Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10. Kapitel

Da wir eine gute Stunde lang rasch forttrabten, sprachen wir nicht miteinander, ein Jeder mochte das Seinige zu überlegen haben. Othello lief, nur bisweilen sich nach uns umschauend, weit voraus, denn er wußte ja Weg und Ziel unseres Rittes und er konnte die Zeit nicht erwarten, wieder bei derjenigen zu sein, die ihn mit Liebkosungen und guten Bissen an sich gewöhnt hatte.

Diese Betrachtungen führten meine Gedanken sanft auf Miß Ellinor hinüber, und sie weilten gern bei ihr.

»Also ihr Geburtsfest ist heute!« sprach ich zu mir selber. »Und ich habe ihr kein Geschenk zu bringen – ich bin so arm jetzt!«

Und ich dachte nach, was ich ihr wohl verehren könnte von dem Wenigen, was mir noch für die Gegenwart geblieben war.

Und nun, mein Freund, lassen Sie mich einen Augenblick bei der Erinnerung an dieses liebliche Mädchen verweilen.

Sie denken gewiß, ich liebte diese Ellinor! Ja! wenn das Liebe ist, nichts denken, nichts empfinden als nur einen einzigen Gegenstand allein, den eigenen Schmerz und die eigene Sorge vergessen und nur ihr Wort, ihren Blick, ihr Lächeln uns vor die Seele rufen und Gott bitten, allen seinen reichen Segen über dies einzige Wesen auszuschütten – ja, dann liebte ich!

Ach! ich war damals vierundzwanzig Jahre alt und Ellinor war achtzehn geworden; ich hatte auf meinen Reisen viele der schönsten Frauen gesehen, aber noch nie mit einer in näherer Verbindung gestanden oder auch nur den Wunsch dazu auftauchen gefühlt, denn mein Geist war noch mit seinen extremen weltlichen Ideen und mein Herz mit seinen jugendlichen Idealen erfüllt. Das beseligende Gefühl, für sich selbst nichts und einem Anderen Alles zu sein, kannte ich noch nicht, ich wußte noch nicht, was es hieß, aus dem Blick eines anderen, gleich mir menschlichen Geschöpfes Leben und Seligkeit zu trinken, sein Lächeln zu verstehen, seinem Winke zu folgen und so, Herr und Sklave in einer Person und in süßester Bedeutung, sich auf Erden fast überirdisch und unvergänglich zu wähnen. Denn die Liebe, Sir, jetzt weiß ich es wohl, läßt uns den Gedanken nicht fassen und ausbilden, daß wir einst für das geliebte Wesen, und dieses für uns, aufhören könnten zu sein!

Damals hatte die Freundschaft, die ich für meinen Erzieher empfunden, noch alle übrigen Gefühle verschlungen, und für das allmächtigste, alle Fugen meines Seins ausfüllende Wesen auf Erden und im Himmel hielt ich nur Gott. Erst als ich, nach England zurückgekehrt, allein und verlassen dastand, erst als Vater und Bruder sich von meinem Herzen gerissen hatten und ich Ellinor mit meinem Hunde auf dem grünen Rasen des Waldes liegen, als ich diesen offenen, reinen, kindlichen und doch so verständigen Blick auf mich gerichtet sah und ihn in die tiefste Tiefe meiner Seele dringen fühlte, erst als ich ihre Stimme vernahm, die eine ganz neue Welt von Empfindungen in meinem schlafenden Busen erweckte, erst da fing der erste Ton jener Saite an zu beben, der, einmal erklungen, schnell lauter und lauter ertönt und mit seiner verständlichen, aufregenden Musik unser ganzes Sein, Geist und Leib zugleich, durchdringt und erfüllt.

Aber dieses, meiner Phantasie unaufhörlich vorschwebende und aus meinem Herzen alles Leid verdrängende Mädchen erschien mir für meine Empfindungen und Wünsche noch zu rein, zu erhaben, zu göttlich! Ich hielt mich nicht für den auserlesenen Mann, der in Allem würdig genug war, Ellinor zu lieben und von Ellinor geliebt zu werden; ich wollte erst arbeiten an mir, mein Herz und mein Gemüt noch lauterer stimmen, erst alles Irdische, allen Haß, allen Verfolgungstrieb aus meinem brütenden Gedanken verbannen und so das Glück, die Seligkeit verdienen, dieses Engels Lächeln auf meinem Antlitze ruhen zu sehen.

Aber wie konnte ich nach dem, was mir geschehen war, diese löblichen Vorsätze so schnell vollbringen! Vater und Bruder, und Alles, was sie mir Böses getan, standen auf der einen Seite vor meinem geistigen Auge, und Ellinor, was sie mir Gutes verhieß, auf der anderen; und wie mich diese in meiner Selbstschätzung hob, zogen mich jene herab, und ich schwankte in dem entsetzlichen Bewußtsein, nicht zu wissen, was ich tun, wohin ich mich wenden, ob ich zuerst lieben oder zuerst hassen sollte!

Und dann auch: konnte ich wagen, jetzt mich diesem reinen Wesen mit zärtlichen Wünschen zu nähern, wo Schande und Verlust auf mich herabgeworfen waren? Schande und Verlust, die, wenn ich sie auch nicht verdiente, doch in den Augen der nicht sehenden und fühlenden, aber immer urteilenden Welt mich herabsetzen mußten? Und mußte nicht das Mädchen, die Geliebte, das Weib an meiner Seite diese Herabsetzung mitempfinden und doppelt empfinden, wenn sie mich innig liebte und verehrte?

Und Ellinor sollte diesen Kummer, der so tief verwundet, so früh schon kennenlernen? Ellinor, das engelgleiche Geschöpf, deren Wort mir ein Hauch der Göttlichkeit, deren Blick mir ein Sonnenstrahl, deren Lächeln mir der Wink der Unsterblichkeit selber war, sie sollte schon jetzt, in der zarten Blüte ihrer Jahre, den kalten, verachtenden Blick des pöbelhaften Haufens ertragen lernen? – Nein, nein! Das sollte sie nicht!

Und dennoch trieben alle meine Gedanken um sie herum, dennoch umkreisten alle meine Empfindungen den Ort, wo sie atmete, wo sie lebte, wo sie ging, wo sie sprach – dennoch stand mir ihr schönes Bild Morgens, wenn ich erwachte, und Nachts, wenn ich schlief, bei Tag, wenn ich ging, wenn ich las, nicht nur vor Augen, sondern es kam mir vor, als wäre ihre geistige Erscheinung in meine Stirn gegraben, als fühlte ich sie da, wo der Sitz und die Quelle meiner Gedanken war, ja, als klopfte sie in jedem Pulsschlag, den ich über alle meine Glieder sich ausbreiten fühlte, wenn ich sie sah oder nur an sie dachte. – Das waren die Gedanken, die mir während der schnellen Bewegung, welche der Lauf meines Pferdes verursachte, mehr durch den Kopf fuhren, als daß ich sie eigentlich ausgebildet hätte.

Wir kamen endlich an einen breiten Graben auf unserem scharfen Ritte, den Grenzpunkt der Besitzungen meines Vaters und seines nächsten Nachbarn. Bravour sprang zuerst mutig hinüber und ihm folgte Grahams kleines Pferd etwas langsamer nach; dann sahen wir in der Ferne das altertümliche Pfarrhaus mit seinen grauen Mauern aus seiner grünen, blätterreichen Umgebung hervortreten, und wir ritten nun langsamer nebeneinander her, um unsere Pferde etwas verschnaufen zu lassen.

»Woran haben Sie gedacht, Percy?« fragte der Pfarrer, »Sie haben ja durch keinen Laut Ihr Dasein verraten.«

»Ich habe an Ellinor gedacht!« erwiderte ich. »Ob sie sich freuen wird, daß wir so früh zurückkehren – ach! ich habe keine Gabe für sie, nicht einmal eine schöne Blume –«

»Lächeln Sie, Percy, lächeln Sie! und mein Kind wird sich freuen, Sie froh und heiter zu sehen!«

Wir ritten wieder schweigend weiter, meine Blicke waren unverwandt auf das graue vor uns liegende Haus gerichtet – jeden Augenblick glaubte ich Ellinor in der Tür erscheinen zu sehen. – Aber sie erschien nicht. Statt ihrer jedoch trat ein Mann heraus, sah einige Sekunden lang nach uns hin, dann bog er rasch in die Kastanienallee ein und verschwand unseren Blicken.

Ich glaubte ihn zu erkennen, und rasch meinem Pferde die Zügel schießen lassend, sprengte ich in vollem Galopp vor das Haus. Aber ich kam zu spät, der Mann war schon hinter den Bäumen und dem dichten Gebüsch verschwunden und ich sah nichts mehr von ihm.

»Wer war das?« fragte ich den Pfarrer, als dieser endlich auch herangekommen war. »Haben Sie ihn nicht gesehen?«

»Ich sah ihn, Percy, und wenn ich nicht irre, so war es Sir Mortimer – Ihr Bruder!«

»Und in Ihrer Abwesenheit, Graham?«

»Er wird ihr einen Blumenstrauß zu ihrem Festtage gebracht haben, wie er es alle Jahre tat«, erwiderte Mr. Graham mit ruhiger Stimme.

Wir stiegen ab, gingen die Treppe hinauf und fanden Ellinor in dem Speisezimmer, welches mitten in dem Hauptgebäude lag und sämtliche vier Fenster desselben einnahm.

Sie errötete sichtbar, als wir eintraten. Aber Alles vergessend, als ich sie wiedersah, trat ich ihr näher, ergriff ihre Hand, küßte dieselbe und sagte:

»Miß Ellinor! Kein Mensch wünscht Ihnen mehr Ruhe und Zufriedenheit für Ihre stille Seele, als Percy, der jetzt so arm ist, daß er nicht einmal eine Blume hat, sie Ihnen als Pfand seiner Aufrichtigkeit und Ergebenheit darzubringen!«

Ihre schöne, weiße, zarte Hand war heiß, als ich sie ergriff, und schien zu zittern. Sie erwiderte einige freundliche Worte und beschäftigte sich dann wieder mit der Bereitung des Frühstücks.

Ich blickte mich nach dem Blumenstrauß um, den ihr, wie ihr Vater gemutmaßt hatte, Mortimer gebracht haben sollte – aber ich fand ihn nicht. Mein Herz drängte mich, nach dem eben weggegangenen Besuche zu fragen, aber ich bezwang mich und schwieg, denn auch ihr Vater fragte nicht, der doch die meiste Ursache zu fragen hatte. – Ach! es lag so viel Schonung in diesem Schweigen! Denn welche Erinnerungen rief er nicht mit der bloßen Erwähnung des Namens meines Bruders in mir wach!

Wir hatten das Frühstück eingenommen. Der Vater ging in sein Zimmer, um einige Augenblicke zu ruhen, da der scharfe Morgenritt ihn etwas ermüdet hatte.

Ellinor und ich blieben einige Augenblicke allein sitzen; jetzt drängte es mich stärker, die Frage zu tun, die ich vorher schon auf den Lippen gehabt hatte und als eine so große Last auf meiner Seele lag, daß ich mich von ihr zu erleichtern beschloß.

Wir standen auf, Ellinor nahm ihren Strohhut an den Arm und wir gingen in den Wald hinab. Ohne Zögern reichte sie mir auf meine Bitte ihren Arm – lieblich wallten ihre seidenen Locken um ihre schwellenden Schultern, das junge Moos schien mir unter ihrem leichten Schritte zu jauchzen – meine Seele schwamm in einem Meer von Zufriedenheit und Wonne.

»Miß Ellinor!« begann ich. »Als ich eintrat, erröteten Sie, und Ihre Hand war heiß und zitterte, als Sie mir dieselbe reichten – hatten Sie eine Gemütsbewegung gehabt?«

Sie sah mich an – rasch – aber dieser rasche Blick drang bis in das Innerste meines Wesens.

»Ja!« flüsterte sie mehr als sie sprach. »Ich hatte eine Gemütsbewegung!«

»Und welche?« fragte ich. »Falls Sie Ursache haben, mich für Ihren Freund zu halten, so schenken Sie mir Ihr Vertrauen in Allem, was Sie bedrängt, und ich werde es mit dem freundlichsten Danke, den ich habe, bezahlen – mit meinem eigenen Vertrauen!«

»Sie sind gütig, Mylord!« erwiderte sie. »Und warum sollte ich Ihnen nicht mein Vertrauen schenken, da Sie mir so oft Gelegenheit gegeben haben, das Ihrige zu empfinden? Auch würde ich schon gesagt haben, was Sie jetzt von mir zu hören verlangen, aber ich wollte den Vater nicht in seiner Heiterkeit stören, denn seine Stirn umwölkt sich, wenn ich ihm von Ihres Bruders Besuch rede.«

»Also er war hier – ich habe mich nicht geirrt?«

»Sie irrten sich nicht – und eben das war die Gemütsbewegung, die ich hatte. Denn als Sie meine Hand faßten, bedachte ich, daß soeben dieselbe Hand Ihr Bruder berührt hatte – und als ich verglich –«

»Was?«

»Still, Percy, Sie durchbohren mich mit ihren Blicken – was ist Ihnen?«

Ich schämte mich des Gefühls, das in mir aufloderte, ehe sie mir diese Frage tat.

»Erlauben Sie mir noch eine Frage, Miß Ellinor!« fuhr ich in einem so sanften Tone fort, wie ich annehmen konnte, um sie nicht wieder zu schrecken, »war mein Bruder Ihretwegen hier?«

»Ich glaube es!« war die leise Antwort, die mit einem Senken des Kopfes und einer Purpurröte auf dem holden Gesichte gegeben wurde.

»Sie glauben es nur?«

»Ach, Percy! Sie zürnen mir nicht, ich bin dessen gewiß!«

»Und kommt er, weil er weiß, daß er gern gesehen ist?«

»Mylord!« rief sie, fast weinend. »Was denken Sie von mir?«

»Still, still, Miß Ellinor – ich bin schon zufrieden! Ach! Sie wissen ja, ich muß meine brüderlichen Gefühle zurückhalten, wie ich auch keine kindlichen äußern darf –«

»Halten Sie sie zurück, Mylord – äußern Sie sie nicht!« rief sie mit einer so ernsten, so besorgten Stimme, wie ich sie noch nie von ihr gehört hatte.

Ich war betroffen – ich schwieg und ging voller Gedanken neben ihr her. Wie ich nicht wußte, was ich von diesem Allem denken sollte, wußte ich auch nicht, welchen Weg ich ging, und Ellinor folgte mir, ohne aufzusehen. Ich hatte vergessen, wo ich war, ob im freien Walde, ob in einem verschlossenen Zimmer – es war mir auch gleichgültig, denn in meinem Innern gärte und trieb es und arbeitete an einem Gefühle, welches mich fast erstickte. Ich war von ihm dergestalt beherrscht, daß ich wider Willen mein Schweigen brach und abermals begann:

»Meine Bitte um ihr Vertrauen hat noch kein Ende, Miß Ellinor! Haben Sie schon bedacht, daß Ihr Vater nicht immer um Sie sein wird?«

»Das kann ich nicht denken, Mylord, – mein Vater wird ewig bei mir sein!«

»Ja so!« sagte ich, »Sie sprechen von der Ewigkeit – ich spreche nur von dieser Erde – ach! es ist so schön, an Ihrer Seite auf Erden zu sein! – Noch einmal, Ellinor! Haben sie schon bedacht, daß Ihr Herz auch noch für einen anderen Mann Raum haben muß?«

»Nein, Mylord, das habe ich noch nicht bedacht – es ist auch nicht notwendig –«

»Notwendig ist es nicht, aber möglich!«

»Ach ja – möglich ist es!«

»Und wie muß der Mann beschaffen sein, der Raum in diesem Ihrem Herzen hat –?«

»Sie tun da eine schwere Frage, Mylord, ich habe mich noch nie so gefragt. Aber freilich – anders muß er sein als einige Männer, die ich bisher kennengelernt habe – geträumt habe ich wohl davon, aber niemals daran gedacht!«

»Und wie war dieser Traum?«

»O, er war schön und erhebend! Meine teuersten Empfindungen und Wünsche erfüllte er, denn in meinen Träumen kam mir jener Mann unter den Bäumen entgegen aus dem Walde, meinem geliebten grünen Walde – die ganze Natur müßte sich in seinem Blicke spiegeln und in seinem Herzen die Welt leben, wie sie nicht ist, aber sein könnte – und diese ganze Welt müßte die Liebe sein, und diese ganze Liebe – müßte er für mich haben – ach! Mylord, solche Menschen gibt es nicht, ich habe es ja nur geträumt!«

»Ellinor!« rief ich, hingerissen von dem Bilde ihrer Phantasie, das sie, ohne es zu wollen und zu wissen, teilweise der Wirklichkeit so nahe geschildert hatte, »Ellinor! wenn so ein Mann aus dem Walde käme, freilich nicht so vollkommen, wie Sie ihn sich geträumt, aber doch die ganze Welt in seinem Herzen tragend, und wenn diese ganze Welt voll Liebe und all diese große grenzenlose Liebe für sie wäre – was würden Sie dann tun?«

»O! Ihn würde ich wieder lieben – doch!«

»Ellinor! Und wenn ich dieser Mann wäre?«

»Percy! Um Gotteswillen!« rief sie in der größten Bestürzung und ihre Augen flehend und doch so voller Liebe auf mich gerichtet. »Wohin führen Sie meinen Geist?«

Ach, Percy hatte genug gehört – Percy hielt sie in seinen starken Armen – Percy fühlte zum ersten Male in seinem Leben einen weiblichen Busen an seine klopfende Brust sich schmiegen, Percy hatte Himmel und Erde, Freuden und Schmerzen, Vergangenheit und Zukunft vergessen, denn Percy fühlte sich zum ersten Male in seinem Leben geliebt – und geliebt von der, die er liebte; und geliebt ohnegleichen, wie er unaussprechlich, ohne Rückhalt liebte!–

Eine Minute verging und noch eine – da wagten wir es erst, uns anzusehen, ach! und was sahen wir? Tränen in unseren Augen, obgleich Seligkeit in unseren Herzen war.

Da richteten sich, wie aus einem tiefen Traum erwachend, unsere Blicke empor – wir bemerkten, was wir vorher nicht bemerkt hatten – daß wir weiter als wir gedacht, von unserer stillen Wohnung fort bis ganz in der Nähe des Schlosses meines Vater gekommen waren, daß man uns von dort hatte sehen können, ja, daß man uns wirklich gesehen, denn in der Hintertür des alten, grauen, wie der finstre Aufenthalt eines gespenstischen Dämons erscheinenden Gebäudes stand regungslos ein Mann, und dieses Gesicht hing wie eine drohende Wetterwolke über uns, und dieses drohende, fürchterliche Gesicht – war meines Bruders Mortimer Gesicht.

Ellinor drückte zusammenzuckend, wie von einer Natter gestochen, meinen Arm, und mehr in ihrem als in meinem Geiste besorgt, drehte ich mich schnell mit ihr herum; wir gingen ruhig, aber doch wie vor einer Gefahr hinwegeilend, schleunigst zurück und hielten nicht eher in unserem Gange an, als bis wir Mr. Grahams Wohnung dicht vor uns liegen sahen.

Die Stille, die einladende Ruhe um dieses einsame Haus gab uns auch unsere Ruhe wieder – wir lächelten uns wieder freudig an und drückten uns in einem namenlosen Entzücken die Hände.

Schneller als gewöhnlich sprang ich mit Ellinor die Treppe hinan, und noch die Tür zu des Pfarrers Zimmer in der Hand haltend, rief ich, indem ich meine mich beseligenden Empfindungen nicht länger bemeistern konnte:

»Mr. Graham! Wir bringen Ihnen eine unerwartete Botschaft!«

»Und wenn ich ihre Stimme zu deuten vermag«, erwiderte er, von seinem Buche aufblickend, »so ist es eine fröhliche Botschaft!«

»Ja!« sagte ich und stellte mich vor ihn hin, Ellinor an der Hand haltend, »ich habe doch ein Geschenk für Ellinor und sie eines für mich gehabt, woran wir Beide nicht gedacht haben – und raten Sie welches!«

»Ich weiß es nicht«, entgegnete er freundlich, »aber es muß ein Geschenk sein, gern gegeben und eben so gern genommen, denn ihr seht Beide ziemlich zufrieden aus.«

»Ellinor liebt mich und ich liebe Ellinor!« rief ich, denn ich konnte mein Geheimnis nicht länger verschweigen »und was sagen Sie dazu?«

Mr. Grahams, des Pfarrers, Blick hing an uns Beiden, nicht mit Erstaunen, aber mit einem Leuchten und mit einer Erhebung, die mich fühlen ließ, daß die ihm soeben mitgeteilte Nachricht sein ganzes Innere bewege.

»Wenn es Gott so will«, sagte er endlich, »wie kann ich, der ich Gottes Diener bin, es anders wollen!«

Und mich und Ellinor an seine Brust schließend, feierten wir Drei einen Triumph, den uns aller Haß und alle Feindschaft der ganzen Welt nicht zu trüben vermochte.

Ja, mein Freund, wir hatten einmal einen glücklichen Tag!


 << zurück weiter >>