schwager, das gefällt dir nicht?«

»Mir? Warum?«

»Weil du ein so grämliches Gesicht dazu machst.«

»Bewahre, Hedwig – du weißt doch, daß du uns immer willkommen bist.«

»Wirklich?«

Er schlug die Augen nieder und begann zu essen.

Sie dagegen nippte nur von allem und erzählte ihm unaufhörlich von Else und beschrieb alle Einzelheiten ihres Aufenthalts. Die halb polnische Stadt, die Anstalt, den Arzt, die andern Kranken, alle Einrichtungen, die Bäder, und das Ganze so nüchtern und verständlich, daß Wilms längst Messer und Gabel hingelegt hatte, um ihr mit lebhafter Spannung zu lauschen.

Von Zeit zu Zeit goß sie ihm den angenehm erwärmenden Trank ein und lächelte liebenswürdig, wenn er ihr zaghaft zutrank.

Plötzlich trat dennoch eine Beklemmung zwischen beiden ein. Hedwig hatte aufgehört zu erzählen und lehnte sich in die Sofaecke zurück, da die Reise sie wahrscheinlich ermüdet hatte. Auch Wilms hielt eine Scheu davon ab, jetzt irgend etwas Gleichgültiges vorzubringen.

Er blickte mehrfach rasch zu ihr hinüber, beobachtete dann das verglimmende Ofenfeuer, faltete umständlich die Serviette, und sah von neuem unruhig auf das junge Mädchen hin.

Sie träumte an ihm vorbei, den Kopf in die Hand gestützt, schien sie an etwas Fernes zu denken.

Der Pächter wurde unruhig.

»Hedwig,« räusperte er sich halblaut.

»Ja, Schwager.«

Sofort richtete sich das Mädchen auf und drückte flüchtig beide Hände gegen die Schläfen, als wollte sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Fragenden lenken.

»Warst du noch gar nicht in der Stadt bei deinem Vater?«

»Nein, ich bin direkt hierher gefahren.«

»Sofort hierher?« wiederholte Wilms. Eine peinliche Verstimmung stieg in ihm auf. Was konnte sie nur in dem menschenverlassenen, verschneiten Gehöft suchen? Hastig gedachte er weiter zu fragen, wie jedoch sein Blick ihre ruhigen, braunen Augen traf, verstummte er wieder und kratzte verlegen auf dem Tisch hin und her.

Eine Zeitlang blieb es still.

Aber gerade dieses ruhige Beisammensein konnte Wilms nicht ertragen. Etwas quälte und marterte ihn dabei grenzenlos.

»Hedwig,« fing er mit Überwindung plötzlich an und zum erstenmal wendete er ihr ganz sein ehrliches Gesicht zu. »Es muß mal zwischen uns zur Sprache kommen. Es liegt mir schon zu lange auf dem Herzen. – Weshalb bist du eigentlich – ich – mein Kind – ich meine, warum bist du eigentlich so gut zu uns?«

»Gut?«

»Sieh, Heting, erst hast du mir eine Summe deines Erbteils geborgt, und ich hab mir damit helfen können. Das hätt' mir schon kein anderer getan, – nein, laß – ich muß es mal sagen, auch meine Frau hast du gepflegt, um die es nur wenige aushalten konnten. Und nu – nu kommst du wieder hierher zurück, in diese Einsamkeit, und willst uns wieder helfen und unterstützen und aufrichten, und das alles soll ich mir gefallen lassen, ohne eigentlich zu wissen, warum du das alles tust; ich kann's mir ja gar nicht erklären, du paßt ja zu so was gar nicht, du bist ja wie eine vornehme, junge Dame, warum bestehst du also darauf?«

Das letzte rief der große Mann in einem heftigen, beinahe unglücklichen Ton.

Statt einer Antwort erhob sich Hedwig. Ihre Wangen erblaßten etwas, aber sonst strömte ihr Wesen unveränderlich jene ernste Ruhe aus, die ihr eigentümlich war. Langsam schritt sie zum Ofen, wärmte sich die Hände, durchmaß dann mit gesenktem Haupt mehrmals das Zimmer, als ob sie nachdenke, und blieb endlich an dem Tisch stehen, wo sie ihre Finger auf die Glocke der Lampe legte, daß Wilms das Blut hindurchrinnen sah.

Ihre schlanke Gestalt stand dicht neben seinem Stuhl, er konnte das Webemuster ihres Kleides erkennen.

Unwillkürlich wandte er den Kopf fort.

»Siehst du, Schwager,« hob sie nach schwerer Pause klar und bedacht an zu sprechen, immer den Blick auf ihre durchleuchteten Finger gerichtet: »Ich habe auch schon darüber nachgesonnen, warum ich so gern hierher zurückkam in eure Einsamkeit.«

»Gern?« unterbrach sie der Pächter erstaunt.

»Ja, ich kam gern,« fuhr sie hastiger fort, »gerade weil es hier so still ist. – Mir ist diese Stille Bedürfnis. – Ich verabscheute schon als Kind alles Unruhige und Geräuschvolle. Aber das ist nicht der Hauptgrund,« setzte sie sinnend hinzu: »ich kam wohl zumeist deinetwegen, Schwager.«

»Meinetwegen?« schreckte Wilms auf. Aber es war alles so leidenschaftslos, so überlegt und ohne eine Spur von Zärtlichkeit hingesprochen, daß der Pächter fühlte, er müßte ihre Worte falsch aufgefaßt haben.

Jedoch das Blut war ihm bis in die Augen geschossen, er scharrte ungeduldig mit den Füßen und blickte erregt zu ihr auf.

»Ja, Hedwig, wie meinst du denn das?« murmelte er.

Sie zog langsam die Hände von dem Glase zurück und ließ sich wieder auf das Sofa nieder.

»Ich sagte mir, du bist durch unsere Familie unglücklich geworden, Wilms.«

»Das bin ich nicht.«

»Das bist du doch, Schwager. Bist du nicht, wie jeder andere Mann, eine Ehe eingegangen, um eine Häuslichkeit zu besitzen? – Nun, und hast du sie gefunden? – Nein, das ging dir alles durch die lange Krankheit verloren – und auch jetzt, Schwager, – ich muß es dir sagen, mit vielem Schmerz, glaub' mir das – auch jetzt wird dir meine arme Schwester dieses Glück nicht schaffen können.«

»Nicht schaffen können?« echote Wilms entsetzt. Eiseskälte durchströmte ihn, wie vorhin, als er auf dem Schlitten saß.

Im Moment haßte er das Mädchen, welches ihm das alles so schonungslos enthüllte.

»Und warum nicht, Hedwig?« flüsterte er.

»Weil mir der Arzt bei meiner Abreise vertraute,« schloß Hedwig leise, als wenn sie ihn nicht noch mehr erregen wollte, »daß Else nach wie vor aufs äußerste geschont werden muß, und daß sie nie wieder als eine Gesunde, sondern stets nur wie eine Kranke behandelt werden darf – du armer Mann.«

Ein leises Stöhnen unterbrach sie.

»Sieh,« beendete sie hastig, indem sie auffallend die Farbe wechselte, »und da stand es bei mir fest, daß ich hier vielleicht den Wirkungskreis aufnehmen könnte, den meine Schwester nicht ausfüllen wird, damit du wenigstens nicht allzuviel entbehrst, der du schon so viel gelitten.«

»Und da wolltest du – –?« stammelte er.

Er begriff es nicht.

»Ja, ich sehne mich nach einer ruhigen, gleichmäßigen Beschäftigung.«

»Aber – aber willst du denn nicht heiraten?« fuhr es ihm heraus. Er schämte sich, als er es sagte.

Sie schlug die Augen nieder und zuckte die Achseln: »Schwerlich,« erwiderte sie gleichgültig. »Ich habe als Tochter eines kleinen Beamten den törichten Wunsch nach besserer Erziehung gehegt, aber –« – sie zögerte und wurde zum erstenmal unruhig – »das ist mir wohl nicht zum Heile ausgeschlagen. Und deshalb wird auch kaum jemand kommen, dem ich gefalle, und der zu mir paßt.«

»O Hedwig, doch – doch –« widersprach Wilms gedankenlos, – »du bist ja schön und klug, das wird sich schon finden.« Aber während er es sprach, mußte er plötzlich widerwillig daran denken, daß diese vollen, roten Lippen schon stürmisch und sündhaft geküßt worden seien.

Das verdarb ihm den Abend vollends.

Auch Hedwig schwieg. Sie ruhte wie erschöpft in ihrer Sofaecke. – Nur als er äußerte, daß sie schön und klug sei, traf ihn ein kurzer, erstaunter Blick. Dann schlug sie wieder müde die Augen nieder.

So saßen sie noch eine Stunde zusammen und sprachen über alles, was in der Umgegend in der Zwischenzeit geschehen sei. Eingehend erkundigte sich Hedwig nach den Wirtschaftsverhältnissen.

Er gab über alles genau Auskunft.

Dann schlug die Uhr in dem Kasten zehn, und Hedwig erhob sich.

Wilms empfand, daß er gehen müsse.

Er stand sofort auf.

»Noch eins,« sagte er, »hier hast du die Schlüssel.«

Er nahm aus einem Körbchen, das auf dem Nähtisch am Fenster stand, ein Schlüsselbund und händigte es seiner Schwägerin ein.

Achtlos empfing das Mädchen die klirrenden Dinger und hing sie sich in den Gürtel, aber Wilms beschlich ein schmerzliches Gefühl dabei, daß Elsens Befugnisse damit gleichermaßen auf ihre Schwester übergingen. Sie erschien ihm auch nicht mehr so schön, wie früher.

Dann reichten sie sich die Hände und wünschten sich »Gute Nacht«.

»Schläfst du hier?« fragte Wilms.

»Ja, in Elses Bett.«

»Nun, gute Nacht.«

»Gute Nacht, Schwager.«

§§§

Wilms betrat seine Dachkammer. Auf dem Tisch brannte ein Licht, darunter lag ein großes Kuvert, das Elses Aufschrift trug.

Hastig zerriß Wilms den Umschlag. Drinnen fand er ein Bild und einen Zettel mit den wenigen Worten:

»Lieber, guter, einziger Mann!

Wie gern möchte ich das Fest mit Dir feiern, denn mir ist so sehr bange nach Dir, aber bald, bald, wenn es Gott so fügt, bin ich wieder bei Dir.

Mit tausend innigen Küssen
Deine arme Else.«

Wilms griff nach dem Bilde.

Auf einem Polsterstuhl saß die Kranke, das schmale Gesicht mit den großen Augen ein wenig vornüber geneigt. Neben ihr Hedwig, schlank aufgerichtet, der vollendete Wuchs zum Greifen deutlich, als wenn Gesundheit und Verfall gegen einander kontrastieren sollten.

Der Pächter schauerte, als er es sah.

Auf dem Antlitz des Mädchens ruhte ein so sicherer, triumphierender Schein.

Freut sie sich, daß sie leben wird, und die Schwester dem Tode zuwankt? dachte Wilms erschüttert.

In der Kammer war nicht geheizt. Ein Frösteln durchlief den Einsamen vom Kopf bis zu den Füßen. Mit Abscheu, als ob die Photographie Hedwig allein darstelle, warf er das Bild von sich auf den Tisch und suchte müde und zerbrochen sein Lager auf.

Bald erlosch das Licht.


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