August Wilhelm Grube
Geographische Charakterbilder. Erster Teil. Arktis – Europa
August Wilhelm Grube

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C. Pyrenäenhalbinsel.

1. In Lissabon und Cintra. – 2. In Madrid. – 3. Ein Stiergefecht in Madrid. – 4. Granada. – 5. In den Huertas.

 

1. In Lissabon und Cintra.

Quelle: Dresdner Anzeiger vom 2. und 23. Februar 1903. Kap Finisterre lag hinter uns und somit auch die gefürchtete Biscaya. Wenn zwar auch im allgemeinen die Fahrt bisher gnädig verlaufen war, so litt doch der größte Teil der kleinen, bunt zusammengewürfelten, dem sonnigen Süden zustrebenden Reisegesellschaft an Seekrankheit.

Zwischen Festland und den scharfkantig aus dem Wasser auftauchenden Berlenga-Inseln hindurch nimmt der »Stambul« am Nachmittag des 5. März seinen Kurs zum Cabo Carvoeiro; die Gebirgszüge der Provinz Estremadura verlassen uns nicht mehr und schließlich tritt oberhalb des Kaps Roca auf stolzer Höhe das Schloß Cintra hervor. Bald schnitt der »Stambul« die scharf hervortretende Linie, in der sich die gelben Wasser des gewaltigen Tejo gegen den Ozean legen. Aber nicht so bald, wie wir an Bord gehofft, sollte unser guter Dampfer in die seeartig sich weitende Mündung des Tejo einlaufen. Erst spät abends langten wir an und kein Zeichen, kein noch so wohlklingender Ton des melodisch gestimmten Nebelhorns, kein noch so herrlich über die Wasserfläche blitzendes Blaulicht war imstande, den Lotsen von der portugiesischen Warte zu uns herauszulocken. So ankerten wir gezwungen nachts über vor der Mündung des alten Tagus, des längsten Flusses der pyrenäischen Halbinsel, der seine Wasser aus den wilden Schluchten der spanischen Provinz Teruel durch das Steppengebiet der Mancha, vorüber an dem darin oasengleich gelegenen Aranjuez, hier zum Ozean sendet. Der nächste Morgen fand frühzeitig die kleine Reisegesellschaft auf den Beinen. Langsam dringt der »Stambul« stromauf; die westlichen Vorstädte Oeiras und Belem= Bethlehem.– dieses mit dem massigen, in maurisch-gotischem Stil erbauten Torre de Belem – gleiten an unseren Blicken vorüber, und wir gehen vor dem stolz am rechten Flußufer sich aufbauenden Lissabon vor Anker.

Die anfänglich schmale Einfahrt weitet sich seeartig vor des alten Lusitaniens blühender Handelsstadt und ehemaligen Residenz, vor der Colonia felicitas Julia der Römer, die so schon im Namen die glückliche Lage des Ortes feststellten. Seemännischer Gruß wird mit den Kreuzern und Torpedobooten der hier ankernden portugiesischen Flotte getauscht; ein echt südliches Bild, farbenprächtiger und lebhafter vielleicht, als in manchem nordafrikanischen Hafen umfängt uns – eine natürliche Folge der günstigen Gestaltung des tief und breit ins Land dringenden großen Hafens. Zahlreiche Schiffer und Fischer kreuzen die Bahn unseres Dampfers und drängen sich längsseits. In malerischer Tracht, buntfarbigem Gürtel, beutelartiger grauer und schwarzer Mütze, kurzer Jacke lenken die markigen Gestalten der schön gebauten, durch die Bräune ihrer Glieder auffallenden Männer die Blicke auf sich.

Endlich ist das Ankermanöver beendet – wir liegen weit draußen im Strome –, das Schiff ist vom Regierungsvertreter und Arzt freigegeben, und wir können auf das kleine Dampfboot, das uns zum Ufer führen soll, hinübersteigen. Aber noch einmal wird unsere Geduld in Anspruch genommen, ehe wir am Praça do Commercio das Land betreten können; denn die Verhältnisse erheischen noch ein zweites Übersteigen auf ein kleines, von Ruderern fortbewegtes Boot.

Die Portugiesen müssen eigentlich allesamt recht gute Kaufleute sein und werden; denn schon der kleinste Junge treibt Handel, namentlich aber »macht er in Lotteriegeschäften«, und die unglaublichsten Lose werden uns entgegengereicht, ehe wir überhaupt am Lande ordentlich Fuß gefaßt haben.

Von dem mit Amtsgebäuden umgebenen, durch ein Standbild des Königs Josef I. geschmückten Praça do Commercio geht es durch den großen Arco Monumental zu der wichtigen Geschäftsstraße, der Rua Augusta, auf der sich ein außerordentlich reges Leben abspielt. In »malerischem Schmutz« das Großartigste leistende Männer – in flachen Körben gewaltige Fische zum Kaufe bietend – bewegen sich in einer Art Hundetrab durch die Straßen, schreiende Jungen, feilschende Frauen, bedächtig schreitende Neger, rücksichtslos darauf losfahrende Kutscher, langsam trottende Esel, riesige Lasten schleppend, mahnen und zwingen zur Vorsicht und lassen kaum einen Blick zu auf die merkwürdigen und malerischen Bilder, die sich durch die Querstraßen nach den auf steilen Höhen aufgebauten Stadtteilen öffnen. Die Straße endet auf dem Praça de Dom Pedro IV., der vom Volke »O Rocio« genannt wird, und über dessen Mosaikpflaster schreitend man wohl die bisher glücklich vermiedene Seekrankheit bekommen könnte.

Unser Weg führt zunächst vom Bahnhof durch die Rua aurea, eine Parallelstraße zu der Rua Augusta und einer wahren Goldstraße. Hier reiht sich Juwelier an Juwelier. Das läßt die Bedeutung des Gewerbes, das an erster Stelle Erzeugnisse der Gold- und Silberschmiedekunst und die Filigranarbeit umfaßt, erkennen. Nach dem Mittagsmahl wurde ein Gang durch die Stadt unternommen, zu der Avenida da Liberdade, einer namentlich des Abends ziemlich belebten, von Palmen in langen Reihen begleiteten, 10 m breiten Straße. Von der prächtigen Terrasse von Sao Pedro de Alcantara, deren Name Alameda sie als einen »von Pappeln bestandenen Ort« kennzeichnet, genießt man eine jener wundervollen Aussichten, an denen Lissabon so reich ist. Hier steht im Mittelpunkte das in der Oststadt gelegene Castello de Sao Jorge, die alte Maurenzwingburg, die erst 1147 von den Christen erobert wurde. Deutsche und französische Kreuzfahrer pflanzten damals das Kreuz an Stelle des Halbmondes hier auf. Unfern der Alameda besucht man den botanischen Garten, der an tropischen Pflanzen einer der bestbestelltesten Europas sein soll. Über den Largo do Rato, einen nicht besonders stattlich gehaltenen Hauptplatz des nördlichen Stadtteiles Rato, streben wir durch eine Unzahl enger, schmutziger Gäßchen der Estrellakirche, dem Santissimo Coraçao de Jesus, zu. Die von prächtiger Marmorkuppel überwölbte Estrellakirche wird in der Hauptsache wegen der umfassenden Aussicht aufgesucht, die sich von ihrem Turm aus bietet. Eine Straßenbahn, die geradezu unglaubliche Höhenunterschiede überwindet und sich mit wahrer Geschicklichkeit durch die engsten Engen hindurchzuwinden versteht, führt zur inneren Stadt zurück.

Lissabon zählte mehr als 300 000 Einwohner, als es 1755 zu zwei Dritteilen durch Erdbeben, Flutwellen und Feuersbrünste zerstört wurde. Dies Ereignis machte damals in ganz Europa gewaltiges Aufsehen; denn es war dem Unglück von St. Pierre auf Martinique an Menschenverlusten ähnlich. Ein in Augsburg erschienenes fliegendes Blatt schilderte damals das »ganz erschröckliche Erdbeben, wodurch die Königl. Portugiesische Residenzstadt Lissabon samt dem größten Teil der Einwohnern zugrunde gegangen«, wie folgt:

»Lissabon, die Hauptstadt eines gantzen Königreichs, eine Stadt, welche mehr als 30 000 Häuser, die prächtigsten Palläste, und unbeschreibliche Reichthümer in sich begriff, und wegen ihrer Schönheit und überall hin sich erstreckenden Handlung in gantz Europa berühmt war, Lissabon ist fast nicht mehr, ihre Stätte zeuget blos, daß sie vorhero gewesen, nun aber nicht mehr: dann den 1. Novembr. dieses 1755sten Jahrs, als an dem Feste aller Heiligen, eben zu der Stunde, da der gröste Theil des Volcks in den Kirchen versammlet war, gefiel es dem obersten Richter, nicht nur das gantze Königreich Portugall, sondern hauptsächlich die Residenz-Stadt dergestalt hart heimzusuchen, daß dieselbe durch ein um 10 Uhr Vormittag entstandenes sehr heftiges Erdbeben, mit allen seinen Pallästen, öffentlichen und Privat-Gebäuden, Conventen, Klöstern, Haupt- und anderen Kirchen, in zwey oder drey Minuten in einen Steinhauffen verwandelt worden,« usf. Damals brach auch der Tejo in ein altes längst ausgetrocknetes und bebautes Bett ein, das er zwischen dem Hügel des Kastells Sao Jorge und dem von Sao Roque einst durchflossen hatte, als die älteste Stadt auf der dadurch entstandenen Flußinsel im Tejomündungsbecken gegründet wurde. Noch heute zeigt die winkelige Anlage deutlich diesen Kern von Lissabon inmitten planmäßig gerader Häuserviertel der neuen Hafenstadt, die mit dem benachbarten Belem die einstige Größe wieder erreicht, ja übertroffen hat.Vergl. Krämer, Weltall und Menschheit I. S. 148. Berlin 1900 (Bong & Co.).

Am Standbilde Dom Pedros, Herzogs von Braganza, vorüber gelangen wir zum Hauptbahnhof, um von hier aus nach dem ehemaligen Sommerschloß des königlichen Hauses zu fahren. Denn die bergige Landschaft im Nordwesten der Stadt mit ihrem durch die Seewinde angenehm befeuchteten, südlich-warmen Klima ist eine von Land- und Lusthäusern übersäte Garten- und Parklandschaft.

Wohl zwanzig Minuten läuft die Bahn in einem Tunnel unter der Stadt hinweg, dann tritt sie hinaus in die sonnenumwobene Ebene und läßt den Blick des Reisenden auf einem Bilde echt südlicher Schönheit ruhen. Auf sanft geböschter Fläche steigt der Zug zum Gebirge. In der Ferne das Meer! Um uns zahlreiche, nette Dörfer, schmucke Landsitze in prangendem Grün. Niedrige kahle Häuser, ziemlich flache Dächer, die Fenster oft durch Gitter verschlossen. Lange Linien mächtiger alter Wasserleitungen, zum Teil auf hohen, meist in Trümmern liegenden Bogen, zum Teil nur durch würfelartig überbaute Einsteigpforten die unterirdische Lage erkennen lassend, durchziehen das Land und lassen oft den Gedanken an ehemalige, Land sperrende Festungswerke wach werden. Über diesen Trümmern erbaute Ende des 18. Jahrhunderts Johann V. die neuere Wasserleitung, die auf dem mächtigen Brückenzug von Alcantara die Wasser aus dem quellenreichen Gebirge zur Stadt führt. Hier ist es ein alter, maurischer Bau, der zu der arabischen Bezeichnung Veranlassung gab – das afrikanische El Kantara bei Biskra weist auf einen aus römischer Zeit stammenden Brückenbau hin, wie dies auch in der tief eingeschnittenen Rumelschlucht bei Konstantine der Fall ist. Eine reiche Pflanzenwelt belebt das herrliche Bild, Palmen und Agaven, mattgrüne Ölbäume, blühende Mandeln, Goldfrüchte tragende Orangen. Schnell nähern wir uns dem Ende der Bahnfahrt.

Der Ausflug nach Cintra und dessen Umgebung ist sehr wechselvoll. Auf der einen Seite das weite, nach der neuen Welt sich spannende Meer, auf der anderen Seite der Blick vom zerklüfteten Gebirge auf Flächen und Höhenzüge, deren Bewohner einst die Schicksale des alten Europas ebenso beeinflußten, wie sie jene des von ihnen entdeckten Weltteiles vorschrieben. In der Stadt ein altes maurisches Schloß, hoch droben auf stolzer Höhe die Reste einer Maurenburg lassen die Zeit in unsere Erinnerung treten, da hier die Araber herrschten; daneben führt uns der herrliche Landsitz des königlichen Hauses und die prächtige Besitzung des weltbekannten Engländers Cook in die jüngste Zeit zurück. Von dort oben aus sah man einst auf segelgerüsteten Galeoten den ersten Handelsverkehr zum fernen Westindien sich anbahnen, sah man Spaniens berühmte Armada nach Norden steuern, das stolze England zu demütigen, und jetzt sitzt hier ein Sohn dieses Inselreichs, das Gold zu verzehren, das ihm der Weltverkehr, das ihm Schlafwagen und Luxuszüge brachten. Von hier aus sah man die Dampfer der deutschen Levante-Linie ziehen, denen die Landsleute des Mr. Cook den Vorzug vor den ehemals gerühmten englischen Schiffen gaben, und die deshalb nicht nur Malta, sondern auch Dover regelmäßig anliefen.

Wir entschließen uns zunächst, den in der Stadt gelegenen Palaccio Real, einen von Mauren angelegten Bau, der der Königin-Witwe als Sommersitz diente, zu besichtigen. Treppauf, treppab, bald über Höfe, bald durch enge kleine Gärtchen geht es, dann folgen lange Zimmerfluchten, großartige Säle, weite Hallen. Zierliche schlanke Säulen, herrliche maurische Bogen, schöne Mosaiken, Springbrunnen mitten in luftigen Zimmern, Ausblick gewährende Altane reihen sich bunt aneinander. Die mächtigen Küchen, die herdartig von massigen, kegelig zur Höhe steigenden Rauchabzügen überbaut sind, geben von außen dem Schlosse das Gepräge. Durch die schmalen, engen und gewundenen Straßen des kleinen Städtchens geht es hinauf zur Höhe der Serra de Cintra, dem Gebirgszug, der, wie sein Name andeutet, einer »Säge« gleicht.

Hier liegen die weitgedehnten Trümmer der alten Maurenburg, der Todesstätte Alfons V., des Afrikaners, unter dessen Regierung das bisher unbedeutende Portugal in den Vordergrund der geschichtlichen Begebenheiten trat und der durch die Eroberung Ceutas, des festen Alkazar und des wichtigen Tanger die maurische Macht nicht unwesentlich zurückdrängte. Ein prächtiger Fernblick öffnet sich über die vorgelagerte Ebene, über den Tejo und das Meer, die den inselartig aufsteigenden Höhenzug einsäumen. Die Wege, die zwischen Mauertrümmern zu den einst wohl besonders stark befestigten Punkten abzweigen, führen uns immer neue Vertreter einer fast tropischen Pflanzenwelt vor. Man glaubt nicht im Monat März zu leben; eine Sonne, wie bei uns etwa im August, liegt auf der blühenden Landschaft. Auf steiler Straße erreichen wir schließlich das Castello da Pena, das »Schloß auf dem Felsen«, wie das mit Fels, Klippe gleichbedeutende und in zahlreichen geographischen Namen wiederkehrende Pena uns erkennen läßt. Das Schloß ist mit dem Felsen verwachsen, es ist nicht nur auf ihm, sondern teilweise sogar in ihn hinein gebaut. Obwohl erst Mitte des vorigen Jahrhunderts errichtet, ist es doch streng im maurischen Stil gehalten. Herrliche Schauseiten im dunklen Grün der wandrankenden Efeuschößlinge und Immergrüntriebe, mosaikbelegte Wandflächen, mächtig hoch strebende Kuppeln in goldschimmernden Platten, weite, säulengeteilte Fenster, Treppen auf kühn geschwungenen Bogen, so bietet sich das Schloß dem Auge dar. Dem ehemaligen koburgischen Prinzen Ferdinand, dem Prinz-Gemahl und späteren König, der sich durch kluges Verhalten die Liebe des ihm erst abholden portugiesischen Volkes zu erwerben wußte, verdankt es seine Entstehung. Vor dem Bau erregt eine herrliche, wohl über 10 m hohe Andentanne (Araucaria) mit ihren schirmartig gebreiteten Zweigen unser Staunen. Weiße und rote Azaleen, Kamelien und Primeln treten mehr und mehr zurück, je weiter wir von der stolzen Höhe herabsteigen und uns dem Städtchen wieder nähern.

Aber noch gilt es einen Besuch in dem Garten des ehemaligen Klosters Monserrate, dem Sommersitz des Engländers Cook, zu machen. Er liegt auf halber Höhe des Nordhanges, etwa 2,5 km westlich von Cintra. Man fühlt sich in ein Paradies versetzt in dieser Besitzung, die sich so weit dehnt, daß es dem Besucher nur schwer gelingen dürfte, einen vollständigen Überblick zu gewinnen. Die Gestaltung des bald durch tiefe Schluchten zerrissenen, bald durch sanfte Mulden unterbrochenen Gartens, in dem hier wasserreiche, tosende Sturzbäche zur Tiefe fallen, dort murmelnde Quellen größere, auf Gehängestufen angelegte Teiche speisen, wird durch die tropische Natur wunderbar unterstützt und ergänzt. Um hoch emporstrebende Felsen herum winden sich die Pfade, zur Höhe steigend, Tiefen nehmend oder auf kühnen Brücken dunkle Schluchten überspannend. Mächtige, knorrige Korkeichen lassen uns hier noch in tiefen Schatten wandeln, dort treten wir überrascht an einen im grellen Sonnenschein liegenden Hang, der von farbenprächtigen blühenden Azaleen erfüllt ist und an dem vorüber der Weg zu einem Hain mattgrüner Ölbäume oder malerischer Pinien mit rissiger Rinde führt. Schlanke Blütenstengel der Calla mit zugespitzten, breiten Blättern, langstieliger Aronstab, Pflanzen, die in den Zierstücken maurischer Bauart immer wiederkehren, verraten uns feuchtes Gelände. Sie stehen am Rande eines Wasserbeckens, an dem massenhaft schnellwüchsige Schiefblätter oder Begonien gedeihen. Dann wieder folgt dichtes Strauchwerk von glanzblättrigen Kamelien in seltener Blütenpracht, es schließt sich ein Wiesenhang an, auf dem Mandelbäumchen blühen und Orangen uns ihre Goldfrüchte entgegen lachen lassen. Dickblättrige Agaven mit ragenden Blütenstengeln, mächtig emporstrebende Palmen stehen mitten drin. Ein altersgraues Gemäuer, von dichten Efeustöcken umschlungen, scheint einen Abschluß herbeizuführen. Dem ist nicht so; es vermittelt nur den Übergang zu dem Schloß, das in der weiten Besitzung steht. Auf dem Rückwege zum Bahnhofe haben wir Gelegenheit, das Leben auf der Landstraße zu beobachten. Man sieht im allgemeinen wenig Pferde, meist nur Maultiere und Esel, hin und wieder mächtige Büffel. Die Lastwagen fallen durch mächtige Blockräder auf. Unter den weit überhängenden grauen Ölbäumen schreitet munter ein Eselchen daher, darauf sitzt querlings ein junges Weib, ihr Kind in den Armen haltend: inmitten der südlichen Landschaft wie ein biblisches Bild, wie die Madonna auf der Flucht ins rettende Ägypten.

 

2. In Madrid.

Aus den »Erinnerungen eines in Spanien reisenden Franzosen«. Wenn man von Madrid spricht, so führt uns die Einbildungskraft zuerst den Prado und die Puerta del Sol (das Sonnentor) vor. Der Prado besteht aus mehreren Baumreihen mit einem Fahrweg in der Mitte für den Wagenverkehr. Neben den Bäumen läuft ein kleiner, aus Backsteinen gebauter Kanal dahin, in welchen zu gewissen Stunden aus Röhren Wasser geleitet wird, um sie inmitten von Staub und Sonnenhitze auf diese Weise zu erhalten. Die Promenade fängt beim Kloster Atocha an, geht bei dem Tor dieses Namens und dem von Alcala vorüber und endigt am Tor der Barfüßer; aber man beschränkt sich auf einen kleinen Raum, um die Brunnen der Kybele und des Neptun, von dem Tor von Alcala bis zur Carrera de San Hieronimo. Hier ist ein großer Raum, Salon genannt, mit Stühlen besetzt, und hier, wo am wenigsten Schatten, aber am meisten Staub ist, drängt sich die vornehme Welt zusammen, so dicht, daß man oft nicht Raum hat, das Schnupftuch aus der Tasche zu nehmen, und nur Schritt für Schritt der Menge folgen kann. Hier ist die Stelle, wo man die glänzendsten Gespanne vorbeifahren sieht.

Im allgemeinen gehen die vornehmeren Frauen alle nach Pariser Mode; die Mantille ist der einzige Überrest spanischer Volkstracht, sie ist höchst kleidsam und dazu sehr zweckmäßig, wenn der kühle Abend naht. Hüte sieht man sehr wenig, da die Mantille auch den Kopf bedeckt. Namentlich erinnert aber der Fächer den Reisenden daran, daß er in Spanien ist. Keine Frau vermag hier ohne Fächer zu leben, er muß sie überall hin begleiten, auf die Promenade, zum Besuch, in die Kirche und zum Theater; der Gebrauch des Fächers gibt den Bewegungen einen solchen Ausdruck und Reiz, daß man bald gewahr wird, Spanien sei das Vaterland des Fächers. Das leise Schwirren, das durch das unaufhörliche Öffnen und Schließen der Fächer entsteht, durchdringt mit ganz eigentümlichem Laut das summende Geräusch der Promenade.

Gewöhnlich stellt man sich im Auslande die Spanierinnen mit bleichem, länglichem Gesicht, großen, schwarzen Augen, kleiner, etwas gebogener Nase und südlich dunkeler Hautfarbe vor. Das ist aber der arabische und maurische Schlag. Die Madrilena ist reizend im vollen Sinne des Wortes; unter vieren sind drei gewiß hübsch. Sie ist von kleinem, zierlichem Wuchs, weißer Haut, zarten Zügen, hat meist helles kastanienbraunes Haar, ja man kann den Prado nicht zweimal auf und ab gehen, ohne nicht sieben bis acht Blonde von allen Abstufungen getroffen zu haben, vom dunklen Braun bis zum brennendsten Rot. Man sieht viele blaue Augen, obgleich sie nicht so geschätzt werden wie die schwarzen. Es steckt eben germanisches (westgotisches) Blut im kastilischen Volke.

Im Prado sah ich auch einige Pasiegas von Santander in ihrer Volkstracht. Die Pasiegas sind als die besten Ammen in Spanien anerkannt, und die Liebe, die sie für die Kinder haben, ist fast sprichwörtlich geworden. Ihre Kleidung ist ein roter, sehr faltiger Tuchrock, mit breiten Borten besetzt, ein schwarzsamtener, ebenfalls mit Goldtressen besetzter Brustlatz, und ihr Kopfputz ein in hellen Farben schimmernder Madras, das alles noch gehoben durch einen Überfluß von silbernen Zieraten und Spielereien. Diese Frauen sind sehr schön und tragen einen Zug von Kraft und Adel im Gesicht, der überrascht.

Die eigenartigen Gestalten der Wasserhändler, die früher Spaniens Hauptstadt kennzeichneten, sind fast verschwunden. Früher ertönte die ganze Stadt von ihrem scharfen, unaufhörlichen Geschrei: Agua, agua, quien quiere agua? (Wer wünscht Wasser?) Agua, helada, fresquita la nieve! (Hell, frisch, wie der Schnee!) Dies dauerte von morgens 5 Uhr bis abends 10 Uhr. Jetzt hat Madrid eine vorzügliche Wasserleitung erhalten. Neben dem Wasser ist das Element, das am meisten in Madrid gebraucht wird, Feuer, zum Anzünden der Zigaretten. Kleine Knaben tragen es in Schalen, die mit Kohlen und feiner Asche gefüllt sind, herum. Um 9½ Uhr wird der Prado leer, und die Menge wendet sich nach den Kaffeehäusern und Botillerias.

Die Kunst, Erfrischungen zu bereiten, ist hier im heißen Hochlande zu Hause. Die bebida helada, namentlich aber die bebida d'almendra blanca (von weißen Mandeln) sind köstliche Getränke. In den Tagen, wo das Eis noch nicht zubereitet ist, hat man Agraz, ein aus unreifen Weinbeeren bereitetes Getränk, dessen säuerlicher Geschmack sehr angenehm ist, oder man trinkt Cerveza de Santa Barbara mit Limonen, oder man wendet sich in die Orchalerias de Chufa; die Chufa ist eine kleine Beere gleich einer Mandel, die in der Umgebung von Valencia wächst und geröstet, zerstoßen und mit Schnee gemischt, höchst erfrischend wirkt. Außerdem gibt es Sorbett, Eis in Form von Käsen, von allen Arten mit Aprikosen, Ananas, Orangen, auch mit Butter und schalenlosen Eiern, die man aus dem Leib der Hühner nimmt, und Espumas von Schokolade oder Kaffee, eine Art geschlagener Sahne, die man zuweilen mit feinem Zuckerstaub bestreut und mit Barquillos serviert, das sind Oblaten in lange Hornform gerollt, aus denen man langsam, die Kühlung genießend, das Getränk einschlürft. Kaffee trinkt man selten und dann nur aus Gläsern.

Betrachtet man das Äußere spanischer Wohnhäuser,Skizzen aus Spanien. Morgenblatt 1860. Nr. 11 u. 12. so begegnet man sogleich einem der vielen Widersprüche, die die spanische Volksart in sich vereinigt. Da der Spanier großen Wert auf das Äußere legt und sehr gerne an der Oberfläche der Dinge haftet, so sollte man vermuten, seine Häuser böten ein sehr schönes und gefälliges Äußeres dar. Bei weitem die meisten Gebäude sind aber äußerlich sehr vernachlässigt. Schmutziggraue, nicht selten zerbröckelnde Außenwände geben sehr vielen Häusern ein wirklich ruinenhaftes Aussehen. Davon machen selbst die Häuser der Vornehmsten keine bedeutende Ausnahme. Die Bekleidung der Außenseite mancher Häuser mit weißer Terrakotte schützt schlecht gegen den Eindruck des Unschönen, ebensowenig kann die Überladung der Schauseite mit nichtssagenden Arabesken Wohlgefallen erwecken.

Die flachen Dächer des Südens sind hierzulande allgemein. In ästhetischer Beziehung macht ein solches Dach immer den unbefriedigenden Eindruck von etwas Unfertigem. Die wagerechte Ebene bildet keinen Abschluß, sie stellt vielmehr die natürliche Grundlage dar, auf welcher sich irgendein Gegenstand erheben soll, wogegen die schiefe Ebene deutlich ausdrückt, daß, ihrer Natur nach, nichts mehr darauf gesetzt werden könne, also auch nicht solle. Eine große Menge flacher Dächer macht jedem aufmerksamen Beobachter die Richtigkeit dieser Anschauung fühlbar.

Daß durch solche Dächer zugleich der nützliche Bodenraum verloren geht, versteht sich von selbst. Viele Gegenstände, die am besten dorthin entfernt werden, nehmen daher Räume des eigentlich bewohnbaren Teiles des Hauses ein, wodurch dessen Nutzbarkeit wesentlich vermindert oder eine Menge von meist dunkeln Kammern und Winkeln nötig wird. Das wagerechte Dach, in Spanien Terrasse genannt, dient nur zum Trocknen der Wäsche. Die auf der Terrasse eines vier- bis fünfstöckigen Hauses vor jedermanns Auge im Winde flatternde Wäsche macht einen mehr lustigen, als romantischen Eindruck, zumal, wenn man ihn von mehreren Häusern zugleich erhält. Ein bedeutender Teil des Hausraumes wird ferner durch den beinahe allgemeinen Mangel an Kellern weggenommen. Vorräte, die man bei uns dort aufbewahrt, werden in Kammern, Schuppen und dergleichen untergebracht. Selbst in Schenken befindet sich gewöhnlich das ganze Weinlager oberhalb der Erde im Erdgeschoß.

Das Innere spanischer Häuser ist von dem der deutschen noch mehr verschieden als das Äußere. In den meisten Häusern der Reichen und Vornehmen ist im Erdgeschoß keine Wohnung oder nur eine kleine für einen Pförtner. Dagegen zeigt sich fast allenthalben eine Neigung, die sehr beträchtliche Höhe bis zum ersten Stockwerke durch eine möglichst lange Reihe steinerner Treppen, die bisweilen an drei Wänden herumgehen, und durch Galerien auszufüllen. Gewöhnliche Häuser haben mehr oder minder enge Eingänge, schmale, dunkle und schlechte Stiegen. Die Tür, welche zur Wohnung führt, ist, wie die Haustür, mit einem Türklopfer versehen. Ziemlich selten ist, selbst in den größten Städten, statt des Klopfers eine Klingel angebracht. Auf ein Zeichen damit wird ein kleiner Schieber zurückgeschoben, wodurch die Bewohner sich überzeugen, ob die außen stehende Person unverdächtig genug aussieht, um ihr die Tür zu öffnen.

Hat man Gelegenheit, alle Räume eines Stockwerkes zu besichtigen, so kann man oft im Zweifel sein, ob man sich in einem Flur oder einem Vorzimmer befinde. So scheint nicht selten der größere Teil nur Gang und doch wieder wegen der in solchen Räumen aufgestellten Möbel wirklich ein Zimmer zu sein. Wollen wir aber diese unbenennbaren Räume für Zimmer halten, so vermissen wir andererseits meist gänzlich das wohnliche Aussehen. Ein wirklich so zu nennendes Zimmer hat gewöhnlich nur ein Fenster, das zugleich Türe ist, die auf einen Balkon führt, wenn das Zimmer nach der Straße oder einem Garten, auch oft, wenn es nach einem Hofe zu liegt. Diese Balkontüre mit Fenster ist in der Mitte der betreffenden Wand angebracht. Will man nun nicht mit der Arbeit auf dem Balkon sitzen, was im Winter ohnedies untunlich, noch dem Fenster gerade gegenüber, weil dadurch leicht alle Ordnung gestört würde, so hat man durchgehends in spanischen Wohnungen, wenn ihre Lage noch so günstig ist, spärliches Licht. Wir sahen Geschäftsräume mehrerer Konsulate und Staatsbehörden, sowie Kontore vieler der bedeutendsten Handelshäuser, die so düster waren, daß ein Verehrer des Lichtes in solchen Höhlen verderben konnte. Eckzimmer haben gewöhnlich zwei solche Fenstertüren und zwei Balkone, sind daher natürlich heller. Der Balkon aber ist nach spanischer Anschauung unbedingt notwendig für ein Zimmer. Er fehlt der elendsten Bauernhütte nicht, ist übrigens auch an den Häusern der Reichsten und Vornehmsten nur mit einem einfachen eisernen Gitter umgeben. Bisweilen ist neben dem Balkonfenster ein anderes, gewöhnlich kleineres ohne Balkon, das dann das Gleichmaß stört. Säle haben mindestens drei Fenster, wovon wenigstens das mittlere auf einen Balkon geht. Nun denke man sich ein vier- oder fünfstöckiges Haus, mit einem Balkon vor jedem oder beinahe vor jedem Fenster und die Mehrzahl oder alle ganz von Menschen besetzt. Dann erweitere man dieses Bild auf die etwa eine halbe Stunde lange Straße. Wenn nicht Tatsachen genug bewiesen, daß Häuslichkeit kein Charakterzug des Spaniers ist, so ginge dies schon aus der Allgemeinheit des Balkons hervor. Nicht genug, daß sich alle Welt fast immer draußen herumtreibt, selbst zu Hause mag man nicht zu Hause sein. Wer gerade nicht notwendig im Innern beschäftigt ist und auf dem Balkon Raum hat, macht sich dorthin; die schöne Welt besonders bringt ohne und mit Arbeit ganze Tage dort zu. Freilich strengt man sich bei der Arbeit auf dem Balkon nicht sehr an. Man wählt ja diesen Sitz vorzüglich, um die trockene Arbeit angenehmer zu machen und durch allerlei Unterhaltung zu erleichtern.

Was der spanischen Wohnung nach unseren Begriffen ein sehr ungefälliges, unwohnliches Ansehen gibt, sind die mit quadratförmigen Backsteinen belegten Fußböden. Oft sind diese Steine freilich etwas geglättet oder gewichst, wodurch aber der Eindruck nicht gemildert wird. Die meist nackten Wände tragen dazu bei, den Eindruck der Unwohnlichkeit zu erhöhen. In den an der See gelegenen Provinzen wird zum Mörtel sehr häufig Seesand verwendet. Da dieser immer salzhaltig ist, so schwitzen solche Wände über die Maßen, sobald die Luft etwas feucht ist.

Aneinanderstoßende Häuser haben nur eine Wand, worin sie sich berühren. Läßt nun der Nachbar ein Stockwerk über das ganze Haus verändern, so werden nach Bedarf Löcher in diese einzige Wand gehauen, um das Gebälk einfügen zu können. Mittlerweile wird dem Nachbar die so durchlöcherte Wand auf seiner Seite einstweilen nur mit eingelegten Steinen zugestopft und erst nach Vollendung des anderen Hauses zugemauert. An der Decke ist das ganze Gebälk sichtbar, höchstens angestrichen. In kleineren Städten und in Dörfern tritt meist das nackte Gebälk hervor.

Eine Folge der leicht sich abreibenden Backsteine und der vielen Fugen, die ein damit belegter Boden zeigt, ist die Staubigkeit spanischer Wohnungen. Um diese rein zu halten, bedarf es eines Dienstboten, der den ganzen Tag nur mit Abstäuben beschäftigt ist. Aber auch damit ist es nicht getan; während an einer Stelle gesäubert wird, läßt sich der Staub an anderen desto dichter nieder. Spanier sind in diesem Punkte nicht so peinlich und empfindlich als Deutsche oder gar Niederländer. Ein an strenge Reinlichkeit gewohnter Nordländer glaubt hier in Staub und Schmutz ersticken zu müssen. Wohin man sich wendet und dreht, setzt und lehnt, verrichtet man wider Willen das Geschäft des Abstäubens.

Die Möbel der besteingerichteten Wohnungen sind gewöhnlich plump und geschmacklos. In manchen trifft man so gut wie gar keine. Der kleine Kleidervorrat ruht dann in einigen Kisten, über denen einfach ein Deckel liegt, oder auch nicht; Herren- und Frauenkleider sieht man oft in ganz anständigen Häusern an Pflöcken hängen, Weißzeug oben darauf liegen, dem Staube völlig ausgesetzt oder höchstens mit irgendeinem Tuche bedeckt. Schöne Ordnung und zweckmäßige Bequemlichkeit sind selbst den Wohnungen der Vornehmsten fremd; es ist wenig oder gar kein Sinn dafür vorhanden. Die schönsten Zimmer scheinen nur Räume zum Plaudern oder Tanzen zu sein.

Die Türen vieler der reichsten Häuser sind nur mit Leimfarbe angestrichen, die meist so unhaltbar ist, daß das verwitterte Holz mehr oder weniger hervortritt. So viele Gauner und Diebe es auch gibt, so sind die Schlösser meist von der einfachsten Arbeit, sehr oft nur einfach schließbar.

Beinahe allgemein fehlen Kamine oder Öfen. Öfen im warmen schönen Süden! wird mancher rufen; aber er soll wissen, daß zu Anfang Dezember hierzulande die Temperatur so zu sinken beginnt, daß man bei der nämlichen Temperatur in Deutschland bereits die Zimmer heizen muß. Hier auf den kastilischen Hochflächen ist die Winterkälte sehr streng, weil sie nicht von der Seeluft gemäßigt wird. Nur Matten aus Binsen oder Espartogras und statt der Öfen braseros, tönerne oder kupferne Kohlenbecken für die Füße, die man auf den Rand setzt, dienen der Erwärmung. Auf der Straße mummt sich der wenig abgehärtete Spanier dann in Teppiche, Decken, Mantillen und wickelt Hals und Gesicht in lange Schäle ein.

Die alten Häuser in Madrid sind noch aus Letten und Backsteinen oder aus gestampfter Erde gebaut, wohl mit Kalk überworfen und hellgrün, rosa, blau usw. angestrichen, die Fenster mit Verzierungen überladen; die neugebauten Häuser sind einfacher und mit Milchfarbe angestrichen wie die in Paris. Das Innere ist sehr geräumig und bequem, die Decken hoch, der Raum nirgends gespart; der Grund und Boden ist nicht teuer, da auf dem Hochlande reichlich vorhanden. Man durchwandert eine lange Reihe von Zimmern, in denen nichts als die leeren weißen Wände und hie und da vom Rauch und der Zeit geschwärzte Gemälde, irgendeinen Martertod der Heiligen vorstellend, zu sehen sind, ehe man in den bewohnten Teil des Hauses kommt. Die Gemälde sind nur selten in Rahmen gefaßt. Der Fußboden besteht aus Stein und wird mit Matten von sehr feiner Arbeit bedeckt. Die altväterischen Möbel sind sparsam in den Zimmern verteilt; auch hier ist Paris, und zwar zur Zeit der Revolution herrschend; Rohrstühle und Sofas sind reichlich an den Wänden verteilt. Auf Tischen und Gestellen sind kleine Biskuit- und Porzellanfigürchen aufgestellt, und an den Wänden hängen schlechte Kupferstiche.

Um die unerträgliche Sommerhitze zu mildern, sind die Fensterläden fast immer geschlossen und die Fenster dicht verhangen, so daß in den Zimmern fast Finsternis herrscht. Man feuchtet die Matten fortwährend an oder verbreitet durch sogenannte Bukaros feuchte Luft in den Gemächern und sucht sich daran zu erquicken. Die Bukaros sind eine seltsame Erfindung. Es sind Töpfe aus roter amerikanischer Erde, die ziemlich türkischen Pfeifenköpfen gleichen; manche sind vergoldet und grob bemalt. Von diesen Töpfen bringt man 7-8 in das Zimmer, füllt sie mit Wasser und setzt sie auf das Sofa, um den Genuß mit aller Sammlung zu haben. Der Ton wird jetzt dunkler von Farbe, das Wasser dringt durch seine Poren, und die Bukaros verbreiten einen Geruch, der dem in einem feuchten Gewölbe oder frisch geweißten Zimmer sehr ähnlich ist. Die Verdunstung ist so stark, daß nach einer Stunde die Hälfte des Wassers in den Bukaros verschwunden ist; das übrige Wasser ist kalt wie Eis und hat einen faden, eklen Geschmack, wird jedoch gerne getrunken.

Ich besuchte einige Tertulias oder Abendgesellschaften. Man tanzte nach dem Klavier, doch mit großer Zurückhaltung. Die einzigen Erfrischungen waren ein Dutzend Gläser mit klarem Wasser gefüllt, dabei ein Teller mit Zucker. Das ist Sitte in den Häusern der reichsten Familien und kein Zeichen von Geiz; denn die Genügsamkeit der Spanier ist ganz diesem Brauche angemessen.

Madrid hat erst spät großstädtischen Charakter angenommen.Vergl. M. Wellmer, Reiseskizzen aus Spanien. In den engen Seitengassen und in der nächsten Umgebung der Stadt findet man in der Wohnung und Lebensweise der Bevölkerung noch Zustände, wie sie gerade so zu Kaiser Karls V. Zeiten oder noch früher geherrscht haben mögen. Die Mancha, südöstlich von Madrid, ist nach deutschen Begriffen eine Wüste. Kein Wäldchen, kaum hie und da ein Baum, kein reinliches, heimliches Dörfchen, kein wogendes Kornfeld, keine saftig grüne Wiese, kein murmelnder Bach sind auf dieser gelben, dürren, kahlen Hochebene zu sehen. Die seltenen Weiler und Behausungen erscheinen mit ihren fensterlosen Lehmgebäuden besonders verkommen und elend. Das ist die Heimat des Ritters von der traurigen Gestalt, der mit idealem ritterlichem Sinn diese Gegenden durchschweifte. Ich fühlte der großen Seele des Cervantes den Schmerz nach über den Widerspruch der prosaischen Wirklichkeit mit seinen idealen Wünschen und Bestrebungen. Sancho Pansas begegneten wir wohl auf Eseln und mit Maultieren, allein selbst der edle verrückte Don Quixote fehlt dem heutigen Spanien. Obgleich Madrid ½ Million Einwohner zählt, gibt es in dieser großen Stadt doch verhältnismäßig wenig zu sehen; denn es ist eine moderne Stadt, welcher der geschichtliche Hintergrund mangelt, und die auch nie, wie zum Beispiel München, jahrzehntelang von kunstsinnigen Fürsten bereichert und verschönert worden ist. Es sind hier weder phönikische noch römische, weder gotische noch maurische Erinnerungen und Denkmäler, welche Cartagena, Cadiz, Toledo, Sevilla, Granada u. a. m. zu solch hochbedeutsamen spanischen Städten machen. Die Mittellage im Lande berechtigte zur Erhebung Madrids als Regierungssitz. Erst Karl V. und sein Sohn Philipp II. machten Madrid zur Hauptstadt des Landes. Das binnenländische Hochlandklima von Madrid steht in üblem Rufe, selbst bei den Eingeborenen; es ist Brust- und Halsleidenden und Kindern im zarten Alter gefährlich. Die vielen hier herrschenden Krankheiten unter Kindern und Erwachsenen sind freilich mehr der naturwidrigen Lebensweise und unklugen Kindererziehung und Ernährung zuzuschreiben als »der Luft«. Ein langer Leitungskanal versieht Madrid in ausgiebiger Weise mit reinem, frischem Wasser, so daß die früher wegen Wassermangels und schlechten Trinkwassers berüchtigte Hauptstadt Spaniens jetzt zu den mit Wasser am besten versorgten Großstädten Europas gehört. Der nach der Königin Isabella benannte Kanal wurde im Jahre 1895 vollendet und hat 146¼ Millionen Realen (96½ Millionen Mark) gekostet. Der Isabellen-Kanal ist nicht bloß dazu bestimmt, Madrid mit Trinkwasser zu versehen, sondern auch dessen Umgebung zu bewässern. Er beginnt am Fuße des Guadarramagebirges und am Ausgange des Lozoyatales, wo er den größten Teil des kristallhellen Wassers des schönen Lozoyaflusses aufnimmt; er ist etwa 70 km lang und endet am nordwestlichen hochgelegenen Rande von Madrid auf der Montaña del Principe pio in einem großen Sammelbecken, von dem aus das Wasser in unzähligen Röhrenleitungen über die ganze Stadt und deren Umgebung läuft. Das erklärt die vielen Springbrunnen, die jetzt in den Gärten des »Ensache de Madrid« (Erweiterung von Madrid) sprudeln und überhaupt das Vorhandensein der wie durch Zauberschlag in der früher so dürren, sonnenverbrannten Umgebung Madrids entstandenen Gärten, Alleen und Anlagen. Auch die Häuser der inneren Stadt haben bereits Wasserleitung bis in die höchsten Stockwerke hinauf, und in allen Stadtteilen sind neue öffentliche Brunnen entstanden. Die große Wassermasse, welche der Kanal vom Gebirge bald über, bald unter der Erde, zum Teil in mächtigen gußeisernen Zylindern über großartige Brücken und Überführungen nach Madrid bringt, hat sogar eine merkliche Verbesserung des örtlichen Klimas veranlaßt; denn die Luft ist in der Stadt und ihrer Umgebung lange nicht mehr so trocken wie früher und infolge der neu entstandenen Gärten und Baumpflanzungen auch sauerstoffreicher geworden. Daß hierdurch auch der Gesundheitszustand der Bevölkerung besser geworden ist, bedarf keiner Erörterung. – Das königliche Schloß in Madrid ist ein seines Namens würdiger Bau, jedoch erst seit 130 Jahren bewohnt. Der schöne weiße Stein, aus welchem es aufgeführt ist, gibt ihm im Sonnenglanz oder noch schöner in hellen Mondscheinnächten das Ansehen eines riesenhaften, märchenartigen Marmorpalastes. Die Puerta del Sol, früher ein unregelmäßiger, von Häusern sehr verschiedener Größe und Bauart umgebener Raum, hat sich in einen großen, regelmäßig viereckigen Platz mit Reihen hoher, prächtiger Gebäude verwandelt, unter denen sich mehrere gut eingerichtete Gasthäuser befinden, an denen es früher in Madrid gänzlich fehlte. Die Puerta del Sol, in deren Mitte ein geschmackvoller Schmuckbrunnen starke Wasserstrahlen ausgießt, ist mit ihren zehn strahlenförmig auslaufenden Straßen einer der prächtigsten Plätze Europas. In allen Straßen sind neue Prachtbauten entstanden. Verschwenderisch ausgestattete Cafés, namentlich aber Schauläden zieren die Hauptverkehrsadern.

Wie die innere Stadt, so hat auch die Umgebung zahlreiche Umgestaltungen erfahren. Die Ringmauer ist geschwunden, Vorstädte (Barrios de Salamanca, de los Pozos und de Arguellas) umgürten jetzt die Hauptstadt; sie sind wahrhaft großstädtisch angelegt und besitzen mit Baumreihen gezierte Boulevards, 3-4 Stock hohe schöne Häuser, mit ebensoviel Balkonreihen und platten Dächern, geschmackvolle, mit Blumenbeeten und Brunnen geschmückte Plätze. Auf drei Bahnhöfen laufen die Eisenbahnlinien aus allen Teilen des Königreichs zusammen, und auch für den Verkehr innerhalb der Stadt und nach den Vorstädten ist gut gesorgt. – Die Ansammlung aller Kulturgüter in der Hauptstadt ist wie in Kopenhagen, Paris, auch in Madrid vollzogen.

Ein Gebäude in Madrid lockt die Fremden mächtig und fesselt sie tagelang; die Schätze, welche es einschließt, sind allein eine Reise nach Spaniens Hauptstadt wert. Ich meine die Bildergalerie. Darin befinden sich: 46 Murillo, 64 Velasquez, 55 Luca Giordano, 58 Ribera, 13 Antonio Moro, 10 Claude Lorrain, 62 Rubens, 22 Van Dyk, 53 Teniers, 54 Breughel, 23 Snyders, 10 Wouwermann, 43 Tizian, 10 Raffael, 34 Tintoretto, 25 Paul Veronese, 27 Bassano, 16 Guido Reni. Von denen, die mit unter zehn Werken hier vertreten sind, nenne ich nur unsern deutschen Meister Albrecht Dürer mit neun Bildern, darunter sein Selbstbildnis von 1498. Auch die Waffen- und Harnischsammlung in Madrid enthält viel Ausgezeichnetes. Vor allem fesselt aber den Besucher das Marinemuseum. Denn es ist ein Museum der geographischen Entdeckungen, eine Geschichte der Entschleierung des Antlitzes der Erde. Hier mag Edmondo de AmicisEdmondo de Amicis, Spanien. Autorisierte Übersetzung aus dem Italienischen. Stuttgart 1880, Metzlers Verlag. das Wort erhalten. »Wollte irgendein großer Dichter die Entdeckung der Neuen Welt besingen, so rate ich ihm, sich vom Madrider Marinemuseum begeistern zu lassen; denn nirgends weht so wie hier die unentweihte Luft des ursprünglichen Amerika, nirgends fühlt man so lebhaft die Gegenwart des Kolumbus. Im ersten Saale, dem sogenannten Entdeckerkabinette, wird der Dichter, wenn er wirklich poetisches Gefühl hat, vor Ehrfurcht das Haupt entblößen. Wo er hinblickt, sieht er etwas, vor dem sein Herz höher schlägt. Er ist nicht mehr in Europa, nicht mehr in diesem Jahrhundert, sondern in Amerika im 15. Jahrhundert, hier atmet er jene Luft, hier sieht er jene Orte und fühlt jenes Leben. In der Mitte ist eine hohe Waffentrophäe, Beutestück aus den Kämpfen mit den Wilden der entdeckten Länder, mit Häuten wilder Tiere überzogene Schilde, mit Federn geschmückte Wurfspeere aus Rohr, Holzsäbel in Bastscheiden, deren Griffe mit langen Haarbüscheln verziert sind, ungeheuere Keulen, Dolche und Messer, lange sägeförmige Speere, unförmliche Zepter, riesenhafte Köcher, Kleider aus Affenhaaren, Königs- und Henkerschwerter, kurz, Waffen der Wilden von Cuba, Mexiko, Neukaledonien, von den Karolinen und den entferntesten Inseln des Stillen Ozeans. Merkwürdig schwarz und schreckenerregend sehen sie aus, diese Zeugen gräßlicher Kämpfe in der geheimnisvollen Dunkelheit der Urwälder, in einem nie endenden Labyrinthe von unbekannten Bäumen. Rings um diese Trophäen einer wilden Welt sind die Bilder und Andenken der Sieger zu sehen; die Bildnisse von Kolumbus, Pizarro, Fernando Cortez; auf einer der Wände eine Karte Amerikas voller Figuren, Farben und Zeichen, welche Johann de la Cosa auf der zweiten Reise des Genuesen auf eine große Leinwand malte, und die zu dem Zwecke dienen sollte, die Unternehmung ins Innere von Amerika zu leiten. Neben dieser Karte liegt ein Stück des Baumes, unter welchem der Eroberer von Mexiko in jener berühmten Nacht schlief, nachdem er sich durch das feindliche Heer, welches ihn im Otumbatale erwartete, einen Weg gebahnt hatte; ein Gefäß aus dem Holze des Baumes geschnitzt, neben welchem der berühmte Kapitän Cook starb, steht dabei. Dann folgen Nachbildungen der Boote, Schiffe und Flöße, deren sich die Wilden bedienten, und ein ganzer Kranz Bildnisse von berühmten Seereisenden. Das Mittelstück bildet ein großes Gemälde, welches die Schiffe von Christoph Kolumbus: Nina, Pinta und Santa Maria in dem Augenblicke darstellt, in welchem sie die amerikanische Küste entdecken, sämtliche Matrosen stehen am Ende des Schiffes, winken mit den Armen, begrüßen laut die Neue Welt und danken Gott für seinen Schutz. In den anderen zehn Sälen befinden sich noch mehr Kostbarkeiten. In dem Saale neben dem Entdeckerkabinette sind die Andenken an die Schlacht von Trafalgar: das Bild der heiligen Dreieinigkeit, das in der Kajüte am Hinterteile der Real Trinidad hing, welches die Engländer, kurz bevor das Schiff untersank, wegnahmen; der Hut und Degen Friedrich Gravinas, des Befehlshabers der spanischen Flotte, welcher an jenem Tage fiel, und ein großes vollständiges Modell des Schiffes Santa Anna, eines der wenigen, welche unversehrt blieben; ferner Fahnen, Bildnisse von Admiralen und Gemälde, welche Szenen aus diesem furchtbaren Kampfe darstellen. Und neben diesen Erinnerungen an Trafalgar stehen andere, die nicht weniger eindringlich zum Herzen sprechen: ein Kelch, welcher aus dem sogenannten Ceibabaume geschnitzt wurde, dem Baume, in dessen Schatten am 19. März 1519 die erste Messe in Havana gelesen worden war; der Stock des Kapitäns Cook, Götzenbilder und Steinmeißel der Indianer von Portorico aus der Zeit vor der Entdeckung der Insel. Aus diesem Saale tritt der Fremde in einen noch größeren, wo sich eine Flotte von Galeeren, Feluken, Segelschiffen, Brigantinen, Korvetten, Fregatten, kurz Schiffen aus allen Meeren und allen Zeiten befindet, ausgerüstet, bewimpelt, verproviantiert, wie wenn sie nur den Befehl erwarteten, die Anker zu lichten, um sich in den Meeren zu verteilen. Die anderen Säle enthalten eine große Sammlung von Maschinen, Geräten und Waffen der Marine. Dazu kommen noch die Bilder aller Seeunternehmungen Spaniens, ferner Bildnisse der Admirale, Seereisenden und Schiffer, dann Trophäen aus Asien, Amerika, Afrika und Ozeanien. Jede Gattung ist so vielfach vertreten, daß, wer den Besuch in einem Tage abmachen will, vieles übergehen muß. Der Heraustretende glaubt eine Reise um die Welt gemacht zu haben, soviel hat er in wenigen Stunden erlebt.«

Im Osten, eine Viertelstunde außerhalb der Stadt, liegt die »Plaza de toros«, das heißt das große Amphitheater, wo an jedem Sonntag nachmittags die Stiergefechte stattfinden. Die Zahl der Theater in Madrid mag sich mit der der Kirchen beinahe die Wage halten. Meiner Wohnung in der Alcalastraße gegenüber stößt das Apollotheater dicht an eine Kirche. Bei dieser innigen Nachbarschaft kann man gewiß in den stillen Nachtstunden in der Kirche die Töne des Theaterorchesters und das Beifallklatschen hören, während des Vormittags die Schauspieler wahrscheinlich beim frommen Orgelton ihre Proben abhalten. Ein großer Teil der Madrider Bevölkerung, besonders der weiblichen, geht des Morgens in die Kirche, des Nachmittags auf den Prado oder in den Retiro und des Abends ins Theater. Auf diese Weise sieht man immer und wird stets gesehen. In den Theatern kam mir vielerlei »spanisch« vor; zum Beispiel die vielen kleinen Kinder, ja Säuglinge, welche dahin mitgenommen werden; sowie das Händeklatschen im Takt, wenn die Zwischenakte zu lange dauern; ferner die blonden Perücken für alle Heldenrollen. In den Verkaufsläden in Madrid war alles ziemlich teuer; sogar Gegenstände, welche man hier vorzugsweise gebraucht, zum Beispiel Fächer, sind teurer als in Paris. Nur das Obst ist natürlicherweise billiger als bei uns, jedoch nicht in solchem Grade, als bei der Lage und Fruchtbarkeit des Landes zu vermuten wäre. Sehr gut finde ich das spanische Brot, weiß, fest, ohne viel Sauerteig und Salz. Der spanische Wein hat einen Weltruf. Das Olivenöl, welches hier statt der Butter zum Kochen verwendet wird, ist jedenfalls ein reineres und appetitlicheres Fett als Butter. Der hiesige Havanatabak in kleinen Papierzigaretten, sowie in großen dicken Glimmstengeln, würde gewiß die Gunst unserer Raucher erwerben. Hier haben die Zigarren sogar bei dem weiblichen Geschlechte Verehrerinnen. Es fällt angenehm auf, daß der geringste Madrider mit dem höchsten und vornehmsten in einem unbefangenen Tone ruhigen Selbstbewußtseins spricht. Denn jeder weiß, daß er aus echtem kastilischen Blute stammt; ja in den baskischen Provinzen im nördlichen Spanien ist jeder Baske, sei er auch ein Wasserträger oder ein Tagelöhner, ein Edelmann. Dies Benehmen bewahrheitet Schillers Ausspruch: Stolz lieb' ich den Spanier!

Bei dieser Gelegenheit mag der vielen und mancherlei Spottreden gedacht werden, die man auf den Manzanares gehäuft hat, dessen Name voller und schöner ist als seine Wasserfülle. Er ist typisch für die fließenden Gewässer der binnenländischen Hochflächen der Pyrenäenhalbinsel. Spanien ist ein sehr waldwarmes Land wie alle Mittelmeerhalbinseln. Im Sommer kommen die Glutwinde des Südens in die iberische Halbinsel und geben manchem wasserarmen Flusse – der Manzanares, an welchem Madrid liegt, ist ein solcher – den Gnadenstoß. Ein deutscher Gesandter äußerte, er ziehe den Manzanares allen anderen Flüssen vor, weil er zu Wagen und zu Pferde schiffbar sei; – und die Frau eines französischen Gesandten schrieb einmal an Frau v. Savigné: »In dem Bett des vielgerühmten Manzanares ist der Staub so groß, daß das Spazierenfahren darin sehr beschwerlich ist; man sieht hier und dort Streifchen Wassers, aber nicht genug, um den Sand zu befeuchten, der sich unter den Füßen der Pferde erhebt. Man muß aber erst die großmächtige Brücke sehen, die ein spanischer König über den Manzanares gebaut hat. Diese ist breiter und länger als der Pontneuf von Paris, und man muß es demjenigen Dank wissen, der diesem Fürsten riet, die Brücke zu verkaufen, um einen Fluß zu kaufen.« Andere wollten wissen, Karl V. habe sich begnügt, die Brücke zu bauen, und es seinen Nachfolgern überlassen, das Wasser dazu zu liefern! Die Spanier selbst verhöhnen den Fluß ihrer Hauptstadt ebenso grausam wie die Fremden. In Madrid sagt das Volk, die Brücke von Toledo warte auf den Fluß wie die Juden auf ihren Messias. Am schlimmsten spielen ihm die Dichter mit. Guevado nennt ihn den Lehrjungen unter den Flüssen und behauptet, er sei im Sommer so von Durst gequält, daß er die Vorübergehenden um einen Tropfen Wasser bitte. Cervantes taufte ihn »Bach mit der Auszeichnung eines Flusses«, Tirso de Molina nannte ihn Vicomte der Flüsse und Herzog der Bäche; er behauptet, der Fluß lasse sich Sommers in seinem Bette so wenig sehen als die Professoren von Alcala und Salamanca im Hörsaale.

Im Winter kann er freilich auch ganz unanständig groß werden, so daß Gonzora sagte: Ein Esel hat dich gestern getrunken und läßt dich heute wieder fließen!

 

4. Ein Stiergefecht in Madrid.

Quelle: Klara Biller, Universum VI, 10. Wie die alte Roma ihre Gladiatoren von den Bestien der Wüste zerfleischen ließ, so fand die spanische Tochter Autodafés keineswegs anstößig, und heute noch steckt den Spaniern die Leidenschaft für das blutige Spiel tief im Blute, gleichviel ob man ihnen in Sevilla oder in Kreolien jenseit des Ozeans begegnet. Wer die spanische Mutter aus dem Volke mit dem Wickelkinde auf dem Arme zur »Corrida« gehen sieht, der wundert sich nicht, daß die Lust am Stierkampfe der Volksseele unausrottbar innewohnt. Hierin vermochten selbst päpstliche Bullen nicht Wandel zu schaffen, was im bigotten Spanien jedenfalls etwas heißen will. Bezweckt die Regierung Stimmung zu machen für ihre Vorlagen, will die Dynastie die Geburt eines Prinzen, die Nation den Sieg des Heeres, die Gemeinde die Eröffnung der langersehnten Eisenbahn feiern: so gibt es nur eine Form: Toros.Von taurus, der Stier. Außer diesen vereinzelten werden zur Spielzeit in allen Großstädten wöchentlich Stiergefechte veranstaltet. Während aber in früheren Jahren die »caballeros en plaza«, die Ritter der Arena, Edelleute waren, die ihrer Ehre einen Gang mit dem gehörnten Gegner schuldig zu sein meinten – hat doch bei der Geburt Philipps II. selbst der schwermütige Karl V. diesem edelmännischen Brauch zu Valladolid gehuldigt –, so zog sich seit der Herrschaft der wenig ritterlichen Bourbonenkönige (seit 1715) der Adel zurück von der Arena, die seitdem von zunftmäßigen Stierkämpfern behauptet wird; in Sevilla entstand die Hochschule für »Tauromachie«, wo die Kampfregeln gelehrt werden. Und wie man bei uns erste Tenöre und erste Liebhaber mit Gold und Frauengunst überschüttet, so in Spanien den Primo-Torero; war doch die Leiche des Chiclanero zwei Tage öffentlich in der Kathedrale zu San Sebastian ausgestellt! Folgten doch dem mit acht Pferden bespannten Staatsleichenwagen 150 Zweispänner und 20 000 Menschen zu Fuß! Und als General Prim seinen Einzug in Madrid hielt nach siegreichem Kampfe, ging es ihm wie dem aus dem Philisterkriege heimkehrenden Saul: die Menge brachte dem mit im Zuge schreitenden Torero Peppe Illo begeistertere Huldigungen dar als dem Feldherrn.

Unter den mehr als 300 Kampfstier-Züchtereien sind in Andalusien diejenigen des Herzogs von Orsuña, in Kastilien die des Herzogs von Veragua die besten. Auf großen Heideflächen genießen die Tiere volle Freiheit, und ihre Hüter müssen sich alter abgerichteter Stiere bedienen, um die unbändigen Zöglinge von einer Weide auf eine andere zu bringen und bei Angriffen Unterstützung zu haben. Diese Herzhaftigkeit der jungen Anwärter der Arena darf nicht wundernehmen; haben sie doch alle in früherer Jugend die Probe ihres Mutes bestanden, als sie mit dem glühenden Eisen geliebkost wurden. Glänzend, seidenartig ist ihr Fell, der Schwanz lang mit schöner Quaste, die Hörner stark an der Wurzel, schwärzlich zugespitzt, die Ohren kurz, die Gelenke fein, die Hufe kurz und rund. Vier Jahre währt in der Regel die Zeit bis zum Eintritt in die Prüfung. Ein für die Arena angekaufter Stier hat einen Wert von 800-2000 Mark.

Wie dereinst bei den olympischen Spielen der Griechen Völker herbeiströmten, alle Standesunterschiede, alle Feindseligkeiten vergaßen, um im Amphitheater die Besten des Volkes um den Zweig vom gottgeweihten Baume ringen zu sehen, so zieht man in Spanien in die Arena, um Mannesmut und Geistesgegenwart dem ungebändigten Wildling der Steppe gegenüber zu bewundern, leider aber auch als eine unentbehrliche Beigabe mit in den Kauf zu nehmen, daß man an jedem Tage 20-30 Pferde herzlos opfert. Es sind nicht etwa andalusische Rassepferde, die jedem leisen Druck des Schenkels gehorchen und so unter dem kaltblütigen Reiter dem Angriff des Stieres ausweichen, sondern wertlose Gäule, die dem wutschnaubenden Kampfstiere entgegengetrieben werden; ein kräftiger Stoß des scharfen Hornes – und die Eingeweide quellen heraus und schleppen auf der Erde hin, wenn das arme blutschwitzende Tier erfolglos dem Gegner entrinnen will. Auf die Pferde achtet kein Mensch, der Stier ist der Held des Tages.

Um 2 Uhr war der Beginn des Kampfspieles in Madrid angesetzt, und 20 000 Menschen jeden Standes und jeden Alters harrten ungeduldig des Anfangs. Er verzögert sich, und der eingelegte Siegesmarsch, den das Musikkorps anstimmt, macht die Menge nur ungeduldiger; von allen Bänken des mächtigen Amphitheaters tönt Scharren, Pfeifen, Brüllen und jenes eigentümliche Schwirren der auf- und zugeschlagenen Fächer, den Männer wie Frauen führen, besonders die auf den Sonnenplätzen. Endlich – unter den Klängen einer schmetternden Fanfare tritt die »Cuadrilla« – die zwei- und vierfüßigen Mitwirkenden – ein; voran im feierlichen Schritt die Toreros, an ihrer Spitze die drei Matadore oder Espadas, die mit dem Degen dem Stiere den Todesstoß versetzen, der jüngste in der Mitte, der älteste rechts; alle bekleidet mit der andalusischen, bunten knappanschließenden Atlasjacke, mit kurzem, straffem Beinkleid, mit weiß- oder rosaseidenen Strümpfen; im Nacken baumelt der Moño, der kurze Zopf, ohne den kein Stierkämpfer die Arena betreten darf; mit Grandezza haben sie den buntseidenen Mantel über die Schulter geworfen. Goldene Borten, wehende Seidenbänder und die buntseidene Schärpe beleben den phantastischen Anzug. Den Matadores folgen auf dem Fuße die Chulos, die mit ihrem roten Mantel den Stier reizen, die Banderilleros, die auf dem Nacken des Tieres ihre mit bunten Bändern geschmückten kurzen Speere aufsetzen, die Pikadores, die Kämpfer zu Pferd, auf ihren dem Tode verfallenen Mähren, endlich die Diener und ein Gespann buntgeschirrter Maultiere, welches die getöteten Tiere hinausschleift.

In feierlichem Schritt umwandelt die Cuadrilla des Theaters Rund und macht vor der Loge des GeneralintendantenDie Stadt verpachtet nämlich die Arena – ähnlich wie in anderen Städten das Theater – an einen Unternehmer, zu einer bestimmten Anzahl von Stiergefechten; ein Alkalde (Stadtrat) überwacht sie und wohnt in besonderer Loge den Vorführungen bei. Halt; die Espadas werfen zum Zeichen der Ehrerbietung die kostbaren Mäntel über die Brüstung, während der Intendant einen Schlüssel in die Arena hinabschleudert. Der berittene Alguazil sprengt damit zum »Toril«, wo, eingezwängt in fürchterliche Enge, so daß er nicht vor und nicht zurück kann, in völligem Dunkel der erste Kampfstier harrt. Alle, die nicht unmittelbar am Kampfe beteiligt sind, verlassen die Arena; zwei Pikadores aber und die Matadores stellen sich links vom Toril auf. Das Tor springt auf, unter Fanfarengeschmetter stürzt der Stier heraus, geblendet vom Licht, verwirrt vom Getöse; einen Augenblick steht er unschlüssig.

Jetzt aber senkt er die Hörner zum Stoße (er »demütigt sich«), schlägt mit den Vorderhufen den Boden; aber schon lenkt ein Chulo seine Aufmerksamkeit auf sich, indem er den Scharlachmantel wie ein Pfauenrad vor ihm aufrollt, ein anderer kehrt dem Stiere den Rücken zu, über welchen der Mantel breit herabhängt; nur ein gewandter Sprung zur Seite schützt ihn vor dem Stoße des heransausenden Gegners. Ein dritter Torero setzt über den dahinjagenden wilden Gesellen knapp hinter den Hörnern hinweg; ja ein besonders kecker Chulo stellt ihm, sobald er den Kopf zum Stoße gesenkt, den Fuß zwischen die Hörner und schwingt sich mit Hilfe einer Sprungstange über die ganze Länge des Tieres hinweg. Verfolgt es aber die neckenden Geister so rasch, daß keine Zickzackbewegung und kein Seitensprung mehr Rettung verspricht, so flüchten sie sich über die 1½ m hohe rote Bretterwand in den schmalen Gang, welcher zwischen dieser und der Mauer vor der ersten Bankreihe hinführt, und der nicht selten auch unerlaubterweise von solchen Schaulustigen aufgesucht wird, die alles aus nächster Nähe sehen müssen. Welches Entsetzen aber faßt die Vordringlichen, wenn der wütende Kampfstier den Torero nachahmt! Wie von Furien gepeitscht, jagen sie in der schmalen Ringgasse dahin, bis der Stier zu einer der Türen, die man ihm öffnet, wieder in die Kampfbahn zurückkehrt.

Jetzt greifen die Pikadores in den Kampf ein; zitternd gehen die Pferde dem gereizten Stiere entgegen, sie bäumen, schnauben, scheuen zurück, aber die Sporen des Reiters wühlen in ihren Weichen, sie müssen vorwärts. Schon demütigt sich der furchtbare Gegner, schon hebt der Reiter die Lanze zum Stoß, während ein Chulo durch das Rot des Mantels ihn abzulenken sucht; die Wendung, die der Pikador seinem Tiere im entscheidenden Augenblicke zu geben versucht, mißglückt; das Horn reißt dem armen Gaule den Leib auf, der – die Eingeweide im Sande nachschleppend – in Todesangst noch einige Sprünge macht, bis er zusammenbricht. Der Pikador springt auf ein anderes Reitpferd, der Stier aber kehrt zu dem verendeten zurück, faßt es mit beiden Hörnern und schleudert es in die Höhe, so daß es über seinem Haupte schwebt. Rasend tönt der Beifall von den Bänken. Doch schon greift der Pikador von neuem an, setzt ihm die zweite Lanze in den Nacken, opfert das zweite Pferd; so wechseln Stich und Stoß, bis der Kampfstier mit sechs bis acht Lanzen gespickt ist, bis ebenso viele Pferde tot in der Arena liegen.

Da winkt der Statthalter; die Pikadores treten ab; die Banderilleros, springen vor, in der Hand die Banderilla, den pfeilartigen, 65 cm langen Stock, der an dem einen Ende einen Widerhaken, an dem anderen bunte Bänder oder Papier hält, wohl auch mit sogenannten Schwärmern (Feuerwerkskörpern) gefüllt ist, welche in dem Augenblicke sich entzünden, wo der Widerhaken sich einbohrt. Der Banderillero pflanzt sich gerade vor dem Stier auf, hebt sich auf den Zehen und hält den Pfeilstock in der erhobenen Rechten; sowie der Stier den Kopf zum Stoße senkt, stößt er ihm die Banderilla in den Nacken und springt links zur Seite; den meisten Beifall aber heimst der tollkühne Banderillero ein, der den Gegner auf einem Stuhle sitzend, die Füße auf einem kleinen Tuch, das er nicht verlassen darf, aufstemmend, erwartet, um ihm die Pfeilstöcke rechts und links in den Nacken zu bohren; das Feuerwerk prasselt dem Stiere um Augen und Ohren und macht ihn – in Verbindung mit den zahlreichen Wunden – sinnlos vor Wut.

Der Statthalter winkt wieder – die letzte Szene im blutigen Schauspiel naht – der Matador tritt auf, in der Rechten die gute Klinge von Toledo, in der Linken die Muleta, ein Scharlachfähnchen. Er verneigt sich gegen das Publikum und tritt dem Stiere entgegen; er muß ihn durch die vorgehaltene Muleta dahin bringen, daß er ihm den Nacken stoßgerecht darbietet, sei es, daß er ihn im Halbkreis um sich herum tanzen, sei es, daß er ihn bald rechts, bald links auf die rote Fahne stoßen läßt. Mit atemloser Spannung folgt die Menge dem Spiele; nur wenn der Stier angreift, darf der Matador den Todesstoß führen, und es muß mit solcher Sicherheit geschehen, daß das Tier augenblicklich alle Vier von sich streckt. Unser Espada – Romero ist sein Name – bewegt seine Muleta mit so ruhig lächelnder Miene vor dem wutschnaubenden Gegner, als spiele er mit einem Kinde. Jetzt kommt der Augenblick, wo der Stier auf ihn losstürzt; die Menge hält den Atem an; Romeros Seele ist ganz in seinem Auge; sein Degen blitzt in der Sonne, und im nächsten Augenblick liegt der gewaltige Sohn der Steppe vor seinen Füßen. Die Zuschauer jauchzen Beifall, rufen den Namen des Helden; Blumen, Lorbeer, Fächer, Orangen, Hüte, Zigarren, Taschentücher, Kußhände fliegen ihm zu; er streicht den bluttriefenden Degen auf dem schwarzen Felle des Gegners ab; schon naht im Galopp das Maultiergespann, hakt den toten Stier an den Hörnern fest und schleift ihn über den Sand zum Tore hinaus. Diener verwischen die Schleifspuren und das Blut – und wie sich die Furchen der Arena glätten, so auch die Wogen im Gemüte der Zuschauer, die auf die zweite und jede folgende der acht Nummern der Vorführung mit derselben Aufmerksamkeit und Spannung harren.

 

4. Granada.

Quellen: G. Wegener, Herbsttage in Andalusien. Berlin 1895 (Allg. Verein f. deutsche Literatur). Graf Schack, Poesie und Kunst der Araber in Spanien und Sizilien. Bd. II. Stuttgart 1877, J. G. Cotta'sche Buchhandlung. Durch Andalusien, das Geschenk des Wadi al Kebir, des großen Stroms, des Guadalquivirs, durch das Riesental zwischen dem zerklüfteten Steilabfall Kastiliens im Norden, der die Sierra Morena, das braune Gebirge, heißt, und dem jungtertiären Faltengebirge im Süden, der Sierra Nevada, dem Schneegebirge, braust der Zug von Kordoba mit seiner märchenschönen Moscheenkirche durch Ölgärten aufwärts in die öde Steppe des unteren Jenil in die paradiesische Vega, jene schimmernde Talmuschel, welche die Perle Granada birgt. Dies ringsum von zackigen Bergen eingeschlossene Becken war in geologischer Vorzeit ein mächtiger See, dessen Wellen den Fuß der Sierra Nevada bespülten. Als sein westlicher Ausfluß in der Schlucht bei Loja sich so tief eingesägt hatte, daß er auslaufen konnte, lag der Seeboden frei da, und heute erfüllt ihn eine Gartenlandschaft, eine Vega, mit vielen freundlichen Ortschaften. Von dunkeln Pappeln begleitet, fließt der Jenil durchs Land, dem rings von allen Bergen Bäche zuströmen.

Volle 3000 m über der Ebene von Granada steigt die Sierra Nevada wallartig empor, als wäre eine blaue Meerwelle breit herangezogen, höher und immer höher emporgewachsen und in dem Augenblicke, als sich der höchste Kamm mit weißem Gischt krönte, plötzlich erstarrt. Wenn nicht Wolken droben liegen, sticht die Schneehülle sowohl gegen den dunkelblauen Fuß des Gebirges als gegen den blauen Himmel ab. Am untersten Abhange aber schimmert die weiße Häusermasse von Granada. Obwohl sich an den Namen dieser Stadt geschichtliche Erinnerungen knüpfen, die uns in die Zaubergärten der Residenz des letzten Maurenkönigreichs, in die Kämpfe führen, wo sich christlicher Rittermut mit mohammedanischem Gleichmut maß, erinnert doch nichts im heutigen Granada an die maurische Vorzeit. Die Vergangenheit umspielt einen nicht wie etwa in unseren alten Hansestädten, sondern überall moderne Häuser, Läden, Kaffeehäuser mit einem Stich ins Kleinstädtische trotz der 75 000 Einwohner, und nur beim Graben oder Abbrechen der Häuser zeugt hie und da eine alte Fayencekachel, ein Azulejo, von entschwundener Schönheit. Dagegen fehlt auch dieser spanischen Stadt die große Arena nicht, in der die blutrünstigen Stiergefechte abgehalten werden.

Aber wenn schon in Granada selbst wenig mehr übrig ist von der Märchenstadt, die sie einst unter den schönheitstrunkenen Araberfürsten war, so enthält die Umgebung doch noch so viel des Schönen von Natur und Menschenhand, daß dieser Winkel in Wahrheit den kühnsten Traumbildern vom Paradies auf Erden nahekommt. Den Spuren dieser natürlichen Pracht und der künstlerischen arabischen Renaissance darin ist niemand treuer nachgegangen als Graf Schack, dessen Schilderung wir des weiteren folgen:

»Unterhalb der Sierra del Sol, eines Bergrückens, zu dessen beiden Seiten die Flüsse Jenil und Darro, aus zerrissenen Klüften hervorbrechend, talwärts stürzen, liegt diese Stadt teils in der Ebene, teils auf Hügeln. Unter diesen treten besonders zwei, durch das tiefe Tal des Darro voneinander geschieden, hervor: die Höhe, welche von dem auf ihrem Gipfel liegenden Schlosse gewöhnlich selbst Alhambra genannt wird, und der steil aufsteigende Albaicin; an diesen schließt sich der Hügel der alten Alcazaba (Festung). Um die Stadt, soweit sie nicht von Bergen begrenzt ist, schlingt die grüne, von Rosen duftende Vega, aus deren dichtem Gebüsch der Jenil hervorblitzt, ihren Gürtel und bildet im Verein mit den Hügeln und Schluchten, wie mit den schneeglänzenden Kuppen der Sierra Nevada ein Landschaftsbild von ebenso lieblicher Anmut wie überwältigender Großartigkeit. Als hätte die Natur in einem Meisterstück ihre volle Schöpfungskraft entfalten und den ganzen Reichtum ihrer Schätze an einem Punkt aufhäufen wollen, hat sie in diesem gesegneten Erdstrich alles vereinigt, was sonst nur zerstreut und durch weite Zwischenräume getrennt, Sinne und Seele des Reisenden entzückt. Das frische Laubgrün, das der Norden mit der Trübe seiner nebelreichen Atmosphäre erkaufen muß, gedeiht hier, begünstigt durch die hohe Lage und die Nähe nie schmelzender Schneemassen, unter dem tiefen Blau eines wolkenlosen Himmels. Zwischen die Eichen, Ulmen und Pappeln aber, welche ihre Schattenkühle auf die Hügelterrassen und Abhänge streuen, drängt sich der üppigste Pflanzenwuchs des Südens; die Pomeranze leuchtet aus der dunkeln Blätterkrone, Gruppen von Pinien und Zypressen heben ihre schlanken Wipfel über das wogende Meer des Grüns empor; hochstämmiger Lorbeer und dichtes Oleandergebüsch sproßt wild aus den Felsenspalten, und der Granatbaum in so riesiger Größe und wuchernder Kraft, als ob er nur hier wahrhaft gedeihe, überdeckt mit seinem goldgrün schimmernden Laube die sanft geschwungenen Höhenzüge. Überall zwischen den Rebgeländen blicken weiße Landhäuser hervor, überall durch das Dickicht murmelt und rauscht es von rinnenden Quellen und stürzenden Gewässern. Was jedoch den Reiz der Landschaft ins Unendliche vermehrt, ist, daß sich zu der Pracht der Pflanzenwelt und der sie belebenden Wasserfülle das glorreiche Licht einer schon fast tropischen Sonne und die eigentümliche Bodengestaltung gesellt, über welcher allein sich dessen wundervolles Farbenspiel im vollen Glanze zu entfalten vermag.

»Gewiß sind nicht bewaldete Höhen, sondern kahle Felsmassen vorzugsweise günstig, um den Strahlenbrechungen des aufgehenden wie des sinkenden Tages jene tiefe Glut, jenes immer wechselnde, den Sinnen kaum noch faßbare Farbenspiel zu verleihen, welches die Morgen und Abende des Südens mit einem höheren geistigen Reiz, wie mit dem Abglanz einer anderen Welt, umkleidet. Ein Amphitheater solcher nackten Felsgebirge nun umschließt im weiteren Umkreise das lachende Hochtal am Jenil; hier schroff ansteigend und sich in wildzerrissenen Zackenformen auftürmend, dort mit sanften Linien ineinander übergehend und in ihrer Gesamtheit jede denkbare Verschiedenheit der Umrisse darbietend, bilden die Sierras von Elvira und Moclin seine Einfassung; mächtig über alle aber trägt die Nevada auf ihren vielfach zerklüfteten Riesenkegeln und Pyramiden, ihren durch tiefe Risse voneinander getrennten Zinnen und Basteien die eisgekrönten Gipfel empor. Denke man sich die andalusische Sonne, wie sie, gegen Westen sinkend, ihre Strahlenglut über dies wundervolle Rundbild ausgießt, wie der goldene Schimmer in tiefe Purpurglut überspringt und zitternd die ganze Leiter der Farbentöne durchläuft, bis sich Dämmerung auf Hügel und Ebene legt und über der beginnenden Nacht die Schneehäupter des Piks von Veleta und des Mulhacens, den Schiffern des Mittelmeeres weithin sichtbare Fanale,Fanale sind eigentlich Stangen mit Pechtonnen, die abends am Strande als Schifferzeichen angebrannt werden. noch einmal emporflammen!

»Schön ist diese Gegend zu allen Zeiten des Jahres, über allen Vergleich erhaben aber im Frühling, wenn der schmelzende Schnee des Gebirges höhere Wellen in den Flüssen und Bächen treibt und eine Flut der üppigsten Pflanzenpracht ihnen nachstürzt. Kaum daß die Mandelblüte, von arabischen Dichtern ›das erste Lächeln im Munde der Welt‹ genannt, das Nahen der milderen Jahreszeit verkündet, so schmücken sich Tal und Hügel mit smaragdnem Grün, aus dem die Blumen aller Zonen, in Farbenschmelz und Duft wetteifernd, hervorschimmern. Über schäumende Wasserfälle breitet der Granatbaum die jung belaubten Äste mit dem leuchtenden Rot, das wie Flammen aus seinen Knospen sprüht, ringsum ertönen Tamburinschall und Kastagnettengeschmetter, in allen Wipfeln flöten die Nachtigallen unvergessene Lieder aus der Araberzeit, und die reine, balsamische Luft, die kühlen Hauche der Sierra Nevada machen das bloße Atmen unter dem Himmel von Granada zu einem Genuß, wie ihn die Erde kaum anderswo bietet. Nicht leidenschaftliche Vorliebe, wie mancher glauben könnte, gibt diese Worte ein oder stattet das Tal am Jenil mit Reizen aus, die etwa nur in der Phantasie sich finden; von jeher war seine Schönheit berühmt, und die Orientalen haben es als ein Paradies, herrlicher als jenes von Damaskus, Kaschmir und Samarkand, gepriesen . . 

»Nachdem die letzten Spuren des Islams auf grausamste Weise auf der Halbinsel vertilgt worden, könnte man versucht sein, alles, was die Geschichte von seiner Herrschaft in Spanien berichtet, für ein Märchen zu halten, wofern nicht die Steine, als stumme Zeichen dafür, uns noch heute Glanz und Bildung der spanischen Araber vor Augen führten. Nirgends sind diese von den Mohammedanern zurückgelassenen Denkmale trotz der Zerstörung durch Zeit und Menschen noch so zahlreich wie in Granada, und fast kein Teil der Umgebung der großen Stadt ist ohne Reste aus arabischer Zeit. Keineswegs alle können hier erwähnt werden, aber einige der wichtigsten sind um so mehr hervorzuheben, als sie mit Ausnahme der Alhambra und des Generalife bisher von keinem Reisebeschreiber beobachtet wurden.

»Wir beginnen mit dem reizenden Hügel Dinadamar (das heißt Ain ad Dama, die Tränenquelle) vor dem Elviratore, einem mit Gärten und Obsthainen geschmückten Lustort der Araber, den Ibn BatutaBerühmter arabischer Reisender im 14. Jahrhundert. als ohnegleichen in der Welt schildert und von dessen Höhe gesehen die Stadt mit ihren Zinnen, Palästen, Moscheendächern und tausend Minaretten einen prachtvollen Anblick geben mußte. Hier strömten die Wasser zusammen, die, vom Gebirge hergeleitet, die höher gelegenen Teile Granadas versahen. Ein großer ummauerter Teich, zu Lustfahrten und Bädern dienend, hatte an seinen Ecken vier Türme, sogenannte Menaßir oder Miradores, das heißt Warten zur freien Aussicht, wie sie sich auch an vielen Häusern der Stadt fanden; noch sieht man deren Trümmer wie die des Wasserbeckens, aber Ginster und Efeu umranken sie, und das Naß ist vertrocknet. – Von diesem, neben dem heutigen Kartäuserkloster gelegenen Hügel gelangen wir zu dem berühmten Elviratore, das nach Ilbira oder dem alten Illiberis führte, und haben wir dessen riesigen, von Zinnen überragten Hufeisenbogen durchschritten, so liegt uns zur Linken auf der Höhe die alte Alcazaba (Festung, Zitadelle), deren Mauern noch teilweise vorhanden sind, während der ganze Stadtteil sehr verödet ist. – Wir betreten weiter den Albaicin, das Viertel derer von Baeza, die sich, von den Christen aus ihrer Heimat vertrieben, hier ansiedelten. Nirgends hat sich das morgenländische Gepräge so unversehrt erhalten, wie in diesem stufenförmig an den steilen Abhängen emporsteigenden Stadtteil. Zwar von der Hauptmoschee, welche hier an der Stelle der heutigen Kirche von San Salvador stand, sind nur noch geringe Reste vorhanden, aber zahlreiche Privathäuser trifft man noch völlig in dem Zustande, wie die Araber sie verlassen. Da ist noch der Ostuwan (Eintrittsgang), die Saha oder der innere Hof mit seinen plätschernden, von Orangenbäumen umgebenen Springbrunnen, das Wohngemach, an dessen Eingang sich eine oder mehrere nischenförmige Vertiefungen zur Aufbewahrung von Wasserkrügen oder Vasen befinden, und das feine zierliche Schamsija, das heißt sein Fenster mit doppeltem Bogen, sowie die Hania oder Nische zum Schlafen bewahrt hat: alles scheint noch zum Empfange der ehemaligen Bewohner bereit zu sein. Aber freilich zeigt sich die arabische Baukunst hier nur in ihrem Verfall. Hier hatten die MoriscosMauren, Araber auf spanischem Boden. noch unter christlicher Herrschaft lange ihren Hauptaufenthalt, und das Gepräge dieser Zeit des Elends tragen die Häuser auf dem Albaicin. Prachtvolle Verzierungen der Wände sucht man hier umsonst, auch arabische Inschriften finden sich selten.

»Über die Jenilbrücke hinweg schreiten wir nach dem Kloster von St. Domingo oder Santa Cruz, in dessen Nähe ausgedehnte Gartenanlagen und Bauten gestanden zu haben scheinen, welche wahrscheinlich durch unterirdische Gänge mit der Alhambra zusammenhingen und im Verein mit den anderen Schlössern den Königen einen nach den Jahreszeiten wechselnden Aufenthalt darboten. Ein dichtschattender Lorbeergang leitet zu dem sogenannten Cuarto real, einem Turm von ernstem und strengem Ansehen, dessen Inneres ein hoher, viereckiger Saal voll schöner Mosaiken und sonstiger arabischer Schmuckstücke ausfüllt. Eine Überlieferung behauptet, die Herrscher von Granada hätten sich während des Fastenmonats Ramadan hierher zurückgezogen, um sich in Stille und Einsamkeit den Gebeten und Fastenübungen des heiligen Monats hinzugeben, und die Koranverse und frommen Sprüche an den Wänden des Saales scheinen das zu bestätigen. Außer dem Anfang der 48. Sure,Suren sind die einzelnen Psalmen, aus denen sich der Koran zusammensetzt. der sich mehrfach wiederholt, liest man: ›O meine Seele, o meine Hoffnung! du bist meine Zuflucht, du mein Beschützer! Drücke meinen Werken das Siegel des Guten auf! Gepriesen sei Gott für seine Wohltaten!‹ und: ›Es gibt keine Hilfe, als die, welche von Gott, dem Machtvollen, dem Weisen, kommt. Ich habe keinen Schutz außer dem, welchen mir Gott verleiht, auf ihn vertraue ich, zu ihm kehre ich zurück.‹ Bei dem Wüten der Inquisition gegen alle Erinnerungen an den Islam muß es wundernehmen, daß diese arabischen Inschriften, wie so viele andere noch in Granada vorhandene, nicht ausgetilgt worden sind.

»Wir wenden uns nach dem Teile der Stadt, welcher noch heute, wie er es schon zu mohammedanischer Zeit war, am belebtesten und Mittelpunkt des Verkehrs ist, und betreten den berühmten Platz Bivarrambla, der seinen Namen von dem nahgelegenen Bab ar Raml oder Tor des Sandes empfing. Obwohl noch von manchen altertümlichen Häusern umgeben, ist dieser geräumige Platz doch weitaus nicht mehr derselbe, der einst die Kampfspiele der Zegris und Abenceragen sah, und umsonst sucht man die Ajimeces, jene zierlichen Fenster mit doppeltem, durch ein Säulchen gestützten Bogen, hinter deren Gitter die Schönen den Festen zuschauten. Die lange Straße Zacatin (das heißt die Trödlergasse), die sich von hier aus längs des Darro hinzieht, verfolgend, haben wir zunächst zur Linken die Alcaiceria,Basar. einen großen, von Galerien umgebenen Hof mit Speichern und Wohnungen für die Kaufleute, der bis zu dem Brande von 1843 zu den merkwürdigsten Überresten arabischer Baukunst in Granada gehörte. – Die nahe gelegene Kathedrale bezeichnet den Platz, wo die Hauptmoschee gestanden, und in der Grabkapelle des Hernando de Pulgar erinnert eine Inschrift an die Heldentat dieses Kriegers, der zwei Jahre vor der Eroberung durch die Spanier allein in die Stadt eindrang und als Zeichen der Besitznahme das Ave Maria hoch über dem Tor aufpflanzte. – Der Zacatin mündet in die Plaza nueva, von welcher die steile Straße von Gomelen zur Alhambra aufsteigt; wir verfolgen zunächst den Weg längs des Darro, wo sich bald eine prachtvolle Aussicht öffnet. Über einer von Laub- und Wasserfülle überquellenden, von riesigen Nußbäumen beschatteten Stromschlucht, die bei den Arabern als Sitz der irdischen Glückseligkeit gepriesen und wegen ihrer gesunden, lebenspendenden Luft von fernher besucht wurde, ragen zur Seite auf jähen Felsen die rötlichen Mauern und Türme der Alhambra empor, vor uns aber leuchtet auf noch höherem Bergabhange aus Myrten- und Granatendickicht in traumhafter Schönheit das Generalife herab, das heißt Dschennat al arif = Garten des Baumeisters. Dieser Sommersitz der granadischen Könige scheint mindestens von gleichem Alter mit der Dynastie der Naßriden zu sein; denn eine noch erhaltene Inschrift besagt, das Gebäude sei durch den König Abul Walid im Jahre des Großen Glaubenssieges erneuert worden, dies aber deutet auf Abul Walid I. und die Schlacht des Jahres 1319 hin, in welcher die Infanten Don Pedro und Don Juan fielen.

»Auf einem Friese über der Galerie, welche in das Lusthaus führt, begrüßen den Eintretenden Koransprüche, in denen die Wonnen des Paradieses, die den Gläubigen erwarten, gepriesen werden: ›Ich flüchte zu Gott, vor Satan, dem Gesteinigten.Vergl. in diesem Werk: Mekka. Im Namen Gottes des Gnädigen, Barmherzigen! Gottes Segen über unseren Herrn und Gebieter Mohammed und seine Familie! Heil und Friede! Wir haben dir einen offenbaren Sieg verliehen, auf daß Gott dir deine früheren und späteren Sünden vergebe und seine Gnade an dir vollende und dich auf den richtigen Weg leite und dir beistehe mit mächtigem Beistande. Er ist es, der Ruhe in die Herzen der Gläubigen herabsendet, damit ihr Glaube immer wachse. Denn Gott gehören die Heerscharen des Himmels und der Erde, und Gott ist allwissend und weise. Eingehen lassen wird er die Gläubigen in Gärten, welche Wasserbäche durchströmen. Ewig sollen sie dort bleiben, und ihre Sünden wird er austilgen usw.‹ Von dem jetzt allerdings kaum noch kenntlichen Prachtbau entwirft der edle Andrea Navagero, der 1526 als Gesandter Karls V. in Granada weilte, folgendes Bild: ›Man verläßt die Umfassungsmauer der Alhambra durch eine geheime Hintertür und tritt in den sehr schönen Garten eines höher gelegenen Palastes, welcher Gnihalariffe (Generalife) heißt. Dieses Schloß ist, wenn auch nicht sehr groß, doch ein trefflicher Bau und mit seinen herrlichen Gärten und Wasserwerken das Schönste, was ich in Spanien gesehen habe. Es hat mehrere Patios (Höfe), alle reichlich mit Wasser versehen, vornehmlich aber einen mit einem fließenden Kanal in der Mitte und voll von herrlichen Orangen und Myrten; dort ist eine Loggia, welche die Aussicht nach außen hin gewährt und unter welcher Myrten von einer Höhe emporragen, daß sie fast bis an die Balkone hinanreichen. Diese Bäume sind so dicht belaubt und alle so gleich hoch von Wipfel, daß sie eine grünende, ebene Flur zu sein scheinen. – Das Wasser fließt durch den ganzen Palast, und wenn man will, auch durch die Zimmer, deren einige sich zu einem köstlichen Sommeraufenthalt eignen. In einem der Patios, welcher von Grün und wundervollen Bäumen strotzt, befindet sich eine kunstvolle Wasserleitung. Werden einige Röhren dieser Zuleitung geschlossen, so sieht derjenige, der auf dem grünen Rasen steht, plötzlich das Wasser unter seinen Füßen wachsen, so daß alles überschwemmt wird; nachher kann es aber ebenso leicht und unvermerkt wieder geschlossen werden. Noch ist ein niedriger, nicht sehr großer Hof da, welchen üppiger Efeu so dicht umrankt, daß man die Mauer gar nicht sieht; er steht auf einem Felsen und hat mehrere Balkone, von denen man in eine Tiefe, durch welche der Darro fließt, hinabblickt, ein entzückender und reizender Anblick. Inmitten des Hofes ist ein herrlicher Springbrunnen mit einer sehr großen Schale. Das Rohr in der Mitte wirft den Strahl mehr als 10 Klaftern in die Höhe, die Wasserfülle ist erstaunlich, und nichts kann anmutiger sein, als dem Fallen der Tropfen zuzusehen. Schon bei dem bloßen Anblick, wie sie umhersprühen und sich nach allen Seiten hin zerstreuen, empfindet man eine erfrischende Kühle. Auf dem höchstgelegenen Teile dieser Schloßanlage, in einem Garten, ist eine schöne breite Treppe, die zu einer kleinen Ebene aufsteigt, und von dieser kommt aus einem Felsen die ganze Wassermasse, welche sich durch den Palast verteilt. Dort wird das Wasser mit vielen Schrauben verschlossen, so daß man es zu jeder Zeit, auf jede Art und in jeder beliebigen Menge herausströmen lassen kann. Nun ist die Treppe so gebaut, daß auf einige Stufen immer wieder eine breitere folgt, welche in ihrer Mitte eine Vertiefung hat, in der sich das Wasser sammeln kann. Auch die Steine der Geländer zu beiden Seiten der Treppe haben oben Höhlungen wie Rinnen. Auf der Höhe aber sind für jede dieser Abteilungen gesonderte Schrauben, so daß man nach Belieben das Wasser in die Rinnen der Geländer oder in die Höhlungen der breiteren Stufen oder auch in beide zugleich leiten kann. Auch kann man das Wasser nach Belieben so anschwellen lassen, daß es aus den Leitungen austritt und alle Stufen überschwemmt, indem es jeden, der sich dort befindet, naß macht, und so gibt es noch tausend Scherze, die mit ihm angestellt werden können.‹

»Es bleibt uns noch das wichtigste aller arabischen Bauwerke in Granada, die Alhambra, zu betrachten. Diese ist von der Farbe ihrer Mauern kelât al hamra, die rote Burg, genannt. Sie ist das einzige einigermaßen wohlerhaltene Beispiel von vielen ähnlichen Festungen, welche ehemals in Spanien bestanden und nun in Trümmern liegen. Solche Zitadellen pflegten innerhalb ihrer mit Türmen besetzten Mauern den Palast des Fürsten, Statthalters oder Befehlshabers, die Wohnungen der obersten Beamten, eine Moschee, Quartiere für die Soldaten, Zeughäuser usw. zu enthalten.

»Die Lage der Alhambra über der Stadt ähnelt der des Schlosses über Heidelberg; wie dieses auf steiler Höhe über dem Neckar, so thront sie über der Darroschlucht, mit ihren rotleuchtenden Mauern weithin sichtbar. Wir schreiten, um die berühmte Königsburg zu besuchen, die jäh aufsteigende Gomelenstraße empor und gelangen, das Tor der Granaten hinter uns lassend, zwischen schattigen Ulmenalleen und sprudelnden Springbrunnen zu der zinnengekrönten Umfassungsmauer, welche sich rings um den Hügel zieht und mit einer beträchtlichen Zahl von Türmen besetzt ist. Diese Türme dienten teils zur Verteidigung, teils, wie die über dem Abgrund stehenden, durch die Natur hinreichend geschützten, zur Wohnung der Könige und ihres Gefolges. Den Haupteingang ins Innere der Burg bildet das »Tor des Gesetzes«, eine weite, durch einen Doppelturm sich hinziehende Halle, in welcher öffentlich, und vielleicht nach morgenländischer Weise von den Königen selbst, Recht gesprochen wurde. Diese Bestimmung, welche der Torhalle durch die Überlieferung zugeschrieben wird, erhält aus der Inschrift ihre Bestätigung, indem es darin heißt: ›Möge Allah durch dies Tor das Gesetz des Islams gedeihen lassen.‹ Haben wir dies Tor durchschritten und dann noch ferner die kleinere Puerta del Vino hinter uns gelassen, so stehen wir auf dem Platze der Algibes oder Zisternen; uns zur einen Seite liegt die Alcazaba oder Zitadelle mit mehreren Türmen; den Raum zur entgegengesetzten Seite aber nahmen ehemals eine große Moschee und der Königspalast ein, oder vielmehr eine umfangreiche Schloßanlage, ein Gewimmel von Türmen, Pavillons, Höfen, Bädern, Haremgemächern und mannigfachen Wohnungen sowohl für die königliche Familie als für deren Gefolge, die Weiber, Aufseher usw. Einen Teil dieser Gebäude hat Karl V. zerstört, um Raum für einen Palast im Renaissancestil zu gewinnen, den er hier um das Jahr 1526 aufzuführen begann; doch scheint der von ihm niedergerissene Teil von keiner Bedeutung gewesen zu sein. – Im Jahre 1526 standen nach der Beschreibung des erwähnten Venetianers Navagero schon keine anderen Hauptteile der Alhambra mehr als die noch jetzt vorhandenen. Diese bestehen, außer den entfernter gelegenen Türmen, vornehmlich aus zwei großen Höfen, dem des Wasserbeckens mit dem daran stoßenden Comaresturme und dem des Löwenbrunnens mit den umliegenden Sälen.

»Wer nun den ersten der Höfe betritt, wird sich eines tiefen Staunens über die Wunderwelt, von welcher er sich plötzlich umgeben sieht, nicht erwehren können; denn wie viele Zeichnungen der Alhambra man auch bewundert haben mag, diese vermögen nur einen Begriff von den äußeren Umrissen der baulichen Formen zu geben, nicht aber die tausendfachen Einzelheiten zu einem lebensvollen Gesamtbilde zu vereinigen oder gar alle die weiteren Umstände hinzuzufügen, welche dieses Gebäude zu einem in der Welt einzigen machen. Die Lage des Schlosses auf steilem Felsen inmitten der herrlichsten Landschaft; die hängenden Balkone über zerrissenen Schluchten, aus denen das Rauschen der Gebirgsbäche und der Duft der Orangenhaine emporsteigt; der Blick, den leichtgeschwungene Bogenfenster hier auf leuchtende Schneeberge, dort auf grüne Fluren gewähren – dies alles ist wesentlich, um die zauberische Gesamtwirkung hervorzubringen, die, je länger wir verweilen und je häufiger wir wiederkehren, um so mehr unsere Sinne bestrickt und gefangen nimmt. Dazu kommen die reizenden Durchblicke von Halle zu Halle, von Saal zu Saal; das wunderbare Spiel des Lichts, das sich mit dem tiefen Blau des schönsten Himmels in die offenen Höfe niedersenkt, mit mattem Dämmerschein durch die Fenster der durchbrochenen Kuppeln bricht; die Schlankheit der zierlichen Säulen und Arkaden, die man mit einem Hauche wegblasen zu können glaubt und über welche die Tropfsteindächer mehr hinabzuhängen als von ihnen getragen zu werden scheinen; endlich das Murmeln der Wasser und das leise Fächeln der mit dem Duft der Rosen- und Myrtengebüsche beladenen Sommerlüfte.

»Obgleich die Ausschmückung der inneren Räume des arabischen Königsschlosses im Verhältnis zu ihrer außerordentlichen Zierlichkeit und den vielen Jahrhunderten, die schon über sie dahingegangen, bewundernswürdig gut erhalten ist, hat sie doch durch die Unbill der Zeiten manche Beschädigungen erlitten. Indessen hält es nicht schwer, sie in Gedanken nach den noch unversehrten Teilen in ihrem ursprünglichen Zustande wiederherzustellen. Den Fußboden bedeckten Platten weißen Marmors; längs des unteren Teiles der Wände lief bis zur Höhe von etwa vier Fuß eine Bekleidung von farbigen Fayence-Plättchen oder Azulejos, weiter oben waren die Wände mit Stuck bekleidet, sodann folgte ein Fries als Unterlage der Bedachung und über diesem, bisweilen noch von kleinen Halbsäulen getragen, ruhte die Decke, welche, teils aus Holzstücken, teils aus kleinen, in Stuck gearbeiteten Zellen und Zapfen zusammengesetzt, in Tropfsteinform herniederhing. Marmorsäulen von der zierlichsten Gestalt und mit Kapitälen von unendlicher Verschiedenheit der Form trugen Kämpfer oder Mauerstreifen, auf denen das Dachgebälk ruhte, und zwischen welche die Bogengänge, aus einem mit Gips überkleideten Zimmerwerk bestehend, eingefügt waren. Nischen von verschiedener Gestalt vertieften sich in die Mauern; größere, welche mit Polstern bedeckt, zu Ruhestätten dienten, kleinere, in welchen Wasserkrüge standen. Über alle Teile des Palastes nun, über Wände, Decken, Säulen, Gänge und Nischen, waren Zierate in verschwenderischer Fülle und Mannigfaltigkeit hingestreut; die Azulejos fügten sich in den buntesten Verschlingungen zu Arabesken, der Marmor war zu den verschiedensten Gestalten gemeißelt, der Stuck reliefartig in tausend und abertausend Linienwindungen ausgearbeitet, welche kaleidoskopische Figuren aller Art, Sterne und Achtecke, Pflanzen- und Steingebilde darstellten. Die wahrhaft unübersehbare Fülle dieser Zierate und die Peinlichkeit, mit welcher sie ausgeführt sind, legen die Vermutung nahe, sie seien mit festen Hohlformen in den Gips gepreßt.

»Zu den erwähnten Schmuckstücken gesellte sich auch noch eine erstaunliche Menge von Inschriften, welche sich längs der Friese hinzogen, die Bogenfenster und Nischen umwanden oder auf einzelnen gleichsinnig gestellten Scheiben angebracht waren und, ganz nach der Art der übrigen Zierate behandelt, sich dem ungeübten Auge als Arabesken darstellten.

»Sehr erhöht und bis zum Blendenden gesteigert wurde endlich der Eindruck des Glanzes, den alle diese Zierstücke hervorbrachten, durch eine ebenso reiche wie geschmackvolle Bemalung. Über alle Räume des Palastes war die höchste Farbenpracht verschwenderisch ausgeschüttet. In der Höhe herrschten wegen der kräftigeren Wirkung Karminrot, Gold und Blau vor, weiter nach unten fand sich auch Violett, Purpur, Orange. Selbst die weißen Marmorplatten des Fußbodens waren allem Anscheine nach bemalt.

»Der Hof der Myrten oder des Wasserbeckens empfängt den Reisenden zuerst und begrüßt ihn mit den Worten: ›Glück‹, ›Segen‹, ›Ewiges Heil‹, ›Gelobt sei Gott für die Wohltat des Islams‹, die rings von den Wänden herniederleuchten. Ein großes, mit einer Myrtenhecke umgebenes Becken in seiner Mitte spiegelt die von Pfeiler zu Pfeiler gespannten Bogen, den Mosaikschmuck der Nischen und den durchbrochenen, schimmernden Stuck der Wände zurück. Nur die schmalen Seiten des Hofes haben Bogengänge, und zwar trägt die Säulenreihe rechts neben dem Eingang noch eine zweite Galerie, woraus sich schließen läßt, daß der von Karl V. hier niedergerissene Teil des Palastes zwei Stockwerke enthielt. An der Nordseite des Myrtenhofes liegt der gewaltige Comaresturm; den vorderen Raum des Turmes nimmt die Halle des Segens ein; mehrfach an den Wänden wiederholen sich die Worte der 61. Sure: ›Hilfe kommt von Gott, und der Sieg ist nahe. Verkünde diese frohe Botschaft den Gläubigen!‹ In der ganzen herrlichen Halle läßt sich kein zollbreiter Raum entdecken, der nicht von Wandschmuck strotzt. Es ist, als hätten Genien den Stein gestickt, ihn wie einen Teppich gewebt, wie die feinsten Spitzen gehäkelt. – Weiter folgt eine prachtvolle Kubba, das heißt ein mit einer Kuppel überdeckter Saal, der jetzt gewöhnlich ›der Saal der Gesandten‹ genannt wird. In dieser, der eigentlichen Thron- oder Empfangshalle, deren Balkonfenster über dem steilen Flußtale des Darro schweben und Aussichten von unbeschreiblicher Schönheit darbieten, herrscht geheimnisvolles Halbdunkel und bricht sich dämmernd an den reich gemusterten Wänden, deren zackenförmig hin und her schießende Linienmuster jedes Versuchs einer Schilderung spotten. Die Dicke der Mauern ist erstaunlich und verleiht den neun reich ausgezierten Fensternischen, welche drei Seiten des Saales einnehmen, das Aussehen von kleinen Gemächern. Noch höher zittert Licht durch eine Reihe kleiner Bogenfenster herein, und über ihnen erhebt sich in der Gestalt eines ausgehöhlten Pinienzapfens, in zahllose kleine Gewölbe und Zellen gebrochen, die Zedernholzdecke, von deren unterem, an die Saalwände anschließendem Rande Gewinde von Stuck gleich Kristallzapfen einer Tropfsteinhöhle herabhängen.

»Der in Romanzen gefeierte Löwenhof ist ein längliches, von einer Säulenhalle umgebenes Viereck. Um einen Begriff von seinem ehemaligen Glanze zu bekommen, muß man ihn in Gedanken mit dem nun großenteils erloschenen Farben- und Goldschmuck, mit allen schimmernden Azulejos der Wandsockel und den bunten, vielleicht vergoldeten Fliesen des Daches wiederherstellen, welche nun durch gewöhnliche Ziegel ersetzt sind. In der Mitte des Hofes ruht auf zwölf marmornen Löwen ein großes Marmorbecken, das mit den durch den ganzen Palast laufenden Wasserleitungen in Verbindung steht und eine hohe Wassersäule emporsendet, deren niederfallender Strahl dann wieder aus dem Rachen der Träger hervorströmen konnte. Marmorsäulen von höchster Schlankheit und mit Kapitälen, deren immer neue und immer andere Formen von der nie versiegenden Erfindungskraft der arabischen Künstler zeugt, tragen teils einzeln, teils in gekoppelter Stellung die Bogen, welche den Hof umgeben. – Die Nordseite des Löwenhofs birgt die Perle des ganzen Palastes, eine Kubba, welcher man, entweder nach den beiden Bettnischen zu ihren Seiten oder nach zwei in ihren Fußboden eingelegten Marmorplatten, den Namen ›Saal der zwei Schwestern‹ beigelegt hat. Schon die Türen von Zedernholz, einst vergoldet und bemalt, sind in dem Reichtum und der Feinheit des Schnitzwerks das Vollendetste, was man in dieser Art kennt. Das Innere des Saales aber übertrifft in der Fülle des Mosaikschmuckes und der Wandverkleidungen alle anderen Räume des Schlosses. – In überraschender Weise drängt sich hier wie im Myrtenhofe die Wahrnehmung auf, daß eine Erinnerung an das Beduinenleben die Anlage dieser Höfe mit ihren Brunnen oder Teichen und den umliegenden Säulengängen geleitet habe. Wie die Phantasie der arabischen Dichter mit Vorliebe in die Wüste zurückschweifte; wie die Inschriften des Gesandtensaales, welche den kühlen Wassertrunk als das höchste Labsal anpreisen, statt zu den Bewohnern des quelldurchrauschten Granada zu denen der brennenden Sandflächen des Ostens zu reden scheinen, so schwebte ihren Bauherren das Bild des abendlichen Rastens um die Zisterne vor; sie schufen das Zeltlager zum Palaste um. An die Stelle der Stangen traten leichte Säulen, die buntgewirkten Teppiche, welche die Zelte morgenländischer Fürsten bekleideten, wurden in den gemusterten Wandflächen, dem durchbrochenen Stuck an der oberen Vorderseite der Wandelhallen, den wie Fransen oder Quasten herniederhängenden Wölbungen nachgebildet. Der rauschende Brunnen in der Mitte aber, dessen Fluten sich sprudelnd durch alle Säle ergießen, der klare, von Grün und Duftgesträuch umgebene Wasserspiegel mußte die Quelle in der Oase vorstellen. Jedoch nicht eine irdische, eine weltentrückte himmlische Ruhestätte sollte die Alhambra sein; deshalb ihre Lage auf steilem Felsenhaupt, wohin kein Ton vom Lärm der Erde emporsteigt, wo kein Dunst die kristallene Klarheit der Luft trübt, und von der Flammenkuppel des Äthers ein Licht wie aus dem höchsten der sieben Himmel herabströmt.«

 

5. In den Huertas.

Nach Georg Wegener, Herbsttage in Andalusien. Berlin 1895, Allg. Verein f. deutsche Literatur, und Moritz Willkomm, Spanien und die Balearen. Berlin 1879, Th. Hofmann. Die östlichen Küstenlandschaften Spaniens von Malaga an bis hinauf nach Katalonien sind von Natur ein regenarmes Wüstengebiet, dem erst die maurische Herrschaft durch die Einführung der künstlichen Berieselung des heißgebrannten Bodens mit Hilfe der Wässer der Gebirge ihre heutige Pracht und ihren Reichtum verliehen haben. Sobald die Flüsse vom spanischen Hochlande in die Küstenebene treten, werden sie abgefangen, in viele Wasseradern aufgelöst, wie man einen Strick in Fäden und Fädchen zerdröselt. Die Wasserfäden breiten sich sonach fächerförmig über den dürren Boden aus und befeuchten ihn, daß er Fruchtland wird. Ein solches künstlich berieseltes Gartenbaugebiet heißt dann als Gesamtheit eine Huerta. In ihrer Mitte liegt gewöhnlich eine größere oder kleinere Stadt und rings um sie eine große Zahl Dörfer, Weiler, Gehöfte. Zahllose Schöpfräder, Norias genannt, werden von Menschen und Tieren in Bewegung gesetzt, um das Wasser auf höhergelegenes Gelände zu heben. So wird es möglich, daß im Valencianischen Gebiete folgende Fruchtfolge eingehalten werden kann: man baut eng hintereinander in einem Jahre Hanf, dann Bohnen, hierauf Getreide und endlich Mais, diesen noch bis zum Oktober des nächsten Jahres; vom Oktober bis März im dritten Jahre läßt man dem Boden Ruhe und dann beginnt dieselbe Fruchtfolge, die einen zweijährigen Wechsel darstellt.

Schon im 13. Jahrhundert wurde das Gebiet in solcher Weise bewirtschaftet und unter den beteiligten Landleuten eine Behörde geschaffen, die über die Wasserverhältnisse wacht und sich auf ein Gesetz von 1293 stützt. Die Bauern bilden eine Wassergenossenschaft. Alle zwei Jahre halten sie eine Versammlung ab, in welcher eine Junta gewählt wird, die in Wasserangelegenheiten der Regierung nicht unter-, sondern beigeordnet ist. Außerdem findet heute noch alle Donnerstage, vormittags 11 Uhr, vor einem Kirchenportale in der Stadt Valencia eine Sitzung des Wassergerichtes statt, bei der Verstöße gegen das alte Wassergesetz verhandelt werden, und da dieses Gericht unumschränkte Gewalt hat, bestraft es die Schuldigen. Während so in der Huerta Weizen, Mais, Reis, Bohnen, Erdnüsse, Luzerne, Hanf, Flachs, Zwiebeln und allerlei Gemüse, Obstbäume aller Art, darunter vornehmlich Orangen und Granatäpfel, ferner Maulbeeren für die Seidenzucht üppig gedeihen, schaut überall das graue, kahle Schuttgeröll und Felsgestein wüstenhaft bleich auf die grüne Fläche der Huerta herab: es ist, als wäre alles Leben in einen großen See von den Bergen zusammengeflossen. Jene Wassergerichte, die die Huertabesitzer aus sich heraus wählen, wachen über den Wasserverbrauch, über die Rieselkanäle. Fleißig wird aller Dünger der Städte auf die Felder gefahren, ja auch ausländischer Dung, wie Guano, eingeführt. Wo die Flüsse in der Zeit versiegen, haben schon die Araber gewaltige Stauseen, pántanos, angelegt, indem sie große Talsperren bauten. Die Huerta von Murcia zum Beispiel verdankt ihre Fülle dem Segura, der 8 km oberhalb der Stadt von den Mauren in einer Felsenge abgedämmt wurde und nun in zahllosen Adern das Land befeuchtet. Ist schon diese Kultur in ihrer Art und Herkunft afrikanisch, so wird der landschaftliche Eindruck der Oase vollkommen, wenn wir die Huerta von Elche besuchen, die Dattelbau treibt.

Um 11 Uhr vormittags steigen wir bei glühender Hitze in die verstaubt aussehende, mit fünf kräftigen Pferden bespannte Kutsche und – »hopp, hopp, hopp ging's fort in sausendem Galopp!« Die 22 km betragende Strecke von Alicante nach Elche ward in bloß zwei Stunden zurückgelegt, und in demselben Schritt ging's tags darauf bis Murcia, woselbst die Kutsche schon um 7 Uhr abends eintraf. Die Entfernung von Alicante bis Murcia beträgt aber in gerader Richtung 78 km und auf der sich vielfach schlängelnden und große Umwege machenden Straße gewiß 10 km mehr. Am meisten raste das Gefährt durch die Ortschaften hindurch, so daß der schwerfällige Wagen auf dem holperigen Pflaster, zumal wenn er scharf um die Ecke bog, oft hoch emporflog und man sich anhalten mußte, um nicht vom Sitze herabgeschleudert zu werden. Welcher Staub bei so tollem Fahren in jenem sonnendurchglühten, regenlosen Gebiete auf der Straße aufgewirbelt wird, kann man sich denken. Dazu der Höllenlärm, den nach spanischer Sitte der Mayoral und seine Genossen mit Peitschenknallen, Schreien und Fluchen und die Zugtiere mit ihren Glocken und Schellenbändern machen: es könnte einem Hören und Sehen vergehen!

Alicante liegt, wie alle diese Küstenstädte Valencias, hart am Rande der dürren, salzigen Küstensteppe. Das Land ist keineswegs eine einförmige Ebene, sondern ein welliges Gelände, aus welchem gegen Norden und Westen abgesonderte Felsgebirge aufragen. Außer einigen Feigenbaumpflanzungen und Dattelpalmen bei den zerstreuten Caserios mit ihren platten Dächern sind nirgends Bäume zu erblicken, und kaum begreift man, wie in diesen kahlen, dürren Gefilden so viele Menschen leben können; denn jene Gegend ist verhältnismäßig stark bevölkert. Die Getreidefelder liegen in den Vertiefungen und werden durch Schöpfräder oder Norias bewässert. Die Weizenernte ist hier Ende Mai schon vorüber, die Felder waren daher entweder ganz kahl oder mit zusammengesetzten Getreidegarben bestreut, wobei ich erwähnen will, daß die dortigen Bauern das Getreide nicht schneiden, sondern mit der Wurzel ausreißen. Außer Weizen und Gerste wird hier viel Serradella (Ornithopus sativus), Safflor und Anis gebaut. Oft treten aber die öden, mit grauen Salzpflanzen bestreuten Steppengefilde bis dicht an die Straße heran.

Je weiter wir uns von Alicante entfernten, desto afrikanischer wurde die Landschaft. Rechts und links von der Straße zeigten sich erst Palmengruppen, dann ganze Palmenhaine neben blendend weißen, mit wenigen Fensteröffnungen versehenen Caserios, auf deren plattem Dache sich oft ein halbkugeliger Backofen ganz wie bei den maurischen Häusern Marokkos erhob. Allmählich traten zwischen den Palmenhainen, die immer größer wurden, je mehr wir uns Elche näherten, und in denen blühende Granatbüsche den Boden sozusagen als Unterholz bedeckten, Getreide- und Luzernefelder, Oliven- und Johannisbrotpflanzungen auf. In geringer Entfernung zeigte sich nun vor uns eine weit ausgedehnte dichtstämmige Palmenmasse, in welche die Straße einbog – der berühmte Palmenwald von Elche, ein Stückchen Afrika in Europa, eine Datteloase.

Wir konnten uns nicht satt sehen an den Tausenden von schlanken Stämmen mit ihren luftigen Kronen, deren lange, vom Winde leicht bewegte Federblätter durch Aneinanderschlagen ein eigentümliches, dem Säuseln der Luft in Nadel-, besonders Kiefernwäldern vergleichbares Geräusch hervorbrachten, sowie an den glänzend hellgrünen, mit scharlachroten Blumen übersäten Granatbüschen, welche auch hier überall in üppigster Fülle unter dem lichten Schatten der Palmenreihen wachsen. Endlich tauchte vor uns zwischen den auseinanderweichenden Palmenkronen die glänzend blaue, goldgerippte AzulejoskuppelSo benannt nach den Azulejos, den buntfarbigen, glasierten Ziegeln. der Hauptkirche von Elche auf, und bald darauf rollte unser Wagen in die Stadt hinein, wo er vor der Posada de Tadeo, dem Haltepunkt der Reisekutschen, hielt.

Wir blieben hier und erhielten in dem oberen Stockwerk des Hauses ein zwar höchst einfach ausgestattetes, aber reinliches und freundliches Zimmer, von dessen Balkonen aus wir zwischen den gegenüberstehenden Häusern hindurch in die Palmenhaine hinausschauen konnten. Die Wirtsleute waren, wie fast überall in der Provinz Valencia, sehr freundlich und zuvorkommend, die Bewirtung ganz vorzüglich, besser als in manchem Hotel der großen Städte und dabei verhältnismäßig billig. Wir waren daher in dieser Posada sehr wohl aufgehoben und bedauerten nur, nicht länger als einen Tag in Elche weilen zu können.

Nachdem wir in dem kühlen »Comedor« (Speisezimmer) des unteren Stockwerks zu Mittag gegessen, wobei es zum Nachtisch außer Orangen, Mandeln und Rosinen frisch vom Baume gepflückte Datteln gab, wobei uns die in der kleidsamen Landestracht gehende Tochter des Hauses bediente, ein junges Mädchen von großer Schönheit und echt valencianischem Typus, mit griechischem Gesichtsschnitt, prachtvollen dunkeln Augen, üppigem blauschwarzen Haar und sehr heller Haut, machten wir einen Spaziergang durch die nächsten Palmenhaine und dann durch die Stadt selbst.

Der Dattelpalmenwald der Huerta besteht aus größeren und kleineren viereckigen Gärten, welche von niedrigen Steinmauern oder von Rohrhecken umgeben sind. Jeder Garten ist wiederum in viereckige Beete geteilt. Jedes Beet pflegt mit reihenweise angeordneten Granatsträuchern oder Granatbäumen bepflanzt zu sein; selten sieht man einzelne Vierecke zum Futterbau, besonders für Luzerneklee, oder für Gemüse und Gartenfrüchte oder gar für Getreide, namentlich Hafer, benutzt. Diese Beete sind von Wegen umgeben und deren Ränder mit je einer Reihe von ziemlich eng gestellten Dattelpalmen bepflanzt, so daß jeder Garten viele sich rechtwinklig schneidende Palmenalleen enthält. Zugleich ist ein jeder längs seiner Umfriedigung mit einer Reihe Palmen gesäumt. Ältere und jüngere Palmen in den verschiedensten Größenabstufungen pflegen durcheinander gemengt zu sein. Junge Palmen haben die längsten und am üppigsten entwickelten, oft 3 m langen Blätter, daher die schönsten Blattkronen, aber auch verhältnismäßig dicke Stämme, weil sich dort die Stümpfe der abgebrochenen Blätter noch nicht abgestoßen haben. Die weiblichen Bäume als die Fruchtträger sind in großer Mehrzahl vorhanden und zeigen sich in allen Stufen der Entwicklung, mit kaum aufgeblühten, mit abgeblühten Kolben und halb- oder ganzreifen Früchten. Die Dattel reift in Spanien sehr langsam und scheint nicht von selbst abzufallen. Die halbreifen Früchte in ihrer goldgelben Färbung verleihen dem Baume ein reizendes Aussehen.

Die Dattelpalme nimmt zwar mit dem magersten Boden vorlieb, beansprucht aber Wasser zu ihrem Gedeihen. Nach einem arabischen Sprichworte will sie ihre Füße in einem Wasserbade, ihr Haupt in einem Feuerbade haben. Die Palmengärten von Elche müssen daher künstlich bewässert werden und sind von einer sehr zusammengesetzten Anlage von Kanälen und Gräben durchschnitten, welche ihr Wasser aus zahllosen Brunnen und Norias, besonders aber aus dem bei Elche vorüberfließenden Rio Vinalapó erhalten. Durch ein riesiges Schleusenwerk wird der Fluß zu einem großen Teich aufgestaut, von wo aus die Kanäle ihr Wasser empfangen. Es ist der unter dem Namen pántano de Elche seit Jahrhunderten in ganz Spanien berühmte Teich, der wie die ganze Kanalisation der Huerta von den Mauren im 9. Jahrhundert angelegt wurde. Das Bett dieses Flusses ist den ganzen Sommer hindurch eine dürre, wasserlose Rambla, weil sein Wasser schon weit oberhalb der Stadt durch Kanäle abgezapft und in die Huerta geleitet wird. In den Gärten läuft längs jeder Palmenreihe eine mit Backsteinen ausgelegte Rinne hin, welche sich um jeden Stamm schüsselartig erweitert und das befruchtende Naß von Stamm zu Stamm leitet. Der Anbau der Dattelpalme erfordert daher viel Arbeit, große Aufmerksamkeit und ein nicht geringes Betriebsgeld. Von dem Fleiße der Bewohner der Huerta von Elche zeugt nicht nur das treffliche Gedeihen der Palmen, sondern auch die große Sauberkeit der Gärten und die Fruchtbarkeit des an sich kaum ertragreichen Bodens in den mit Granatbäumen und anderen Nutzpflanzen bedeckten Vierecken, welche alljährlich gedüngt werden müssen, um die erwünschten Ernten hervorzubringen. Der mergelig sandige Boden ist nämlich durchgehends ein salzhaltiger, echter Steppenboden, wie nicht allein das salzig schmeckende Wasser der Gräben, sondern auch die Unkräuter der Palmenhaine beweisen. Außerhalb der Huerta sieht man daher auch wüstliegende, bald mit Steppenkräutern bedeckte, bald fast alles Pflanzengrüns bare Gefilde.

Der Palmenwald von Elche, der etwa 100 000 Stämme enthalten mag, gleicht daher ganz einer afrikanischen Wüstenoase.

In jedem Palmengarten steht ein Haus, in welchem der Besitzer oder Pächter wohnt, in großen Gärten wohl auch ein stattliches, von Orangebüschen und Blumenbeeten umgebenes Landhaus. Der Baustil dieser Häuser, welche wie die Häuser der Stadt alle weiß getüncht und mit Azoteas (flachen Dächern) versehen sind, stimmt vortrefflich zu dem afrikanischen Aussehen ihrer Umgebung.

Außer diesen einzelnen Gartenhäusern gibt es auch größere Häusergruppen innerhalb der weit gedehnten Huerta, im ganzen 33 Ortschaften, welche von etwa 10 000 Menschen bewohnt sind, deren Haupterwerbszweig der Anbau der Dattelpalme und des Granatbaumes ist.

Die Bewohner der Huerta sind, soweit wir sie auf unserem Spaziergange kennen lernten, freundlich und gefällig und scheinen es gern zu sehen, wenn Fremde ihre Gärten besuchen und ihre Häuser und Palmen abzeichnen. Sie unterscheiden sich in ihrer Beziehung vorteilhaft von den mißtrauisch blickenden, verschlossenen und verschmitzten Bewohnern der Huerta von Valencia. Alle Süd-Valencianer und Murcianer haben eine sehr dunkle Hautfarbe, so daß sie, falls sie einen Turban trügen, sehr gut für Mauren gelten könnten.

Elche ist eine große, wohlhabende Stadt von über 10 000 Einwohnern mit breiten Hauptstraßen und gut gebauten Häusern. Der Handel mit den Datteln und den gebleichten Dattelwedeln ernährt die Leute. Zu einer gewissen Zeit des Jahres werden die Dattelkronen mit Matten dicht umhüllt, um für das katholische Ostern elfenbeinweiße »echte« Palmenwedel zu erzielen. Nach spanischer Sitte sind die Häuser mit Balkonreihen versehen. Unter den Kirchen ist die der Himmelfahrt der Jungfrau gewidmete Kollegiat- oder Hauptkirche ein schöner großer, von einer gewaltigen Kuppel und einem weithin sichtbaren Glockenturm überragter Bau. Der Grundriß bildet ein Kreuz, über dessen Mitte sich jene oben erwähnte Kuppel wölbt, die mit glänzend blauen, an ihren acht vorragenden Rippen mit goldgelben Azulejos gedeckt ist, jenen glasierten, bunten Tonziegeln, welche in Südspanien, besonders in Valencia, in eigenen Fabriken verfertigt und außer zu Schmuckdächern zum Auslegen der Zimmerböden benutzt werden. Dergleichen Azulejoskuppeln sind nirgends so häufig wie im Königreiche Valencia; sie sind zwischen Palmenwipfeln eine charakteristische Zierde der Landschaft.

 


 


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