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Der heilige Traum

Durch meine Träume, Mutter, gehst du sacht
so Nacht um Nacht ...
Ums liebe Haupt webt dir ein Lichtglanz her;
allnächtlich wird des frommen Leuchtens mehr.
Erst war's im schwarzen Haar ein Silberreif,
nun liegt's auf deinem Haupt wie weißer Reif.
Die Silberkrone, die dich rührend schmückt,
hat dir dein Kind im Tod ins Haar gedrückt.
In ihrem heil'gen Glanze schreitest du
durch dunkle Träume, Mutter, auf mich zu ...

Als Schildwach steh' vorm Feind ich Nacht um Nacht,
mein Herz hält still vor deinem Herzen Wacht.
Und werf' ich mich aufs Stroh zu kurzer Ruh,
treibt meine Seele ihrer Heimat zu.
Durch meine Träume, Mutter, rauscht dein Kleid,
durch meine Seele rauscht und rauscht dein Leid ...

Und Nacht um Nacht führt mich der gleiche Traum:
Du gehst durch deines Zimmers frommen Raum
still, Schritt um Schritt ...
Der Glanz der weißen Krone wandert mit.
Zum Erker gehst du, wo im Dämmerschein
du einst uns spannst in deine Märchen ein –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Acht Knabenaugen leuchten heiß und groß,
acht warme Händchen spielen dir im Schoß ...
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Du senkst das liebe Haupt. Vorbei, vorbei.
Acht Hände ...
Fern in Frankreich ruhen zwei
und halten tief im Schlaf in Feindesland
des Kaisers heil'gen Degen fest umspannt.

Dort auf dem braunen Schreibtisch steht, gehüllt
in deutsche Farben, deines Jüngsten Bild,
des sonn'gen Jungen, der im Kampfgewühl,
umrauscht von seines Kaisers Fahne, fiel.
Leis bebt das liebe Bild in deiner Hand ...

Dein dunkles Auge wandert still zur Wand.
Du schaust, indes dir Herz und Auge quillt,
mit rückgebog'nem Haupt des Kaisers Bild.

Ernst thront das Bild in dunkler Majestät,
die kühl von tausend Heldengräbern weht ...
Dein Herz erbebt. Des Todes Schatten fällt
fremd über dich und deine kleine Welt.
Demütig, leise senkst du deinen Blick,
dein Auge schweift, als suche es das Glück,
das einst in diesem Raum als Glöcklein schwang,
als Silberbrünnlein sang und sprang und klang ...

Der alte Schrank im Winkel knistert leis,
als raschle Rauschegold und Tannenreis.
Der liebe Schrank, der alle Schätze hegt,
die deine Mutterhand in ihn gelegt!
Hier schlossest lieben alten Kram du ein
wie fromm Gerät in einen Altarschrein.
Der Schrank weiß, Mutter: Dir schien nichts gering,
was je durch deiner Kinder Hände ging.
Liebkosend, zage hebst du deine Hand,
die Schranktür gleitet auf, du stehst gebannt ...

Erinnrung leuchtet hundertfältig vor
wie Märchengold aus eines Zaubrers Tor.
Dein Blut wallt linder. Sieh, nun lächelst du!
Die Hand streift kosend ein Paar Kinderschuh',
ein braunes Röcklein, ein Soldatenspiel,
ein Segelschiffchen mit verwaschnem Kiel,
ein rosa Blatt, darauf dein Liebling schrieb
zehnmal mit krauser Schrift: »Ich hab' dich lieb!« ...

Und tiefer tastet, tiefer du hinein
mit banger Hand in deinen lieben Schrein.
Sieh, Mutter! Nun sind deine Hände ganz
umblüht von zarten Goldes frommem Glanz ...
Aus rosenweicher Hülle rieselt hold
lichtfarbner Knabenlocken sanftes Gold.

Die Kindermähne, deiner Hände Spiel,
die einst als erstes Scherenopfer fiel,
die kleine, goldne Mähne leuchtet klar
in deiner lieben Hand wie Engelshaar.
Du beugst dein Mutterantlitz tief hinein
und – küssest deinen eignen Heil'genschein.

Und nun – was tust du, Mutter? Königlich
und priesterlich zugleich erschau' ich dich.
Den goldnen Kranz in Händen, schreitest du
auf Kaiser Wilhelms dunkles Bildnis zu.
Der hellen Knabenlocken duft'gen Glanz
hebst du empor wie einen Blütenkranz
und hüllst in deines Lebens Heil'genschein
das teure Bild des großen Kaisers ein.

Die Lippen regst du leis wie zum Gebet
und Segen, der von Herz zu Herzen weht,
ich höre jedes Wort, das fromm ertönt
und heiligend dein Angesicht verschönt.
Zum Kaiser redest du als Priesterin:

»Für dich, Herr, gab ich meinen Liebling hin.
Es hat die Sonne meiner kleinen Welt
die Sturmnacht deines großen Volks durchhellt.
Dacht' er – zu allerletzt! – an dich? an mich?
Ich weiß es nicht. Und darum lieb' ich dich.«

Andächtig stehst du. Dämmerung webt dicht.
Ums Bild des Kaisers nur fließt heil'ges Licht.

Leid ward aus Liebe, und aus tiefstem Leid
wuchs größ're Liebe in die Ewigkeit ...
– – – – – – – – – – – – – – –
Durch meine Träume, Mutter, gehst du sacht
so Nacht um Nacht.
Durch meine Träume, Mutter, rauscht dein Kleid,
durch meine Seele rauscht und rauscht dein Leid ...
– – – – – – – – – – – – – – –
Traum wird zu Klang, vor dem die Schwermut flieht,
zum Liebesliede wird das Kaiserlied,
zum Liede, das des Kaisers Haupt umweht
und wie ein Engel seinen Thron umgeht:

Mein Kaiser! Laß in Horden
anstürmen Feindesmacht!
Uns bist du Bruder worden
in Deutschlands heil'ger Nacht.

Du hast die Welt umworben
zu heiß, zu treu, zu rein.
Was Haß an dir verdorben,
bringt Liebe doppelt ein.

Die Welt, die falsche, scheele,
tat dich in Acht und Bann,
da klang die deutsche Seele
als Kaiserglocke an!

Ob deinen Thron, den reinen,
die Welt in Haß umstellt,
es bauen dir die Deinen
der Liebe goldnes Zelt.

Die Männerherzen glühen
wie Stahl in Schlachtenbrand,
die Frauenseelen blühen
wie Rosen durch dein Land.

Mit Schwert und Büchse walten
die Hüter deiner Macht,
vor deinem Herzen halten
die deutschen Mütter Wacht.

Die deutschen Mütter haben
mit Kronen sich geschmückt,
die ihnen Heldenknaben
im Tod ins Haar gedrückt.

Es glühn die weißen Kronen
des Leids in ihrem Haar;
das ist ein sel'ges Thronen
im Glanz der frommen Schar!

Ob tausend Feinde lauern,
dein Volk hält durch die Nacht
vor deines Schlosses Mauern,
vor deinem Herzen Wacht!

*


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