Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Das wunderbarliche Vogel-Nest
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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Denselben gantzen Vormittag traff ich nichts Erzehlungswürdigs an / und eben darumb war ich desto müssiger / dieselbe Zeit hindurch meiner Beschaffenheit; item was ich mir vorgenommen und doch nicht gehalten / nachzusinnen; da befande ich auß eigner Erfahrung / daß zwar dem Menschen nöthig und ein trefflich Mittel sey / zu Vermeidung der Sünden GOttes Gegenwart (welches ohne das seine Schuldigkeit ist) mit demüthiger Reverentz immer vor Augen und in dem Gedächtnüß zu haben / daß solches aber gleichwol vor einen angehenden noch nicht genug / wann er nicht auch zugleich ohne unterlaß den getreuen GOtt um Hülff / Gnad und Beystand anrufft / daß er seine elende Gebrechlichkeit nicht fallen lassen wolle; Jnsonderheit aber auch diß Orts das jenig fleissig darbey thue und observire; nemlich daß er alle verdächtige Oerter meyde / da er besorglich sündigen könte / ob er gleich einen steiffen Vorsatz hat nimmermehr zu sündigen / dann die Gelegenheit macht den Dieb / und wir wissen / daß das Quecksilber auch das aller beste Gold dermassen befleckt / daß es zu seinem vorigen Glantz und schöner Farb nicht mehr gelangt als durchs Feur; und eben deßwegen sollen Leute die GOtt nicht erzörnen wollen alle Oerter und Gelegenheiten vor verdächtig halten / vornemlich aber dem Trunck und dabey befindlicher Gesellschaft sich nimmermehr vertrauen / noch sich auff sich selbst verlassen / er habe ihm gleich eine so grosse Beständigkeit vorgenommen als er immer wolle.

Dergestalt sonne ich meiner Beschaffenheit nach / und fande meine Nichtigkeit je länger je mehr; mein thumme Unwissenheit und geringes Vermögen sahe ich je länger je besser / und konte leichtlich darauß schliessen / wann ich nicht mit unaußgesetztem Fleiß meiner Seelen Wohlfahrt anders und zwar besser beobachten / und meinen sündlichen Begierden ernstlicher wiederstehen und dieselbige vorsichtiger im Zaum halten würde / daß meine Seligkeit auff Steltzen gienge.

Jn Betrachtung nun dieser meiner Undichtigkeit / bißherigen Jrrsahl und grossem Unwissenheit legte ich mich unter einem Baum nieder und sahe einem kleinen Waldvögelein zu / mit was vor grosser Sorgfalt und Behutsamkeit es beydes seine Nahrung und das Genüstwerck zu seinem Nest von der Erden auffhub und hintrug; Es setzte sich niemal auff den Boden / es sahe zuvor ob ihm nit Strick und Garn gerichtet wären / es zu fangen! Es hube kein Körnlein auff es sahe sich zuvor etlichmal umb / ob kein Schütz auff es im verborgenen lautet der es etwann schiessen könte! Es flohe niemal wiederumb in den freyen Lufft sein eigen Element / es betrachtete zuvor die Sicherheit deß Wegs / den es nehmen wolte / ob kein Raubvogel vorhanden der es mit Federn und allem darvon führen möchte!

Du leichtfertiger / thumer Mensch / sagte ich zu mir warumb bist so kühn / von dir zu glauben / daß du mit andern Menschen vernünfftig seyest / und erzeigest doch zu deiner selbst Erhaltung nicht so viel Verstands und Vorsichtigkeit als dieser geringen Creatur die doch sonst nichts als ihr sorgfältigs Leben: und kein ewige Cron / wie du / zuverliehren: die nach ihrem Todt kein ewige Verdamnuß / wie du / zubesorgen hat?

Jn diesen Gedancken setzte ich mir vor hinfüro von allen Creaturen dergleichen so etwas zu lernen / das mir zur Beförderung meiner Seeligkeit ersprießlich seyn möchte / dann ich konte ja auß diesem eintzigen Exempel wol abnehmen / daß die Göttliche Güte dieselbe nicht allein zu unserer Speise und zu unserm Wollust erschaffen; zumalen auch theils deren zu unserer Nahrung gantz unbequem und gifftig seynd / anderer Beywohnung aber gantz unlustig / schädlich / abscheulich und gefährlich ist;

Gleich darauff sahe ich eine grosse häßliche Krott dorther waltzen / welche ich weis nicht / vor übriger Feustigkeit oder vor übrigen Gifft oder umb willen sie den Wanst voller Laich hatte / kümerlich kriechen vielweniger einer ihro nacheilenden Schlange eintrinnen konte / die sie grad vor mir erdappte und verschluckte! diese beyde abscheuliche Würme erinnerten mich billich / daß ich meinem Allergütigsten GOtt unaufhörlich zudancken schuldig wäre / umb willen er mich zu keinem solchem Scheusall / sondern zu einer vernünfftigen Creatur / die der ewigen Seeligkeit mit den heiligen Engel fähig wäre erschaffen hatte.

Gleichwie nun ich zuvor langsam an diese billiche Dancksagung gedacht / also lernete ich auch von dieser Krott / daß ein Mensch der mit Hoffart beladen (an welche mich ihr gravitetischer Gang ermahnte) oder einer der wie ein Schwein sich Tag und Nacht mit übrigem Fressen und Sauffen mästet: oder einer der dem gifftigen Neid / Haß und Zorn ergeben: oder einer der immer den fleischlichen Wollüsten abwartet: oder einer der sich auß Geitz mit zuvielen zeitlichen und vielleicht unrechtmässigen Reichthumen beladen hat / oder einer der auß fauler Trägheit die Himmelstrasse nicht lauffen mag / beynahe dieser Krotten gleiche / und der Schlang / dem höllischen Drachen schwerlich entrinnen möge.

Weil mir nun diese meine Gedancken eine scheinbarliche Frucht zeigten / die sie mitbrachten; Sihe so verfolgte ich sie weiters / ja ich kam so weit / daß ich nicht allein von den sichtbarlichen Creaturen: sondern auch von dem abgesagten Ertz-Feind deß Menschlichen Geschlechts / dem Teufel selbst zu lernen unterstunde!

Dann als ich betrachtet / was massen dieser leidige Widersacher allein auß lauter Neid und Mißgunst mit unverdrossener Mühe / unaußsetzlichem Fleiß / tausentfältigen Listen / Betrügereyen und unersinnlichen Vörtheiln / uns Menschen so ernstlich nachstellet / uns in Sünde: und also umb die Göttliche Huld / Gnad und ewige Seeligkeit zubringen / davon er doch kein intresse, keinen Nutzen / keinen Gewinn / keine Belohnung noch etwas anders oder ichtwas dergleichen zuhoffen hat / daß ihn contentiren möchte / ohn allein daß er hiemit dem Allerheiligsten Willen GOttes zuwider (gleichsam so zu reden / GOtt zum Verdruß und Trutz) seinen boßhafftigen Willen zu vollbringen suchte;

Da gedachte ich du blinder Mensch! der du nach diesem Leben nur eins auß zweyen: nemlich den Himmel oder die Höll; das ewig Leben oder den ewigen Todt: ein immerwehrende höllische Qual oder ein immerwehrende himmlische Freud und Wonne: die allerseeligste Anschauung Gottes und seiner lieben Engel und Außerwöhlten oder die Beywohnung der erschröcklichen höllischen Geister und aller Verdammten vor dir stehen und zugewarten: und über diß alles die Wahl unter beyden hast? Warumb läst du so viel Stund / so viel Tag! so viel Wochen / Monat ja (ach leider) so viel Jahr hinstreichen / in denen du nicht einmal hieran gedenckest? da doch der leidige Satan keine Minut feyert dich umb deine Seeligkeit zu bringen / sondern unaufhörlich herumb gehet / und suchet welchen er verschlingen möge. Ach du unbesonnener Mensch! sagte ich ferner zu mir: Warum bedenckest du doch nicht wer du bist / wer du gewesen bist / und was du werden kanst / oder endlich werden must! warumb machst du dir doch diese Gnaden Zeit / die dir die Göttliche Mildigkeit verleyhet deiner Seelen Heil zu würcken / nicht besser zu Nutz? in welcher der Teufel so gar nicht feyert dich zu ihm in die ewige Verdamnuß zu ziehen.

Als ich so verstaunet dort sasse / fieng eine Nachtigal auff den Baum / darunter ich mich befande / so lieblich anzuschlagen / daß es einen jeden / der nicht mit solchen Gedancken wie ich beladen gewesen / daß Hertz im Leibe hätte erfreuen mögen / zwar so zerstörte mir die angenehme Lieblichkeit ihres Gesangs auch mein unter Handen habendes Concept / und verursachte / daß ich nachsanne was ich bey ihr und ihrem frölichen Gesang zu lernen hätte?

Was fragst du? antwortet ich mir selbsten / sie reitzet dich zum Lob deines Schöpffers! O wer? sagte meine Sinnlichkeit zu mir / sie hat gut singen / sie hat gut singen / sie hat keine Schulden zu bezahlen / wann sie aber in solchen Gewissens-Aengsten steckte wie ich / so würde sie die Pfeiffe bald fallen lassen. Unverständiger Esel / antwortet hingegen meine Vernunfft / weist du nicht daß ein betrübter Geist und geängstigtes Hertz ein Opffer Gottes ist? vermeinest du nicht / daß deine Traurigkeit / deine betrübte Buß-Thränen und dein Leidwesen / umb daß du Gott erzörnet hast / dem Schöpffer eben so angenehm seyen als dieser Nachtigal Gesang? vornemlich wann dich dieser Schmertz auß Liebe zu Gott rühret / wann dich reuet / daß du deinen allergütigsten Schöpffer beleidigt hast / und wann du einen steiffen Vorsatz hast dich zu bessern / und Gott nimmermehr zuerzörnen.

Geschwind stehe auff / lauff / und eile unverzüglich / dich durch eine wahre Buß dieser freymütigen und frölichen Nachtigal wieder gleich zu machen / reinige dein Hertz durch die Beicht / und lasse die Sünd durch die Absolution vertilgen / alsdann wird dein getreuer Gott / der dich so holdselig hierzu einladet / dich Freude und Trost hören lassen / daß deine zerschlagene Gebein frölich wieder werden / er wird in dir ein reines Hertz schaffen / einen rechten Geist in dir erneuern / und dich mit seinem kräfftigen Geist bestattigen; alsdann wird er deine Lippen auffthun / und belieben daß dein Mund sein Lob verkündige / alsdenn wird er annehmen das Opffer der Gerechtigkeit / der heilige HErr / der sonst alles Lob derjenigen Sünder verwirfft / die ihre Mangel und schändliche Befleckungen nicht solcher Gestalt / durch Krafft deß allerheiligsten Bluts / welches das unschuldige Lamm deßwegen vergossen / wiederumb abwaschen.

Solche und dergleichen Sachen handierte ich damal in meinem zerstörten Gemüth / und damit ich dasselbige ehistens wieder zurecht bringen / und mein gantzes mich vermittelst Göttlicher Gnaden Beystands in eine Beschaffenheit setzen mögte / die Gott angenehm und gefällig wäre; so nahm ich meinen Weg in aller Eil heimwarts / mich den Priestern zu zeigen / ihres Raths zu pflegen und deren Geboten als den Geboten Gottes an dessen Statt sie sitzen / mich in aller Demuth zu unterwerfen.

Passirte demnach in der grösten Mittags-Hitze durch ein Dorff darinnen eben ein Metzger abstieg und sein Pferd vor einem Hauß an einen Armsdicken Stützen bande / auff welchem ein Jmmenstock ruhete; Jch kam eben darzu als ein Jmmlein diesen fremden Gast umb die Ohren schnurret / welches das Pferd nicht leyden wolte / sondern mit dem Kopff zuruck schnellet / und den Stützen woran es gebunden unten am Boden / da er zimlich faul und versporrt war / entzwey brach; Pordutz lag der Bienstock auff dem Boden! welches die Honigmacher dermassen erzörnte / daß sie umb solcher ihrer Reichs-Zerstörung willen an dem armen Pferd grausame Rache zu üben Armee-weis mit ihren Stacheln gleichsam wie mit eingelegten Lantzen darauff loß flogen; Jch fande mich zu allem Unstern / wie oben gemeldtet / eben bey dieser Recontre / und vermeinte vor den zornigen Jmmen eben so sicher als unsichtbar zu seyn; aber weit gefehlet / dann in dem mich selbige nicht sahen / sondern durch meinen Leib wie durch den andern freyen Lufft zu fahren vermeinten / fienge ich in einem huy ein par hundert Angel auff / die mehrentheils mir beydes durch Hemd und Haut gieng / weil ich der grossen Hitz wegen mein Wams ausgezogen und über den Buckel gehengt hatte; Was ich damals vor Schmertzen und Pein außstünde / ist weder zu sagen / noch zu beschreiben noch zu glauben; allein kan mans bey dem Pferd beyläuffig abnehmen / welches vor unleidenlicher Qual gantz wüdig wurde / im Dorff hin und wieder herumb rennete und sich so erschrecklich anliesse / daß mans endlich todt schiessen muste; Jch aber legte mich in eine stinckente Cloac der Jmmen ferneren Verfolgung zu entrinnen / nicht anderst vermeinende / als daß ich allbereit die höllische Marter selbst lidte.

Da lerne nun du sicherer Narr (sagte ich zu mir) du elender Mensch! der du vor allem Gewalt der gantzen Welt genugsam gesichert zu seyn vermeinest / der du alle deine Thaten / deinen gantzen Handel und Wandel genugsam verborgen zu seyn glaubest: der du thust was dir beliebet / und denckest trutz wer will mirs wehren / wie leichtlich dich die allenthalben Göttliche Gegenwart seiner Allmacht finden / und entweder seiner Güte nach demütigen / oder seiner Gerechtigkeit und unergründlichen Urtheil nach augenblicklich gar biß in den Abgrund der Höllen hinunter stürtzen könne.

Aus obenbesagtem unflätigem Bad begab ich mich in ein anders / nemlich in ein fliessend Wasser / weil ich auß dem ersten so belampert stiege / daß mich wol kein Mensch (wann man mich gleich hätte sehen können) vor einen Menschen / aber wol vor eine lebendige Dreckseul (mit Gunst) hätte halten und ansehen mögen: Jn diesem letzteren oder zweyten Bad flößte ich zwar die äusserliche Besudelung ab / aber die hin und wider steckende Angel / die mir das Bienen-Volck gesteckt / und zu einem guten Gedächtnus in meiner Haut hinterlassen / konte ich samt dem darauß entstandenen Schmertzen so wenig vertreiben / als die Gewissens-Angst darinn ich schwebte: Jn welche ich mich gleichwol auß unvorsichtiger Leichtferdigkeit selbst gestürtzet hatte.

Hernach zoge ich mich Mutternackend auß / und trücknete hinter den Hecken meine Kleider durch die Stralen der Sonnen / welche allgemach gegen den Westen zustriche: so sich so lang verzögerte / daß ich dieselbe ob zwar kurtze Sommer-Nacht in eben demjenigen Wald verlieb nehmen muste / darinn etwa die Springinsfeldische Leyrerin gewohnet / und als ein wunderseltsame Melichina oder Meerfein / ihren guten Becken-Knecht erstmals angetroffen und bethöret hatte; Meine bey mir gehabte Speisen waren in dem Morast / darinn ich gesteckt / verderbt und zum Genuß untüchtig worden / derowegen muste ich Hunger leyden / ob ich gleich den verwichenen gantzen Tag weder Essen noch Trincken zu mir genommen; Was ich aber im Übrigen vor eine lustige Nacht gegen der vorigen gehabt / beliebe mein großgünstiger Leser unbeschwert selbst zu erachten.

Doch ists besser hie als dort gelitten; und in Behertzigung eines solchen / tröstete ich mich so gut ich immer konte; vornemlich dieweil sich die Schmertzen von den Jmmenstichen allgemach legten / oder weil ich ihrer nunmehr gewohnete.

Gleichwol befande ich mich am Morgen frühe wiederumb wol auff / ohne daß ich innerlich eine Mattigkeit und Begierde zum Essen / äusserlich aber hie und da an meinem Leibe eine Sammet-weiche Geschwulst empfande; Meine Gedancken handelten dieselbe Nacht nichts anders als daß sie mit Verwunderung betrachteten / was massen GOtt der Allmächtige seine Widerspenstige auch durch die allergeringste Insecta heimsuchen und züchtigen könne / und deswegen keine gewaltige Haupt- oder Landstraffen zu senden bedörffte; deß Morgens frühe aber bedachte ich / daß der grundgütige GOtt seine heilsame Artzney und Hülff-Mittel / auch in geringe verächtliche Dinge verborgen; Massen ich die Ursach meiner so geschwinden Cur der Mistlachen zuschreibe darinn ich gelegen / sintemal man auß der Erfahrung weiß / daß der Urin / die Jmmenstich damit gewaschen / beydes Schmertzen und Geschwulst augenblicklich hinweg nimmt.

Als ich nun meiner Sachen Beschaffenheit damals ferner hin und her erwoge / und so wol in das künfftige als vergangene sahe / was mir nemlich begegnet war und noch begegnen mögte / zumalen greiffen konte / daß mir alle meine widrige Begegnussen / durch Vermittlung deß Vogel-Nests zugestanden wären; So fieng ich derohalben an desselbigen überdrüssig zu werden / insonderheit als ich bedachte / daß dessen vorige Possesserin dardurch so elend umbs Leben kommen und als eine Zauberin verbrannt worden; Jch hielte darvor / daß es eine Art an sich haben müste / wie das Seianische Pferd / seine Besitzer in alles Unglück zu stürtzen; sahe auch nicht was es mir sonderlich hätte nutzen können / wann ich nicht durch Krafft so unsichtbarer Gestalt stelen wolte / welches mir aber ein widerwertiger Eckel worden war / wiewol ichs zuvor so festiglich in Sinn genommen hatte; ich verliesse es zwar gar ungern / nicht allein darumb weil es rar und ein solches Stück war / das mir mancher grosser Herr mit vielem Geld zu seiner Kurtzweil gar theuer bezahlt haben würde: sondern auch daß es einen in Nöthen erretten und auß aller Menschen Gewalt erlösen konte; da ich aber bedachte / was vor grosses Unglück es zur Welt gebären mögte / wann es in eines gewaltigen Herrn Händen wäre und vielleicht mißbraucht würde; zumalen daß ich mich in meinen Nöthen nicht auff diß Vogel-Nest / sondern auff die Hülffe meines getreuen GOttes verlassen solte / ich wolte dann diß Nest höher als GOtt achten / welches aber die gröste Abgötterey von der Welt wäre; Sihe so fällete ich das Urtheil darüber / daß es unverweilet cassiret und vertilgt werden solte / nahme es derowegen auß meinem Busen hervor / und zerrisse es wol zu sibenzehenhundert Fetzen.

Gehe hin / sagte ich / deinet halben soll hinfort keines Menschen Heimligkeit durch einen andern gesehen und offenbaret werden; durch dich soll hinfort niemand mehr weder umb Essen noch Trincken / vielweniger umb Geld bestohlen werden; du solst hinfort weder Manns- noch Weibsbildern den Weg zeigen noch Ursach und Gelegenheit geben / sich im Werck der Unkeuschheit unordentlicher Weiß zu besudeln; du solst weder mir noch einem andern Menschen seine eigene Schelmstück / Hurenstück und Diebsgriff mit Unsichtbarkeit bedecken / vielweniger anderen die ihrige / die im finstern oder heimlich geschehen / durch finster unsichtbare Gegenwart ans Taglicht bringen / dann GOtt / der alles siehet / der alles höret / der alles verhängt und zuläst / dem alles bewust ist / hat ihm allein durch seinen allerweissesten Rath solche Wissenschafft vorbehalten / der auch alles zu seiner Zeit nach seinem Göttlichen Willen eröffnen / oder verbergen und vergeben / richten / straffen oder belohnen wird.

Als ich nun solcher gestalt meinem Vogel-Nest seinen ehelichen Abschied gegeben / erinnerte ich mich auch deß Guten so ich durch selbiges zu lernen und zu begreifen Anlaß bekommen / seit ichs in Händen gehabt; nehmlich daß der jenig sicher wandele / der GOttes Gegenwart allezeit vor Augen hielte / böse Gesellschafften fliehe / die possirlich scheinende Ader vor Suspect halte / ihme selbst nimmermehr traute / den überflüssigen Trunck zu besserer Verwahrung seiner Sinnen vermeide / und im übrigen von allen Creaturen / ja von allem dem was ihm vorkommt / was er höret und siehet / etwas guts unterstehen zu lernen / welches ihm zur Ehr und dem Dienst GOttes reichet und beförderlich zu seiner Seelen Seligkeit aber ersprießlich seyn mögte.

Weilen sich dann eben ein grosser Ameyssen-Hauffe neben mir fande / dessen Jnwohner überauß geschäfftig waren allerhand Materialia, und sonderlich das Genist von dem zerrissenen Vogel-Nest einzutragen; so sahe ich deren emsigen Fleisse und unverdrossene Arbeit mit Verwunderung zu / und erinnerte mich deß Spruchs Salomonis / da er sagt / gehe hin du Fauler zu den Omeysen / etc. da beobachtet ich / wie eine der andern so vernünfftig auß dem Weg wiche / wie eine der andern ihren Last tragen halffe / wie sie alle so einmüthig waren ihre Arbeit zu befördern / und so fortan; darauß nun faste ich allerhand schöne Lehren / und nahm mir einen gantzen Hauffen guts Dings hinfort zu vollbringen vor; Jch wolte hinfort arbeiten daß mir die Schwarte krachen mögte / umb mich ehrlich zu ernähren und niemand beschwehrlich zu seyn; Jch wolte meinem Neben-Menschen künfftig nachgeben und nicht allein gern ausweichen / sondern auch darzu den Last seiner Mängel auß Christlicher Liebe gern gedulten / und an seiner Beschwerung tragen helffen; und in solcher Ubung mit einem dermassen unaussetzlichem Fleiß so beständig verharren / daß mir das gantze Reich der Omeysen an dem grossen Tag / daran aller Menschen Thun und Lassen examinirt / durchforschet / gerichtet / belohnet und gestrafter werden sollen / das Geringste nicht vorzuwerfen hätte; dann ich sahe nunmehr wol / wann man ein Ding anfahet und nicht endet / daß es nichts mehrers ist / als wann mans gleich anfänglich gar unterwegen gelassen; und also war vor dißmal das Vornehmste / daß ich die Beständigkeit æstimiren lernete.

Aber! O seltene Tugend / ich vertiefte zwar mich damals in deiner Betrachtung so weit / daß ich wol drey Stund auff einem Sitz mit dir zubrachte / und mir vornahm mich in meinem festen Vorsatz gleichsam mit dir / wie in einem unzertrenlichen Ehestand / zuverewigen / ja ich hätte auch noch länger in meiner dasigen Speculation verharret / dafern mir nicht daß Schicksel unversehens gewiesen hätte / daß die Welt nicht dir sondern deiner Ertzfeindin der Unbeständigkeit / sich gewidmet; ob aber der leichte Sinn so vieler Unterschiedlicher Menschen / oder das Gestirn selbst / wie etliche wollen / die Ursach sey stehet dahin.

Dann es kamen eine Schar Wölffe die mich zugleich in meinen Gedancken zerstörten und umb so viel desto mehr erschreckten / dieweil es weder im Jenner noch Hornung war / darinn diese Art wilder Thier sich zusammen zu begeben und zu ramlen pflegten; derowegen verliesse ich urplötzlich diese gute Gedancken meines Vorsatzes / und trachtete nunmehr allein dahin / wie ich mein Leben vor denen erschröcklichen Ankömlingen salviren möchte; Zu solchem Ende stiege ich in höchster Angst auff eine Stümmelbuche /die mich hierzu am bequemsten zu seyn dunckte / und als ich mit geringer Mühe hinauff kam / und nunmehr vor den Wölffen / die sich je länger je mehr vermehrten / sicher zu seyn vermeinte / sihe! da erschreckte mich ein anderer unversehener Anblick dermassen / daß ich mein Leben allerdings hinsetzte / dann als ich auff die Buche gestiegen / wurde ich zweyer Würm gewahr / die ich vor zwo erschreckliche Schlangen ansahe; ich gedachte / steigst du wieder hinunter zurück / so kommst du den Wölffen in den Rachen / verbleibst du aber hieroben / so erwürgen dich diese Basilißcken; langen Bedacht und die Wahl zu nehmen liesse mir weder der Schrecken / so mich übereilet / noch meine Furcht zu; sondern ich kletterte / das gewisseste zu spielen / an einem Ast oder Zelgen hinauff / der Seiten der Stümling / deß Mutter Stammens gewachsen und sich wiederumb in die Lufft geschwungen / so wol den vermeinten Schlangen als den Wölffen zu entgehen; da hockte ich nun in der Höhe / und sahe zu / was vor eine Menge Wölffe sich ferner daher sammelte / die nicht nur mich / sondern den gantzen Bezürck Steinwurffs weit umb mich herumb Battalien weis umbgaben; so / daß ich wol erachten konte / daß diese ordentliche Umbzirckung natürlicher Weiß nicht geschehen könte.

Gleich darauff näherten sich zween Männer / auß denen der eine einem reichen Herrn: der ander aber / so zimlich betagt war / den zerlumpten Kleidungen nach einem vagirenden Landstörtzer gleich sahe; Sie giengen biß zu dem Ort allwo ich gesessen / und daselbst sagte dieser zu ihnen; Nun wol mein Herr! jetzt seynd wir an dem Ort / allwo der Herr entweder / seines Schatzes und verlohren Geldes: oder deß Mittels sich unsichbar zu machen / theilhafftig werden kan; der Herr wölle nur bald eins auß diesen beyden / ehe die Stund deren eins zuerhalten vollends verschwindet; der vornehme Herr antwortet / Geld und Gut hab ich noch mehr / derowegen will ich mich meines verlornen Geldes hiemit verziehen und begeben: und solches unter die Schätze gerechnet haben / die im verborgen ligen; wer ihn find / mag ihn behalten / hingegen aber das Klenot darfür annehmen / dardurch ich mich unsichbar machen könne.

Hierauff setzten sich beede zu dem Ameißhauffen / davon der alte eine Handvoll nahm und den andern fragte ob er ihn sehe? Als jener ja antwortet / legte er selbige Handvoll neben sich und nahm eine andere / fragte wieder wie vor und trieb es so lang / biß er letzlich eine Handvoll erdappte / davon er augenblicklich verschwande / und als er abermal fragte / sihet mich der Herr? Jener aber nein antwortet da sagte er / so halte der Herr sein Fazinetlin auff / und empfahe das was er verlangt / jener folgte / und so bald hatte ihm der Alte die Handvoll Materien von allerhand Geniste so er vom Ameißhauffen genommen / nicht ins Naßtüchlein geben / so bald verschwand er auch / und hingegen sahe ich den Alten wiederumb / welches seltzam und verwunderlich zu sehen war.

Hierauff sagte der Alte zum andern / er solte die Sachen fleissig ins Naßtüchel zusammen binden / damit das köstliche Stück so die Würckung hätte / nicht verlohren würde / das thäte der ander / ob mans gleich nicht sahe was er machte; folgends legte jener das zusammen gebundne Naßtüchel auff die Erde / und probirte die Gewißheit der Würckung zum offtermalen / sintemal man dasselbige alsdann nicht sehen kondte / aber wol wiederumb denjenigen der es hin gelegt; Als sie nun eine gute Weil ihre Kurtzweil solcher Gestalt getrieben / und mir genugsam gewiesen hatten / daß die Würckung meines gewesenen Vogel-Nests nunmehr wiederumb in einer andern Gestalt einem Herrn dienete / hiesse der Alte den andern sich weg begeben / und als ich meine Augen auffhube / wurde ich gewar / daß alle Wölffe auch verschwunden. Der Alte hingegen zoge seine Wünschel-Ruthe herfür den verborgenen Schatz zu suchen / er brummelte etliche Wörter darzu / und schliche damit überall herumber / ich aber stiege allgemach den Ast herunter / und wurde gewahr / daß das jenige so ich im Schrecken Anfangs erblickt / keine Schlangen / sondern zwo seidene Würst voller Gold / nemlich der Springinsfeldischen Leyrerin gestohlene 1000. doppelte Ducaten waren / welche güldene Schlangen-Rippen gar erfreulich durch das abgenutzte und zum Theil versparte Zeug herfür schimmerten / ich steckte alles in meinen Rantzen / und sahe dem Kerl mit seiner Glücks-Ruthen zu / der endlich in einem holen Baum einen zimlichen Partickel Reichsthaler und etwas an Silber-Geschirr fande / so er auffpackte / und sich damit seines Wegs verfügte; ich aber machte auch nicht länger Mist daselbsten / sondern Anschläg wie ich meine Reichthumb anlegen / und das freundliche Mägdgen / so ich unschuldiger Weis gleichsam im Schlaff beraubet und geschändet / wieder erfreuen / und bey Ehren erhalten möchte.

 

Als nun hochgeehrter großgünstiger lieber Leser / ist diejenige Histori die ich ihm von meinem Vogel-Nest habe erzehlen wollen / hat er nun darauß gefast / was ich ihm damit habe beybringen wollen / so ist mirs lieb; noch viel lieber und erfreulicher aber wird mirs seyn / ihme aber sehr nutzlich / und GOtt wolgefällig / wann er demselben was ich ihn hierinn zu lehren bedacht / nachzukommen sich befleist; wäre aber wider alle Hoffnung eines solchen Numeurs / daß er hierinnen weder offentliche noch verborgene Lehren gefunden / oder doch wenigst derselben nicht geacht hätte / so wird ihn jedoch diß Wercklein anderwerts contentirt / und ihme verhoffentlich die Zeit eben so wol und vielleicht nützlicher und besser vertrieben haben / als wann er in dem Amadis gelesen hätte; Werde ich nun sehen daß dieses beliebt wird / so soll diß der Erste Theil deß Vogel-Nests seyn / und der Ander auß dem Omeis-Hauffen in Kürtze hernach folgen; Jst etwann jemand darinn getroffen / der schweige und bessere sich / dann deßwegen hab ich diß geschrieben; Jst aber dein Camerad berührt worden / so freue dich deiner Unschuld und dencke was konte der fromme Aber darvor / daß sein Bruder ein Schalck war! Bitte aber auch darneben GOtt daß Er dich nicht fallen lasse / sondern auch deinem Bruder wieder aufhelfe diß war meine Meinung / als ich diß Wercklein anfienge / und ist sie noch da ichs jetzt hiemit

ENDE.


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