Leo Frobenius
Schwarze Sonne Afrika
Leo Frobenius

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Der unnütze Junge

Felszeichnung

Ein Mann heiratete eine Frau. Die Frau gebar ein Kind. Das Kind war ein Junge; sie nannten ihn Mama. Der Junge war sehr ungezogen. Er verdarb alles. Er konnte nichts fertigbekommen. Die Mutter wußte nichts mit ihm anzufangen. Eines Tages warf die Mutter den Mama auf den Misthaufen (Susunti).

Mama saß auf dem Susunti. Der Jäger kam aus dem Busch. Er kam an dem Susunti vorbei. Er sah Mama auf dem Susunti sitzen. Er sagte: »Wer hat den hübschen Jungen auf den Susunti geworfen?« Mama sagte: »Ich wollte immer in den Busch gehen, da hat mich meine Mutter auf den Susunti geworfen.« Der Jäger sagte: »So komm mit mir, du kannst dann immer in den Busch gehen und wirst Jäger.« Mama sagte: »Es ist mir recht.« Sie gingen zusammen fort. Der Jäger ging mit dem Burschen in den Busch. Sie kamen an einem Edinschibaum vorbei. Der Edinschibaum hat kleine Früchte. Der Jäger gab Mama einige Handvoll von den Früchten und sagte: »Iß die, du mußt lernen, sie zu essen. Es ist Jägerspeise.« Mama versuchte die Früchte. Sie schmeckten ihm nicht. Darauf schüttelte er heimlich die Pfeile des Jägers aus dessen Köcher und füllte statt dessen die Edinschifrüchte hinein. Der Jäger sah es nicht.

Nach einiger Zeit kamen sie ganz nahe an einen Büffel heran. Der Jäger sagte zu Mama: »Reiche mir einen Pfeil aus dem Köcher; ich will den Büffel schießen.« Mama gab ihm einige Edinschifrüchte aus dem Köcher. Der Jäger sagte: »Die meine ich nicht. Gib mir einen Pfeil aus dem Köcher. Ich will den Büffel schießen.« Mama sagte: »Ich sollte vorhin die Edinschifrüchte essen. Ich mochte sie aber nicht. Da schüttete ich die Pfeile unter dem Baum aus und füllte den Köcher mit Früchten.« Der Jäger sagte: »Du bist wirklich zu nichts zu gebrauchen.«

Er brachte den Mama wieder auf den Susunti. Mama saß auf dem Susunti. Ein Trommler kam auf dem Wege nach der Stadt vorbei. Er kam an dem Susunti vorbei. Er sah Mama auf dem Misthaufen sitzen. Der Trommler sagte: »Wer hat denn den hübschen Jungen auf den Susunti geworfen?« Mama sagte: »Ich trommelte immer so gerne, da hat mich meine Mutter auf den Susunti geworfen.« Der Trommler sagte: »Komm mit mir zum König, du kannst Trommler werden.« Mama sagte: »Es ist mir recht.« Sie gingen zusammen fort.

Mama ging mit dem Trommler bis gegen Sonnenuntergang. Sie kamen in der Stadt an. Der Trommler sagte: »Wer wird nachts die Trommeln bewachen, wenn wir anderen drinnen schlafen? Sollte das nicht gut für Mama sein?« Die Trommler gingen in das Haus. Mama blieb draußen bei den Trommeln. Als Mama allein war, fror ihn. Er sagte: »Die Trommler haben mir dies wohl als Feuerholz gelassen.« Er nahm eine Trommel, zerschlug sie und machte daraus ein Feuer. Als sie verbrannt war, zerschlug er eine andere Trommel und warf sie in das Feuer. Er verbrannte eine Trommel nach der anderen. Er verbrannte alle Trommeln.

Am anderen Morgen, als der Hahn schrie, kam der Trommler aus dem Haus. Er sagte zu Mama: »Nimm eine Trommel und schlage sie für den König!« Mama sagte: »Welche Trommel soll ich schlagen? Hast du mir für die Nacht anderes Feuerholz gekauft? Glaubst du, daß das Feuer der Trommeln die ganze Nacht gereicht hat? Es ist keine Trommel übrig geblieben.« Der Trommler sagte: »Ich habe dir allerdings kein Feuerholz gekauft.« Mama sagte: »Deshalb machte ich mit den Trommeln ein Feuer.« Der Trommler schlug den Mama. Er sagte: »Du bist wirklich zu nichts zu gebrauchen.«

Er brachte den Mama wieder auf den Susunti. Mama saß auf dem Susunti. Ein Afa (Mohammedaner in der Sprache der Yoruba) kam auf dem Wege nach der großen Stadt an dem Susunti vorbei. Er sah Mama auf dem Susunti sitzen. Der Afa (oder Mallem) sagte: »Wer hat den hübschen Jungen auf den Misthaufen geworfen?« Mama sagte: »Ich betete so viel zu Hause. Ich bat immer darum, schreiben lernen zu dürfen. Da hat mich meine Mutter auf den Misthaufen geworfen.« Der Mallem sagte: »Komm mit mir in die ganz große Stadt. Da kannst du ein Mallem werden.« Mama sagte: »Es ist mir recht.« Der Mallem gab ihm den Ledersack mit seinen Büchern zu tragen. Sie gingen zusammen nach der ganz großen Stadt.

Sie kamen in die ganz große Stadt. Die Stadt war größer als irgendeine andere. In dieser großen Stadt war aber kein Afa (Lehrer des Islam). Der König der Stadt hatte einen Knaben, der sollte lesen und schreiben lernen. Es war aber kein Afa in der großen Stadt. Der König hörte nun, daß ein Afa angekommen war. Er gab einem Boten 200 Sklaven und sagte: »Geh und bring die dem Afa, der soeben angekommen ist!« Der König gab einem Boten 200 Pferde und sagte: »Geh und bring die dem Afa, der soeben angekommen ist!« Der Afa fragte: »Wo soll ich schlafen?« Der König sagte: »Führt ihn in das Gehöft eines ganz großen Mannes, der für ihn sorgen soll.« Man brachte den Afa bei einem ganz großen Mann unter. Am Abend sandte der König seinen Sohn mit einem Boten. Der Bote sagte: »Hier ist der Sohn des Königs, lehre ihn Tuschi Sokos Buch!« (Tuschi = Bote, Prophet, Soko = Gott aller) Der Afa sagte: »Es ist recht!« Nachher gab der König einem Boten 200 Matten und sagte: »Bringe die dem Afa, der heute angekommen ist!«

Als es Nacht wurde, rief der Afa den Knaben Mama und sagte: »Dies hier ist der Sohn des Königs. Es ist der Junge, den ich unterrichten soll. Schlaf mit ihm in diesem Zimmer. Ich werde im Raum nebenan schlafen.« Der Afa ließ die beiden Jungen in ihrem Raum und legte sich selbst nebenan nieder. Der Sohn des Königs schlief ein. Der Afa schlief ein. Mama war noch wach. Der Sohn des Königs furzte. Mama hörte dies. Er ging in den anderen Raum zu dem Afa, weckte ihn und sagte: »Der Junge, mit dem ich schlafen soll, furzt zu sehr. Ich kann nicht mit ihm schlafen.« Der Afa sagte: »So rücke ein wenig von ihm ab und schlaf an einem anderen Platz.« Mama sagte: »Ich will es versuchen.«

Mama ging zurück. Er rückte seine Matte von der des Königssohnes ab und legte sich an einem anderen Platz nieder. Nach einiger Zeit furzte der Sohn des Königs abermals. Mama stand auf, ging in den Nebenraum, weckte den Afa und sagte: »Der Sohn des Königs furzt so, daß ich nicht schlafen kann. Wenn er noch einmal furzt, muß ich ihn töten.« Der Afa sagte: »Nun schlaf endlich und laß mich schlafen!«

Der Afa schlief wieder ein. Mama ging in den Raum des Königssohnes zurück und legte sich auf seine Matte. Nach einiger Zeit furzte der Sohn des Königs abermals. Mama stand auf. Er nahm ein Messer. Er ging zu dem schlafenden Sohn des Königs. Er schnitt dem Sohn des Königs den Hals durch. Dann ging er in den Nebenraum. Er weckte den Afa. Er sagte zum Afa: »Der Sohn des Königs hat noch einmal gefurzt, da habe ich ihn getötet. Nun wird er nicht mehr furzen.« Der Afa sagte: »Was hast du getan?« Der Afa ging in den anderen Raum. Er sah das Blut. Er sah den Kopf des Königssohnes.

Der Afa rannte von dannen. Mama rannte hinter ihm her. Der Afa rannte aus der Stadt hinaus. Mama rannte hinter ihm her. Der Afa rannte durch die Farmen. Mama rannte hinter ihm her. Der Afa nahm einen Stock, schlug Mama und sagte: »Lauf in die Stadt zurück!« Der Afa rannte weiter. Mama rannte hinter ihm her. Der Afa nahm einen Stock, schlug nach Mama und sagte: »Lauf in die Stadt zurück.« Der Afa rannte weiter. Mama rannte hinter ihm her. Der Afa nahm einen Stock, schlug nach Mama und sagte: »Lauf in die Stadt zurück!« Der Afa rannte immer weiter fort. Mama rannte immer hinter ihm her.

Am anderen Morgen rief der König einen alten, angesehenen Mann und sagte: »Nimm einige angesehene Leute und gehe in das Haus des Afa. Sage ihm meinen Gruß! Frage ihn, ob er sich wohlbefindet!« Der angesehene Mann stieg mit 200 Leuten zu Pferd. Er ritt mit den 200 Leuten zu dem Haus des Afa. Er stieg mit seinen 200 Leuten ab. Er ging hinein. Er trat in die Tür. Er sah das Blut. Er sah den Kopf des Königssohnes. Er sah, daß der Afa fortgelaufen war. Er kam zu seinen 200 Reitern zurück. Alle setzten sich aufs Pferd. Sie ritten sogleich hinter dem Afa her.

Mama und Afa sahen die Reiter in der Ferne kommen. Es war da ein Baum. Mama und Afa stiegen auf den Baum. Sie versteckten sich in den Zweigen. Nach einiger Zeit kam der Anführer mit den 200 Reitern an. Der Anführer stieg mit den 200 Reitern ab. Sie ruhten unter dem Baume aus. Der Anführer setzte sich im Schatten nieder. Der Anführer nahm seine Mütze ab. Er war ein alter Mann. Er hatte keine Haare auf dem Kopf. Mama war gerade über dem Kopf des Anführers. Mama sah den kahlen Kopf des Anführers. Mama sagte zu dem Afa: »Sieh den nackten Kopf des Anführers! Ich sitze gerade über ihm. Ich möchte ihm auf den Kopf kacken. Ich würde ihn treffen.« Der Afa erschrak. Der Afa sagte: »Wenn du das tust, werden sie uns sehen. Dann werden sie uns totschlagen.« Der Mama sagte: »Ich werde es nicht tun.« Einige Zeit nachher kackte Mama aber trotzdem. Er traf den nackten Kopf des Anführers. Der Anführer blickte empor und sagte: »Welche Art von Vögeln kackt denn auf meinen Kopf?« Alle Leute begannen aufzublicken. Sie sahen Mama und den Afa. Die Leute begannen den Baum umzuhauen. Der Baum begann zu wanken.

Oben flog der Vogel Lao (eine große weiße Adlerart mit roten Fängen und rotem Schnabel) vorüber. Der Vogel Lao sagte zu Mama und dem Afa: »Versteckt euch in meinen Federn. Aber berührt nicht die Federn meines Schwanzes!« Mama schlüpfte unter den linken Flügel des Lao. Afa schlüpfte unter den rechten Flügel des Lao. Sie hielten sich fest. Mama sagte zu dem Vogel Lao: »Wie könnte ich dir Schlechtes tun, wo du uns von hier forttragen und retten willst!« Der Vogel Lao flog mit ihnen von dannen.

Nach einiger Zeit flog der Vogel Lao mit Mama und dem Afa ganz hoch oben in der Luft. Mama sagte zu dem Afa: »Sieh den schönen Schwanz des Vogels Lao. Ich muß ihn einmal anfassen!« Der Afa erschrak. Der Afa sagte: »Der Vogel Lao hat das untersagt. Wenn er uns fallen läßt, stürzen wir herab. Wenn wir herabstürzen, werden wir sterben, noch ehe wir zur Erde kommen.« Mama sagte: »Ich werde es nicht tun!« Nach einiger Zeit faßte Mama an den Schwanz des Vogels. Als der Vogel Lao das fühlte, schüttelte er sich. Mama stürzte herab. Der Afa stürzte herab. Ehe Afa zur Erde kam, hatte er sich in langes Gras verwandelt. Ehe Mama zur Erde kam, hatte er sich in das kurze harte Gras verwandelt, das jeden Fuß verwundet, der darauf tritt.

Wenn eine Mutter ihr Kind auf den Misthaufen wirft, kann man sicher sein, daß es nicht mehr viel taugt.


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