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Siebzehntes Capitel.

Der Frühling war indes herangekommen; wie sichtbarlich Blüthen niederstreuend lächelte der Himmel über die Gärten und Gewässer der Hauptstadt herab, anmuthige Lieder und helle Musiktöne aus Zithern oder Flöten schwebten so von Wiesengründen als dahingleitenden Schiffen gegen das sonnigblaue Zelt empor.

Thiodolf war vergnügt, wie er es seit Monden nicht gewesen war. – »Denn sieh,« pflegte er wohl zu Philippos zu sagen, »es ist nicht nur, daß nun der Feldzug mit jedem Tage näher heranrückt; ich war überhaupt dieses ganzen Winters von Herzen satt. Bei mir daheim, wo die Flüsse starren, die Thäler sich füllen mit Schnee vor dem gewaltigen Norderhauch, und zu lauter festen, leuchtenden Bahnen werden für Kriegsmann und Jäger – bey mir, wo oftmahlen auf Eisfeldern so viel tausend Wintersterne funkeln in kalter herrlicher Mondnacht, daß man der Gestirne am Himmel drüber vergessen möchte – bey mir, wo die Bären angeschritten kommen im Zorn des Frostes, hoch aufgerichtet, Schnee und Eis in ihren Pelzen, daß sie flimmern, wie die Fürsten eines Zauberreichs, – o Philippos, da hab' ich wohl oftmahlen dem Lenze kein freundliches Gesicht gemacht, wenn er mit seinen feuchten Thauwolken herangezogen kam über das Mittagsmeer! Hier jedoch Euer Winter, das ist nur ein halbkalter, halbwarmer Bursch, – wie meine beyden Bischöfe fast! – und Euer Frühling ist ein blühendes, hochgewaltiges Kind. Heil ruf' ich dem Lenz in Konstantinopolis!«

In diesen schönen Tagen standen die kaiserlichen Gärten allen Lustwandelnden offen, nur unmittelbar von den Plätzen, wo sich so eben der Herrscher selbst oder ein Theil seiner Familie aufhielt, wiesen umherwandelnde Leibwächter mit höflichem Ernste die Unberufneren zurück. Thiodolf – dem früher geäußerten Willen des Kaisers gemäß – traf öfters mit den erhabnen Personen zusammen, und ward jedesmahl freundlich von allen empfangen, denn die bleiche Fürstinn Theodora pflegte sich bey solchen Spaziergängen niemals mit einzustellen.

So fand er auch an einem duftigen Abend einstmahlen die hohe Versammlung, indem er sich um eine blühende Orangenwand hindrehte, unvermuthet – am Spiegel eines klaren Teiches, in dessen Mitten ein Springborn anmuthigen Spieles in die Höhe quoll, – auf köstlichen Polstern oder lieblich schwelenden Rasen sitzen gelagert. Ein edler, reisender Sänger, Romanus genannt, war hierher beschieden, den Kaiser, wie auch die holden Frauen und ritterlichen Herren mit schönen Liedern und zierlichem Saitenspiel zu ergötzen. Bisweilen hatte er artige Räthsel darunter fallen lassen, welche alsdann irgend Jemand vom Hofe so zu lösen sich bestrebte, daß man die zierliche Verschlingung, wieder anders verschlungen, gleichfalls in Reim und Maß darstellte, worauf denen, die nicht eben so schnell errathen hatten, das Räthselwort zu allgemeinem Ergötzen mit offenbar zu werden pflegte. Das hatte sich zuletzt wie ein ordentliches Spiel gestaltet, und die blühende Zoe leuchtete in ganz vorzüglich sinnvoller Anmuth dabey hervor.

Wie nun jetzt der junge Wäringerhauptmann sichtbar ward durch die Blüthenhecken, vollgeharnischt, den goldnen Stierhelm auf einem Haupt, – er kam erst im Augenblick von einer Waffenübung her, – zuckten vor der klirrenden Rittergestalt unwillkürlich alle Theilhaber des Festes, wohl selbst den Kaiser nicht ausgenommen, ein wenig zusammen. Romanus that einen falschen Griff in die Saiten; zwey davon rissen, und der Klang fuhr im wehmüthigen Aufschrey durch die Gebüsche hin. Während sich nun Thiodolf mit adelichem Anstande entschuldigte, und dann nach des Kaisers Geboth, auf dem einzigen Sitz, der noch übrig war, – einem niedrigen Rasenbänklein, gerade zu Füßen der jüngern Zoe, – Platz genommen hatte, war dem Sänger das flüchtige Schrecken leicht vergangen. Sein Instrument alsbald mit einem andern, ihm dargebothenen vertauschend, rührte er die Saiten, und sang folgende Worte darein, indem er die Augen mit freundlicher Bedeutsamkeit auf Thiodolf richtete:

   »Ein starkes Schwert
In vergoldeter Pracht,
Zum Sieg bescheert
Für des Kaisers Macht;

   Ein glänzend Eis,
Von Thule herein
Zu Hellas Preis
Geschwommen gar fein:

   Ein Blüthenfeld,
Das ein Blitz umzuckt,
Der manchem Held
Seinen Muth entruckt;

   Ein Gewölk, das wild
Gegen Eichen stürmt,
Dann lieb und mild
Kleine Kinder schirmt;

   Ein Sonnenstrahl
Aus des Nordens Graus,
Ein Licht bey'm Mahl,
Allem Feind ein Graus; –

Mann zagt zu Anfang ein wenig davor,
Dann lockt es Lieder auf Lieder hervor.«

Alle hatten sich freundlich gegen Thiodolf gewandt; das Räthsel schien keiner Lösung mehr zu bedürfen. Da regte die blühende Zoe ihre anmuthige Lippen, und sprach, mit einem seltsamen Lächeln auf den Helden zu ihren Füßen niederblickend, folgende Worte:

   Ein armes Ding,
Das sein Leben flieht,
Im trüben Ring,
Sich mit Tod umzieht,
Könnte luftig leben im Sonnenschein;
Sagt Ja zum Tode, zum Leben Nein!«

Die Hofleute sahen sich befremdet an. »Nichte,« sprach der Kaiser, »ich meine, Ihr seyd im Irrthum; wir alle deuten des Sängers Räthsel auf Jemanden, dem Eure Verse nicht anpassen wollen.«

»O verzeiht, mein kaiserlicher Oheim;« entgegnete die Befragte, mit einem Blicke, der halb der gleichgültigen Zerstreuung, halb dem schalkhaften Spotte anzugehören schien. »Fürwahr, ich habe die Ordnung des Spieles übersprungen. Meine Verse gelten für sich, und geben ganz ein neues Räthsel auf. Der, den Ihr allzumal, Ihr Damen und Herrn, für den Gegenstand des vorigen zu nennen scheint, mag nun mein jetzt begonnenes lösen.«

Man drang in Thiodolf, der Fürstinn zu gehorchen; er neigte sich in stiller Wehmuth, denn ach! er hatte Zoes Meinung nur allzuwohl verstanden, aber nach Nordlandsweise geübt in den sinnvollen Spielen der Räthselwelt, hatte er alsbald auch den Doppelsinn in jenen Reimen erfaßt, und redete nach einigem Schweigen also:

   »O laßt das arme dunkle Wesen
In trüb einsamen Ringen still!
Dazu einmahl ist es erlesen,
Weil es so muß, nicht weil es will.

   Es baut an seinem eignen Grabe,
Entgegen strebt's der Todesgluth,
Und bringt – wie Leben lock' und labe –
Nur ihr sich dar im stäten Muth.

   Genug, wenn einst aus seinem Leiden,
Aus seinem stillen Todesfleiß
Sich edle Frauen prangend kleiden
Mit hellem Schmuck in Huld und Preis.«

»Es hat gewählt –

»Der Seidenwurm!« riefen ihm viele Stimmen, ohne ihn weiter sprechen zu lassen, entgegen, und allgemeines Lob über seinen Scharfsinn und die Zierlichkeit seiner Auflösung ließ sich von allen Seiten vernehmen. Nur tadelte man es, daß er der Fürstinn nicht in dem Sylbenmaße, welches sie angegeben, geantwortet habe.

»Das hatte wohl eine gute Ursachen;« entgegnete die reitzende Zoe, eine Thräne im Auge zerdrückend. »Des Spieles Ordnung war nun einmahl gestört, und zwar durch mich. Doch überhaupt – seht nur, wie schleierhaft die Nebel von den Wiesen aufsteigen; alles Spiel geht zu Ende, denn alle Blumen verhüllen sich, und die schlanken, liebeblühenden Zweige gießen wehmüthigen Thau herab. O laßt es aus seyn mit den Scherzen, und uns den Heimweg antreten in die still leuchtenden Kammern.«

Sie verhüllte, wie vor der feuchten Dunkelheit der Nacht, ihr schönes Haupt, so daß sie fast selbst als eine der holden Blumen anzusehen war, von welchen sie eben gesagt hatte, Nebelschleier zögen darüber hin. Der Hof brach auf, Romanus beurlaubte sich, und Thiodolf blieb allein an der einsam gewordnen Stätte zurück.


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