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Der kleine, dicke Bäckergeselle, den die Sonne von 1525 besonders freundlich beschien, als er breitbeinig auf der Kaje saß und mit Steinen nach den Stichlingen warf, die um die Bollwerkspfähle schwärmten, dachte nicht an seine Stutenmacherei, sondern an Venedig und Grönland, an Apfelsinen und Eisbären. Er erschrak sehr, als ihm mit einemmal ein schweres Tau auf den Buckel sauste, und glaubte in die Hände von Seeräubern zu fallen: da erblickte er zu seiner Beruhigung aber nur einen Norderneyer Schellfischangler, der mit seiner grünen Schaluppe heranglitt, und ihm zurief in jenem selbstverständlichen Ton, den unsre Schiffer noch heute führen: »Hak mal öber!«
Der Gesell tat es, rächte sich aber doch für die Apfelsinen und Eisbären und fuhr den Eilandsmann giftig an: »Wat wullt du Spöker hier up'n Namiddag? Morgens köpt wi Schellfisch: nu is de Brück leddig!«
– »Mien gode Jung, ick heff ok keen Fisch«, sagte der Schiffer gemütlich, »ik heff moi Tiding for den ehrbaren Rat. Moi Tiding! Ik will mi blos'n beeten afdweilen, denn seil ik up't Rathus.«
»O vertell, Schipper! Wat de Borgermester eten kann, dat smeckt ok wol 'n lütten Bäckergesellen«, bat darauf der Gesell, und er gab nicht nach, versprach zu schweigen wie eine tote Krähe und bettelte solange, bis der Fischer sich herbeiließ, ihm zu erzählen, daß er Nachricht von den Schiffen hätte, die seit Pfingsten die Seeräuber jagten. Die See wäre rein gefegt: die Gallion, der flegende Geest, der Bartum und die Jacht seien im Sturm genommen, Klaus Rode sei von den ergrimmten Bootsleuten in Grapenbratenstücke gehauen, dazu zweihundert Mann erschlagen: der Rest von einhundertsechzig Mann aber und der Hauptmann Klaus Kniphof seien von Ditmer Koel gefangen genommen. Diese Seeschlacht sei in der Osterems geschehen und hätte acht Stunden gedauert. Das Geschwader liege windeshalber achter den Greeten: die erste gute Luft könne es aber schon nach der Elbe wehen ...
Hier sprang der Gesell auf, schüttelte sich und rief: »Un wenn de Dübel mi halt, dit kann ik nich verswiegen. Back mi tein Pickplasters up'n Mund, un dat mutt doch rut!« Und ohne auf den fluchenden Norderneyer zu achten, sprang er an Land und rannte stadtein. Die Hände an den Mund gelegt, gröhlte er laut und durchdringend: »Tiding von uns' Schepen, gode Tiding! Ditmer Koel, unse Admiral hefft Klaus Kniphof mit alle Schepen und alle Mann gefangen genommen!« So schrie er ins Millerntor hinein und ließ nicht nach, und bald hatte er einen Haufen von Kindern und Burschen um sich, die seinen Ruf aufnahmen und ihn gewaltig verstärkten. Nicht lange dauerte es: da hatte man sogar schon eine Weise für die Zeitung erfunden, die also lautete:
»Gode Tiding von uns' Schepen!
Ditmer Koel hefft Kniphof grepen!
Söben Schep un hunnert Mann,
öbermorgen kommt se an.«
Wie eine Windflage, die Staub und Blätter aufwirbelt, so drängte es durch die engen Straßen, und die Rotte vergrößerte sich von Ecke zu Ecke. Hamburg, das schon mondelang auf eine Kunde geharrt hatte, horchte auf, lachte und freute sich des Sieges. Da wurden Fenster aufgestoßen, da wurde gefragt und getan, da traten die Handwerker aus den Türen zu nachbarlichen Gesprächen. Einige steckten die alten Schiffsflaggen heraus, andere ließen einen Krug Braunbiers aus dem Keller holen und machten sich einen lustigen Tag aus der Begebenheit.
Die brausende Woge brandete auch an das Fachwerkhaus, das sich an der Nigentwiete in beschaulicher Stille sonnte und dem Schiffer und Admiral Ditmer Koel gehörte. Die Großmutter des Hauses saß feiernd am halbgeöffneten Fenster und horchte auf die Stille, die hinter all den feinen Geräuschen des Tages ruhte. Neben ihr lehnte Ditmer Koels Tochter, die schöne Gesa, ein blühendes, taufrisches Mädchen von achtzehn Jahren, am Fensterpfosten und spielte nachlässig mit den zwei kleinen grauweißen Katzen, die auf dem Brett übereinander kugelten ...
»... Ditmer Koel hefft Kniphof grepen ...« Das Siegeslied brach um die Ecke und erfüllte die Twiete. – »Grotmoder, hört ji? hört, hört! Se singt von Vader! He kummt wedder!« rief das Mädchen vor Freude erglühend, warf die Kätzchen ritsch – ratsch auf den Fußboden, stieß das Fenster vollends auf und beugte sich hinaus, um zu sehen und zu hören, was da nahte. »O, wat frei ik mi, Grotmoder!«
Grad unter dem Fenster machte der kleine Bäckergesell halt, der schon vor Heiserkeit kaum noch sprechen konnte. »Leewe Gemeende«, krächzte er roten Kopfes, »mal 'n Spier Gehühr!« Und als der Lärm sich etwas verminderte, denn alle warteten, daß nun etwas abfallen sollte: da berichtete er den Frauen weit ausholend und mit umständlichen Gebärden alles, was er wußte, und was sich so up'n Stutz schicklicherweise hinzulügen ließ. Zum Schluß nahm er seine Mütze ab und hielt sie treuherzig-verlangend auf. »De Kehl is all bannig drög, aber wat deiht'n Hamborger Jung nich all for unsen Admiral Ditmer Koel.«
Die Greisin schüttelte halb belustigt, halb verärgert den Kopf.
»Wat hett se seggt?« – »Se seggt, Water smeckt söt!« – »O Mann, wat is de Olsch nährig!« »Free Licht bi Dagen un wieder nix!«
Aber Ditmer Koels Tochter sprang leichtfüßig ins Zimmer zurück und durchsuchte Schrank und Schublade, bis sie eine Hand voll Münzen gefunden hatte, die sie dem Gesellen laut klirrend in den Hut warf.
»Ho – nu drinkt Warmbeer un lat Ditmer Koel hoch leben!« rief sie in fröhlicher Unbefangenheit den Weiterdrängenden nach.
Dann fiel sie der Ahne um den Hals: »Grotmoder, lat mi doch nich alleen lachen: freit jo doch mit! Vader kummt ja doch!« Die Alte strich ihr das blonde Haar aus der Stirn. »Büst so wild, Deern, so wild!« – »As du fröher west büst, nich, Grotmoder?« fragte das Mädchen schalkhaft und erhielt es lächelnd bestätigt. »Ja, Kind, as ick west bün.«
Und dann horchten sie auf den schon halb verschollenen Lärm, dem sich noch die Rufe mühsam entrangen: »Ditmer Koel schall leben: een, twee, dree ...«
* * *
Ditmer Koel sollte leben: er lebte, – und es kamen der Tag und die Flut, die ihn mit der hamburgischen Kriegsflotte, den Kraffeln (Caravellen) und Bojers, bei raumem Wind die Elbe heraufbrachte. Mit den erbeuteten Koggen war das Geschwader zehn Schiffe stark und nahm den ganzen Strom ein. Von allen Toppen flatterten die Wimpel. Am Hafen war kein Platz unbestanden: es wimmelte am ganzen Ufer von Menschen, die den Seeräuber und seine Maaten sehen wollten. Der Katharinenglöckner läutete die Glocken.
Der Admiral Ditmer Koel, mit dem bloßen Schwert gegürtet, trug in der Rechten trotzig die zerschossene Flagge des Seeräubers. Er war immer ein hoher, aufrechter Mann gewesen: aber nie ist er größer und gewaltiger erschienen als an diesem Tage, auch dann nicht, als er Ratmann und Bürgermeister geworden war. Sein Gesicht war erregt; nur als er seine Tochter erblickte, die in einem Kränzlein ihrer Altersgenossinnen stand, lief ein freudiges Lächeln über seine Züge. Neben ihm gingen die Schiffer Simon Parseyal, Klaus Hasse und Dietrich von Minden und wechselten hier und da einige Worte mit den ihnen bekannten Bürgern.
Pfeifen- und Trommelklang nahte. Fünf Fähnlein folgten, und hinter ihnen schritt, geleitet von zwei Edelleuten, der Seeräuber Klaus Kniphof, der Hauptmann. Der jugendliche, vierundzwanzigjährige Kopenhagener sah blaß aus, doch war nichts Unmännliches in seinem Gesicht. Er war barhäuptig und trug ein weiches Hemd, dessen Ärmel von Kugeln durchlöchert waren, ein zugeschnittenes Wams und blaue Hosen. Hinter ihm gingen die hamburgischen Hauptleute, die Kriegsknechte und das Schiffsvolk, in ihrer Mitte die Menge der einhundertzweiundsechzig Seeräuber, gefesselt und gekettet.
Als Klaus Kniphof die Gruppe der schönen Mädchen gewahrte, sah er mit großen hungrigen Augen hin. Er war von Jugend auf Seemann gewesen und hatte nach den Hoffrauen Karstens von Dänemark und Margaretens von Burgund nur braune, friesische Muschelsucherinnen gesehen: da war ihm der Anblick dieser weißen, glänzenden Jugend wie ein Blick in die Sonne. Ditmer Koels Tochter erschauerte bis ins Herz vor seinen Augen, und ihr verging Lachen und Neugierde zugleich. Die Trommeln wirbelten dumpf: der Zug ging weiter. Die Mädchen wurden von Mitleid ergriffen und erzählten von dem Jüngling, der dem flüchtigen Dänenkönig sein Reich hatte zurückerobern wollen und dabei ein Seeräuber geworden war. Ditmer Koels Tochter stand wie im Traum und sagte kein Wort. Sie sah nur dem Hauptmann mit dunklen Augen nach, und er erwuchs ihr zum treuesten Helden, zum Hagen, der für seinen König in Not und Tod gegangen war. Es war mehr Mitleid, was sie erfüllte, und in ihrer Mädchenseele regte sich unbewußt ein namenloses Geschöpf, das Weib. Da haßte sie beinahe ihren Vater, dessen gewaltiges Haupt alles Volk überragte. Dann wieder sah sie unverwandt nach dem blonden Scheitel des Dänenhauptmanns.
Ihre Freundinnen hatten genug zu gucken und achteten nicht sonderlich auf sie: aber einem Mannesblick blieb nicht verborgen, was in ihr vorging. In der hinteren Reihe, nicht weit von ihr, hatte schon lange ein bleicher, junger Mönch gestanden und sich schier nicht satt sehen können an ihrem lieblichen Gesicht und ihrer schlanken Gestalt. Stefan Kempe war es, der »Ketzermönch« aus dem Magdalenenkloster, einer von den Lutherischen. Seit drei Jahren schon hing seine Feuerseele dem Wittenberger Doktor an, und er predigte laut und unerschrocken das lautere Gotteswort, dem Volk zu freudigem Aufhorchen, den Papisten zu großem Ärgernis. Viel verklagt und verdächtigt, geschmäht und gescholten, blieb er unverzagt bei der neuen Lehre und vertraute seinem Gott. Im Anschauen des reinen Mädchens stieg wie ein Stern am Himmel in seiner Seele der Gedanke an einen lieben Kameraden in ihm auf und bekränzte sein Herz mit roten Rosen: er dachte daran, alle Fesseln zu sprengen, das dunkle Gewand abzulegen und sein Leben zu krönen, wie Luther es getan hatte, als er die Nonne freite.
Da aber sah er, wie Ditmer Koels Tochter nach dem Seeräuber sah, und er fühlte, wie seine Augen schmerzten. Leise wandte er sich ab und ging davon.
Die Arbeitsleute aber spotteten der Seeräuber, und derbe holländische und dänische Flüche schollen hinwider.
* * *
Der Admiral wurde seiner Tochter fremder in jenen Tagen, als er sich der Freude über seine Seefahrt überließ und versicherte, daß Klaus Kniphof als ein Seeräuber dem Scharfrichter verfallen sei. Sie kam nicht, um Abenteuer zu erfahren und sprach weniger als sonst. Er jedoch machte sich wenig Sorge darum, er dachte an nichts als an seine Sache. Kniphofs Fähnlein hänge im Dom unter der Kanzel, verkündigte er eines Tages. Da ging Gesa hinaus, ohne ein Wort zu sagen und weinte sich auf ihrer Kammer aus. Und als er ein andermal wieder von der Ems erzählte, wie er seinen Leuten zuvor ein kräftig Süpplein zu kosten gegeben hätte, Warmbier mit Büchsenkraut (Schießpulver), das sie teufelswild gemacht hätte, da kam ein Grauen über sein Kind, das es nicht abschütteln konnte. Über ihre Träume aber schaltete der junge, blonde Hauptmann, der auf dem obersten Boden des Winserturmes saß und durch die Eisenstangen auf Fleete und Schuten starrte.
Kniphof hatte um einen rechtskundigen Mann gebeten, dem er seine Sache betrauen wolle: der Rat hielt es aber für geratener, ihm einen Beichtvater zu bestellen. Das war der Ketzer Stefan Kempe, der nun jeden Tag die Hühnerstiege hinankletterte und dem Gefangenen Trost zuzusprechen suchte. Kniphof jedoch hatte noch Segel und Wind. Er berief sich auf den Kaperbrief der Burgunderin und auf seines Königs Bestellung. Als kriegsführende Macht habe er den Gebrechen der Vitalie steuern können, ohne darum ein Seeräuber zu werden. Margarete von Burgund, seines Königs Schwägerin, Karls des Fünften Tochter, werde ihn schützen. Der Rat schickte nach Brüssel und ließ hansisch-stolz fragen: wat se mit den steden to donde hadde? – worauf Margarete den Brief verleugnete und den Seeräuber fallen ließ. Kniphof aber wollte es nicht glauben.
Ditmer Koels Tochter ging hellhörig um ihren Vater herum, bis sie wußte, daß Kniphof noch eine Mutter hatte, die bei Kopenhagen lebte. Da packte sie sich heimlich hinter Schiffer und Kaufleute, die die Ostsee befuhren, schrieb der Greisin, gab ihr von allem Kunde und bat sie dringend, nach Hamburg zu kommen. Die alte Frau kam auch zu Schiff herüber, und Gesa Koel nahm sich ihrer liebevoll und zärtlich an, brachte sie im Kloster unter und stand ihr bei, daß sie vom Rat die Gnade erwirkte, ihren Sohn wiederzusehen.
Es kamen aber zwei Frauen und begehrten Einlaß, und die zweite nannte sich die Schwester von Kniphof. Der Turmhauptmann kratzte sich am Kopf und machte Einwendungen, denn der Ratsbrief ging nur auf die Mutter, aber weil die Schwester ein schönes Weib war, erhoffte er sich einige Gunst und ließ sie mit hinein.
Klaus Kniphof war im Gespräch mit seinem Beichtvater. Als er seine Mutter erblickte, wurde er bleich, er wollte aufstehen und ihr entgegengehen, aber kraftlos brach er zusammen und barg laut schluchzend sein Haupt in ihrem Schoß. Erschüttert stand Gesa Koel dabei.
Nach einer Weile sah Kniphof auf und wurde ruhiger. Stefan Kempe, dessen dunkle Augen um das Mädchen brannten, das er wohl erkannte, schickte sich an hinauszugehen, aber Kniphof bat ihn, zu verweilen. Dann erst sah der Seeräuber das Mädchen und erkannte sie wieder vom Millerntor her und wußte, daß sie aus edlem Geschlecht sein mußte. Er gab ihr die Hand und dankte ihr, daß sie sich seiner guten Mutter angenommen hätte. Gesa aber wies ihn an Stefan Kempe, der der alten Frau das Kloster erschlossen hatte und für sie sorgte. Kniphof schöpfte neue Hoffnung, und er begann zu erzählen. Sein ganzes Leben und seine wilde Meerfahrt breitete er vor den Frauen aus, und Stefan Kempe lehnte düster am Fensterkreuz und kam sich armselig vor. Die Höfe von Kopenhagen, London und Brüssel wurden bedacht: Kniphof redete sich in Jugendlust hinein und berichtete von der holländischen Zeit: wie sie bei Amsterdam die vier großen, schwerbestückten Schiffe ausgerüstet hätten, wie er seine dreihundert Leute angeworben hätte, und wie er dann mit bunten, geschwellten Segeln unter dem Donner der Kanonen in See gestochen sei, Norwegen zu zwingen und Dänemark zurückzuerobern. Dann kamen die Seeschlachten bei Bergen und vor Kopenhagen, der gewaltige Nordsturm bei Skagen. Haushohe Wogen und ein unerschrockenes Herz! Die Lust an der Meerfahrt leuchtete in Kniphofs Zügen auf: Gesa Koel aber sah Stefan Kempe an, als wenn sie vergleichen wollte, und dieser wußte den Blick recht zu deuten.
Kniphof kam auf die Seeräuberzeit. Sein Freibrief müsse ihn schützen, er sei kein Seeräuber. Es könne nicht sein, daß Margarete ihn den Städten überließe: der Bote sei wohl von Oranien abgefertigt worden. Es müsse noch einmal geschickt werden.
Die Glocke erscholl und verkündete, daß die Besuchszeit zu Ende sei. Kniphof verabschiedete gefaßt seine Mutter, die zu weinen begann und gab dem Mädchen die Hand zum Lebewohl.
Unten am Turm aber standen sich Gesa Koel und Stefan Kempe Aug in Aug gegenüber. Das Mädchen sah ihm offen ins Gesicht, und dann kam es über sie, daß sie ihm vertrauen könne wie einem Bruder, und sie streckte ihm die Hand hin. Da sagte sie ihm, daß sie mit der Frau nach Brüssel reisen und sich der Statthalterin zu Füßen werfen wolle für Kniphof, damit er gerettet werde. Er versuchte nicht sie umzustimmen, denn er fühlte, daß sie diesen Gang tun mußte, aber er bat sie, ein Nonnenkleid anzulegen, das ihre Schönheit der Landstraße verhülle: er werde es ihr bringen. Die Fahrt werde den Seeräuber nicht retten, denn Margarete könne es nicht mit Hamburg verderben: aber um den Frieden ihrer Seele solle sie reisen. Sie schüttelte dazu den Kopf. Dann bat sie ihn, Kniphof noch nichts zu sagen.
* * *
Einen Tag danach verließen eine alte Frau und eine verschleierte Nonne in aller Stille die Stadt. Stefan Kempe stand am Klostertor und sah ihnen lange nach. Wunderliche Gedanken wehten über sein Herz, und sein Gewissen schlug, weil er nicht wußte, ob er recht getan hatte. Er lag vor seinem Gott auf den untersten Stufen und sollte Raubmörder und Seeräuber trösten und dem Volk einen neuen, freudigen Glauben predigen! Und sein Kamerad zog für einen anderen davon...
* * *
Den Morgen dann, als die Greisin reise- und lebensmüde vor der hohen Frau Margarete zu Boden sank, daß Graf Egmont sie aufrichten mußte, als Ditmer Koels Tochter kühn und dringend für Klaus Kniphof sprach und die Herzogin an Brief und Wort mahnte, ohne mehr erreichen zu können als ein rasches Wort Egmonts, einen ausweichenden Spruch Margaretens und eine abweisende Entscheidung des düsteren Oranien, – da läutete das Armsünderglöcklein von St. Kathrinen zu Hamburg und die Winser Wache brachte Klaus Kniphof nach dem Brook. Stefan Kempe ging an seiner Seite. Der Seeräuber war gefaßt. Er hatte das bunte Leben und die weite See fahren lassen und sich in Gott ergeben. In dieser letzten Stunde sagte ihm Stefan Kempe, daß die beiden Frauen nach Brüssel gereist seien. Kniphof schüttelte den Kopf – er glaube nicht mehr an die Burgunderin, aber es war ihm doch ein Trost, daß seine Mutter ihn nicht diesen Weg gehen sah. Dann fragte er nach seinen Leuten. Und schließlich wollte er den Namen des schönen Mädchens wissen. Da sagte ihm der Mönch, daß sie des Mannes Tochter sei, der in der ersten Reihe säße und am ernstesten drein schaue. Und Kniphof sah auf und erkannte seinen gewaltigen Widersacher Ditmer Koel.
Danach aber mußte er im Angesicht der blauen Elbe den Nacken beugen.
* * *
Grauer nordischer Nebel lag auf der Stadt. Stefan Kempe, der Mönch, stand auf offenem Markt und predigte das lautere Wort der Bibel. Schiffer und Handwerker, Bürger und Fremde umdrängten ihn, denn er war des Wortes mächtig und sprach freundlich und gewaltig zugleich. Noch hätte er keine Kirche, sagte er, noch müsse er in Wind und Wetter reden, aber das Licht, das zu Wittenberg angesteckt sei, könne kein Wind und kein Wetter mehr verlöschen, und er werde nicht ruhen, bis es in allen Kirchen Hamburgs brenne. Es geriet aber ein Haufe von Papisten hinzu, die ihn mit Geschrei und Gegenrede zu stören versuchten und ihn überteufeln wollten. Er wurde Ketzer und Volksaufwiegler gescholten. Man werde ihn beim Rat verklagen. Der Mönch wich nicht: immer gewaltiger erhob er seine Stimme, und immer mehr Volk strömte ihm zu.
Da geschah es, daß ein Ratmann zu ihm trat und ihm sagte, er sei ein alter Schiffer und verstünde sich auf Wolken und Wind: es würde gleich regnen, darum wäre es besser, wenn er auf die Kathrinenkanzel stiege. Stefan Kempe lächelte und begab sich mutig mit seinem Volk in die Kirche. Die Papisten aber liefen ob des neuen Greuels wutschnaubend nach dem Rathaus und erhoben ein wildes Geschrei über den Ketzer.
Als der Mönch dann in der Dämmerung seinem Kloster zuschritt, folgte ihm eine Nonne, die mit in der Kirche gewesen war. Und als er sich umwandte nach diesem Schatten, da erkannte er Ditmer Koels Tochter. Sie sagte ihm von Burgund, und daß sie Klaus Kniphofs Mutter zu Osnabrück begraben hätte: die Kunde von der Hinrichtung hätte sie getötet. Sie wolle nun in ein Kloster gehen und still leben.
Da aber regte sich in Stefan Kempes Seele ein mächtiger Wind, der nicht vom Himmel kam, sondern von der Erde. Und er sprach zu ihr wie zu einem guten Kameraden: daß er die Kutte ausziehen und ein neuer Mensch werden wolle. Ob sie gewillt, ihr Leben im Kloster zu vertrauern, oder ob sie ihm helfen wolle, wie Katherine von Bora dem Luther.
Ditmer Koels Tochter gab keine Antwort, aber sie hatte doch schon den Mut, den Abend noch an Stefan Kempes Seite zu ihrem Vater zu gehen.