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»Und sie war unschuldig.«
Nach langem Schweigen tönen diese Worte dem alten Rufus mit der etwas bebenden Stimme des Marcus ans Ohr.
Langsam, fast beschwerlich erhebt der greise Dianapriester den Blick unter den herabhängenden Brauenbüscheln und starrt seinen Schwager mit einem leeren Blick an, als ob er in Zweifel sei, ob er Marcus nicht oder dieser ihn nicht verstünde.
Nach und nach merkt er, daß in den krampfhaft bewegten Zügen dieses trotz aller Wetterbräune todblassen Gesichtes sich etwas Neues und Unbekanntes zeigt, eine innere Qual, die nur zur Hälfte der Schreckenstat entstammt, die ihm soeben gebeichtet wurde.
»Was meinst du? was hast du mir zu sagen, Marcus?«
»Fulvia war unschuldig. Du warst nur schuldig in deinem Jähzorn und durch die furchtbare Kraft deiner Hände. Ich war der Schuldige.«
Rufus antwortet nur mit einem müden Kopfschütteln, als ob er meine, der junge Schwager rede irre.
»Mein frevelhafter Jugendleichtsinn – ein böser Dämon hat ihn in seine Hand genommen, um dies Verhängnis über uns zu bringen – ja auch über mich, denn ich werde mir das nie verzeihen, und ich habe am längsten daran zu tragen.«
Diesmal erhebt Rufus den Kopf und blickt Marcus scharf an. Ganz irre Rede scheint dies doch nicht zu sein.
»Du hattest recht geahnt, Titus, daß durch Phöbe Unheil kommen würde, und durch sie kam es, sagtest du. Ja, das ist so, aber nicht so wie du glaubst. Du meinst, sie hätte eine Begegnung zwischen Fulvia und Varro vermittelt und versucht, dich dann von den Beiden fernzuhalten. Nein, ich will dir erzählen, wie sie das Mittel wurde.
Du hast recht, wenn du sagtest, ich hätte sie wohl kaum vergessen. Als ich der zur schönsten Jungfrau emporgeblühten kindlichen Gespielin in eurem Hause begegnete, entbrannte ich sofort in der heftigsten Liebe. Ihr leichtes jonisches Blut blieb bei der Werbung des jungen Legionärs nicht kühl. Ich selber war noch immer nicht früh genug der Luft des genußsüchtigen Hauses der Mutter entzogen worden und hatte schon fast vor dem Jünglingsalter allzu viele Ovidische und Catullische Verse mit begehrlichen Ohren aufgenommen, als daß ich jetzt viele Bedenklichkeiten gehegt oder daß die Ehrfurcht vor deinem Hausstande mich zurückgehalten hätte. Vielmehr sah ich in eurem herrlichen Garten am Tiberstrome nur die natürliche Heimstätte unserer Liebe, und ihr kurzes Glück blühte darin so feurig und besinnungslos wie seine wunderbaren Rosenhecken. Schwer wirst du es verstehen, daß nicht nur sinnliche Begierde sondern auch tiefere oder wenigstens innigere Gefühle mich an das Mädchen fesselten; aber ihr Reiz war so geheimnisvoll und eigen, daß Sinnenbestrickung und Herzensbezauberung sich untrennbar in einander flochten.
So befiel mich denn bitterer Kummer, als wir in unserem Lager schon drei Tage nach dem Triumphzuge den Befehl bekamen, uns für den folgenden Tag bereit zu halten, nach Ostia zu rücken, um dort nach dem Osten eingeschifft zu werden. Ich ertrug den Gedanken kaum, daß ich nicht noch einmal meine Phöbe umarmen und ihr Lebewohl sagen sollte.
In weniger als einer halben Stunde konnte mein schnelles Roß mich zu ihr tragen. Offenkundig in meinem Waffenkleide das Lager zu verlassen war freilich bei der strengen Manneszucht, die Germanicus bei aller Leutseligkeit aufrecht erhielt, ein gewagtes Unternehmen. Nun traf es sich aber gerade so, daß ein Freund ritterlichen Standes mich im Lager aufsuchte, um von mir Abschied zu nehmen. Es war nicht schwierig, ihn zu überreden mir seine Tunica und Toga zu überlassen und mit meinem Waffenkleid angetan im Zelte zu warten, bis ich, nach einer reichlichen Stunde, zurückkehren würde.
Anstatt in den Hof zu reiten und zu tun, als ob ich meine Schwester sehen wolle, entschloß ich mich, zuerst mein Glück im Garten zu versuchen, wo Phöbe oft, besonders zu dieser Stunde, gegen Abend, bei den Blumen beschäftigt war.
Die Gunst der Venus, wie ich damals glaubte, oder – wie ich jetzt annehmen muß – die Tücke dämonischer Mächte fügte es so, daß ich, schon als ich mich über die Gartenmauer schwang, mich Angesicht zu Angesicht mit meiner Phöbe befand; denn sie war gerade dabei, die Rosenstöcke hinter der Bank zu begießen.
Es war mir nicht vergönnt, sie lange in meinen Armen zu halten. Unversehens wurden wir von Fulvia überrascht. Sie schalt Phöbe heftig und schickte sie ins Haus. Auch mich verschonte sie nicht mit Vorwürfen, weil ich so wenig Rücksicht auf die Würde ihres Hauses nehme. Der Gedanke, daß ich schon morgen nach dem fernen Osten zöge, um vielleicht in einem Partherkriege meine Gebeine in der Wüste zu lassen, erweichte sie jedoch bald, und sie gab sich in meinen Armen dem Schmerz des Abschieds hin, dessen schreckliche Mißdeutung sie mit ihrem Leben büßen sollte.«