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Die Gestalt des weißgekleideten Alten zeichnet sich massig gegen den Spiegel Dianas und die Bergrunde, deren waldige Halden sich mit weichem purpurnem Dunst umhauchen.
Ein Zipfel des Priestermantels verdeckt einen Teil der Galeere.
Der junge Mann verläßt seinen Sitz und tritt auf den schweigenden Greis zu, den er nicht durch laute Anrede in seinen Gedanken stören mag.
Da liegt es nun wieder frei vor seinem Blick, das seltsam glänzende Seegebilde: – die goldene Galeere des Cäsar.
Lang hingestreckt, Terrasse über Terrasse hoch aufgebaut, mit schimmernden Gallerien, Geländern und Bildsäulen, mit purpurnen Sitzbänken und seidenen Sonnensegeln, mit Springbrunnen, Vignen und Reihen blühender Bäumchen – eher eine schwimmende Villa denn ein verankertes Schiff zu nennen.
Dies wunderbare Amphibiewesen, das eine Weile verstummt war, findet seine Stimme wieder: jene Doppelstimme, die so wenig seinen eigenen üppigen Geist atmet.
Bald düster schwebend, bald sehnsuchtsvoll anschwellend, dann mit jauchzendem Aufschwung sich erhebend, dringt der Gesang herüber.
»Ich möchte wohl wissen, was sie singen,« hebt der Jüngling an. »Wild und schaurig genug klingt es. Mich wundert's, was der Princeps für Freude daran findet, wenn er auch selber herber und finsterer Natur ist.«
»Was sie singen? Sie sangen und singen von Siegesgöttinnen, die über finstere Wälder nordwärts flogen; von dem großen Schmied, der eine der flüchtigen Schar freite; von seiner Gefangenschaft und Lähmung; von der Rache, die er in seiner Waldschmiede an dem Tyrannen nahm, und von den wunderbaren Flügeln, die er wie unser Dädalus sich schuf, um sich aus dem Gefängnis zu erheben und mit seiner Siegesgöttin vereint selig davon zu schweben – davon singen sie.«
Der Jüngling lacht.
»Nun, wenn auch deine Augen schwach wurden, dein Gehör scheint wahrlich gut genug zu sein.«
»Nein, nein, junger Mann, ich schwatze dir nichts vor. Ich kenne nur die Weise. Manches Mal habe ich sie am Lagerfeuer gehört, wenn die Eichenwälder Germaniens dazu brausten. Und das ist die Freude, die der Princeps daran findet; denn auch er hat jener Weise gelauscht, als sein Haar noch dicht und dunkel um die Schläfen lag, wie das meine es tat.«
Verwundert blickt der Jüngling ihn an.
»Wie, Ehrwürdiger! du bist mit Tiberius in Germanien gewesen?«
»Und mit seinem Bruder vorher. Ja, ich war der Lagerpräfekt des Drusus, als dieser gegen die Elbe vorrückte.«
»Ist es möglich! Man erzählt seltsame Dinge von diesem Feldzug, bei welchem er seinen Tod fand.«
»Gewißlich nichts seltsameres, als was sich wirklich zutrug. Nie vergess' ich des Tages, als der Feldherr blaß und verstört in das Zelt trat, das unfern des Flusses aufgeschlagen war. Matt und stöhnend sank er auf sein Lager und erzählte mir, wie er einsam das Ufer entlang gegangen war, um auszumitteln, wo ein Brückenschlag am besten zu bewerkstelligen sei. Da erschien am jenseitigen Ufer ein Riesenweib und winkte ihm warnend zu und watete bis zur Mitte des Stromes hinaus und rief: ›Wohin Drusus? Könnt ihr Römer denn nirgends eurer Ländergier eine Schranke setzen? Zurück! Das Ende deiner Taten und deines Lebens ist nahe.‹ Also sprach Germania, und wahr hatte sie prophezeit, selber die Prophezeiung erfüllend, wie ich denke. Noch an demselben Tage brachen wir das Lager ab, und bevor wir den Rhenus erreichten, war der Feldherr hin. Schon vorher jedoch war Tiberius aus Italien eingetroffen, um den Oberbefehl an Stelle des Erkrankten zu übernehmen und um nun dem Leichnam des geliebten Bruders das Geleite bis Rom zu geben.«
»Ist es wahr, was man mir gesagt hat, daß Tiberius den ganzen Weg vom Rhenus bis Rom, über die schneeigen Alpen, vor der Bahre zu Fuß einher schritt?«
»So wahr, wie daß wir beide hier stehn. Nachts schliefen wir in demselben Zelt, Lager an Lager, und sprachen viel von den hohen Kriegstugenden des Verstorbenen. Ja, vor Wenigen hat der sonst so Verschlossene wohl sein Herz ausgeschüttet wie vor mir, denn er hatte meine Liebe zu Drusus erkannt und gesehen, wie sorgsam ich des Sterbenden pflegte! Er hat mir das nie vergessen – auch nicht, als er die höchste Stelle der Welt eingenommen hatte.«
Mit der größten Verwunderung blickt der Jüngling den Greis an, den er unwillkürlich am Arm ergreift:
»Aber so sage mir denn: wenn du ein solcher Freund des Tiberius bist – wie kommt es, daß du dich hierher hast flüchten müssen?«
Bitter lächelt der Alte und schüttelt den Kopf mit der priesterlichen Binde:
»Wie das kommt? Du wirst es jetzt bald erfahren. Es gibt Verbrechen – da hilft auch die Freundschaft des Weltherrschers nicht. Nein! mich konnte nur der goldene Zweig beschützen, den du in der Hand hältst. Und nur zu gut hat er mich beschützt. Nur zu lange, ach, gar zu lange lebe ich in seinem Schatten!«