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9. Kapitel

Ich hatte in Wien von einem ungarischen Edelmanne einen jungen Hund zum Geschenk erhalten, ein großes, schönes schwarzzottiges Tier, welches in den Gebirgen seines Vaterlandes zur Wolfsund Bärenjagd gebraucht wird. Er hieß Othello und war von außerordentlicher Kraft und Klugheit. Dieser Hund war nebst Phillipps mein beständiger Gefährte auf allen meinen Reisen gewesen und hing mit ungewöhnlicher Treue an mir, so daß er außer meinem Rufe nur eben jenem Phillipps gehorchte.

Nach England zurückgerufen, war er mir auch bis hierher gefolgt, hielt sich immer in meiner Nähe und schlief sogar Nachts vor meinem Bette auf einer wollenen Decke.

Aber schon den ersten Tag in Codrington-Hall sah ich meinen Othello weniger als sonst, obgleich es mir wegen der ernsthaften Angelegenheiten, die mich den ganzen Tag beschäftigten, weniger auffiel, und gerade an jenem für mich so schrecklichen Morgen war er mir ganz aus den Augen gekommen, auch dachte ich gar nicht an ihn, weil Kopf und Herz mit weit abschweifenden Gedanken und Empfindungen angefüllt waren.

Als ich nun in jenem, mich fast betäubenden Schmerze von der Halle meines Vaters die Kastanienallee zur Pfarrerswohnung hinabschritt, sah ich plötzlich, nicht weit von mir entfernt, in dem Schatten einer großen Buche meinen Hund zu den Füßen eines weiblichen Wesens liegen, welches, ein Buch in der einen Hand und die andere auf dem Kopfe Othellos gelegt, in einer halb sitzenden, halb liegenden Stellung in der Stille des grünen Waldes ruhte. Sie schien mich noch nicht zu sehen; als ich mich aber langsam und still beobachtend näherte, erhob der Hund leise seinen Kopf und blickte mich, mit seinem großen zottigen Schweife wedelnd, so klug und freundlich wie immer an, als wollte er sagen: »Da bist du ja auch, ich habe dich schon lange erwartet, denn sieh! es gefällt mir hier sehr wohl!«

Als das Mädchen endlich meine über das Moos gleitenden Schritte vernahm, blickte es auf und erhob sich, und nun erst war ich vollständig von dem ungewöhnlichen Anblick vollendeter weiblicher Anmut und Schönheit betroffen. Ein weißes Gewand vom feinsten Musselin umschloß bis zu den entblößten runden Schultern den zartesten und wohlgeformtesten Leib, den ich in meinem Leben gesehen habe; ihre langen hellbraunen, gleich Gold und Seide glänzenden und bei jeder Bewegung des schönen Halses wogenden Locken beschatteten ein Gesicht, welches an zartem Reiz auf Erden seinesgleichen nicht haben konnte, so daß mir plötzlich ein neuer Sinn aus der innersten Tiefe meines Wesens zu erstehen schien, der mich ein Wunderwerk bemerken ließ, das vorher wohl dagewesen, aber nie von mir wahrgenommen war.

Vor Allem aber war es ihr großes dunkelbraunes, halb von langen schwarzen Wimpern bedecktes Auge, welches, so offen und verständig und ohne alle Verwunderung mich anblickend, in meinem Herzen zu lesen schien, so daß es mir vorkam, als träte aus ihr etwas mir geistig Verwandtes, ein zweites mir gleichendes Ich mir entgegen und hieße mich mit einer Sprache willkommen, die zwar noch nicht erklungen war, die ich aber dennoch zu verstehen glaubte.

Doch wie soll ich Ihnen ein weibliches Wesen beschreiben, welches in seiner unendlichen und zauberhaften Anmut sich nicht beschreiben läßt, das ich nur empfinden kann und mir im ersten Momente, wo es vor meine Augen kam, wie ein Bote des Gottes erschien, zu dem soeben mein Herz gesprochen, und welchen er mir gesandt hatte, um die Finsternis zu erhellen, in die meine ganze Seele getaucht war.

So war denn auch die Wirkung dieser für mich himmlischen Erscheinung – ein Frieden, eine Ruhe der Seele und Behaglichkeit des Geistes, die ich am wenigsten jetzt erwartet, obschon am meisten bedurft hatte.

Sie trat mir einige Schritte entgegen. Und meinen stummen, ehrerbietigen Gruß auf die anmutigste Weise erwidernd, sagte sie mit einer Stimme, die ganz mit dem wohltätigen Gefühle, welches ihre Erscheinung hervorgerufen, übereinstimmte und mich allen Kummer und Sorge der Welt vergessen ließ:

»Ich bitte um Verzeihung, Mylord, wenn es scheint, als hätte ich Ihnen Ihren Hund abwendig gemacht, allein er kam von selbst und leistete mir Gesellschaft bei meinem Morgenspaziergange durch den Wald.«

Was ich ihr entgegnete, weiß ich nicht mehr, nur fühlte ich immer mehr und mehr, je länger ich sie sah und mit ihr sprach, wie meine bittere Vergangenheit einer süßeren Gegenwart wich, und so näherte ich mich mit ihr, vielleicht ohne es zu wissen, der Wohnung ihres Vaters, denn dies war – Miß Ellinor, Mr. Grahams Tochter, die ich so unerwartet im Walde gefunden.

Vor der gewöhnlich verschlossenen Haustür angekommen, blieb sie stehen, klopfte und rief:

»Bob, alter Bob! öffne die Tür – rasch! Mylord Percy ist da, der meinen Vater zu besuchen kommt!«

»Sie kennen mich? Und doch haben wir uns noch nie gesehen?« fragte ich erstaunt.

»Was das betrifft«, sagte sie und lächelte, wie nur ein Engel lächeln kann, »so sah ich Sie gestern schon, als Sie kamen, und mein Vater berichtete mir, daß Sie Derjenige seien, den er längst erwartet hat.«

Hier öffnete Bob, der alte Diener des Hauses, die Tür, und wir traten ein.

»Darf ich Sie bitten, mich zu Mr. Graham zu begleiten?« sagte ich, denn mir fiel ein, daß Miß Ellinor bereits durch ihren Vater von meinen Verhältnissen unterrichtet sei und daß ihr weibliches Gefühl sie richtig zu leiten pflege, wo der Verstand und das Urteil des Mannes nicht immer ausreichend sei. In meiner trostlosen Lage aber bedurfte ich sowohl des Einen wie des Andern, und ich schätzte mich glücklich, in dem Hause des Pfarrers Beide zu finden.

Wir stiegen daher zusammen die schmale, gewundene Treppe in den Turm hinauf und traten in das stille Studierzimmer des Gelehrten, und hier erst, als er mir gegenüberstand und mich aufmerksam betrachtete, war es, wo mir wieder einfiel, was ich bei meinem Vater erfahren und warum ich den Pfarrer aufgesucht hatte.

Mr. Graham blickte mich, wie ich schon sagte, mit aufmerksamer und gespannter Miene an, als wolle er, schon ehe ich sprach, auf meinem Gesichte lesen, was ich ihm mitzuteilen hätte.

»Mr. Graham!« begann ich, »ich hoffe, ich kann in Miß Ellinors Gegenwart von meinem Besuche bei meinem Vater sprechen?«

»Wenn Sie es wollen, Mylord«, erwiderte er, »ich will es gewiß, sie ist ja schon mit Ihren Angelegenheiten bekannt.«

»Nun denn, mein Freund, so bezeichnen Sie mir eine Wohnung hier in der Nähe, die ich sogleich für einige Zeit beziehen kann, und die, jenseits des Gebietes des Marquis von Seymour gelegen, doch nicht allzuweit entfernt ist, um es nicht in einigen Stunden erreichen zu können.«

»Und ist es unmöglich, daß Sie in dem Schlosse Seiner Herrlichkeit wohnen?« fragte besorgt der Pfarrer.

»Es ist unmöglich, Mr. Graham!« erwiderte ich und erzählte kurz das soeben Vorgefallene.

Vater und Tochter standen sprachlos, als ich meine Erzählung beendigt hatte; dann aber ergriff Ersterer meine Hand und sagte mit einem Tone ernster Würde und männlichen Entschlusses:

»Es freut mich, Mylord, daß Sie in Ihrer Bedrängnis als Mann zu mir, dem Manne, gekommen sind, und ich hoffe, daß Ihnen, wenn nicht meine Hilfe, doch meine Teilnahme in diesem Ihren Mißgeschicke einigen Trost gewähren wird.«

»Und was tun Sie nun?« fragte Ellinor, innerlich erbebend, und sah mich forschend und besorgt an, indem eine Träne in ihrem großen Auge glänzte.

Ich stand jedoch ohne Worte da, denn ich hatte kaum alle Gedanken zusammen, um über die so wichtige Frage nachdenken zu können. Da ergriff abermals der Pfarrer meine Hand und sagte nachdrücklich Folgendes zu mir:

»Mylord Percy! Gestern Abend verlangten Sie von mir einen Rat, aber ich verweigerte Ihnen denselben, weil ich noch hoffte, er würde unnötig werden. Aber diese Hoffnung ist vollkommen gescheitert, wie ich beinahe fürchten muß, nach dem, was Sie mir mitgeteilt haben. So will ich Ihnen denn diesen meinen Rat nicht länger vorenthalten, vorausgesetzt, daß Sie ihn mit denselben Empfindungen aufnehmen, wie ich ihn gebe, durchdrungen von dem heiligen Gefühl für Gerechtigkeit und Menschenliebe. Mylord! Ihr Vater ist alt und krank – er kann seinem Alter und seiner Krankheit unterliegen – irregeleitet – ja, ja, so ist meine Meinung irregeleitet durch uns unbekannte Tatsachen, begeht er einen Gewaltstreich gegen Sie. Um seiner Handlungsweise aber den Schein des Rechts zu geben, verschanzt er sich hinter ein Gesetz; soviel ich aber weiß und wir alle wissen, existiert dies Gesetz in Bezug auf Sie nicht, und Sie dürfen sich daher nicht schrecken lassen oder, im Notfall, das wirkliche Gesetz in Anspruch nehmen.«

»Das Gesetz?« rief ich. »Wäre es dahin gekommen? Und gegen meinen Vater? Nein, Sir, ich bin entschlossen, zu dulden von meinem Vater, was ich als Sohn dulden muß, und obgleich es traurig für mich sein mag, dieses Schicksal zu ertragen – glauben Sie mir ich werde es ertragen.«

»Ha! ich verkenne Sie nicht, Mylord!« rief mit Wärme der edle Mann, »Sie wollen großmütig sein, wo Sie gerecht sein dürfen aber Sie bedenken nicht die Folgen. Mich, als Fremden, geht Ihre Sache nichts an – aber als Mensch fühle ich, daß man Sie mit Füßen tritt, und es ist etwas in meinem Herzen, was niemals solche Erniedrigung einer edlen Seele hat ertragen können. – Noch einmal, Mylord, bedenken Sie, daß Ihr Vater heute sterben kann und daß ein Bruder, den ich wenigstens nicht achten kann, morgen mit herrischen Mienen auf Sie herabblickt, der Sie ihn geduldig und ohne murren zu dürfen in dem Besitze dessen sehen, was Ihr Eigentum ist.«

Ich stand, die Augen zu Boden gesenkt, vor dem Vater und seiner Tochter – in mir häufte sich Schatten auf Schatten, und es war in meinem Herzen wie die Nacht, auf die kein Tag zu folgen scheint. Der Pfarrer fuhr fort:

»Mylord! Nehmen Sie wenigstens Ihre Zuflucht für mögliche Fälle zu gerichtlichem Beistande–ich weiß, Sie werden es mir einst danken, obgleich ich Ihres Dankes nicht begehre, denn ich tue hier nur meine Pflicht, wie ich sie schon früher getan habe. Hören Sie! Ich habe einen älteren Bruder in London, der ein redlicher, ein gelehrter Mann und ein tüchtiger Rechtsgelehrter ist – ich will an ihn schreiben und ihm die Sache vorstellen, und Sie, verfügen Sie sich wenigstens zu ihm und fragen Sie ihn um seinen Rat, denn Ihre Sache, die noch lange nicht ganz verloren ist, kann bald vollständig gewonnen werden.«

»Hören Sie auch mich an, Mr. Graham«, sagte ich, »und Sie, Miß Ellinor, urteilen Sie, ob ich Recht oder Unrecht tue. – Meine Sache ist bereits verloren, denn ich habe auf das Recht, meinen Vater einst zu beerben, schon verzichtet, und wenn ich es überhaupt in Anspruch hätte nehmen wollen, so geschah es, nicht um seine Reichtümer genießen und seine Güter beherrschen, sondern einzig und allein, um den Namen desjenigen führen zu können, der mir das Leben gab. Umso hartnäckiger aber nahm ich es in Anspruch, damit ich, im Besitze des Namens meines Vaters, nicht der öffentlichen Beschimpfung ausgesetzt wäre, von mir sagen zu hören, ich führte zwar den Namen meiner Mutter, aber nicht den meines Erzeugers. Jetzt aber will ich auch auf dieses ebenso schöne wie billige Recht verzichten, und nichts in der Welt soll mich bewegen, einen Prozeß um dieses Recht zu beginnen, der, wenn ich ihn verlöre, mich als einen Bastard und Schurken, und wenn ich ihn gewönne, als den undankbaren Sohn bezeichnen könnte, der gegen seinen eigenen Vater und Bruder die Gewalt der Gesetze in Anspruch genommen hat, und somit auf jede Weise mich in den Augen der Welt erniedrigte. Nein, ich verzichte auf alles – Erb' und Gut, und Namen und Titel! nur soviel mögen sie mir gönnen, daß ich noch so lange hier verweile, bis ich gewiß weiß, ob dieser Vater, der mich ehrlos zu machen strebt und vor dem ich dennoch in Ehrfurcht mein Haupt beuge und ihm Glück und Gesundheit gönne, dem Leben erhalten bleiben wird, und ob dieser Bruder, der meine Rechte antastet, derjenige ist, welcher es verdient, daß ihm dieses Opfer von mir gebracht werde. Nur in einem einzigen Falle – und soweit wird es kein Mensch treiben – würde ich von Ihrem Anerbieten und der Anrufung der Gesetze Gebrauch machen: wenn ich nämlich öffentlich angegriffen, mein guter Ruf dadurch geschmälert würde und meine Ehre in Gefahr geriete, befleckt zu werden.«

»Ich ehre Ihren Entschluß, Mylord, denn er ist edel und groß, aber ich sehe es kommen, daß Sie bedauern werden, so milde gewesen zu sein, wo man gegen Sie grausam und verräterisch war; denn dieser Bruder – dieser Mortimer –«

»Sie fürchten von meinem Bruder?« fragte ich.

»Ich mißtraue ihm«, erwiderte der Pfarrer und sah seine Tochter mit einem Blicke an, der mir wegen der Besorgnis und der Rührung, die er aussprach, auffiel. Als ich gleich darauf mein Auge ebenfalls auf sie wandte, sah ich ihr reizendes Gesicht mit einer flammenden Röte Übergossen, die sie nicht mehr verbergen konnte.

»Sie wissen mehr, als ich vermutete«, sagte ich zu Beiden, »darf ich, ohne unbescheiden zu sein, nicht erfahren, was Sie erröten macht, Miß Ellinor?«

»Ach, Mylord Percy«, erwiderte diese, »es ist nicht gut, alles Böse in der Welt wissen zu wollen; schon das Gute macht uns oft Kummer und Sorge genug. Doch seien Sie versichert, daß mein Vater es ehrlich mit Ihnen meint und diesmal den Anschein des Rechten in seiner Aussage hat.«

»Miß Ellinor, ich will das Rechte und nicht den Anschein des Rechten!«

»Nun, wenn Sie es denn wissen wollen, er hat das Rechte selbst gesagt.«

»Und mein Bruder hätte schon früher über seine Verhältnisse mit Ihnen gesprochen?«

Das Mädchen zögerte mit der Antwort einen Augenblick, dann aber ihr Lockenhaupt gerade emporhebend und mich mit einem Blicke der unverhülltesten Offenheit anschauend, sagte sie, indem sie abermals errötete:

»Es kann wohl sein!«

»Also er hat mich bei Ihnen verleumdet?« rief ich entrüstet.

»Das hat nichts zu bedeuten«, war die einfache, weder bejahende noch verneinende Antwort, »ich konnte nicht vermeiden, daß Sir Mortimer bisweilen von seinen Aussichten und den möglichen Ansprüchen seines Bruders sprach, was er aber auch sprach – seien Sie versichert, Mylord! – ich habe meine eigenen Ansichten und Meinungen, die Sie einem Mädchen wohl gestatten werden.«

»Nun! was er auch sprach – fahren Sie fort –«

»Nun denn – ich habe es mir angehört, aber es hat seine Wirkung nicht getan.«

»Seine Wirkung nicht!« wiederholte ich und dachte nach, was das für eine Wirkung sein könnte, die mein Bruder gegen mich zu erzielen beabsichtigte.

»Denken Sie nicht darüber nach, Mylord«, unterbrach sie mich in meinem Sinnen, »es hat nichts zu bedeuten.«

»So danke ich Ihnen, Miß Ellinor, für Ihre gute Meinung von mir, und ich hoffe, Ihnen noch beweisen zu können, daß mein Bruder wenigstens kein Recht hatte, von mir als einem Manne zu sprechen, der, Ihrer Teilnahme unwürdig, das Schicksal verdient, welches so unerwartet über mein Haupt hereinbricht, mich aber auf keine Weise erniedrigen kann.«

Und so schloß unsere Unterredung.

Aus der Verlegenheit, in welcher ich mich um eine Wohnung befand, zog mich noch an demselben Tage Phillipps. Seine Schwester, die Witwe eines Försters auf einem der angrenzenden Gebiete, besaß und bewohnte ein im Walde gelegenes kleines Haus, wo sie, da sie selbst keine Kinder hatte, die beiden Söhne meines Dieners, dessen Frau während seiner Reisen mit mir gestorben war, erzog. Zu dieser verfügte ich mich noch am Abend dieses für mich so verhängnisvollen Tages und bezog ein kleines, aber freundliches Gemach von acht Fuß Breite und acht Fuß Länge, dessen schmales Fenster mit grünem Geisblatt umrankt war und das mir die brave Frau in der Eile zuvorkommend geräumt und eingerichtet hatte.

Bei mir waren von allen meinen Besitztümern, die nicht ganz siebzig Meilen davon lagen und die ich in ihrer neuen Ausstattung noch nicht gesehen und genossen hatte, außer Phillipps – Bravour, mein schwarzes, arabisches Pferd, welches Sie mich hier reiten gesehen, Othello, mein Hund, und – mein gefaßtes, gegen alle Stürme der Welt mächtig ankämpfendes Herz – war ich nicht reich genug, um, ohne die Anfechtungen meiner nächsten Blutsverwandten, glücklich und zufrieden zu sein?

Lassen Sie mich jedoch über die nächsten Tage, die ich in meinem einsamen Waldhäuschen, teils lesend und schreibend, teils über meine nächste Vergangenheit und Zukunft nachdenkend, zubrachte, hinweggehen und die Ereignisse vorbereiten, die bald, in gedrängter Folge, auf mich hereinstürzen sollten. Alle Tage, gegen Mittag, ritt ich, gewöhnlich von Othello begleitet, zu Mr. Graham, der mir bald der teuerste Freund und Ratgeber wurde, speiste bei ihm und blieb, bis der späte Abend, oft auch erst die hereinbrechende Nacht mich zu meinem stilleren Wohnorte zurückrief.

Bei diesen regelmäßigen und durch keine Widerwärtigkeit unterbrochenen Zusammenkünften unterhielten wir uns nicht allein von meinen Verhältnissen und dem, was uns zunächst begegnet war und zunächst wieder begegnen konnte, sondern wir beschäftigten uns auch mit den Ereignissen des Tages, mit welchen uns die nach Codrington-Hall kommenden Zeitungsblätter bekannt machten, oder auch mit der Literatur fremder Völker und Länder. Vorzüglich aber waren es die griechischen und römischen Klassiker, deren besänftigenden und erhabenen Geist wir gemeinschaftlich zu enträtseln suchten und deren Studium uns stets eine unversiegbare Quelle geistigen Genusses, freudiger Belehrung und Herzenserleichterung war.

Miß Ellinor nahm fast an allen diesen Unterhaltungen Teil, wenn das Hauswesen, dem sie selbst vorstand, sie nicht davon abhielt; tätig und einsichtig bei dem Gespräch und dem Nachdenken über längst entschlafene oder sich vorbereitende Dinge, kam mir der Wert dieses ausgezeichneten Mädchens immer klarer ins Bewußtsein, und ich mußte nicht allein den edlen Geist, der sie beseelte, nicht allein ihr für alles Gute und Schöne empfängliches, heiteres Gemüt, sondern auch ihren gediegenen und festen Charakter bewundern, der nicht durch den Umgang mit der Welt, sondern durch Nachdenken und Unterricht entwickelt war und den eine glückliche Naturanlage und ein schnelles Auffassen alles Schicklichen gestählt und unendlich verschönert hatte.

Es waren beneidenswerte Stunden, die wir Drei, in dem kleinen Turmzimmer, das bald unser Lieblingsaufenthalt wurde, eng beieinander sitzend und von dem Gewühle des Weltlebens gänzlich geschieden, in stiller Zufriedenheit und Harmlosigkeit verlebten. Gewöhnlich arbeitete Ellinor an einer Stickerei und einer von uns Männern las oder sprach, sie aber las auch bisweilen, sogar zur Abwechslung sang sie mit engelreiner und melodischer Stimme zu ihrer kleinen Harfe Lieder, besonders alte schottische Balladen, die sie in ihrer Kindheit von ihrer Amme, einer Schottländerin, gelernt hatte und die, von ihr vorgetragen und über den weiten, spiegelklaren See hingehaucht, einen noch unendlich größeren Zauber auf uns übten, als diesen alten klassischen Gesängen schon von Natur eigen ist.

Oft gerieten wir so, durch Gespräch und Gesang verlockt, tief in die späte Nacht hinein, bis endlich Ellinor aufstand und sagte:

»Mylord Percy, Ihr Pferd stampft ungeduldig vor der Tür, Sie haben einen weiten Weg und es ist kein Mond am Himmel – morgen ist auch ein Tag!«

Und ich ritt davon, um recht, recht bald wiederzukommen und mich abermals an meine Rückkehr erinnern zu lassen.

Das, Sir, waren meine Tage im Hause des Pfarrers zu Condrington-Hall.

Aber auch dieser besuchte mich, obwohl seltener, in meiner stillen Waldhütte, bisweilen zu Fuß, wenn er einer solchen Bewegung zu bedürfen glaubte, in der Regel aber auf seinem braunen, langschweifigen Pony, das allgemein schnell trabte, obgleich es nicht viel größer als Othello war.

Phillipps, der treue Phillipps, der mit mir im Hause seiner Schwester wohnte und mit Wohlgefallen das Heranwachsen seiner beiden Söhne beobachtete, war mir in dieser Zeit mehr als ein guter Diener. Immer schon aufmerksam und wachsam um mich beschäftigt, verdoppelte er jetzt seinen Eifer und war bemüht, mir in meiner Abgeschiedenheit ein so anhänglicher Gefährte und Gesellschafter wie ein bescheidener und redlicher Diener zu sein.

Er ging oft zwischen dem Schlosse des Marquis von Seymour, dem Pfarrershause und meiner Wohnung hin und her und brachte stets Nachrichten mit, die sich in der Folge als richtig erwiesen. Seine stete Sorgsamkeit um mich bemerkend, fragte ich ihn einst, was ihn denn so aufmerksam auf mich mache, und nun vertraute er mir, mit der inständigen Bitte, ihm seine Dreistigkeit zu verzeihen, daß er an jenem bösen Morgen an der Tür des Kabinetts meines Vaters mit dem Haushofmeister desselben, einem alten ehrlichen Manne, gehorcht habe und über alle meine Verhältnisse aufgeklärt sei.

Nach dieser seiner Mitteilung brauchte ich denn mein Geheimnis vor ihm nicht mehr zu verbergen und ich hatte Vorteil davon, denn einen treuen Menschen um sich zu haben, der von unseren Verhältnissen unterrichtet ist und seine Kenntnis zu unserem Besten zu benutzen versteht, ist in Stunden der Not und Einsamkeit eine große Erleichterung und ein guter Trost.

Er war es auch hauptsächlich, der mir fast jeden Tag ernstlich anlag, nicht ohne Waffen auszugehen, was ich bis dahin unterlassen hatte, und sich auch erbot, mich auf meinen nächtlichen Ritten von dem Pfarrershause zu meiner Wohnung zu begleiten.

»Fürchtest Du denn für mich?« fragte ich ihn eines Tages, »und von wem?«

»Gewiß, Mylord, fürchte ich für Sie, und wenn Sie es wissen wollen, ich fürchte von Seiner Herrlichkeit Sohn – Ihrem Bruder.«

»Und warum von ihm, da er mein Bruder ist? Kennst Du ihn von einer so schlimmen Seite?«

»Ich kenne ihn aus jener Unterredung, Mylord, wenn er auch nicht viele Worte sprach, und da ich seine Pläne und seine Absichten weiß, so weiß ich auch, daß man eine solche Erbschaft, wie er sie sich – ich bitte um Verzeihung – erschlichen hat, bei Lebzeiten eines älteren Bruders, wie Sie, nicht antritt, ohne die Besorgnis zu hegen, aus dem Besitze dieser ungerechten Erbschaft vertrieben zu werden – und gegen eine solche Vertreibung ist man auf seiner Hut.«

»Nun, dann muß er auf seiner Hut sein und dann fürchtet er mich, statt daß du willst, daß ich ihn fürchte.«

»Es gibt eine zweifache Hut, Mylord, wie es Schutz- und Trutzwaffen gibt; und da man nicht weiß, welche von beiden er trägt, so rate ich Euer Herrlichkeit, sich wenigstens mit Schutzwaffen zu versehen.«

»Weißt Du etwas näheres von ihm und seinem Vorhaben?«

»Nichts, als was mir die Diener von ihm gesagt haben, daß er heftig, wild, jähzornig und weit leichter zum Schlimmen als zum Guten geneigt sei.«

Hier endete das Gespräch über diesen Gegenstand, und ich versprach und nahm mir vor, auf meiner Hut zu sein, wenn es denn nicht anders ginge. Jedoch begegnete ich niemals dem von Phillipps Gefürchteten, obgleich er bisweilen Vormittags in meiner Abwesenheit in die Wohnung Mr. Grahams kam.

Anfangs wunderte ich mich über dieses Nichtzusammentreffen, und ich war sogar der Meinung, mein Bruder müsse eine Gelegenheit suchen, brüderlich mit mir über das zwischen uns Vorgefallene zu reden, allein bald beruhigte ich mich mit dem Gedanken, daß meines Vaters fortdauernde Krankheit ihn von weiteren Ausflügen abhalte und andererseits, daß der Zufall unser Begegnen nicht wolle. Daß er und mein Vater wisse, ich sei noch in der Gegend, war ganz offenbar, denn seine Diener sprachen mit Phillipps und sie hatten mich auch oft, wenn auch nicht vom Pfarrer gehen, doch zu ihm kommen sehen, und übrigens war die Entfernung zwischen beiden Häusern nicht groß genug, als daß man von meines Bruders Fenstern aus, die nach dem alten Jagdschlosse hin lagen, mein Pferd und mich selbst nicht hätte vor der Tür desselben stehen sehen können, zumal wenn man mein Treiben beobachten wollte.

Das Einzige, was ich aus diesem Umstände besorgte war, daß mein Vater des Pfarrers Umgang mit mir übel deuten und ihm sogar meinen Besuch untersagen könne, und hierin hatte ich mich auch nicht geirrt, wie Sie sogleich hören werden.

Denn als ich eines Morgens, es war noch ziemlich früh, vor meiner Tür saß und in einer Zeitung las, die Abends vorher angekommen war, hörte ich von Weitem den Huftritt des kleinen Pferdes, wie es über einige auf dem Wege hinkriechende Baumwurzeln daherklappte. Verwundert, zu so ungewohnter Zeit Mr. Graham mich besuchen zu sehen, stand ich auf, um ihm entgegenzugehen, als Othello, laut aufheulend vor Freude, heranstürzte und mich zuerst begrüßte.

Dieser Hund nämlich hatte gleich von Anfang seiner Bekanntschaft an eine große Zuneigung für Miß Ellinor bewiesen und auf Bitten derselben ließ ich ihn bisweilen beim Pfarrer. Auch machte es uns Vergnügen, ihn von Zeit zu Zeit als Botschafter zu verwenden, denn er kannte seinen Weg genau und man brauchte ihm bloß sein silbernes Halsband mit dem eingenähten Brief umzuschließen, die Tür zu öffnen und zu sagen: Othello, geh zu deinem Herrn! so lief er schon schnaubend davon und Niemand richtete dann schneller und getreuer seine Botschaft aus als er. Von diesen Botengängen aber mußten wir bald abstehen, denn eines Tages mit seiner leichten Bürde beladen und zu mir geschickt, blieb er länger aus als gewöhnlich, und als er endlich langsam daherkam, streckte er sich sogleich zu meinen Füßen nieder, indem er seine rechte Vorderpfote beleckte. Ich betrachtete den Fuß genauer und fand zu meinem Bedauern eine Schußwunde, die glücklicherweise nur leicht und durch eine Streifkugel erzeugt war, ihn aber verhindert hatte, seinen Weg mit der gewöhnlichen Schnelligkeit zurückzulegen. Von wessen Hand der Schuß gekommen, war zur Zeit Niemandem bekannt, obwohl Phillipps seine eigentümlichen Vermutungen darüber hegte.

Doch ich kehre zu dem am frühen Morgen mich besuchenden Pfarrer zurück.

Kaum vom Pferde gestiegen, rief er mir seinen guten Morgen entgegen, drückte mir die Hand und sagte:

»Ich konnte heute den Mittag nicht erwarten, Sie zu sehen, Percy, und da komme ich denn, Sie abzuholen, zumal es ein so schöner Morgen ist, und wir reiten alsdann zusammen heim. Ellinor hat Rebhühner für heute und ich den schönsten Burgunder bekommen – haha! es ist des lieben Mädchens Geburtstag, Percy!«

Er wollte fröhlich sein, der gute Pfarrer, aber trotz seiner angenommenen heiteren Laune merkte ich ihm eine gewisse Ängstlichkeit an, die auf seinem sonst so ruhigen, friedfertigen Gesichte mir nicht lange verborgen bleiben konnte.

»Und was haben Sie außerdem, Graham?« fragte ich, ebenfalls eine lächelnde Miene annehmend, »verstellen Sie sich nicht, ich sehe, Sie haben noch etwas Anderes zum – Dessert.«

»Kommen Sie hinein!« sagte er mit einem Anflug traurigen Ernstes, und wir gingen in mein kleines Gemach.

»Nun, was gibt es?« fragte ich hier.

»Zweierlei!« antwortete er. »Erstens ließ mich heute gleich nach Tagesanbruch Seine Herrlichkeit, der Marquis, rufen. Ich fand ihn, natürlich im Bette noch, aber doch bedeutend kräftiger, als ich ihn einige Tage zuvor gesehen.«

»Setzen Sie sich, Graham!« sagte er zu mir, sobald ich eingetreten war, ganz wider seine Gewohnheit, »und antworten Sie mir: mein Sohn – der Viscount von Dunsdale, wollt' ich sagen, besucht Sie oft? Hm?«

»Ja, Mylord, alle Tage beehrt er mich mit seinem Besuche!« antwortete ich und sah ihn so ruhig und natürlich an, wie es die Sache mit sich brachte.

»Er beehrt Sie! Hm? – Und warum tut er das?«

»Aus Freundschaft für mich, glaube ich, Euer Herrlichkeit.«

»Und er beklagt sich über mich? Wie?«

»Ich hoffe nicht, daß er Ursache dazu habe, und wenn er sie hätte, so beklagt sich Mylord Percy über nichts, als höchstens über das Unglück, seinem Vater, Eurer Lordschaft, vielleicht einigen Kummer verursacht zu haben.«

»Kummer? Was soll das heißen? Aha! er belügt Sie oder – ihr seid Beide boshaft! Kummer! – Graham! Sie gefallen mir nicht mit einem Worte – mein Sohn darf Sie nicht mehr besuchen! In meiner Nähe sich aufhaltend und alle Tage sein begehrtes Besitztum vor Augen, sinnt er auf Handlungen, die mir nicht behagen und die ihm teuer zu stehen kommen könnten, falls er sie ausführen wollte. Ha! ich weiß –! Hat er sonst noch Ursache, euch zu besuchen, Graham?«

»Soviel ich weiß, keine!« antwortete ich und mochte ihn etwas zu dreist und fragend dabei anblicken, denn sein scharfes Auge heftete sich stechender auf mich und schien aus meinem Innern etwas herauslesen zu wollen, was meines Wissens nicht darin war.

»Schlimm genug, daß Ihr es nicht wißt!« rief er erbittert; »ich weiß es und habe also zwei Gründe, ihn nicht bei Euch zu wünschen – Ihr versteht mich!«

»Ich verstehe Sie nicht, Mylord, und ich kann und werde ihm mein Haus nicht verbieten, er kommt als Freund zu mir und ich liebe ihn!«

»Was! Ihr liebt ihn?«

»Ja, Mylord, ich liebe ihn. Von ganzem Herzen!« beteuerte ich.

»Sir!« rief Seine Herrlichkeit plötzlich laut, »ich verbiete Euch, ihn zu lieben, und ich werde dafür sorgen, daß er meine Nähe verlasse. Er umspinnt Euch und mich mit Ränken; nehmt Euch in Acht, wie ich mich in Acht nehme, denn, weiß Gott! ich werde mich von ihm nicht betören lassen! Und weilt er noch länger hier wider mein Gebot, so entziehe ich ihm auch noch die 3000 Pfund und – und –«

»Mylord!« unterbrach ich ihn, »soviel ich von Percy weiß, fragt er gar nicht nach diesen 3000 Pfund, überhaupt nicht nach Geld, denn er ist ein Ehrenmann!«

»Graham!« rief der Marquis, auf das höchste erbittert, »schweigt! Ich habe Euch verkannt! Ein Sohn, der trotzig genug ist, seinen Vater wider Fug und Recht und auf Kosten eines Bruders, der ihm nie etwas zu Leid getan, beerben zu wollen, kann kein Ehrenmann sein –«

»Und will er denn das?« fragte ich lauter und heftiger als zuvor.

»Ja, er will's! Er hat sich geweigert, die Schrift zu unterzeichnen, die ihm seine richtige Stellung in der Welt und zu mir und seinem Bruder anweist.«

»Aber er hat sein Wort gegeben, diese Stellung anzuerkennen, das heißt sein Erbrecht abzutreten.«

»Das ist nichts, das ist nichts! Das ist keine Bürgschaft oder nur eine, die der morgige Wind verweht! Haha! Solange ich lebe, ist er ruhig – ja! wenn ich aber tot bin, wenn Mortimer, mein teurer Mortimer, sein Erbe antreten will, dann ist er da! Haha! Dann ist er da!«

»So wird er nicht handeln, Mylord, ich weiß es.«

»Ihr wißt nichts – und die Sache ist abgemacht. Ihr kennt meine Meinung, und die laßt ihn wissen – guten Morgen, Sir!«

»Und ich ging, Percy – und hier bin ich!«

»Und Sie kommen, mir zu sagen, daß ich Sie nicht mehr besuchen soll?« fragte ich.

»Mylord Percy! mein teurer Freund!« rief er, »was denken Sie von mir? Im Gegenteil, ich komme, Ihnen zu sagen, daß heute ein Festtag in meinem Hause ist, und ich bitte Sie, heute früher zu kommen und länger zu bleiben als sonst! Sieht dieses Verlangen wie eine Vertreibung aus?«

»Das nicht, aber Sie erwarten vielleicht von mir, daß ich freiwillig Ihre Schwelle nicht mehr betrete?«

Der edle Mann sah mich mit einer Miene an, in der ein freundlicher Unwille mit dem Gefühle verletzten, aber erhabenen Stolzes kämpfte.

»Percy!« rief er, »Sie tun mir weh! Das habe ich nicht verdient jetzt fordere ich Ihre Gegenwart, und augenblicklich!«

»Wohl, ich bin gern bereit, und somit feiern wir unsere Versöhnung, mein teurer Mr. Graham!«

Ich drückte den biederen, treuherzigen und für die Wahrheit und das Recht mit feurigem Jugendmute kämpfenden alten Mann an mein Herz – von diesem Augenblick an war unsere Freundschaft eine ewige.

»Und nun, Graham«, sagte ich, »Ihre zweite Mitteilung.«

»ja! Sie erinnern mich daran. Hier ist sie!«

Mit diesen Worten zog er eine Zeitung aus der Tasche. Darin stand Folgendes, aus London datiert:

»Soeben hören wir aus zuverlässiger Quelle, daß Mylord Percy, Viscount von Dunsdale, nach bisheriger Annahme ältester Sohn des Marquis von Seymour, Grafen von Codrington, von langen Reisen zurückgekehrt ist, um seine Rechte als Erstgeborener des Marquis, der auf dem Sterbebette liegt, in Anspruch zu nehmen. Von seinen demokratischen und illoyalen Gesinnungen aber unterrichtet, hat Seine Herrlichkeit, der Marquis, sich bewogen gefühlt, gerichtlich darzutun, daß Mylord Percy usw. nicht sein rechtmäßiger Sohn, sondern aus einer früheren, nicht anerkannten Verbindung entsprossen sei, so daß also Sir Mortimer, der bisherige zweite Sohn Seiner Herrlichkeit, als wirklich gesetzmäßiger Erbe betrachtet werden muß. Wir berichten dies als eine Tatsache und werden demnächst Näheres darüber melden, zugleich aber nehmen wir diese Gelegenheit wahr, um dem liebenswürdigen und edlen Erben eines so hohen Namens und so großer Reichtümer das Glück zu wünschen, welches er auf alle Weise zu verdienen scheint.«

Ich las diese Zeitungsnachricht, und ich sage die Wahrheit, wenn ich hinzufüge, ohne Erstaunen. Eine offenbare Niederträchtigkeit – und ohne Zweifel war diese Veröffentlichung jener groben Lüge eine solche – hat mich nie außer Fassung zu bringen vermocht; im Gegenteil, sie machte mich stärker und gab mir allen Mut und alle Besonnenheit, die nötig ist, derselben kühn und männlich entgegenzutreten.

»Demokratisch!« wiederholte ich, indem ich noch einmal die schändliche Nachricht überflog, »als ob das ein Tadel nach unserer Verfassung wäre! Wie dumm, wie abscheulich dumm! Und das Nähere versprechen sie noch in der Folge mitzuteilen. Ja – ihr sollt es mitteilen, aber ich selbst werde es euch diktieren! Nun, Mr. Graham – mutig und tapfer! furchtlos und gottgetreu! das ist letzt unsere Losung! Was tun wir zuerst?«

»Wollen Sie nicht an meinen Bruder schreiben, Mylord?« fragte der Pfarrer, der etwas bleich geworden war.

Ich besann mich, ehe ich antwortete, eine Weile.

»Nein, Graham, noch nicht!« sagte ich. »Gönnen Sie mir vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit, denn einmal einen Entschluß fassen, heißt bei mir, ihn auch ausführen, und jeder Schritt, den ich hierin tue, ist wichtig; wenn ich auch meinen Bruder nicht schonen kann – mein Vater ist ein alter, kranker Mann! Sie verstehen mich! Gefällt es aber Gott, mir den Entschluß zum Handeln zu geben – nun ja, dann meinetwegen vorwärts – Gefahren kennt meine Seele nicht.«

Der Pfarrer sah mich verwundert, lächelnd, fragend an.

»Man sollte meinen«, sagte er, »es handle sich um ein Butterbrot, wenn man Ihre ruhige, gleichgültige Miene bei dem Allen sieht.«

»Gleichgültig, Graham?« rief ich. »Ja, allerdings, es gibt eine Höhe des Schmerzes, auf der einem fühlenden Herzen Alles gleichgültig wird – doch nein, nein, nein, teurer Graham! Nicht Alles! – Aber jetzt lassen Sie uns mein Pferd bestellen und Miß Ellinor unseren Glückwunsch bringen.«

Phillipps führte die Pferde heraus, erhielt die Weisung nicht unruhig zu sein, wenn ich etwas lange bliebe, und wir stiegen auf und ritten davon.


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