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Ein Tropfen Tinte sitzt in meiner Feder und will verschrieben sein.
Was ist es, das mich wiegt? Wo bin ich? Was klirrt da? Ist es mein Schwert? Oder habe ich nur geträumt? Sind wir schon auf der Nordsee, haben wir das Skagerrak schon hinter uns, und ist unser Ziel, das Eiland Heiligland, schon in Sicht gekommen? Was da unter und neben mir gluckt und plätschert und gurgelt: ist das schon das grüne Wasser der Nordsee, von dem der Skalde gestern erzählte? Es muß wohl so sein, denn diese Dünung ist nicht mehr so lang wie die des Atlantischen Weltmeeres! Es wird den alten Seekönig von Herzen freuen, daß unser Drachenschiff so schnelle Fahrt gemacht hat, in vier Tagen vom Hardanger bis Heiligland, und er wird morgen lachen, wenn es Tag geworden ist! Vielleicht gießt er wieder einen Becher roten fränkischen Weins in das Meer, wie er tat, als der junge König von Heiligland um seine Enkelin warb! O Gerda, nach der sich die Augen aller Schiffsgenossen immer noch drehen, ob du gleich Braut bist und zu deinem Bräutigam fährst, du bist schön wie die Sonne, die aus der See steigt! Die stillste See kann den blauen Himmel nicht so widerspiegeln, wie dein Auge es tut. Stünde ich mit dir auf dem hohen, roten Felsen, blickte ich mit dir über das weite Meer, wiese ich dir die Segel in der Tiefe und die Wolken, die an der Kimmung aus dem Wasser steigen, du Königskind, ich wollte lachen wie der lichte Balder! Denn ich liebe dich wie die See, und die See liebe ich wie dich, – und niemals hat ein Wiking ein größeres und tieferes Wort gesprochen als dieses. Steuern wir nach der Hochzeit nordwärts, der Mitternachtsonne entgegen, so lehnst du nicht mehr mit wehendem Haar am Mast, Gerda. Niemals höre ich dein Lachen wieder, – aber mir bleibt die See, die hohe Trösterin, deren Atem alle Wunden heilen kann. Sie wird dem Wiking helfen! Murmelt nur weiter, Wellen am Bug, und erzählt mir vom Meere...
Abermals sitzt ein Tropfen Tinte in meiner Feder und will verschrieben sein.
Ich habe die Augen geöffnet und erkenne, daß ich geträumt habe! Ich liege nicht im Bauch des nordischen Drachens, sondern auf der Diele eines Fischerfahrzeuges, unseres Ewers, und stecke in einem alten, geflickten Focksegel, in das ich mich der Sommerhitze und der aufrührerischen Wanzen wegen eingewickelt habe. Unter meinem harten Lager strömt das Wasser, das wir im Raum haben, von einer Seite nach der andern. Es gurgelt im Bünn, dem großen Fischkasten, und es klatscht im Wasserfaß. Die Ölröcke und Südwester, die an der Decke hängen, scheuern unruhig hin und her, als baumelten sie im Winde. Gegen den Bug aber springen und hüpfen die Wellen der Nordsee und kluckern wie junge Enten im Graben. Was sie mir erzählen wollen, das haben sie schon Siegfried und Hagen sagen wollen, als sie die Fahrt nach Island unternahmen! Und wenn es auch noch kein Menschenohr begriffen hat: gefreut und erquickt hat es schon abertausend Menschenherzen und wird sie immer erquicken, so lange es eine See auf der Welt gibt. Aber nun singt mich wieder in Schlaf, ihr Wellen, ihr Seen, denn wir sind mitten im Streek, fischen zwischen Helgoland und dem Weserfeuerschiff auf Zungen, und wenn ich nicht geschlafen habe, kann ich keine gute Wache gehen. Noch einmal blicke ich durch die offene Kapp nach dem tiefdunklen, sternenbesäten Nachthimmel hinauf, sehe den dunklen Großtopp durch die Sterne wandern, höre die Gaffel knarren und den Bestmann schnarchen, dann nimmt der schwere, gleichmäßige Schritt des wachhabenden Schiffers an Deck mich mit, und der Schlafbaas mustert mich wieder an.
Abermals sitzt ein Tropfen Tinte in meiner Feder und will verschrieben sein.
Immer noch dieser schwere Schritt auf dem Achterdeck! Oder ist es ein anderer? Ja, der Schritt ist dumpfer... Schwarz und tot treibt die mächtige Kogge hinter Borkum auf der stillen See. Bis auf den Mann im Krähennest und den leise summenden Posten auf dem hohen Bord scheint das ganze Schiff zu schlafen. Über die Stengen und Wanten kriecht der Mondschein. Wie in schwerem Bann ist die See erstarrt. Zu Stahl scheint sie geronnen zu sein. Ringsum kein Schiff und kein Land, nur die tote See. In der Admiralskajüte aber wacht ein Licht und wachen zwei Menschen. Wie ein Gespenst wandelt der Schatten des langen Klaus Störtebeker an der Wand. Ruhelos geht der junge Seeräuber auf und ab. Mitunter hebt er das geblümte flandrische Tuch und blickt aus dem kleinen Guckloch über die mondbeschienene Wasserfläche, dann nimmt er seine Wanderung wieder auf. Quälen ihn seine wilden Taten, oder hält der Madeirawein ihn wach? Der rotbärtige Godeke Michels, sein Spießgeselle, der auf der halbmondförmigen Bank sitzt und kaum noch die müden Augen offen halten kann, sagt zuletzt: »Tu es, Klaus, nimm die junge Gesina und bleib an Land, tu dem alten Grafen den Gefallen und gib die Seefahrt auf, überlaß mir die Schiffe, laß Messen lesen und werde ein ehrlicher Kerl an Land. Von Schottland bis Tunis gibt es kein zweites Weib wie Gesina, und sie liebt dich.« »Sie liebt mich,« wiederholt Störtebeker langsam. »Ein geruhiges Leben hinter Deichen, zwischen Menschen und Weibern und Blumen, keinen Sturm und keine Not. Gesina ist schön. Und doch: nein, Godeke! Meine Meerfahrt ist mir lieber als das beste Weib!« »Du bist ein Hansnarr,« murrt Michels, als Störtebeker jetzt an den alten Ostfriesen schreibt. Geräusche und Gespräche unterbrechen jäh die nächtliche Stille an Deck: die Schaluppe muß zu Wasser, damit der Brief sofort bestellt werde. Als das Geknarr der Riemen in der Weite verklingt, wendet der Seeräuber sich von der Reling, blickt noch einmal nach den riesenhaften Fledermausflügeln hinauf und tritt wieder in seine Kajüte. Er hat sich der See verschrieben, das weiß er.
Abermals sitzt ein Tropfen Tinte in meiner Feder und will verschrieben sein.
Ich muß auf einer Segelöse, auf einer Kausch gelegen haben, denn mein Rücken schmerzt. Oder hat die mütterlich-sorgliche Natur mich geweckt, die weiß, daß wir alle drei Stunden unsere Kurre einziehen. Ist es an der Zeit? Ich öffne die Augen: es ist hell, die Sterne sind verblaßt! Da ruft es auch schon singend zum Einziehen. »Intehn! Intehn!« »Jo,« antworte ich und »Jo« echot es in der Steuerbordkoje. Wir schlafen während der Fahrt und Fischerei in voller Kleidung, ich brauche deshalb nur die langen, schweren Seestiefel anzuziehen, die von Tran und Schuppen glänzen: denn von der See ist nicht das geringste zu sehen. Segeln wir auf der Milchstraße? Alles Wasser ist mit einer dünnen, aber dichten, undurchdringlichen Schicht weißen Gewölks bedeckt, daß nicht eine Welle zu erkennen ist. Und die weiße Decke liegt nicht still, sondern fliegt schnell mit dem Morgenwind nach Osten und reißt doch nirgends ab. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Seltsam ist es. Wären luvwärts nicht die holländische Tjalk und der Fischdampfer in Sicht, die mit Steven und Wanten aus der Morgenmilch ragen, ich könnte glauben, mit einem Luftschiff über den Wolken zu fahren. Mit einem Luftschiff, wie wir es dwars von Spiekeroog sahen, als wir, von einer Windstille heimgesucht, mit schlaffen Segeln und schlagenden Schoten in der stetigen Dünung trieben und nicht fischen konnten. Da stieg es im Nordosten aus der See wie ein helles Segel. Wir wußten erst nicht, was wir aus dem Wölkchen machen sollten, dann aber erkannten wir durch das Glas den Zeppelin, der den Meeresflug wagte, und sahen ihn nun in unsere Einsamkeit hineinwachsen. Immer höher stieg und immer größer wurde die gelbe, kantige Leinwand. Da sickerte schon der Lärm der Motoren herab. Das singende Brausen der neuen Zeit erhob sich. Unglaublich schnell kam das Luftschiff näher: wir hatten schon die Köpfe im Nacken, da, als es über uns stand und seinen Schatten auf die helle See warf, senkte sich der Bug des Riesen, bis der Kiel seiner Stahlgondeln die See berührte. Er fuhr auf dem Wasser entlang, wie um uns recht zu verhöhnen, uns Windjammerer. Ich hätte mich gar nicht gewundert, wenn er eine Kurre zu Wasser gelassen und gefischt hätte. Die Leute schöpften Wasser als Ballast aus der See. Keine dreißig Faden von unserem Ewer brauste die hohe Wand vorbei. Ich winkte nicht mit, aber Tränen stiegen mir ob solcher Menschenkraft und Menschenschönheit in die Augen. Das neue Geschlecht der Meeresherren! Das alte der Meeresknechte trieb regungslos mit alten Segeln in der Windstille und blieb meilenweit zurück. Ein Riesenvogel, der aus der See getrunken hatte, erhob der Zeppelin sich wieder vom Wasser und zog in Leuchtturmhöhen davon. Wie wünschte ich in diesem Augenblick der Hilflosigkeit einen Sturm herbei, um dem fliegenden Schiff zeigen zu können, daß auch wir lebten und webten! Wie seine deutsche Flagge wehte! Immer mittelalterlicher und zurückgebliebener kam ich mir vor. Erst am Abend, als wir ein starkes Gewitter bekamen, als der ganze Heben eine Feuersbrunst war und der Donner uns umstürmte und umknallte, als der Regen auf uns niederströmte, als würde er mit Eimern ausgegossen, als wir auf der hochgehenden Dünung tanzten, erst dann vergaß ich des Luftfahrers. Alles konnte der Zeppelin doch nicht machen: hier brauchte es doch noch der Schiffe und der Seeleute! Und das tröstete mich, so viel Seen auch über den Setzbord stiegen, und so heftige Sprünge der Ewer auch machte, wir hielten stand. Nun stehen wir auf dem weißen Daak, lassen die Fock fallen und hieven, schwer arbeitend, das Schleppnetz, die Kurre, auf. Wie seltsam, ob es gleich alle Tage so ist: eben noch nichts zu erblicken, und nun sind wir schon von hundert äugenden und schreienden Seemöven umflogen und umkreist! Hiev, hiev! Wer denkt an Möven, wenn die Kurre eingezogen wird! Hiev! hiev! Endlich haben wir den Steert, das Ende des Netzes, in der Talje, der Knoten wird gelöst, und die See speit ihre Fische aus, ihre Zungen und Schollen, ihre Steinbutten und Rochen, Knurrhähne und Petermännchen. Wie glänzen die Schuppen, die weißen Bäuche in der Morgensonne, die aus der See gestiegen ist und den weißen Nebel von der Diele gefegt hat! Wie schnappt alles nach Wasser, wie springt alles in Angst und Todesnot durcheinander! Sonst habe ich das nicht gesehen, ich sah immer nur ein fröhliches Klappern und Spaddeln, das mir das Herz erfreute, aber seit dem furchtbaren Traum habe ich Augen für die Qualen bekommen. Wir lagen vor Wind in Bremerhaven und hatten einen alten Janmaaten in der Kombüse, der mit unserm Bestmann verwandt war: das gab einen Abend alter deutscher und englischer Matrosenlieder, einen Abend Passatwind, Liniensonne und Kapsturm. Die Nacht darauf träumte mir das Grauenhafte, daß ich an Deck ging, als gerade die Kurre aus der See kam! Heftig erschrak ich, denn die Luft war erfüllt von tausend Schmerzenslauten, von tausend Todesschreien, von tausend Angstrufen! Alle Fische hatten Stimmen bekommen und jammerten ihre Qual in die Luft! Und es schrie nicht nur bei uns, sondern auch auf den andern Schiffen: die ganze Nordsee war erfüllt von diesem Röcheln und Schreien, das so furchtbar anschwoll, daß wir es nicht auszuhalten vermochten! Wir flüchteten zitternd, verkrochen uns in die Kajüte und bebten, als erwarte uns ein Weltgericht! Furchtbares Grauen!
Abermals sitzt ein Tropfen Tinte in meiner Feder und will verschrieben sein.
In Lee steht ein mächtiges Viermastvollschiff in der Sonne und schiebt sich langsam vorwärts! Es ist ein deutsches! Mit hundert weißgrauen Segeln steuert es dem Weltmeer entgegen. Meine Wünsche schwirren wie fliegende Fische um seinen Steven, und meine Sehnsucht hängt sich an seine höchsten Rahen! Da mit können! Große Fahrt tun! Nimm mich doch mit, du großer Laeisz, du Königin des Atlantik! Ich sehne mich nach hundert Tagen ohne Land, ich möchte unter der Linie getauft werden und möchte auch das düstere Kap Horn einmal in mein Leben hineinragen sehen! Ich möchte dich sehen, wenn du die Stürme abschüttelst, du Viermaster!
Schöne Geschöpfe gehören dir, Meer, herrliche Kinder sind dein! Was ist ein Haus gegen ein Schiff, was ist ein Schreiber gegen einen Seemann? Was ist das erstarrte Land gegen dich, atmende, wogende See? Ein Leichnam gegen einen Lebendigen!
O, ihr Schiffe auf der See, und du Dünung du! Ihr Tage und Nächte, ihr Wolken und Winde: was seid ihr an Land? Nichts! Und was seid ihr auf See? Alles, alles, was uns die Seele bewegt!
Ich grüße dich, du kleine Galliote, die du so tapfer deinen Kurs steuerst. Kommst du von Schweden und willst nach England? Du kleiner Mann auf der Back: wiegte dich deine Mutter dort in dem schönen Land der Wälder und Seen auch so gut, wie die See dich jetzt wiegt?
Da – der Dampfer »Vaterland«, die schwimmende Stadt, das mächtigste Schiff der Welt! Wie eine Erscheinung! Ich hole die Flagge aus der Achterplicht. Wir brauchen sie sonst nur, wenn ein Kriegsschiff in Sicht kommt, aber das größte und schönste Gebilde der deutschen Hand zu grüßen, hole ich sie dennoch freudig auf! Überschiff du! Wie der englische Kohlenkasten qualmig auf seiner schwarzen Schornsteinpfeife raucht, als ob es ihn verstimmte, dieses Made in Germany!
Noch ein Blick nach dem Schoner und den nachbarlichen Fischkuttern, und dann laß es genug sein, See. Die Möwen sind weggeflogen, unsere Fische sind auf Eis gebettet, die Kurre pflügt wieder den Meeresgrund, und das Deck ist gedweilt: ich kann wieder drei Stunden schlafen! So wiege mich wieder in Träume hinein, du große, gute See! Und laß mich bei der harten Fischerei niemals vergessen, daß du schön bist wie nichts auf der Welt, wie kein Wald und kein Berg! Noch habe ich es keinen Augenblick vergessen, und allen Witwenkleidern und Tränen zum Trotz soll das Herz daran festhalten! Und sollte mir einmal der Fliegende Holländer begegnen, das todverkündende Geisterschiff, sollte die Sonne ihren Schein verlieren wie auf Golgatha, sollten meine Masten brechen und meine Segel in den Wind fliegen, sollten die Notanker nicht mehr halten, sollten die Luken einschlagen und die große Sturzsee ehern heranwogen und Klar Deck machen, solltest du mich holen, schöne, wilde See, so will ich in aller meiner Not doch erkennen, daß mein letzter Blick deiner größten, höchsten Schönheit gegolten hat.
Ihr aber, ihr Jungen, Lebendigen, setzt weiter Segel auf! Beflaggt eure Schiffe und grüßt die deutsche See, ihr deutschen Jungen! Wiegt euch auf der Dünung und freut euch der Sonne auf den Meeren und Gewässern!