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Etwa sechs Wochen später erhielt Gryce die nachstehende Zuschrift:
»Seit einigen Tagen weiß ich aus dem Munde meines Gatten, zu wie furchtbarem Verdacht ich der Polizei durch mein Verhalten Anlaß gegeben habe.«
»Daß ich das Glück, welches mir zuteil geworden ist, nicht verdiene, fühle ich wohl; auch bin ich weit entfernt, meine Handlungsweise beschönigen zu wollen, aber meiner Schwester habe ich kein Leid zugefügt und trage keine Schuld an den schrecklichen Folgen, welche mit ihrer unerwarteten Rückkehr verbunden waren. Um Sie hiervon zu überzeugen, schicke ich Ihnen den folgenden wahrheitsgetreuen Bericht, in der Hoffnung, Sie werden der Gattin eines so edlen Mannes, wie Walter Kameron, gern Gerechtigkeit widerfahren lassen, mag sie Ihnen auch noch so tadelnswert erscheinen.«
»Meine Jugend war nicht glücklich. Von Natur ehrgeizig und mit aufgeschlossenem Sinn für alles Hohe und Schöne, sah ich mich durch die Armut nicht nur in allem Streben gehemmt, sondern auch jeder Gelegenheit beraubt, die mir verliehenen Fähigkeiten und Gaben auszubilden. Unausgesetzte Arbeit war mein Los; meiner Mutter zuliebe ergab ich mich zwar darein, konnte mich aber von dem bittern Gefühl nicht freimachen, daß mir zu schwere Opfer aufgebürdet und meine Kräfte mißbraucht würden.«
»Meine Unzufriedenheit wuchs, als mich meine Mutter eines Tages in ihr Vertrauen zog. Ich erfuhr, daß ich eine Zwillingsschwester besitze, die mein vollständiges Ebenbild sei, aber im Schoße des Glückes lebe und alle Güter ihr eigen nenne, nach welchen ich von ganzer Seele schmachtete. Sie hatte Reichtum und Talente, sie verfügte über ihre Zeit und konnte jeden ihrer Wünsche befriedigen. In den Häusern der Vornehmen und Reichen, die mir wie Zauberpaläste erschienen, verkehrte sie als willkommener Gast. Und doch war es nur ein Zufall, welcher ihr und nicht mir dies glänzende Geschick bereitet hatte, denn eigentlich hatte meine Mutter mich für die vornehme Dame bestimmt, welche eines der beiden Neugeborenen an Kindesstatt annehmen wollte; aber jene griff über die ihr zunächstliegende Kleine hinweg nach meiner Schwester, obgleich diese weder hübscher noch größer und kräftiger war als ich.«
»Seit dieser Umstand zu meiner Kenntnis kam, war ich wie verwandelt; mir schien, als sei ich durch meine Schwester unrechtmäßigerweise von dem mir gebührenden Platz verdrängt worden. Dabei malte sich meine jugendliche Einbildungskraft die Freuden und Vorzüge, welche sie genoß, mit um so glänzenderen Farben aus, je schroffer der Gegensatz war, in dem sie zu meinem mühseligen Alltagsleben standen. Die Pflichten gegen meine geliebte, häufig leidende Mutter war ich zwar bemüht, treulich zu erfüllen, aber ich beneidete meine Schwester um den äußeren Glanz ihrer Stellung, und brütete Tag und Nacht über mein trauriges Geschick, es mit dem ihrigen vergleichend. Ich hatte sie nie gesehen und wußte nur, daß sie in einem vornehmen Stadtteil wohnte, als eine jener Glücklichen, deren prächtige Wagen in den Straßen an mir vorüberrollten, oder sich an den Portalen der Theater und Konzerthäuser drängten. – Für mich waren solche Genüsse unerreichbar! –«
»Inzwischen war meine Mutter immer kränker geworden, und eines Tages erklärte sie mir, sie fühle, daß sie nicht ruhig sterben könne, ohne zuvor ihre beiden Töchter an ihr Herz geschlossen zu haben. Selbst der Eid, den sie geschworen hatte, sich ihrem Kinde nie wieder zu nahen, schreckte sie nicht ab, so groß war ihr Verlangen, die Tochter wiederzusehen und sich ihr als ihre Mutter zu erkennen zu geben. Wie meine Schwester die Entdeckung aufnehmen werde, im Fall man ihr bisher ihren wahren Ursprung verborgen gehalten, beunruhigte sie nicht; meinen Einwendungen gab sie kein Gehör, sondern geriet in die heftigste Gemütsbewegung, bis ich versprach, ihr zu einem Wiedersehen mit der verlorenen Tochter behilflich zu sein.«
»Nun erfuhr ich zum erstenmal Namen und Wohnung meiner Schwester und zugleich, daß sie im Begriff stehe, sich zu verheiraten. Diesen Umstand wollte ich benutzen, um mir Eintritt in das vornehme Haus zu verschaffen; meine Mutter billigte den Plan und schickte mich sobald als möglich nach dem Nikolasplatz.«
»Unter dem Vorwand, mich Fräulein Gretorex als Schneiderin zu empfehlen, ließ ich mich bei ihr melden; ich war dicht verschleiert, da ich fürchtete, durch meine Aehnlichkeit mit der jungen Dame Aufsehen zu erregen; ich traf sie zu Hause und wurde eingelassen.«
»Mit unbeschreiblichen Empfindungen betrat ich ihr prächtig ausgestattetes Zimmer, aber wie ward mir erst, als ich inmitten der glanzvollen Umgebung mich selber erblickte, das heißt mein getreues Abbild, von mir nur durch die Kleider unterschieden und durch jene feinere Erziehung, die sich mir in dem ganzen Wesen meiner Schwester gleich bei dieser ersten Begegnung schmerzlich fühlbar machte. In ihr sah ich das Ideal verkörpert, das zu erreichen ich mein Leben lang vergeblich getrachtet. Die wunderbare Aehnlichkeit erregte mich tief, sie ging bis ins Kleinste, erstreckte sich sogar auf das Mienenspiel und die Bewegung der Hände. Wir waren von einer Größe und erst als ich ihr später Maß zu den Kleidern nahm, fand ich, daß sie etwas stärker in der Taille sei.«
»Sie hielt mein Schweigen für Befangenheit und redete mich zuerst an. Der Klang ihrer Stimme überwältigte mich, mir war, als spräche ich selbst, nur aus dem Tonfall hörte ich einen Unterschied heraus.«
»Sie haben ein Anliegen an mich, sagte sie gütig, nennen Sie es, ich bin gerade gnädig gestimmt. Es war ein kühles Lächeln, das diese Worte begleitete, und unwillkürlich fragte ich mich, ob meine Mienen auch so unbeweglich bleiben würden, wenn ich mich glücklich fühlte wie sie. Ach, ich ahnte ja damals nicht, wie gleichgültig ihr alle die Freuden waren, die für mich einen so unaussprechlichen Reiz besaßen. In ihrer Uebersättigung empfand sie sie als eine ebenso schwere Last, wie ich die harte Arbeit meiner Hände.«
»In Erwiderung auf Genofevas Anrede sprach ich zuerst von meiner Arbeit und bat sie um ihre Kundschaft. Um ihr Interesse für mich wachzurufen, kam ich dabei auf meine Lebensverhältnisse zu sprechen; ich erzählte ihr von meiner kranken Mutter, von ihrem tiefen Kummer, ihrer Sehnsucht nach der Tochter, welcher sie ihre innige Liebe nie habe offenbaren dürfen. Vergeblich hoffte ich, sie würde verstehen, was ich im Sinn habe; sie hörte meine Worte nur geduldig mit an, wie einen der vielen Berichte von Not und Unglück, die ihr wohl häufig zu Ohren kamen. Erst auf meine bedeutungsvolle Frage, ob sie nicht in ihrem Bekanntenkreise eine junge Dame wisse, auf die meine Erzählung Bezug haben könne, zeigte sie sich betroffen und forderte mich auf, den Schleier abzunehmen.«
»Nun hielt ich den Augenblick für gekommen, mich deutlicher zu erklären. Ihre eigene Mutter ist es, von der ich spreche, rief ich, und Sie sehen Ihre Schwester hier vor sich. Verzeihung, wenn ich Sie nicht schonender darauf vorbereitete, mich überwältigt Ihr Anblick, ich vermag die Wahrheit nicht länger zurückzuhalten.«
»Sie geriet weder in Zorn noch in Schrecken; sie sah mich nur mit festem Blicke an und fragte, wie ich diese erstaunliche Behauptung beweisen wolle.«
»Auf die einfachste Art von der Welt, entgegnete ich und schlug den Schleier zurück.«
»Nachdem die erste Ueberraschung verflogen, die ersten Gefühlsergüsse ausgetauscht waren, beschäftigte sich Genofeva aufs eingehendste mit dem für sie so neuen Verhältnis und nahm einen ganz unerwarteten Anteil an allen Einzelheiten unseres täglichen Lebens. Sie ward nicht müde, mich darüber auszufragen und wollte mich nicht wieder von sich lassen, obschon ich fürchtete, meinen Besuch bereits allzusehr ausgedehnt zu haben. Wir verglichen unsere äußere Erscheinung vor dem Spiegel, um einen Unterschied zu entdecken, ihre Hände waren etwas schmaler, ihr Grübchen im Kinn weniger tief als das meinige; unsere Füße waren aber gleich groß, und als sie mir einen ihrer Hüte aufsetzte, wußte ich kaum, ob es ihr Gesicht sei oder mein eigenes, das mir aus dem Spiegel entgegenlächelte.«
»Im allgemeinen schienen meine Mitteilungen sie weit weniger beunruhigt zu haben, als ich erwartete, Sie freute sich über das neue Lebensinteresse, das sich ihr bot und versprach mir ihren Besuch für den folgenden Tag. Ihre Kundschaft, um die ich gebeten hatte, sollte uns den besten Vorwand liefern, einander häufig wiederzusehen. So wurde die eine Schwester die Schneiderin der andern, und es entspann sich zwischen uns ein reger Verkehr, von welchem damals freilich kein Mensch voraussehen konnte, daß er so schrecklich in Verzweiflung und Tod enden werde.«
»Ihren stolzen Pflegeeltern verbarg Genofeva aus verschiedenen Gründen, was zu ihrer Kenntnis gelangt war, überzeugt, dadurch manches Unheil zu verhüten. Um das Geheimnis zu wahren, erschien sie am nächsten Tage gleichfalls tief verschleiert in unserer ärmlichen Behausung. So wenig dieselbe zu ihren Lebensgewohnheiten paßte, sie schien sich dort schnell heimisch zu fühlen und widmete sich mit Eifer den neu entdeckten Verwandten. Vielleicht empfand sie in der leidenschaftlichen Umarmung meiner Mutter eine Liebeswarme, die sie bisher nicht gekannt, aber größer noch war der Einfluß, den Doktor Molesworths ernste schwermütige Augen schon bei der ersten Begegnung auf sie ausübten.«
»Er war der Arzt meiner Mutter und besuchte sie täglich. Auch an jenem Tage wollte er wie gewöhnlich nach der Kranken sehen; als er auf sein Klopfen keine Antwort erhielt, glaubte er, sie schliefe und trat leise ein. In der Meinung, die Türe sei verschlossen, hatten wir jede Vorsicht außer acht gelassen; wir waren von seinem Erscheinen völlig überrascht und hielten uns für verloren. Genofeva stand ohne Schleier neben mir, und unsere auffällige Aehnlichkeit ließ sich nicht verbergen.«
»Für meine Schwester hatte der Augenblick höchst peinlich sein müssen, aber sie zeigte weder Unruhe noch Besorgnis, auch erhob sie keinerlei Einwendung, als meine Mutter dem Doktor die Lage der Dinge auseinandersetzte. Die Blicke bei beiden hatten sich getroffen, und von dem Moment an war Genofeva Gretorex wie umgewandelt.«
»Mir war ihre plötzlich erwachte Leidenschaft völlig unbegreiflich; ich konnte an Doktor Molesworth nichts Anziehendes finden, während der Verlobte meiner Schwester alle Vorzüge besaß, um das Herz eines jeden Mädchens zu beglücken, mochte es arm sein wie ich oder in vornehmen Verhältnissen aufgewachsen. Zwar war mir Doktor Kameron bei meinen häufigen Besuchen im Hause Gretorex nur einmal zu Gesicht gekommen, aber sein gütiger Blick, sein freundliches Lächeln hatte einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. An der Seite eines solchen Mannes schien mir Genofevas Los beneidenswerter als je, während ich nach dem Tode meiner Mutter einsam und verlassen dastehen würde. Sie dagegen wußte die Gunst ihres Schicksals nicht zu schätzen und pries mich glücklich wegen meiner Freiheit.«
»Die Tage vergingen, die Schwäche meiner Mutter nahm zu, sie fühlte ihr Ende herannahen; Genofeva ahnte nichts davon, ich durfte sie auch nicht herbeirufen, denn andere Menschen waren zugegen, wir beide hätten nicht zusammen am Sterbebett weilen können, ohne das Geheimnis zu verraten.«
»Aus Liebe zu meiner Mutter, die in der Todesstunde keine Ruhe finden konnte, ohne die wiedergefundene Tochter noch einmal an ihr Herz zu drücken, faßte ich einen schnellen Entschluß; ich flüsterte der Kranken ins Ohr, ich wolle ihr die Heißgeliebte herbeiholen, und von ihrem dankbaren Blick geleitet, begab ich mich auf dem kürzesten Wege in das Haus Gretorex. Meine Schwester säumte nicht, meinem Ruf zu folgen, wir wechselten die Kleider, sie ging, um den Segen der sterbenden Mutter zu empfangen und ich blieb an ihrer Stelle zurück. Damit war ihr Schicksal besiegelt. Dort am Sterbelager traf Genofeva den Doktor, und als meine Mutter in ihren Armen verschieden war, zog er sie an seine Brust, sagte ihr, daß er sie liebe und trug ihr seine Hand an.«
»Es war ihm durchaus nicht unbekannt, in was für Verhältnissen sie lebte, und welches ihre gesellschaftliche Stellung war, auch wußte er das reiche Mädchen in jeder Verkleidung von dem armen zu unterscheiden. Damit will ich nicht etwa sagen, daß Julius Molesworth meine Schwester um des Geldes willen heiraten wollte. Auf Reichtum legte er sehr wenig Wert. Aber, daß sie aus vornehmem Stande war, die Tochter eines angesehenen Mannes, daß sie um seinetwillen von ihrer stolzen Höhe herunterstieg, Genuß und Wohlleben aufgab, um seine Armut zu teilen: dies Bewußtsein erfüllte ihn mit Freude und Genugtuung. Ihr Bild erschien ihm in immer verklärterem Lichte, so oft er ihrer gedachte, bis er zuletzt glaubte, sie wirklich zu lieben.«
»Genofeva von seiner Liebe zu überzeugen, ward ihm nicht schwer, denn sie hatte ihr ganzes Herz an ihn gehängt und war trostlos bei dem Gedanken, ihre Verlobung mit Doktor Kameron nicht auflösen zu können. Sie fragte mich um Rat, aber wie gern ich ihr auch geholfen hatte, ich wußte keinen Ausweg. Trotzdem hielt sie hartnäckig an ihrer Hoffnung fest, schickte durch mich Grüße und Botschaften an Doktor Molesworth und ließ ihn in Ungewißheit, ob sie ihm angehören könne oder nicht, obgleich der Tag ihrer Hochzeit immer näher heranrückte und die Vorbereitungen zu dem glänzenden Fest bereits getroffen wurden.«
»Zuletzt offenbarte sie mir den Plan, den sie in ihrer verzweifelten Lage gefaßt hatte, und suchte mir zu beweisen, mit welcher Leichtigkeit es sich ausführen ließe, daß wir die Rollen miteinander tauschten. Ich hörte ihr voll Staunen, voll Verwirrung und Entzücken zu, als sie halb scherzend, halb bittend ausrief: Meinen Anteil an den Freuden des Reichtums habe ich zur Genüge genossen; jetzt, Mildred, nimm du den deinigen!«
»Die Worte fanden lauten Widerhall in meinem schwachen, unzufriedenen Herzen. Die alte Sehnsucht, der alte Neid erwachte darin mit verdoppelter Gewalt. War doch die Absicht meiner Mutter, mich der vornehmen Dame zu übergeben, bei der Wahl des Kindes nur durch eine Laune dieser Dame vereitelt worden, die mich aber um mein Glück betrog. Ich ward rot und zitterte vor Verlangen, obgleich ich nicht glaubte, daß meine Schwester es mit ihrem Vorschlag ernst gemeint haben könne.«
»Sie sah meine heftige Erregung und schlug mir lachend vor, einige Proben anzustellen. Nun folgten die mancherlei Versuche, über welche Genofeva in ihrem Tagebuch Bericht erstattet hat, und deren unerwarteter Erfolg uns bald überzeugte, daß wir ohne Furcht vor Entdeckung den Tausch wagen dürften.«
»Bald war die Ausführung des Planes beschlossene Sache. Ich fühlte Mut selbst zu dem gewagtesten Unternehmen, um des herrlichen Preises willen, der mir winkte. Die Sehnsucht meines Lebens sollte sich erfüllen, Mangel und Armut für immer verschwinden; ich sollte das vornehme Fräulein werden, das Herrn und Frau Gretorex Vater und Mutter nannte, und bald würde mich der herrlichste der Männer, Doktor Kameron, als seine Gattin begrüßen. Zwar hatte ich ihn nur flüchtig gesehen, aber ich trug sein Bild im Herzen und war für ihn von jenem Gefühl beseelt, das mit gleicher Stärke und Innigkeit nur einmal im Leben die Brust des Weibes bewegt.«
»Vor mir tat sich eine beglückende Zukunft auf, und alle Kräfte meines Geistes begannen sich frei und reich zu entfalten. Meine Schwester, welche die Welt kannte, sprach wohl öfters die Befürchtung aus, unser Vorhaben könne auf Hindernisse stoßen, aber ich suchte sie zu beruhigen und bereitete mich mit Ernst und Eifer vor, den Platz, welchen ich einnehmen sollte, auch würdig auszufüllen. Genofeva stand mir dabei mit Rat und Tat zur Seite, sie leitete mich durch ihr Urteil, und die letzten Tage, welche wir zusammen in dem kleinen Badeort verbrachten, benutzte ich besonders dazu, mich mit allem vertraut zu machen, was mir für das neue Leben förderlich und nützlich sein würde.«
»So kam der Hochzeitstag heran. Voll froher Hoffnung trennten wir uns; jede ging ihrer Bestimmung entgegen. Genofeva zweifelte keinen Augenblick, daß sie Doktor Molesworth nur eine Botschaft zu schicken und ihm ihre Entscheidung mitzuteilen brauche, dann werde er auf den Flügeln der Liebe zu ihr eilen, um sie nie wieder von sich zu lassen.«
»Was mich betrifft, so betrat ich das prächtige Haus auf dem Nikolasplatz mit weit mehr Freude als Bangigkeit im Herzen. Ich stand am Ziel meiner Wünsche und hatte kein anderes Verlangen, als das Leben meiner Schwester weiterzuführen, wo sie es vor wenigen Tagen verlassen, als sie sich auf geheimnisvolle Weise aus dem Elternhause entfernte. Dem Hausmeister, der mich einließ, trug ich mit kurzen Worten auf, seine Herrin von meiner Rückkehr zu benachrichtigen, und begab mich geradeswegs in Genofevas Zimmer.«
»Ich hatte eben noch Zeit, einen raschen Blick auf meine Umgebung zu werfen, als Frau Gretorex eintrat. Die Scheu, welche mich bei ihrem Anblick ergriff, war schnell verschwunden; ich antwortete auf ihre Fragen, ließ mir die kostbaren Geschenke zeigen, die inzwischen eingetroffen waren, und nahm so viel Anteil an allem, was sie mir in betreff der Vorbereitungen zur Hochzeit mitzuteilen hatte, daß sie ganz heiter wurde und ihre Mißstimmung über meine Abwesenheit nebst der deshalb erlittenen Angst vergaß. Um mich nicht zu übergroßer Lebhaftigkeit fortreißen zu lassen, suchte ich die Unterredung möglichst abzukürzen, indem ich Ermüdung vorschützte.«
»Erleichtert atmete ich auf, als die Dame sich entfernt hatte, und auf einen Sessel sinkend vertiefte ich mich nicht in die Betrachtung der zahllosen Schmuck- und Kunstgegenstände, deren Besitzerin ich jetzt war, sondern in das Anschauen von Doktor Kamerons Bild, welches ich auf den ersten Blick erkannt hatte, und das zu bewundern ich mich jetzt für berechtigt hielt.«
»Als es Zeit wurde, mich anzukleiden, rief ich eines der Mädchen ins Zimmer, mir zu helfen, schickte sie aber bald wieder fort, da ich die Gegenwart einer Fremden in diesem Augenblick nicht ertragen konnte. Bald versetzte mich das Wagengerassel und Stimmengewirr der ankommenden Gäste in solche Aufregung, daß ich mich kaum zu fassen vermochte. Ein Blick in den Spiegel beruhigte mich jedoch wieder. Die strahlende, glückliche Braut, deren Bild er zurückwarf, erinnerte nicht an die arme Mildred Farley; es war Genofeva Gretorex, wie sie liebte und lebte, aber frei von gesellschaftlichem Zwang, im Vollbesitz aller Erdenlust.«
»So sah mich Doktor Kameron auf der Schwelle meines Zimmers, und unsere Blicke begegneten einander in diesem Augenblick, dem schönsten meines Lebens, voll Entzücken. Als ich jedoch, während ich mit ihm sprach, den hellerleuchteten Gang hinunterschaute, gewahrte ich, was mir zuerst als ein Blendwerk meiner erregten Sinne erschien – Genofeva Gretorex' Gestalt, die auf mich zukam.«
»Als sei ein Blitzstrahl von der gemalten Decke herabgefahren und habe so plötzlich den Boden zu meinen Füßen gespalten, so durchzuckte mich der Gedanke, daß sie gekommen sei, um ihre Rechte wieder geltend zu machen – meine Hoffnung, mein Glück und meine Liebe, alles war mit einem Schlage zertrümmert.«
»Aber – ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist – mein Gewissen ist rein; ich hegte nichts Arges in der Seele wider meine Schwester. Die Türe schloß sich hinter uns, und wir standen einander mit der furchtbaren Frage gegenüber, wer von uns beiden die Schwelle als Braut überschreiten solle.«
»Ich war wie zu Boden geschmettert; in meinen Blicken mochte wohl deutlich zu lesen sein, was in meinem Innern vorging, denn plötzlich rief Genofeva stockend: An deine Gefühle und wie du es aufnehmen würdest, Mildred, habe ich noch gar nicht gedacht – was soll daraus werden?«
»Was ist denn geschehen? stammelte ich mit bebenden Lippen. Ist er nicht gekommen? Hat er –«
»Sprich nicht von ihm. Er hat kein Herz, kein Verständnis, stieß sie in hartem Ton heraus. Er fühlt nicht, welches Opfer ich ihm bringen wollte. Nicht mir galt seine Liebe, sondern Herrn Gretorex' Tochter. Es ist aus zwischen uns für jetzt und in Ewigkeit.«
»Ich brachte kein Wort heraus; unwillkürlich irrte mein Blick nach der Uhr hin.«
»Es ist noch Zeit, rief sie, es kann nicht zu spät sein. Ich werde wieder, was ich früher war. Wenn ich verheiratet bin und tun und lassen kann, was ich will, sollst du meine Schwester und Gefährtin sein. Was ich besitze, soll dir gehören, jeden deiner Wünsche will ich erfüllen.«
»Ach, ihre Worte waren kein Trost für mich, sie enthüllten mir den Zustand meines Herzens mit vollster Klarheit. Reichtum und Luxus lockten mich nicht mehr. Ich hatte alles verloren, die ganze Welt war schal und öde. Eine Purpurglut ergoß sich über meine Wangen, und ich wagte nicht aufzublicken.«
»Mit weitgeöffneten Augen starrte sie mich an. Du liebst ihn, rief sie, ich bereite dir den gleichen Schmerz, der mich heute bis auf den Tod verwundet hat. Das kann ich nicht – lieber sterben.«
»Ich vermochte keinen Laut zu erwidern. Sie schlug die Hände vor das Gesicht. Gott, stöhnte sie, muß es dahin mit mir kommen? Aber eine von uns soll glücklich sein, und es gibt kein anderes Mittel. Schnell öffnete sie eine Schublade ihrer Kommode und nahm ein Kästchen heraus, in welchem sie, wie ich wußte, ihren Schmuck bewahrte. Ich begriff nicht, was sie vorhatte.«
»Es war Torheit von mir, nur an die Möglichkeit zu denken, fuhr sie voll Bitterkeit fort, mein Herz ist gebrochen, der Nerv meines Lebens zerstört. Wie hätte ich mein altes Dasein wieder aufnehmen, den zerrissenen Faden von neuem knüpfen sollen? Ich vermag es nicht. Meine Seele ist in wildem Aufruhr, ich leide hoffnungslose Qual. Jammer und Elend wäre mein Los gewesen und auch dein Glück hätte ich zerstört. Ich kann die Last nicht tragen.«
»Ihre Worte waren mir unverständlich, ich sah, daß sie etwas aus dem Kasten nahm, ich glaubte, es sei ein Edelstein, Aber schon hatte sie das Fläschchen an die Lippen gesetzt. Die furchtbare Frage ist entschieden, sprach sie dumpf.«
»Genofeva, schrie ich, und eilte zu ihr, was hast du getan? Ich sah ihre Wangen erbleichen: der Tod trat ihr ins Antlitz. Verwirrt blickte sie mich an.«
»Ich weiß nicht, stöhnte sie, vielleicht habe ich alles verdorben; ich glaubte, ich würde die Straße noch erreichen, aber das Gift wirkt zu schnell – Sie hielt sich nur mühsam aufrecht.«
»Mit einem Sprung war ich an der Tür; ich wollte Hilfe holen, aber sie rief mich zurück: Die Rolle, die Rolle, keuchte sie verzweifelnd, die Rolle in meiner Tasche. – Ich nahm sie heraus, um sie ihr zu reichen. Sie ist für ihn – für Molesworth. Verbirg sie, und wenn du kannst, gib sie ihm.«
»Kaum wissend, was ich tat, steckte ich sie zwischen die Kissen des Sofas; mir schwindelte, das Zimmer schien sich mit mir im Kreise zu drehen, ich fühlte mich dem Wahnsinn nahe. In meinen Armen fing ich Genofeva auf, als sie umsinken wollte. Decke mich zu, murmelte sie; du gehe hinab, nichts darf deiner Trauung im Wege stehen. Eine – von – uns – muß – glücklich – werden.«
»Ich glaubte, es sei alles vorüber, aber noch einmal öffnete sie die Lippen: Sage ihm – Julius – meine – letzten – Worte – er – soll – dein – Glück – nicht – stören. Er – soll – dir – helfen –«
»Weiter sprach sie nicht; während ich noch überlegte, was ein Mensch in meiner entsetzlichen Lage tun könne, war ihr Atem entflohen. Ich starrte sie wie versteinert an – alles Leben war von ihr gewichen; sie lag ganz still und regungslos da.«
»Allmählich erwachte ich zum Bewußtsein dessen, was geschehen war. Eine unnatürliche Ruhe überkam mich. Sie war tot, und die letzten Worte der Sterbenden klangen mir noch im Ohr wie ein Befehl: Die Hochzeit solle stattfinden. Ich solle zur Trauung hinabgehen.«
»Würde es mir möglich sein? Mir schien, als hätte ich die Kraft dazu. Wenn ich nur nicht mehr das Totenantlitz mit den gebrochenen Augen zu sehen brauchte. Ich mußte es vor meinen Blicken verbergen. Wie ich vermochte, die Leiche in den Alkoven zu schaffen, weiß ich heute noch nicht. Als ich die Kleider darüber gehäuft hatte, welche ich vorher in der Eile des Ankleidens auf die Erde geworfen, stand ich scheinbar allein an der Stätte des Grausens.«
»Ich horchte, ob ich kein Geräusch vernähme, dann warf ich einen Blick in den Spiegel. Mein Antlitz war farblos, mein Schleier in Unordnung; ich mußte ihn abnehmen und von neuem aufstecken. Kaum war ich fertig, so klopfte es an die Tür: der Bräutigam kam, mich zur Hochzeit zu holen.«
»Als während der Trauung der entsetzliche Schrei ertönte, hatte ich zuerst nur e inen Gedanken: die Feier durfte nicht gestört werden, es galt vor allem, sie zu Ende zu führen. Sobald aber mein Ehebund mit Doktor Kameron geschlossen war, kam das Entsetzen über mich. Ich trachtete nur danach, aus dem Kreis der Gäste zu entfliehen, um zu ergründen, was der Schrei bedeute. Ueber mir wähnte ich Schritte zu vernehmen. Genofeva mußte wieder zum Leben erwacht sein, denn kein anderer Mensch konnte das Zimmer betreten haben, zu dem ich den Schlüssel bei mir trug. Meine Blicke irrten durch die offene Tür nach der Vorhalle, da sah ich die Gestalt eines Mannes, dessen Erscheinen meine Hoffnung neu belebte. Julius Molesworth mußte mir helfen!«
»Es gelang mir, mich zu entfernen, den Festsaal zu verlassen. Ich stand dem unerwarteten Ankömmling allein gegenüber.«
»Doktor Molesworth, begann ich atemlos. Er aber ließ mich nicht zu Worte kommen.«
»Welche von beiden sind Sie? fragte er. Antworten Sie auf der Stelle; denn, wenn Sie Genofeva sind –«
»Nein, unterbrach ich ihn, ich bin Mildred. Genofeva ist oben, im ersten Zimmer rechts. Hier ist der Schlüssel – gehen Sie hinauf – ich folge sogleich.«
»Er tat nach meinem Willen; ich sah ihn auf der Treppe und wartete, denn man durfte uns nicht zusammen erblicken. Die Schar der Gäste umgab mich wieder, aber ich bahnte mir mit Scherz und Lachen einen Weg und eilte Molesworth nach. Er trat eben wieder über die Schwelle. Da ist sie nicht, rief er in zorniger Erregung, verstummte aber bei meinem Anblick und folgte mir in das Zimmer zurück, das ich hinter mir verschloß.«
»Doktor Molesworth, schrie ich jetzt fassungslos, retten Sie mich!«
»Er starrte mich an. Wo ist Genofeva? fragte er abermals.«
»Ich zitterte, als sei ich ihre Mörderin. Das fragen Sie sich selbst, rief ich. – Sie haben sie umgebracht. Sie vertraute Ihrer Liebe und –«
»Er umfaßte meinen Arm wie mit Eisenklammern. Wo ist sie? Zeigen Sie sie mir! Oder sind Sie es selbst – sind Sie Genofeva? wiederholte er heftig und suchte in meinen Zügen zu lesen, Sie haben das Brautkleid an, sind vielleicht schon Doktor Kamerons Gattin – aber wenn Sie auch das Weib sind, welches versprochen hat, mir anzugehören –«
»Das bin ich nicht. Ich liebe Walter Kameron. Die, welche Sie liebte – liegt hier.«
»Ich führte ihn nach dem Alkoven und enthüllte die Leiche vor seinen entsetzten Blicken.«
»Sie hat den Tod erwählt, um mir mein Glück nicht zu rauben. Zwar kam sie zurück zur Hochzeitsfeier mit Doktor Kameron, aber als sie mich so hoffnungsfroh im Brautschmuck sah, packte sie die Verzweiflung, und sie leerte auf einen Zug das Giftfläschchen, das sie in ihrem Schmuckkasten verwahrt hielt.«
»Er hatte sich bereits über die Tote gebeugt, ihren Puls gefühlt, das Fläschchen aus ihrer starren Hand gelöst und daran gerochen. Blausäure, sagte er, sich emporrichtend mit mühsam erkämpfter Selbstbeherrschung.«
»Sie starb schon nach wenig Augenblicken, rief ich hastig. Jede Hilfe wäre zu spät gekommen, auch hielt sie mich zurück. Es war ihr Wille, ich sollte die Früchte ihres Opfers ernten. Sie bestand darauf, eine von uns müsse glücklich werden, und ihre letzten Worte waren: Sage Doktor Molesworth, er soll dein Glück nicht stören, er soll dir helfen!«
»Er sah mich mit einem mir unverständlichen Blicke an. Mißtraute er mir? Kam ihm ein ähnlicher Verdacht in den Sinn, wie ihn die Polizei gegen mich gehegt hat? Ich glaube es nicht. Wenn er an mir irre wurde – und nach dem, was mir mein Gatte über sein späteres Verhalten berichtet hat, muß das der Fall gewesen sein –, so erwachte sein Argwohn erst später, nachdem er Zeit gefunden, über das Geschehene nachzudenken. Schwerlich hätte er sich sonst so bereitwillig in meine Lage versetzt, mir so großmütig seine Hilfe zugesagt in meiner schrecklichen Not.«
»Denn schon im nächsten Augenblick bezwang er die heftige Bewegung seines Gemüts, und sich zu mir wendend, fragte er mich, ob mein Geheimnis noch ungefährdet, und ich vor Entdeckung sicher sei. Als ich dies bejahte, fuhr er fort:
»Es ist keine Zeit zu verlieren. Doktor Kameron kann schon in der nächsten Minute hier sein, um Sie zu suchen. Wird die Leiche entdeckt, so läßt sich die Täuschung nicht fortführen, und es ist um Sie geschehen. Es stehen Ihnen nur zwei Wege offen: Entweder Sie bekennen offen die Wahrheit und entbinden den Doktor seiner Verpflichtung – wozu ich Ihnen dringend raten würde –, oder Sie nehmen Zuflucht zu meiner Hilfe und überlassen es mir, die Tote von hier wegzuschaffen.«
»Es ist mir unmöglich, ein Geständnis abzulegen, war meine Antwort. Ich habe Doktor Kameron geheiratet und will ihm angehören. Er selbst würde es wünschen, wüßte er, wie alles gekommen ist. Er liebt mich – Genofeva ist tot – ich beeinträchtige niemand durch mein Schweigen und spare allen ein tiefes, nie endendes Leid.«
»Molesworths Lippe bebte, als wolle er meiner letzten Behauptung widersprechen, doch erwiderte er:
»Hören Sie mich, Mildred; ich bin nicht allzu weichherzig, aber Ihre entsetzliche Lage flößt mir Mitleid ein, und ich will Ihnen helfen. Mein Plan ist der folgende: sobald Sie fort sind, trage ich die Tote hinaus – mein Wagen wartet unten – und fahre mit ihr nach Frau Olneys Wohnung. Gelingt es mir, das Haus unbemerkt zu verlassen, so sage ich, sie habe unterwegs Gift genommen. Hält man mich hier an, um mich zu befragen, so erkläre ich, sie sei plötzlich krank geworden, und ich, ihr Arzt und ihr Bräutigam, wolle sie nach Hause bringen. Unter allen Umständen werde ich behaupten, daß sie Mildred Farley ist und bei dieser Aussage verharren, bis Sie mir selber Nachricht geben, daß Ihr Gatte die Wahrheit weiß, und es nutzlos ist, die Lüge langer fortzusetzen. Sie verstehen mich, Mildred? Gut, dann vergessen Sie nicht, daß Sie Genofeva Gretorex sind! Ich werde tun, was an mir liegt, um Sie vor Nachforschungen zu schützen. Ist dies aber nicht möglich, so seien Sie auf Ihrer Hut.«
»Kaum hatte er die letzten Worte gesprochen und das Giftflaschchen zu sich gesteckt, als wir auch schon meinen Gatten an die Tür klopfen hörten.«
»Löschen Sie das Licht aus; sprechen Sie draußen mit ihm, lassen Sie ihn aber unter keiner Bedingung das Zimmer betreten, hauchte Molesworth im Flüsterton.«
»Ich tat, was er mich hieß, und dann waren wir noch einen Moment allein.«
»Wo ist ihr Schleier? fragte er; ich muß ihr Gesicht damit verhüllen.«
»Ich sah mich vergebens danach um und reichte ihm den, welchen ich zu tragen dachte, dann raffte ich meine Kleidungsstücke zusammen und verließ eilends das Zimmer, in dem er zurückblieb. Ich betrat es nur noch einmal mit Peter, dem Diener, welchen ich anwies, meinen Koffer die Hintertreppe hinabzutragen. Dadurch wollte ich zugleich Doktor Molesworth, der im Hause fremd war, einen Wink geben, wie er selbst am besten hinuntergelangen könne. Die Hintertreppe war leer, die Dienerschaft im Vorderhaus beschäftigt, und Peter hatte ich befohlen, mich am Wagen zu erwarten; so hoffte ich, der Doktor werde den Weg frei finden. Was damals weiter geschehen ist, habe ich nie erfahren.«
»Meine Hoffnung, daß Doktor Molesworth sein Wagestück glücklich zu Ende geführt habe, ohne Argwohn zu erregen, ward nur zu bald zerstört. Der schwärzeste Verdacht erhob sich gegen ihn. Dann folgte eine Entdeckung nach der andern. Ich selbst wurde beargwöhnt. Meine Angst wuchs ins Grenzenlose; ich nahm meine Zuflucht zu Verstellung und Unwahrheit, um das Geheimnis zu behüten, von dem mein Glück und meine Ehre abhing. Bald aber zog sich das Netz, in das ich mich verstrickte, immer dichter um mich zusammen. Dem Polizeiinspektor, der nach dem Namen meiner Schneiderin forschte, sagte ich kühnlich, ich hätte die Kleider selbst angefertigt und mußte dann Doktor Kameron gegenüber die Lüge von dem Damenschneider ersinnen, da er wußte, wie gering Genofevas Geschicklichkeit in Handarbeiten war.«
»So sah ich mich von einer Täuschung zur andern getrieben, bis ich zuletzt mit Schrecken erkannte, daß ich auf dem besten Wege sei, durch solche Doppelzüngigkeit die Liebe und Achtung meines Gatten zu verscherzen. Von qualvoller Reue ergriffen tat ich einen Schwur, nie wieder von der Wahrheit zu weichen, und so kam denn zuletzt alles ans Licht. Ich kann das nicht beklagen. In meines Gatten Herzen ist zwar dadurch die Leidenschaft für die falsche Genofeva ertötet worden, aber aus der Asche dieses Gefühls hoffe ich die Liebe zu Mildred Kameron erstehen zu sehen, welche mit der Zeit das Glück meines Lebens ausmachen wird.«
»Mich dieses kostbaren Gutes würdig zu erweisen, soll von nun an mein höchstes Streben sein.«