Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Das wunderbarliche Vogel-Nest
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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CAP. XXVII.

Heim-Räis und Beschluß dieses Werckleins.

NOch 14. Tag hatte ich mich bey meinem Pater zu Utrecht aufgehalten / nachdem ich wieder völlig gesund und geheylet worden / als ihm von seinen Obern Befelch zukommen / daß er sich durch die Schweitz auff Rom begeben solte / das war mir nun eine erwünschte Gelegenheit / mit ihm auff der Cöllnischen Seiten deß Rheins sicher biß nacher Straßburg / und von dannen über den Kniebs hinauß vollends nach Hauß zu kommen; derowegen überkam ich durch unterhandlung deß Paters einen Paß von der Frantzösischen Generalität / und machte mich mit ihm per pedes, seiner Regul gemäß / auf den Weg / unsere Gesellschafft bestund in unterschiedlichen und sehr ungleichen Personen / dann erstlich war der Pater und der Frater seines Ordens; 4. Frantzös. Soldaten von unterschiedlichen Officien und Qualitäten / welche nacher Breysach beordert waren; Ein Pfarrherr von der Reformirten Religion / so hiebevor auß der Pfaltz / davon er gebürtig / in Holland beruffen / und in gegenwärtigem Krieg dermassen abgebrand oder ruinirt worden / daß er gezwungen war / wiederumb mit seinem Weib nach Hauß zu kehren; So dann ein Jud / so nach Franckfurt reyste / dessen Gegenwart mich offt mit peinlichen Schmertzen an meine lose Stück erinnert / die ich zu Amsterdam begangen / und dann endlich ich / als ein schlechter Handelsmann / der gleichwol noch 200. Reichsthaler zur Zehrung bey sich hatte / davon ich auch dem guten ehrlichen Pater, und seinem Bruder / als die kein Gelt vermochten / noch anrühren dorfften / underwegs / wo es die Noth erfordert / die Nahrung getreulich verschaffte.

Da setzte es nun bisweilen artliche Disputationes wegen der Religion zwischen dem Pater und Pfarrer / davon jeder zween auß den Soldaten / so eines jeden Glaubens-Bekandnus zugethan / zu Beyständen hatte; Jtem zwischen dem Pater und Pfarrer eins / und dem Juden andern Theils auch dergleichen / und wiewol dieser Maußkopff gewaltig wol studirt / und wol beschlagen war / wolte er sich doch nicht recht herauß lassen / sondern sagte / die Christen solten zuvor ihre eygene Spaltungen zusammen leimen / ehe sie sich understünden / die Juden / so einig wären / zu ihrer Religion zu bekehren / dann so einer oder der ander auß ihnen gleich gern ein Christ werden wolte / so könte er nicht wissen / zu welcher auß den Christlichen Religionen er sich wenden solte / sintemal sich jede rühmet / sie sey die beste; da legen die Lutherische nicht allein täglich einander selbst in den Haaren / sondern auch stätig wider die Calvinisten oder Reformirte zu Feld / und würden niemal einig gesehen / als wann es auff die Catholische loß gieng / gleich wie auch der Pater und Pfarrer jetzunder vor einen Mann wider ihn stehen wolten / dahingegen die Catholische alle andere Religionen bestritten / und allein die ihrige vor die beste hielten / und ob gleich der Pater und Pfarrer dem Juden erwiesen / daß / gleich wie vor alters Phariseer / Saduceer und Esseer unter ihnen gewesen wären / also gebe es noch täglich unter den heutigen Juden und ihren Cochams zerspaltene Meynungen / welche zwar bisweilen durch Auffsätz und erfundene Mittel-Weg besagter Cochams beygelegt / dardurch aber der Sach mit nichten geholfen / noch ihre Religion gebessert / sondern vielmehr durch Menschen-Satzungen verbösert / und nimmermehr zu wegen gebracht würde / daß sie ihr Gesetz hielten / wie es Moyses zu halten gebotten / der Jud hingegen beharrete hartnäckig darauff / daß er zuvor die Christen einig sehen müste / ehe er sich zu ihnen zu tretten entschliessen könte / die mutirung der Religion sey ein grosses Werck / daran die Seligkeit gelegen / und deßhalben nicht so leichtlich / und ohne reiffen Vorbedacht zu wagen.

Die Disputationen, die zwischen dem Pater und Pfarrer vergangen / waren so unterschiedlich / so variabel, und ihrer so viel / daß ich sie seyther alle biß auff nachfolgenden lächerlichen Schick vergessen, als wir durch das Trierische marchirten / giengen wir einem Bild-Stock vorbey / vor welchem der Pater nicht allein die Kapp ruckte / sondern auch die Mutter unsers Erlösers kriechend mit einem Ave Maria grüste; kaum in einer halben Stund hernach kamen wir zu einem Galgen / der mit einem Dieb gezieret war / und als wir denselben passirt hatten / sagte der Pfarrer zum Pater, wie kompts Herr Pater, daß ihr allhier nicht auch niderknyet? der Galgen und der Bild-Stock seynd ja einerley Holtzes / der Pater antwortet / berichtet mich zuvor einer andern Frag / so will ich euch auch der eurigen bescheiden / ich sehe daß ihr ein Weib habt / die werdet ihr ja auch / wie andere Ehemänner thun / küssen? Warumb das nicht / antwortet der Pfarrer / ich gib euch nicht unrecht / sagte der Pater, aber sagt mir / küsset ihr sie nicht gemeiniglich auff den Mund? der Pfarrer antwortet / das verstehst sich / wo sonst anders hin? es ist schon recht / sagte darauff der Pater, aber warumb küsset ihr sie nicht auch in Hindern / dann derselbe ist ja mit dem Mund eines Leders / gleich wie der Bildstock und der Galgen einerley Holtzes seynd / zwar wäre es dem jenigen auch kein Schand / welcher nach deß Lobwürdigen Käisers Caroli Quinti Gewohnheit den Hut abzöge / wann er bey einem Galgen vorüber passirte / und sagte mit allerhöchst-gedachtem Käiser / Salve ô Sancta Justitia, wir musten alle hierüber lachen / biß auff den Pfarrer / welcher da bestund wie Butter an der Sonnen / und vielleicht noch nicht gewust / daß einem in beschaffenen Begebenheiten pflegt geantwortet zu werden / wie er gefragt.

Von dieser Zeit an stellete sich das disputiren ein / und wir verfolgten unsere Räis miteinander den Rhein hinauff / der Pfarrer verblieb zu Bacherach bey seines Weibs Befreundten zuruck / und der Jud zu Mäintz / wir aber kamen miteinander ohne Anstoß zu Straßburg an / allwo wir ein Tag oder 4. außruheten / und uns die delicate Salmen auß dem Rhein / neben dem edlen Elsasser Wein nach Nothdurfft geschmacken liessen / und diß war der erwünschte Ort vor mich / auch von der übrigen Gesellschafft abzuscheiden.

Der Pater und sein Frater gaben mir das Geleyd biß nach Kehl / und vermahnte mich / so lang wir auff der Metzger Au giengen / ohne auffhören / ich solte auff dem angetrettenen Weg der Gottseligkeit verharren / als wir aber mitten auff die Rhein-Bruck kamen / zog er das Genist auß dem Ameyshauffen hervor / so er zu Utrecht von mir empfangen / zeigte mir dasselbe / umb zu sehen / daß mein Sigill / damit ichs verpitschirt / noch unzerbrochen / und sagte / daß er kein besser Mittel wüste / diese schädliche Kunst / die mich so schändlich verführt hätte / von dem Erdboden hinweg zu vertilgen / als daß er den Bettel miteinander in Rhein werffe; ich wars wol zu frieden / er aber öffnet den Uberzug / wo der Fluß am stärcksten war / und als er den innersten Ballen in die Hand kriegte / verschwande er mir und dem Frater Augenblicklich auß dem Gesicht / es war eben gut / daß damal wenig Leut auff der Rhein-Bruck wandelten / und niemand umb uns war / der solches gesehen / sonst dörffte der ehrliche Pater wol vor einen Zauberer gehalten und angepackt worden seyn / die Unsichtbarkeit daurete an ihm aber nicht länger / als biß er den Ballen mit einem Messer aufgeschnitten / und das Genist auff einen saubern Bruck-Pflöckling außgeläret hatte / da sahen wir ihn wiederumb / hernach schürete er das Genist bey einem Stäublein vollends in den Rhein / und sagte / nun dancke ich GOtt von Hertzen / daß diese schädliche Kunst in eurer gegenwart so Glücklich abgeschafft worden / ihr hättet sonst vermeynen dörffen / ich hätte euch solche abgeschwätzt / umb mich derselben selbst zu bedienen / aber mein Anschlag / sie zu cassirn, ist vorlängst auff diesen bequemen Ort gericht gewesen.

Zu Kehl frühstückten wir / ehe wir voneinander schieden / welches meines Theils mit nassen Augen geschahe / und weil ich mich in einem Land deß Friedens befand (wiewol ich höre / daß es seyther durch den Krieg sehr ruinirt worden) zumahlen noch etwas Gelts übrig hatte / kauffte ich mir ein Pferd / womit ich in etlichen Tagen Glücklich nach Hauß kam.

Und demnach ich das wunderbarliche Vogel-Nest / ein so genanntes Tractätlein in offenem Truck zu meiner Heimkunfft gefunden und gelesen / auch auß den Umbständen gesehen / daß solches eben die jenige Kunst und Materi gewest / die ich gehabt / hielte ich vor billich / daß ich der Welt auch communicirte / was mir damit begegnet / und schriebe darauff diese meine eygene Histori / ob sich vielleicht einige / zu verhütung ihres Schadens vor solchen gefährlichen Künsten hüten wolten / ich beflisse mich aber auch darneben / daß ich durch Buß-Werck und Gottselige Ubungen mich würdig machen möchte / der Verdienste deß Erlösers theilhafftig zu werden / Vergebung der Sünden zu erlangen / und also mit Gottes Gnad und Beystand zu erlangen ein seliges

ENDE.


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