Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Sechstes Kapitel

Caligulas Scharfblick

»Ehrfurchtsvollen Willkommensgruß entbieten die Priester des Aricianischen Haines dem erhabenen, nur zu lange vermißten Gastfreund – –«

»›Willkommen‹ und ›Gastfreund‹, darum handelt's sich jetzt nicht, Priester!« herrscht Tiberius den Hainkönig an. »Ich komme jetzt nicht als Gastfreund, was ihr sehr wohl wißt. Der Princeps, die beleidigte Majestät des römischen Reiches, steht vor euch.«

»Die Götter mögen es verhüten, o Augustus! daß von dieser Stätte aus jemals eine Beleidigung dich träfe –!«

»Es ist geschehen, und sie haben es nicht verhütet. Wie? Ein Wütender hat das Schwert auf diese Brust gezückt – er hat es vor euren Ohren eingestanden – und ihr beschützt ihn!«

»Niemand kennt, o Augustus, unsere Satzungen und die Rechte dieses Heiligtums – die Weihe des goldenen Zweiges – besser als du, der du sie selbst unangetastet gelassen hast als du das Asylrecht so vieler Tempel ringsum im ganzen Reiche aufhobst.«

»Gut, daß du mich daran erinnerst. Laßt euch das eine Warnung sein! Oder weshalb glaubt ihr wohl, daß ich gerade das eurige schonte?«

»Brauchte es einen anderen Grund als die Ehrfurcht vor einem uralten Heiligtum, das von Äneas selbst, dem Stammvater der Cäsaren, gestiftet wurde?«

»Dies allein hätte mich nimmer dazu bewegen können, in der unmittelbaren Nähe Roms eine Freistätte für jeden Verbrecher zu dulden, wenn nicht dieses Asylrecht durch seine eigenen Satzungen sich selber aufhöbe und unschädlich machte. Ist der Verbrecher dem Gesetze des Staates entflohen, durch das der Diana erreicht ihn über kurz oder lang die verdiente Todesstrafe.«

»Vom Standpunkte des Herrschers aus ist diese Betrachtungsweise verständlich. Allein wir Priester Dianas haben einen hochgeschätzten Grund, zu glauben, daß wir uns auch der persönlichen Gunst des Tiberius rühmen dürfen. Denn hast du nicht, als die Sonne deiner Gegenwart noch die siebenhügelige Stadt beglückte und du dich so oft am Bord der goldenen Galeere in dieser gesegneten Umgebung von den Sorgen der Weltregierung erholtest – hast du, sage ich, o Augustus, dann nicht des öfteren der Priesterschaft der Diana Nemorensis deinen Besuch vergönnt und in ihrem Kreise das Trinkopfer der Gottheiten des Haines ausgegossen?«

»Du hast recht, ehrwürdiger König des Haines. Wie hätte ich denn auch, bei so einzigartiger Nachbarschaft, mir die Freude des Verkehrs versagen können? Mit Recht sagst du, ich hätte in diesem Kreise Erholung von den schweren Regierungssorgen gesucht. Ein vielgeplagter Princeps der Republik, der notgedrungen so viel mit der trügerischen Welt zu tun hat und von lauter Larven umgeben ist, wahrlich, er muß es als eine Herzenslabung empfinden, an dem einzigen Ort im ganzen Reich – oder wenigstens doch in Rom und seiner Umgebung – einzukehren, wo er lauter ehrliche Leute findet ...«

Ein leises beifälliges Murmeln der Priester nimmt diese Anerkennung dankbar an.

›In den Blumen verbirgt sich die Schlange,‹ scheinen ihnen die sich rätselhaft schlängelnden Lippen des Tiberius zuzulächeln, als er hinzufügt:

»Oder man zeige mir eine andere ebenso große Versammlung von Leuten, die kein Hehl daraus machen, daß sie Schufte sind – alle miteinander Schufte – – einer ausgenommen.«

Bei diesem Worte gleiten die großen, königlichen Augen freundlich funkelnd über Rufus' Gesicht und bleiben, zuerst stutzend, dann forschend an seinem Nebenmanne haften. Wenige nur halten diesen durchbohrenden Blick aus, und Telemachos macht keine Ausnahme von dieser Regel. Das Äußere des Jünglings scheint dem Princeps in hohem Grade aufzufallen, nicht aber sein Mißbehagen zu wecken: –

»Mich dünkt freilich, daß da einer steht, der sich auch verirrt hat und wenig in diese Gesellschaft hineinpaßt.«

Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden hat sich auf den jungen Priester gerichtet.

Aber niemand starrt ihn an wie Sejanus.

Sein Stiernacken streckt sich vor. Die Adern seiner Schläfen schwellen, die kleinen stechenden Augen scheinen aus ihren Höhlen herauszuspringen. Unwillkürlich ergreift seine rechte Hand den Arm des Tiberius.

»Deine Menschenkenntnis, o Augustus, ist weltbekannt. Deinen scharfen Blick fürchten die Übelgesinnten, denn er verbrennt die Larve und beleuchtet das wahre Gesicht. Wer möchte also sein Urteil dem deinigen entgegenstellen? Und ich gar, der ich nur ein Soldat bin, dessen einziges Verdienst sein Eifer in deinem Dienste ist – ? Und doch muß ich dir sagen: diesmal irrst du dich, wenn du jenen jungen Priester für besser als die anderen hältst. Er ist mir in Rom gezeigt worden, und ich erkenne ihn hier wieder. Du wirst die Meldung nicht vergessen haben, die uns heute aus Rom gebracht wurde: von den neuen Umtrieben der Agrippina-Partei und den Verhaftungen der Verschworenen. Der Haupträdelsführer freilich war entkommen; doch hoffte man seiner noch habhaft zu werden. Nun wohl: dieser ist's. Kein Zweifel, daß der heutige Mordanschlag damit zusammenhängt, da der Germane mit jener Bande in Verbindung stand und der junge Priester – wie dieser brave Soldat mir mitteilt« – er zeigt auf den vierschrötigen Prätorianer – »sich leidenschaftlich zu seinem Verteidiger aufgeworfen hat.«

Das Gesicht des Tiberius umdüstert sich. Staatsverbrechen und Verschwörungen gehören nicht zu den Sachen, die er auf die leichte Achsel nimmt.

Hingegen heitern sich die verdrossenen Züge des Cajus in demselben Maße auf, in dem die seines Großohms sich verfinstern, bis das Aufleuchten in schrillen Laut sich umsetzt und seine pfauenartige Stimme ertönt:

»Dachte ich mir's doch gleich! Als ich diese Priesterschar durchmusterte, blieb mein Blick an jenem haften. Ich gäbe etwas darum, sagte ich zu mir selber, um zu wissen, was den hierher geführt hat. Er ist gewiß der schlimmste von allen! Der Alte neben ihm sieht mir zwar auch nicht geheuer aus – aber der junge, der ist ein Erzgauner! Nun, Sejanus! du sprichst von Menschenkenntnis – wie nennst du das? Aus zwölfen herausgefunden, und auf den ersten Blick, bei Zeus!«

Dieser laute Ausbruch wirkt wie ein wolkenvertreibender Windstoß. Die Stirn des Tiberius glättet sich, als er dem jungen Mann väterlich auf die Schulter klopft: –

»Dies ist in der Tat außerordentlich, Cajus. Wahrlich, wenn du einmal Princeps werden solltest, denn solche Sachen liegen zwischen den Knieen der Götter, dann möchte ich nicht der Mann sein, der, verräterische Gedanken im Herzen hegend, dir unter die Augen tritt.«

Strahlend vor geckenhafter Zufriedenheit sieht Cajus Caligula sich im Kreise um. Er begegnet aber nirgends den bewundernden Blicken, die er erwartet, keiner zweifelt, daß der Jüngling, der recht bald Herrscher werden kann, den offenbaren Spott seines Ohms gar wohl bemerkt habe, und jeder hält es darum für das Sicherste, seine Augen sonst wohin zu richten, nur nicht auf ihn.

Der zukünftige Beherrscher der Welt ist etwas enttäuscht, faßt aber den Vorfall auf andere Weise auf. Wer will denn gern seine innersten Gedanken lesen lassen? So mögen sie wohl alle ihre guten Gründe haben, seinem soeben bewährten Scharfblick zu entgehen.

Da dieser Triumph sich nicht leicht überbieten läßt, benutzt er die eingetretene Pause, um sich zu entfernen. Denn seitdem er den Tempelbezirk betreten hat, plagt ihn die brennende Neugier, jenen geheimnisvollen goldenen Zweig, von dem er so viel hat reden hören, zu sehen, und zwar nicht am Baume sitzend, sondern in der Ausübung seines heiligen Berufs, in der Hand eines Flüchtlings, den er selbst gegen die Macht Cäsars beschützt; etwas, das er sich noch vor zwei Stunden, als er sich mächtig auf diesen Tempelbesuch freute, nicht hat träumen lassen.

Mit einem kummervollen Blick schaut Tiberius dem zukünftigen Thronerben nach.

Das wundervolle Hellsehen, mit dem Cajus frohlockend aus einer ganzen Verbrecherbande die beiden einzigen Ehrenmänner als Erzgauner herausgefunden hatte, konnte nicht umhin, Tiberius' Sinn für den Humor des Lebens zu erheitern. Allein diese Heiterkeit bekommt einen gar bitteren Nachgeschmack bei dem Gedanken, daß Gleiches Gleiches erkennt und anerkennt.

›Eine falsche Menschenbeurteilung,‹ denkt Tiberius, wäre bei Cajus schon bedenklich genug. Immerhin könnte sie mit der Zeit durch Erfahrung verbessert werden. Wie aber, wenn es sich um etwas ganz Anderes und weit Schlimmeres handelt? Wenn er sie in der Tat auf seine Weise ganz richtig erkennt, indem er meinen braven Rufus und diesen jungen Patrizier, der sich politisch vergangen haben mag, aber gewiß kein niedriger Mensch ist, von der übrigen Bande als das schlimmste Paar aussondert; aus dem einfachen Grunde, weil sie ihm am fremdartigsten erscheinen? Denn was mir ähnelt, ist gut, was mir unähnlich sieht, ist schlecht – anders versteht der gewöhnliche Mensch es nimmer. In diesem Fall werden ihn freilich die Jahre kein besseres Urteil lehren, sondern die falsche Wertung wird im Gegenteil immer geübter, sicherer, gefährlicher werden. Ist es doch leider nicht das erste Mal, daß meine böse Ahnung in seinen Zügen etwas vom geborenen Verbrecher las; und doch war er der einzige der Söhne des Germanicus, der in Frage kam. Ach, wie konnte doch das Geschlecht meines edlen Bruders so schnell verfallen? Wie kann doch Rom selbst so schnell, so unaufhaltsam verfallen? ... Wo eilt er nur jetzt hin? Auch das ist eine bedenkliche Eigenschaft, daß sein Geist nicht zwei Minuten lang bei derselben Sache verweilen kann. Ach – nach dem Ölbaum lenkt er seine Schritte. Dort seh' ich das Goldhaar des Germanen in der Sonne glänzen. Dieser Brausekopf, der mich sofort ins Jenseits befördern wollte, weil ich mich in fröhlicher Weinlaune seiner Geliebten gegenüber vergaß und einen Narren aus mir selber machte, so daß ich mich jetzt schämen muß; als ob ich nicht wüßte, daß eine solche Frau nicht so zu freien ist. Allerdings, sofort mein altes Herz durchbohren zu wollen – das war etwas stark! Aber fast mag ich ihn deshalb um so mehr. Das ist gerade einer der Fehler, die sich mit den Jahren in Tugenden umsetzen. Was will nur Cajus bei ihm? Dort sucht Gleiches nicht Gleiches! Die beiden nebeneinander zu sehen, tut mir im Innersten weh. Ja, könnte ich diesen Segismundus adoptieren! Statt dessen muß er noch heute sterben. Wäre Sejanus nicht dazwischen gekommen und hätte es in alle Welt hinausgerufen, so könnte es ja zwischen uns beiden bleiben. Aber so geht es nicht. Nein, er muß sterben, und Cajus muß das Reich erben. Wir sind in die Ketten des Schicksals geschmiedet. Was kommen will, kommt, es steht ja schon in den Sternen geschrieben.«


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