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Viertes Capitel.

Ein langes, todtenstilles Erstarren folgte ringsum auf die gräßlich verwegne That. Gefaßt darauf, daß bald ein desto wilderer Sturm folgen müsse, und die Menge, deren Augen sich jetzt, wie durch einen Bann gehalten, auf ihn hefteten, in wenigen Augenblicken losbrechen werde zum verderblichen Rachekampf, schnallte Thiodolf seinen Stierhelm fester, faßte die Lanze hart an, und hielt den Schildrand mit besonnener Kraft vor seine Brust. Aber es kam viel anders, als er gemeint hatte. Auch das furchtbare Geschäft der Blutrache ging in dieser Nähe des kaiserlichen Hauptes einen sittigen, gesetzlich ernsten Gang. Nur ein leises Geflüster zog sich endlich durch die blassen Zeugen hin, Bothen schritten ab und zu, mit gleichmäßigem Tritt kam eine Schar der Pallasteswache heran, zog einen Halbkreis um Thiodolf her, und die Kämmerlinge wandten sich zurück, worauf der Hauptmann der Kriegsknechte hervor trat, und von Thiodolf im Nahmen des Kaisers eine Waffen forderte.

»Wenn der Kaiser das selbst zu mir sagte,« erwiederte der Isländer nachdenklich – »möchte seyn, daß ich sie ihm gäbe, möchte sein, auch nicht. Aber das macht hier nun weiter nichts aus. Denn Ihr, mein lieber Herr Abgeschickter, ob Ihr wohl sonsten ein ganz braver Mann seyn könnt, habt Euch mit diesem Auftrage gewaltig verstiegen. Auf allen Fall, Herr, es wär' Euch leichter, mein Leben von mir zu nehmen, als meine Waffen. Wie es mir aber scheint, werdet Ihr keines von beyden kriegen.«

»So muß es denn drauf ankommen,« entgegnete der Hauptmann. »Vorwärts, Soldaten! Und wenn es seyn kann, bringt ihn lebendig zum Kaiser.«

Ein dumpfes Lachen drang aus Thiodolfs Brust, davor die Schar zusammenzubeben schien; aber von allen Seiten schloß sich dennoch der Halbkreis enger gegen ihn zusammen. Berserkerwuth blitzte aus des Jünglings Augen auf. Er schwang seinen Speer.

Da trat urplötzlich Helmfrid in die Mitte. »Ich führ' ihn zum Kaiser;« sagte er, gegen den Hauptmann gewandt, und fügte gleich darauf mit kriegerischer Befehlsstimme hinzu: »kehrt Euch! Die Lanzen in Ruhe! Fort!« – Der Hauptmann neigte seine Waffen, Alle schienen dem Rufe nicht ungern zu folgen, und Helmfrid nahm seinen Zögling an der Hand, ernst mit ihm durch die Säle nach den kaiserlichen Kammern hinschreitend.

»Wohin geht's, Waffenmeister?« fragte Thiodolf – »Wohin ich Dir's sagte,« erwiederte Helmfrid; »vor den Kaiser. Vielleicht auch zum Todesgericht.« –

»Ich behalte doch meine Waffen?« –

»Ja, dafern du dein Wort giebst, keinen Diener des Kaisers damit zu befehden.« –

»Das geb' ich, und laßt uns in aller Götter Nahmen fürder schreiten. Nun ist mir Alles recht.«

In einem der Säle trafen sie auf Glykomedons blutige, ganz zerschmetterte Leiche, die man eben aus den Schloßgärten herausgeholt, und hier zum feyerlichen Begräbnisse aufgestellt hatte. Es war, als zucke selbst Helmfrids Fürstenauge mit einiger Scheu seitwärts von dem entstellten Körper, aber Thiodolf blickte scharf hin, und sagte: »Dem Kerl ist ein volles Recht geschehn.«

Sie traten in eines der innersten Gemächer; der Kaiser stand drinnen mit wenigen Räthen, und blickte dem jungen Isländer mit einem Gemisch von Unwillen und staunender Bewunderung entgegen. Bald aber wandte er sich von ihm ab, winkte den Wäringerobersten heran, und sprach mit dem und den andern Räthen heimlich, aber angelegentlich und oftmahlen heftig in der entgegengesetzten Ecke des Zimmers. Thiodolf blieb eine ganze Zeitlang regungslos und sehr gelassen stehen; zuletzt aber zog er die Augenbraunen zusammen, und murmelte in sich hinein:

»Mögen sie beschließen, was sie wollen! Aber daß sie zu irgend einem Ende kämen, wünscht' ich doch nach gerade auch. All' Ihr Walhalsgötter, was hätte schon können gethan seyn, derweil sich diese Herrschaften bedenken.«

Da sprach endlich der Kaiser laut zu Helmfrid: »es bleibt kein andrer Ausweg. Sagt Euerm allzukühnen jungen Landsmann, daß er sich unterwerfe, Glykomedons Blut schreyt um Rache.«

»Ist es so gemeint?« erwiederte Thiodolf. »Seltsam genug! Kaum vor einer Stunde dacht' ich drüber nach, was wohl für mannigfach ernste Entscheidungen von diesen Kaiserlippen gehen möchten, und nun trifft eben eine solche ernste Entscheidung mich.«

Damit lehnte er seinen Speer gegen die Wand, und Rottenbeißer, die schöne, freudige Stahlklinge, blitzte hell in seiner Rechten. Die Räthe drängten sich halb erschreckt um den Kaiser, und Helmfrid sagte mit unwilligen Kopfschütteln: »Du Jüngling, gedenke deines Wortes!« –

»Meint Ihr, die Ermahnung thäte erst nöthig?« fragte Thiodolf; »vergeßt doch nicht, daß Ihr mit einem Landsmanne zu thun habt. Wahrhaftig, keinen Dienstmann des Kaisers gedenke ich mit diesen Waffen zu befehden, wohl aber dem jüngsten aus der Schar, dem, welcher erst seit etwa einer halben Stunde dazu gehört, über alle Weitläufigkeiten hinaus zu helfen, da es ja nun doch einmahl gestorben seyn muß.«

Er stemmte das Silbergefäß seines Schwertes tönend gegen das Fußgestell einer Bildsäule, und richtete die Spitze mit übergebeugtem Leibe gegen seine Brust.

»Keine Uebereilung, ungestümer Knab!« rief Helmfrid, auf Thiodolf zuschreitend, aber der winkte ihn zurück, und sagte:

»Verstört mich weiter nicht. Mir kommt es wohl ganz von selbsten vor, als ging es schon allzu früh mit mir nach Walhall hinauf, aber meine Waffen thue ich nicht von mir, und eben so wenig mag ich mich wehren gegen den Kaiser meinen neuen Herrn. Was bleibt denn da weiter übrig als das?«

»Herr,« sagte Helmfrid, zum Kaiser gewandt, »Ihr steht da im Begriff, ein ganz herrliches Gefäß zu zertrümmern.«

Der Kaiser seufzte schwer, und entgegnete: »fühl' ich denn das nicht schon selber tief genug? Aber was soll aus der Sicherheit meines Pallastes werden? Was aus dem Handel der Kaiserstadt, wenn dessen Haupt so frevelhaft konnte gefällt werden? Zeige mir einen mildern Weg, und ich will ihn gehen.«

Helmfrid schwieg tief betrübt, keiner der Räthe wußte zu antworten, Thiodolf starrte ernster und ernster auf das funkelnde Schwert. Da meldete ein Kämmerling einen Abgeordneten der Kaufmannschaft. Der Kaiser winkte bejahend, und wandte sich dann zu Helmfrid.

»Ihr seht es, sprach er, sie können es nicht mehr erwarten, ihres mächtigsten Fürsten Todesrache zu sehen. Könntet Ihr nicht den wilden Jüngling von hier entfernen, damit diese geheiligten Wände vom Blute seines Selbstmordes frey blieben?« –

Helmfrid schüttelte verneinend das Haupt, und Thiodolf sagte: »seid unbesorgt. Dieser Marmor soll nicht schlechter davon werden, wenn ihn isländisches Heldenblut anfliegt.«

Der Abgeordnete trat ein. Thiodolf gab nicht auf ihn Acht; seine Gedanken waren bey dem Grabhügel des Vaters und in Walhalla. Gleich flüchtigen Blitzen durchzuckte es ihn bisweilen, ob er auch wohl jenseits noch etwas vom weißen Christ erfahren werde.

»Kaiserlicher, großmächtiger Herrscher,« redete der Kaufherr indessen, »der sich gegenwärtig vor Euch neigt, ist keiner Eurer scepterbeschützten Unterthanen. Aus fremden Landen komm' ich in diese Hauptstadt herüber, aber nichts destoweniger haben alle hier anwesende Kaufleute, Einheimische und Fremde, mich einstimmig erwählt, kaiserlicher Majestät einen Vortrag zu thun, wegen dessen, was sich hier vor kurzem Schauerliches mit dem noch kaum erst so reichen und blühenden Fürsten Glykomedon ereignet hat.«

»Ich kann Euer Anliegen errathen, entgegnete der Kaiser etwas finster, und verlaßt Euch darauf, es soll Euch allen Euer Recht zu Theil werden.«

»Darum bitten wir,« sagte der Kaufherr. »Wir verhoffen nämlich, kaiserliche Majestät werde uns nicht für so unwürdig halten, daß wir den verdienten Tod eines Handelsgenossen höher aufnehmen sollten, weil der Erschlagne der Vornehmste, und auch einer der Reichsten und Gewaltigsten unter uns war. Daß Glykomedon seiner Bestrafung verdient in die zertrümmernden Arme gelaufen ist, dafür verbürg' ich mein Haupt. Wolle doch nun kaiserliche Majestät sich nicht deßhalben eines ihrer heldenmüthigsten Krieger berauben. Als Buße für den im Pallaste verübten Frevel biethet sämtliche Kaufmannschaft zehntausend Pfund in Golde dar, denn unserem Mitgliede gehört die Schuld des Frevels, nicht aber dem tapfern Nordmann, in dessen Hand nun einmahl das Gestirn die etwas ungestüme Rachethat gelegt hat.«

Der Kaiser neigte das Haupt freundlich gegen den Redner, und gebot ihm, zu berichten, was er von Glykomedons sträflichen Thaten wisse. Da brachte dieser das ganze unwürdige Entführungsunternehmen des Gerichteten zu Tage, und erbot sich, der Zeugen viele herbeyzuschaffen, die es aus Glykomedons prahlendem Munde also vernommen hatten.

»Es genügt an Euch,« sprach der Kaiser. »Mein edler, fränkischer Kaufherr, ich kenne Euch wohl, und danke der Kaufmannschaft in Euch, daß Ihr mir Gelegenheit gabt, Milde für Recht ergehen zu lassen. Helmfrid, Ihr mögt Euerm Schützling ankünden, ihm sey verziehen.«

Damit verließ er sammt den Räthen das Gemach, Thiodolf aber warf Rottenbeißer in die Scheide, faßte des Kaufherrn Hände mit seinen beyden, und sagte, ihm ins Antlitz lächelnd: »dacht' ich's doch gleich, daß Ihr Bertram aus Marseille wäret, Ihr trefflicher Freund und Helfer in der Noth!«


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