Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Capitel.

Das Frühroth stieg aus feucht erquicklichen Herbstnebeln empor, in mannigfachen Schimmern blitzte das Gras der hügligen Ebene, auf welcher sich die Wäringer in zwey großen Scharen, die eine von Helmfrid, die andre von Thiodolf befehligt, zum Kriegsspiel geordnet hatten. Ein breiter und tiefer Bach trennte das Feld, und einige Brücken, gangbar für Roß und Mann, führten darüber. Helmfrid, so hatte man die ritterliche Uebung angeordnet, sollte sich bestreben, den Paß über das Gewässer an irgend einer Stelle dadurch zu erzwingen, daß er plötzlich eine überlegne Macht dagegen heranführte, bevor noch Thiodolf eine gleich starke an der bedrohten Brücke zu sammeln wisse. Der Kaiser mit den Damen und Herren seines Hofes hielt auf Helmfrids Seite, theils aus Achtung für das rühmliche Alter des großen Wäringerhelden, theils auch, weil hier auf der nur angreifenden, nicht angegriffenen Partey, das Jagen der Reiter, das Speereschleudern der Fußknechte nicht so leicht zur wilden Unordnung ausarten konnte.

Eine weit schallende Tuba gab auf den Wink des Kaisers aus den Reihen der ihn umgebenden Trabanten das Signal; die Nordlandshörner der Wäringer bliesen lustig darein, und das Kampfspiel begann.

Viele Reiter sprengten an einer und der andern Seite des Baches auf und nieder, untermischt mit schnellen Fußkämpfern, drohten einander in mannigfachen geschickten Wendungen, und ließen endlich allesammt ihre Lanzen in schnellen Würfen aufeinander losfliegen. Das kam den zuschauenden Griechen Anfangs beynahe feindselig vor, aber man bemerkte bald, daß die Speere nur so dreist in die Reihen der Widersacher hinüber schwirrten, weil jeder Werfer sich darauf verlassen konnte, man werde ihm von jenseits geschickt genug auszuweichen, oder auch den Wurf mit dem Schildrand aufzufangen wissen. Der Unterschied zwischen diesem und einem ernsten Gefechte bestand nur darin, daß man rief, ehe man warf, und auch die Lanze vorher in vielen Schwingungen drehte, um den Gegner erst aufmerksam zu machen. Bisweilen flogen aber auch die Würfe bloß lustig und ohne Ankündigung über die Gegenkämpfer weg in's Blaue fort, und pfählten sich dann tief in die Wiese ein, die Kraft ihrer Schleudrer auf eine gewaltige Weise bewährend.

Derweile hielten die Führer ernsten, durch schauenden Blickes auf den bedeutendsten Hügeln ihrer Stellung einander wie auf Warten gegenüber; die Geschwader bewegten sich theils auf ihren Wink, theils auf Zeichen, die sie mit den silbernen Heerhörnern gaben, theils auf die Bestellungen flügelschneller Reiterbothen, in künstlichen Wendungen her und hin. Bald in den kleinen Thälern gesammelt, oder hinter den Gebüschen gereiht, liefen und trabten Helmfrids Scharen, wie aus der Erde gewachsen, gegen irgendeine Brücke unvermuthet zum Angriff hervor, aber eben so unvermuthet warf sich ihnen von einer Stelle, wo man keinen Mann erblickt hatte, einer oder mehrere Haufen Thiodolfs entgegen, und die kühnen Ansprenger stutzten, schleuderten einige Lanzen, wandten sich, und Alles blieb in der vorigen Stellung.

Schon bedauerte man es bey den Wagen des Kaisers und der Damen, daß man heute den jungen Nordlandshauptmann wohl in seiner Feldherrnkraft, aber nicht in seiner ritterlichen Gewandtheit bewundern könne, denn Thiodolf hielt beynahe regungslos auf dem Hügel, während sich nach und nach in Helmfrid eine Spur jener trotzigen Hitze zu regen schien, die ihm das Gefecht auf dem Lindenhügel in Norweg erweckt hatte. Rufend sprengte der alte Held, im immer kühner lodernden Feuer, vor seinen Scharen hin und her, stimmte einzelne Strophen aus Nordlandsliedern an, und konnte sich sogar nicht entbrechen, bisweilen aus eigner Hand Speerwürfe nach seines Gegners Scharen hinüber zu senden. Die Augen der Zuschauer richteten sich nach und nach beynahe ausschließlich auf ihn.

Da wandte sich auch das Kriegesspiel so, daß es Helmfrids Ueberlegenheit zu beurkunden schien. Seine Scharen, brachen abermals gegen eine Brücke los, und zwar so schnell und unversehens, daß Thiodolf keine gleiche Macht dagegen aufstellen konnte. Die Angegriffnen prellten von dem Passe zurück, Helmfrid war hinüber, der Wettstreit sah wie entschieden aus.

Thiodolf stieß gewaltig in sein Silberhorn, daß der schrillende Ton durch alle das Kampfgewimmel mächtig hindurch drang. Urplötzlich reiheten seine Geschwader zu Roß und Fuß, von allen Seiten heranstäubend, sich hinter einander zu einem langen Heereszuge, der auf Thiodolfs freudiges Rufen: »vorwärts, Nordmannen!« hinter dem jugendlichen Heerführer drein über die nächste Brücke nach dem jenseitigen Ufer hinüber donnerte, und sich dorten so rasch und geordnet gegen die Scharen entwickelte, die noch von Helmfrids Reitern diesseits standen, daß diese von dem unvermuthet überlegnen Angriff ganz erdrückt schienen, nicht mehr wußten, wohin sie sich zu wenden hatten, und der alte Helmfrid nur eilte, mit allem, was ihm gefolgt war, wieder zurück zu kommen, um nicht im getheilten Gefecht nach und nach immer der Uebermacht zu begegnen.

Aber die Schwenkungen, unvorbereitet und in verwirrender Eile begonnen, gingen nicht schnell genug. Man sah deutlich, Thiodolf müsse die Zurückgebliebenen früher umringt und geschlagen haben, als Helmfrid heran seyn könne, und die Hofritter jubelten, daß ihnen die Gewandtheit des jungen Nordmannführers so leuchtend vor Augen trete, die Frauen wandten keinen Blick von ihm, ihre Herzen schlugen vor Ungeduld, daß der herrliche Ritter erst seinen kühnen Entwurf vollendet habe, der Kaiser selbst lehnte sich mit glühenden Wangen und beifälligem Winken weit zu dem goldnen Wagen hinaus.

Da, unmittelbar vor einem kleinen mit Gebüsch bewachsenen Hügelthale, durch welches man nur eben noch durchzusetzen brauchte, um den Sieg zu vollenden, machte die Schar, welche Thiodolf bis dahin mit Adlerschnelle selbst geführt hatte – die übrigen umflügelten bereits die bestürzten Gegner von allen Seiten – ganz unvermuthet Halt. Staunend sahen es alle Zuschauer, beynah erschreckt der Kaiser, der für seinen jungen Hauptmann schon so entschieden Partey genommen hatte, daß er fliegenden Wortes einem Höfling befahl, dahin zu sprengen, und den Jüngling anzutreiben, daß er seinen Sieg entscheide. Der Abgesandte streifte rasch über die Ebene, und angelangt bey Thiodolf, fand er diesen wie eine Vormauer am Eingang des Thales halten, seine eignen allzu feurigen Krieger mit Wort und Drohung zurück drängend.

»Vorwärts! Vorwärts!« rief der eilige Grieche dem Geschwader zu. –

»Daß Niemand sich vom Platze rühre!« versetzte dagegen Thiodolf mit seiner donnernden Stimme, und winkte dem Griechen, ihn für zu unbedeutend ansehend, um ein Wort an ihn zu verlieren, nur bloß, er solle sich hier aus dem Staube machen. –

»Im Nahmen des Kaisers!« rief der Höfling. – »Ja,« sagte Thiodolf, »das verändert freylich die Sache. Da müßt Ihr näher heran kommen. Thut es, mein lieber Herr, und seht einmahl dorthin.«

Er zeigte in das Thal hinein, wo früher zu schauende Weiber und Kinder sich behaglich gelagert hatten, der Meinung, es könne auf diesem sichern Stromesufer nichts Gefährliches begegnen, und das schöne Spiel lasse sich von hier aus am ruhigsten betrachten. Jetzt rannte und schrie Alles im besinnungslosen Gewimmel durcheinander. Kinder fielen schreyend über andre Kinder, und indem die Mütter sie aufzuraffen strebten, hemmten sie wieder andern Müttern den Weg.

»Was thuts!« rief der Grieche. »Vorwärts! Was nimmt sich auch das Volk so wenig bey Kriegsübungen in Acht. Der Sieg geht vor.«

»Halt!« rief Thiodolf seiner Schar zu, dem Höfling aber: »begebt Euch hin, wo Ihr hin, gehört.« –

Der, begierig, des Kaisers Gebot ausrichten zu helfen, rief dem Geschwader zu: »ich bin Michael Androgenes, der kaiserliche Kämmerer. Vorwärts!«

Und zugleich machte er Miene, selbst in das Thal hinein zu sprengen. Die Weiber und Kinder schrien jämmerlich. Da ritt ihn Thiodolf an, daß Kämmerer und Pferd übereinander fielen, und sagte, wie sich beyde vor ihm im Staube wälzten: »das gefiel Euch nun wohl sehr schlecht, wenn ich meine beerzten Roßgeschwader d'rüber hindonnern ließe? Seht Ihr, man muß niemals vergessen, wie es Einem am eignen Leben thun möchte, wenn man so dreist über Leib und Leben der andern abspricht. Oder soll ich Vorwärts rufen?« – Der beschämte Kämmerling raffte sich mühsam empor, und trabte etwas gelähmt von dannen.

Derweile hatte Helmfrid seine ganze Schar theils wieder herüber gezogen, theils mit ihr die Brücken besetzt, so daß Thiodolf nun seinerseits vollkommen umringt schien. Durch das jetzt geleerte Thal vorzubrechen, war es viel zu spät geworden; die einzige freyere Stelle führte gegen eine breite, strudelnde Wendung des Baches, weit von allen Brücken, hinaus. Eben dort hielten die Wagen des Hofes, da die Schwierigkeit des Ueberganges jedem Gedränge vorzubeugen schien.

Aber eben dorthin lenkte Thiodolf zum Rückzug seiner kühnen Reisigen und Fußknechte Flug. Da staubte es mit Eins gewaltsam um die Wagen des Gefolges her; wild riefen die Islandskrieger, ängstlich kreischten die Frauen, die Hofritter hielten, wie erstarrt, und Thiodolfs furchtbar leuchtende Gestalt flog dicht an dem kaiserlichen Wagen vorüber. »Frisch durch, meine Nordlandshelden!« rief er, und plötzlich war der Bach mit schwimmenden Menschen und Rossen bedeckt, die Wagen wieder frey; nur ein gewaltiger Staub wallte noch rings darum empor, zwischen dessen Wolken man wahrnehmen konnte, wie Thiodolf einigemahl in die nahen Wogen zurück tauchte, um müde Schwimmer und sinkende Rose mit gewaltigem Arme rettend heraufzuziehn.


 << zurück weiter >>