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Siebzehntes Capitel.
Von der Vervollkommnung des Lebenswandels.

Ein gewisser Kaiser gab ein Gesetz, daß, wer ihm dienen wolle, einen Dienst erhalten solle, sobald er drei Schläge an die Pforte seines Palastes gethan hätte, aus denen man erkennen könnte, daß er eine Anstellung begehre. Nun begab es sich aber, daß im Römischen Reiche ein Armer war, mit Namen Guido. Als der von dem Gesetze gehört hatte, dachte er bei sich: Ich bin arm und aus schlechtem Geblüte entsprungen. Es ist besser für mich in Dienst zu gehen und Reichthümer zu erwerben, als immer so in Dürftigkeit zu leben. So trat er hin zu dem Palast und that dem Gesetze gemäß drei Schläge an das Thor und der Thorwärter öffnete alsbald die Pforte und führte ihn hinein. Der aber beugte seine Kniee und begrüßte den Kaiser und der Kaiser sprach zu ihm: sage mir, mein Lieber, was verlangst Du denn? Herr, einen Dienst. Der Kaiser versetzte, in welcher Anstellung verständest Du wohl mir zu dienen? Jener aber sagte: Herr, ich bin in sechs Dienstleistungen erfahren. Zuerst verstehe ich den Leib eines großmächtigen Fürsten bei Tag und Nacht zu bewachen, sein Bett zu machen, ihm seine Speisen zu bereiten, seine Füße zu waschen. Mein zweiter Dienst besteht aber darin: ich verstehe zu wachen, wenn Andere schlafen, und zu schlafen, wenn Andere wachen. Meine dritte Fertigkeit besteht aber darin, daß ich verstehe, einen guten Trank zu kosten und nach dem Geschmacke über jedweden Trank mein Urtheil abzugeben. Mein viertes aber ist, daß ich die Leute zur Ehre des Wirthes zum Schmauße einzuladen weiß. Meine fünfte Dienstleistung aber liegt darin, daß ich es verstehe, Feuer ohne Rauch anzumachen und dabei die Umstehenden und Sitzenden zu erwärmen. Mein sechster Dienst ist: ich verstehe den Leuten einen guten Weg nach dem gelobten Lande zu zeigen, auf welchem sie gesund wieder nach Hause kommen können. Da sagte der Kaiser: das sind ja schöne Fähigkeiten, die Vielen Nutzen bringen, also sollst Du bei mir bleiben und zuerst will ich mit Dir in Bezug auf meinen eigenen Leib einen Versuch anstellen: Du sollst mich in diesem Jahre bewachen. Jener aber versetzte: Herr ich bin bereit, Euerem Willen Genüge zu thun. Guido machte aber jede Nacht auf ziemlich anständige Weise sein Bett, wusch und wechselte öfter die Bettwäsche, lag jede Nacht gewaffnet vor dem Eingänge des Schlafzimmers, indem er ein kleines Hündlein bei sich hatte, einen tüchtigen Beller, auf daß, wenn er ja durch irgend einen Zufall eingeschlafen wäre und Jemand plötzlich käme, er durch das Bellen des Hundes geweckt würde. Einmal in jeder Woche wusch er ihm die Füße und diente ihm in Allem so klug und mannhaft, daß durchaus in keinem Stücke ein Mangel an ihm entdeckt werden konnte. Darum lobte ihn aber auch der Kaiser in Allem gar sehr und als das Jahr geendigt war, machte er ihn zu seinem Seneschall, auf daß er seinen Dienst erfülle, nehmlich: ich verstehe zu wachen. Als aber dieser Guido also angestellt war, da arbeitete er den ganzen Sommer hindurch und wachte und besorgte alles Nothwendige für den Winter. Wie aber der Winter kam und Andere anfingen zu wachen und zu arbeiten, da ruhte er selbst aus und schlief und erfüllte so seine Dienstpflicht: ich weiß zu wachen, wenn Andere schlafen. Als das der Kaiser gesehn hatte, wie gar klug er diese beiden Anstellungen versehen hatte, freute er sich sehr, rief seinen Mundschenken und sprach zu ihm: Mein Lieber, gießet in meinen Becher Essig, den allerbesten Wein und Most und gebt ihn dem Guido zu trinken, denn das ist sein dritter Dienst. Denn er versteht sich daraus, einen guten Trunk zu kosten; und also geschah es. Als aber Guido gekostet hatte, sprach er: er war gut, er ist gut und wird gut seyn, denn das Sprichwort heißt: der Most wird gut seyn, der Wein ist gut, der Essig war gut. Als aber der Kaiser gesehn hatte, wie klug er über den Trunk geurtheilt hatte, sprach er zu ihm: Mein Lieber, geh durch meine Länder und Kriegslager und lade alle meine Freunde zu mir zu einem Gastmahl ein, weil das Fest der Geburt unseres Herrn in der Nähe ist und das soll Deine vierte Dienstleistung seyn. Jener aber sprach: Herr ich bin bereit. Er ging also durch die Lager und Reiche und lud auch nicht einen einzigen Freund des Kaisers ein, sondern alle Feinde desselben, sodaß am Abend des Geburtsfestes unseres Herrn der kaiserliche Hof ganz voll von seinen Feinden war. Als aber der Kaiser alle seine Feinde zusammen sah, da regten sich alle seine Eingeweide, er rief den Guido und sprach: Mein Theuerster, hast Du mir nicht gesagt, Du verstündest auf eine anständige Weise die Leute zu Tische zu bitten? Jener versetzte: Freilich, Herr! Da erwiederte ihm der Kaiser: und ich habe Dir ja gesagt, Du möchtest alle meine Freunde zu mir laden und Du hast meine Feinde gebeten. Jener aber sagte: Herr, es möge mir vergönnt seyn mich zu verantworten. Zu welcher Zeit oder zu welcher Stunde im Jahre Deine Freunde zu Dir kommen mögen, stets werden sie mit Freuden empfangen. Mit jenen aber ist es nicht so, weil sie Deine Feinde sind. Darum habe ich sie hierher geführt, auf daß sie durch Deine freundliche Miene und Dein gutes Weib aus Feinden Deine Freunde werden mögen. Und also geschah es, daß, ehe noch das Gastmahl zu Ende war, Alle seine Freunde geworden waren. Der Kaiser aber freuete sich sehr und sprach: Mein Lieber, der Herr sey dafür gesegnet, alle meine Feinde sind mir zu Freunden geworden: erfülle jetzt Deine fünfte Dienstanerbietung und mache mir und meinen Freunden Feuer ohne Rauch. Jener aber sprach: Herr ich bin bereit. Was that aber Guido? Er legte im Sommer Holz in die Sonnenhitze, das so ausgetrocknet war, daß es alsbald zu glühen anfing und sogleich eine Flammengluth ohne Rauch gab, sodaß der Kaiser mit allen seinen Freunden erwärmt wurde. Dann sprach der Kaiser zu Guido: Nun ist noch Dein letzter Dienst übrig und wenn Du den auf kluge Weise erfüllt hast, werde ich Dich zu Reichthum und Ehren bringen. Jener aber sprach: Herr, so viele nur nach dem gelobten Lande ziehen wollen, die mögen mir zum Ufer des Meeres folgen. Männer, Weiber und Kinder, als sie das hörten, folgten ihm nun in beinahe ungeheurer Anzahl. Als er aber dort angelangt war, sprach er zum Volke: Ihr Lieben, seht Ihr im Meere das, was ich sehe. Jene aber sagten: das wissen wir nicht. Er jedoch versetzte: Seht, im Meere steht ein großer Felsen, erhebet Euere Augen und schauet hin. Jene aber sagten: Herr wir sehen ihn deutlich genug, aber warum Du das sagst, wissen wir nicht. Jener aber sprach: Auf jenem Felsen ist ein gewisser Vogel, der beständig auf seinem Neste sitzt und immer sieben Eier darin hat, an denen er sich gar sehr ergötzt. Die Natur des Vogels aber ist eine solche, daß solange er auf dem Neste sitzt, das ganze Meer ruhig ist, wenn es sich aber zuträgt, daß der Vogel vom Neste wegfliegt dann wird das Meer so unruhig, daß wenn da Jemand über das Meer fahren wollte, er ohne Zweifel bald versinken müßte: allein solange er auf dem Neste sitzt, wenn da Jemand hinüber fährt, wird er ohne Gefahr gehen und zurückkommen. Und jene sagten: Wie werden wir aber wissen können, wenn der Vogel auf seinem Neste sitzt und wenn nicht? Jener aber sprach: er verläßt sein Nest nur aus einer einzigen Ursache. Denn es giebt einen andern Vogel, der sein Feind ist und Tag und Nacht daran arbeitet, sein Nest zu beschmutzen und seine Eier zu verletzen. Wenn aber der Vogel, der im Neste sitzt, sich beschmutzt oder sein Nest zerstört sieht, fliegt er alsogleich vor Schmerz aus seinem Neste auf, macht das Meer unruhig und erregt die furchtbarsten Stürme und dann dürft Ihr auf keine Weise das Meer zu betreten eilen. Jene aber sagten: Herr, was für ein Mittel kann dagegen angewendet werden, auf daß der Vogel, der jenem Feind ist, sich dem Neste nicht nähere und wir so folglich sicher hinüber kommen können? Jener aber sprach: Es giebt unter dem Himmel keine Sache, welche jener feindselige Vogel so haßt, als das Blut eines Lammes. Bestreichet das Nest von Außen und Innen mit dem genannten Blute und solange auch nur ein Tropfen jenes Blutes übrig ist, wird der jenem feindliche Vogel niemals wagen, seinem Neste zu nahe zu kommen: dann wird das Meer ruhig und friedlich seyn und Ihr werdet zum gelobten Lande sicher kommen und zurückkehren können. Als sie das hörten, nahmen sie Lammblut, bestrichen das Nest inwendig und auswendig damit, gingen zum gelobten Lande und Alle kamen gesund und wohlbehalten wieder nach Hause. Der Kaiser aber, welcher sah, daß jener alle Geschäfte so klug erfüllt hatte, erhob ihn zu Kriegsämtern und großem Reichthum.


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