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Es ist erstaunlich, begann Gelbsattel, wie tief diese Sache in Fleisch und Blut der wichtigsten Interessen eingreift. Ich will von einigen kleinen Stiftungen nicht sprechen, die selbst in dem Falle, daß der Staat den Proceß gewönne, verloren wären...
Davon nicht sprechen? unterbrach den Propst sogleich voll Eifers Frau von Trompetta. Von frommen Stiftungen nicht sprechen?
Allerdings, sagte der Propst. Wenigstens solche Stiftungen, die in einem frommen Sinne begründet wurden –
Zu denen du doch, fiel Rudhard ein, nicht etwa die Sonnabendspredigt rechnen wirst, die regelmäßig in der kleinen Dreieinigkeitskapelle ein Candidat zur Judenbekehrung halten muß?
Lieber Freund, antwortete Gelbsattel, ich theile vielleicht ganz dein Bedenken gegen diese hundertjährige Veranstaltung, der es noch nicht gelungen ist, nur einen einzigen Juden zu bekehren, allein es ist die äußere Form eines Stipendiums für einen jungen Candidaten, der sich auf diese Art homiletisch übt und unter dem Schirm eines christlichen Zweckes die noch christlichere Wirkung einer Wohlthat genießt –
Bester, sagte Rudhard lachend, das ist sehr hübsch gesagt für den Candidaten Oleander, der gegenwärtig diese Predigten hält und dein Schwiegersohn werden soll; allein nimm mir nicht übel, diese Art von Überlieferungen taugt nichts. Geht's nicht mit dem ganzen Christenthum so, daß man es gleichsam für ein Vermächtniß hinnimmt, das Niemand untersucht und das nur für den Schild eines völlig heterogenen, ihm untergelegten Begriffes dient?
Anna von Harder blickte bei Erwähnung des Schwiegersohnes theilnehmend auf Emmy Gelbsattel, die sich verfärbte und über den Namen Oleander in Verlegenheit zu gerathen schien. Anna wollte mit holdem Blicke der ältesten Tochter Gelbsattel's, der sich schon viele Partien zerschlagen hatten, zu dieser Glück wünschen. Aber das nicht mehr junge Mädchen erschien ihr plötzlich keine Braut. Sie unterdrückte ihren guten Willen und wagte es, sich in das Gespräch der Männer zu mischen. Während sie den Kindern Früchte abnahm, die diese ihr verschwenderisch anboten, wagte sie eine bescheidene Äußerung, die sie schüchtern und beklommen genug vortrug.
Ich will die Verstellung nicht in Schutz nehmen, sagte sie, ebensowenig wie eine gleichsam für gültig erklärte Täuschung, aber ist es nicht wirklich mit dem Glauben so, daß sich das angeborene und durch schmerzliche oder dankbar aufgenommene freudige Lebensschicksale in uns entwickelte gläubige Bedürfniß an die Wahrheiten des Christenthums anschmiegt und ohne viel zu prüfen, was sich davon beweisen läßt, soviel als nur beseligend auf uns einwirkt, in sich aufnimmt?
Natürlich! sagte die Trompetta mit verklärtem aber stolzem und verächtlichem Blick. So ist es! Nicht anders. Schleiermacher hat Das jeden Sonntag gepredigt.
Und gleichsam, als wollte sie fernere vorwitzige Erörterungen heiliger Fragen abschneiden, setzte sie hinzu:
Würden denn auch Witwen und Waisen unter der Entscheidung dieses merkwürdigen Rechtsfalles leiden, Herr Propst?
Das zwar nicht unmittelbar, sagte der Gefragte, seine Tasse mit Würde haltend, allein wo fließen in dieser Welt außergewöhnliche Hülfsquellen, die nicht irgendwie auch mit den Bedürfnissen der Witwen und Waisen zusammenhingen?
Max Leidenfrost verzog die immer sarkastischen Mienen zu einem entschiedenen Lächeln und platzte hervor:
Nun Das muß ich gestehen, ich wollte eben eine Mücke todtschlagen, als mir einfiel, daß sie vielleicht einen alten Vater zu ernähren hat!
Man lachte wohl über dieses Gleichniß, aber Propst Gelbsattel, der das Bild von der Academia della Crusca, das Leidenfrost einst bei Louis Armand mit Anspielung auf Gelbsattel's Kunstansichten angegeben, nicht vergessen hatte, warf einen verächtlichen Blick auf den Sprecher, der sich in dem Bewußtsein, die Gesellschaft heute noch als Pyrotechniker unterhalten zu dürfen, ganz behaglich auf seinem Gartensessel wiegte und mit den Kindern allerhand Kurzweil trieb, auch Siegberten dadurch neckte, daß er sich stellte, als wenn er nicht wüßte, wie man in solcher Gesellschaft Kaffee tränke und Gebackenes äße. Er faßte den Theelöffel manchmal absichtlich verkehrt oder gab sich die Miene, als wollte er sein Getränk in die Untertasse gießen und aus dieser schlürfen, worüber Siegberten, der gleichsam hier für ihn wie für ein wildes Thier gut stand, ein Schrecken überfiel. Leidenfrost machte, als er seine Tasse auf den Tisch zurück stellte, sogar einmal die Miene, als wenn er den Tassenkopf, wie die Bauern thun, umwenden wollte. Siegbert merkte wohl, daß ihn Leidenfrost nur neckte; aber er dachte sich doch die Möglichkeit, daß ihm der wilde Cyniker wirklich einen solchen Streich vor der Fürstin spielen konnte. Daß er ihm seinen Überrock und den Slowakenhut nicht vorhalten durfte, peinigte ihn schon genug.
Ich habe mich, fuhr Leidenfrost fort, ganz genau nach allen wohlthätigen Dependenzen jener Erbschaft erkundigt. Mein Freund Siegbert ist zu gewissenhaft, Mücken todtzuschlagen, die einen alten Vater ernähren müssen. Er würde, wenn der Familie Wildungen Das wird, was von Gott und Rechtswegen ihr gebührt, sicher Niemanden entgelten lassen, daß das Unrecht früherer Zeiten ihm Wohlthaten spendete, die das Recht der Gegenwart ihm entzöge. Was ist nun da zum Vorschein gekommen? Nichts, was sein Gewissen beunruhigen könnte. Die alten Häuser werden luxuriös verwaltet und verfallen in Trümmer. Wo man Familienwohnungen für die Armuth hätte bauen sollen, duldet man den Fortbestand von Höhlen des Lasters und des Elends, deren Ertrag zu Zwecken verwendet wird, die keine innere Nothwendigkeit haben. Diese Häuser, diese Liegenschaften und Grundzinsen bringen enorme Summen ein. Wozu werden sie verwendet? Zur Herstellung eines Überflusses neben dem Nothwendigen, für das schon von anderer Seite gesorgt ist. Gründlichen Besitz wagte die Stadt nie von jener Verlassenschaft zu nehmen. Schulen, Witwen und Waisen sind nicht darauf angewiesen, wohl aber frivole, überflüssige Zwecke, als da sind: Judenbekehrungspredigten, Missionsbeiträge, Bibelgesellschaftsunterstützungen und dergleichen Frivoles mehr. Das einzige Praktische sind die bedeutenden Vergrößerungen der Emolumente des hohen Rathes der Stadt, der Geistlichkeit, derjenigen Kirchen, über die der Magistrat das Patronat hat, eine Kutsche für jeden der vier Syndici, eine Kutsche für – ich bedaure es sagen zu müssen – für die Propstei und damit ich nichts verschweige, allerdings der sehr ehrenwerthe Fond für diejenigen Geistlichen, die an den drei Hauptkirchen der Stadt angestellt sind und Töchter haben, um deren Ausstattung sie in Verlegenheit sind. Denn jede Pfarrerstochter, die ein drittes Aufgebot nachweist, bekommt eine Aussteuer von tausend Thalern. An dieser philanthropischen Institution versündigen sich allerdings die Gebrüder Wildungen sehr, wenn sie den Proceß gewinnen sollten.
Leidenfrost unterbrach sich hier selbst und bat um Entschuldigung, da ihm der Gärtner wegen einiger Vorbereitungen zum Feuerwerk in angemessener Entfernung winkte.
Er erhob sich rasch und ging. Paulowna und Rurik sprangen ihm nach und verließen die Gesellschaft, die über die bittern Worte des schroffen Mannes fast erschrocken war. Es währte einige Zeit, bis sich eine harmlose Stimmung wiederfand. Man wollte das Thema der Erbschaft verlassen, fing über zufällige andere Veranlassungen eines lauten Urtheils zu sprechen an, aber die Trompetta konnte sich nicht mäßigen. Man hatte die ihr heiligsten Dinge, jene Stiftungen, jene Zweckvereine frivol genannt. Da half nichts, sie mußte die Hände zusammenschlagen und mit einem Blick hinter dem in den Gängen des Gartens mit den Kindern verschwindenden Leidenfrost her ausrufen:
Großer Gott! Was man nicht Alles hören muß in dieser Zeit! Die Bibelgesellschaften frivol!
Die Fürstin wollte Leidenfrost seiner Sonderbarkeit wegen entschuldigen. Siegbert sprach von seiner gewöhnlichen rücksichtslosen Art, aber die Trompetta verlangte von den Männern ein Urtheil, ein Verdammungsurtheil, eine entrüstete Äußerung, eine Indignation, ein Anathem!
Gelbsattel wollte da gar nicht recht mit der Farbe hervor. Er pries die Bibel, nannte sie das Buch aller Bücher, rühmte die Thätigkeit der Bibelgesellschaften, gab statistische Angaben über die Zahl der von England herübergekommenen und vertheilten Exemplare...
Das war aber Alles nichts. Die Trompetta beruhigte sich nicht und forderte dadurch den etwas unwirschen und verdrießlichen Rudhard heraus zu der Äußerung:
Meine gnädige Frau! Die Bibel ist ein herrliches Buch! Sie ist gar kein Buch, sondern ein Stück von der Geschichte selbst! Sie ist das Leben selbst und wol von Gott eingegeben, wie alle Zeugnisse seiner Größe, seiner Allmacht, wie alle Wunder, wo man die Züge seines Athems zu hören glaubt. Allein, beste gnädige Frau, die Bibel will gelesen, will verstanden sein. Ich bin dieser Tage einmal in den Fall gekommen, einem Menschen, der mich fragte, ob er die Bibel lesen solle, zu sagen: Guter Freund, hier habt Ihr ein Buch! Les't darin! Es ist nicht die Bibel, aber besser für Euch! Es war der Don Quixote.
Großer Gott! schrie die Trompetta auf und auch Anna von Harder fühlte sich doch wie von einer kalten Hand ergriffen.
Die Bibel und der Don Quixote! rief man entsetzt.
Alle Töchter des Propstes waren vor Erstaunen sprachlos.
Das ist ganz einfach, sagte Rudhard sehr gelassen. Unser Kutscher verfiel kürzlich in eine Art Trübsinn und fing in sonderbarster Weise an, über Leben und Sterben zu sprechen. Den Namen Gottes führte er selbst beim Striegeln seiner Pferde im Munde und unterließ alle die herzhaften Flüche, die früher die Thiere von ihm gehört hatten und an die sie schon gewöhnt waren. Sie zogen nun auch viel schlechter. Peters, fragte ich ihn eines Tages, du bist so trübsinnig, was fehlt dir? Herr Pfarrer, antwortete er, schon lange wollt' ich einmal mit Ihnen sprechen und mein Gemüth stärken. Was hast du, Peters? fragt' ich. Er erzählte mir dann eine traurige Geschichte von seinen häuslichen Leiden. Seine Frau wäre weltlich gesinnt, lebte unter Spöttern und Ehebrechern und es verlange ihn recht die Bibel zu lesen. Warum willst du die Bibel lesen? fragte ich. Um mich vorzubereiten, mich von meiner Frau scheiden zu lassen, sagte er...
Anna von Harder fand diesen Zug, Rudhard unterbrechend, sehr bedeutungsvoll und nannte eine solche im Volke noch wurzelnde Empfindung eine Seltenheit, da man gerade jetzt auf die leichtsinnigste Art sich verbände und wieder trennte.
Gut, sagte Rudhard, ich hätte auch nichts gegen eine solche Vorbereitung einzuwenden gehabt. Ich erkundigte mich aber genauer nach den Verhältnissen des Mannes, dem Charakter und der gegenwärtigen Handthierung seiner Frau, und da merkt' ich wohl, daß unser guter Peters nur ein Hypochonder war, die unschuldigsten Dinge schwarz sah und auf seinem Kutscherbock Grillen fing. Unter solchen Umständen hielt ich es für besser, ihm statt der Bibel eine heitere Lektüre anzurathen. Wir kauften ihm eine hübsche Ausgabe des Don Quixote mit schönen Bildern. Er hat sich nun in die Heldenthaten des sinnreichen Junkers von La Mancha so verlesen und lacht auf dem Bocke noch hinterher, wenn ihm plötzlich einfällt, was er Abends in seiner Stallkammer in sich aufgenommen hat, so lustig, daß die Pferde jetzt viel besser ziehen, und ich meine, Das ist ein Resultat, wie wir es durch die Bibel nie gewonnen hätten.
Rudhard endete damit eine Erzählung, die die Unbefangenen, besonders Siegbert befriedigte, nur vorzugsweise Frau von Trompetta nicht. Sie schüttelte den Kopf und fand hier etwas, was nicht nach dem landesüblichen Systeme war.
Der Blick nach dem Kutscher und die Erwähnung des Stallkämmerchens hatte die Augen auf den Eingang des Gartens gelenkt, durch den jetzt eben Dankmar Wildungen eintrat.
Dankmar kam in großer Erregung. Das Erscheinen des anziehenden jungen Mannes, der von Tag zu Tag an Kraft des Willens und edler Männlichkeit gewann, erregte das allgemeinste Interesse. Man fühlte, daß der Kreis erst jetzt vollständig wurde. Die Damen grüßten ihn durch eine leichte Erhebung; die Männer standen auf, um ihm die Hand zu reichen, selbst Propst Gelbsattel übte einen Akt der antiken Heroenzeit; er ehrte sich selbst in seinem Gegner und machte die nähere Bekanntschaft desselben gleichsam so, daß er die Waffen erst zu seiner Begrüßung senkte. Er erwähnte sogleich den Vater der Brüder, die alte Zeltkameradschaft von Schulpforte und spielte neckend auf das zukünftige Glück der Söhne seines alten »Freundes« an, ohne jedoch die Mutter zu erwähnen, weil ihn dies Thema in Gegenwart seiner Familie zu weit geführt hätte.
Die meiste Achtung zollte Dankmar der Fürstin, die ihn gar freundlich begrüßte und ihn der neben ihr sitzenden Anna von Harder vorstellte. So sah denn Dankmar endlich auch diese vielbesprochene und ihm selbst so werthvolle Frau zum ersten male in der Nähe! Anna betrachtete den jungen, für unternehmend und charakterfest bekannten Mann mit Wohlgefallen und konnte wol begreifen, daß die Flottwitz über und über erröthete, als ein kurzer, flüchtiger, aber sonderbar herausfordernder Blick aus Dankmar's blitzendem Auge statt aller Begrüßung zu ihr hinüberstreifte. Die Trompetta fragte, ob er sich erst so spät von seinem Freunde, dem Prinzen Egon, losgerissen hätte?
Ich komme soeben, antwortete Dankmar, den Kaffee, den ihm der Bediente bot, rasch niederschlürfend, von Hause, vor zwei Stunden aber aus der Kammer.
Was ist vorgefallen? fragte man gespannt.
Eine eigentliche Herausstellung der Parteien, antwortete Dankmar, wird sich erst heute Abend in der Berathung eines Paragraphen zur Geschäftsordnung ergeben.
Also eine Abendsitzung? schaltete die Trompetta ein und überlegte, ob sie einen Versuch machen sollte, sich ihrerseits an das constitutionelle Leben zu gewöhnen und ob sie den Abend frei hatte...
Man will das Beispiel einer großen Beflissenheit geben, fuhr Dankmar fort. Man will Abendsitzungen halten und Niemand trug auf Zeitersparniß und Fleiß eifriger an als der Fürst von Hohenberg.
Im Stillen dachte die Fürstin Wäsämskoi etwas spöttisch: Arme Helene!
Die Gruppen, fuhr Dankmar fort, werden sich erst scheiden bei dem Antrage der Regierung, daß die Minister das Recht haben sollen, zu jeder Stunde, auch nach schon geschlossener Debatte, in der Kammer das Wort zu ergreifen. Es wird sich dabei herausstellen, auf welche Majorität das Ministerium überhaupt rechnen kann. Einstweilen hat die Bildung der Ausschüsse die Thätigkeit der Kammer allein in Anspruch genommen und bei dieser Gelegenheit war es, daß Egon heut' eine Rede hielt, die einen Sturm von Beifall, die Bewunderung des ganzen Saales, den Jubel aller Tribünen und die höchste Spannung selbst des Ministertisches hervorrief.
Erzählen Sie davon! hieß es.
Dankmar, voll innigster Theilnahme, rasch und feurig bewegt, fuhr fort:
Der Fürst war in den industriellen Ausschuß gewählt und trug darauf an, ihn aufzulösen und neuzuwählen. Man opponirte. Er sagte: Ich bin der Berichterstatter des Ausschusses: meine Gründe haben ihn bestimmt, selbst eine Auflösung zu erbitten. Ich referire für ihn. Die Partei der Linken hatte aber das Übergewicht in diesem Ausschusse gehabt und widersetzte sich der Neubildung. Darüber nahm denn Egon Veranlassung, von dem Parteigeiste überhaupt und von der Zerrissenheit der staatsrechtlichen Principien, gegenüber den wahren Bedürfnissen der Völker, in so ergreifender Weise zu sprechen, daß der Ausschuß neu gebildet und durchaus nur von Männern, die über diese Gegenstände kompetent sind, zusammengesetzt werden wird.
Brav, rief Rudhard. Ich gebe die Versicherung, daß Egon der Begründer einer neuen Politik, der der Unparteilichkeit und alleinigen Geltendmachung des wahren Volkswohls sein wird.
Das wäre eine echte Errungenschaft! rief innigst Antheil nehmend Anna, die in einer solchen vermittelnden Politik eine Bürgschaft des Friedens und der Liebe sah.
Aber die Trompetta, Flottwitz, Gelbsattel verlangten doch noch näheren Aufschluß über die Parteifarbe und wollten ohne Parteifarbe in der gegenwärtigen Zeit nichts gelten lassen. Auch Siegbert blickte den Bruder gespannt an und wollte von ihm hören, wie sich Egon, auf den die jungen Männer so viel Hoffnungen setzten, »gemacht« hätte.
Ich kann, sagte Dankmar, nur berichten, daß Egon sehr gewandt, sehr anziehend sprach. Er vermied jede Verletzung irgend einer Partei. Er bat die Parteien, höhere Gesichtspunkte zu gewinnen. Die Rede floß ihm so gefällig, so gewandt vom Munde, man sah ihm so die lange Beobachtung eines vorzugsweise rednerischen Volks, der Franzosen, an, daß es mir manchmal war, als dächte er Das, was er deutsch sprach, erst französisch. Gewisse Schlagworte, gewisse Antithesen brachte er so wohlangelegt vor, daß sie ihm stürmische Unterbrechungen seiner Rede zu Wege brachten.
Daß ich Das versäumte! meinte die Trompetta mit Melancholie und stiller Gewöhnung an die Neuzeit.
Man kann sich denken, bemerkte die Fürstin etwas verstimmt über diese lange Apotheose des Freundes ihrer Schwester; man kann sich denken, wie pikant es der Galerie sein muß, sich zu sagen: Dieser Redner trug in Frankreich die Blouse und führte den Hobel eines Tischlers!
Man lächelte über diese Bemerkung; aber Dankmar nahm sie im Ernste auf und äußerte:
Ja, Durchlaucht, Das ist es auch! Als Egon auftrat, murmelte der ganze Saal vor Spannung. Es war als hörte man, wie Jeder den Andern anstieß und flüsterte: Das ist der entartete Sohn des berühmten Kriegers! Das ist der junge Hohenberg, der in Lyon Communist war und als Handwerker auf der Landstraße »fechten« ging. Denn natürlich! Das Gerücht übertreibt sogleich. Ein einziger abenteuerlicher Zug wird sogleich die Veranlassung eines Märchens.
Die unglückliche Amanda! schaltete Anna ein; wenn sie Das sähe! Wenn sie für soviel grausame Schläge, die das Schicksal nach ihrem Herzen führte, diese Mutterfreude erlebt hätte!
Propst Gelbsattel, der wiederum voll Unmuth sah, daß doch so außerordentlich viel in der Welt jetzt geschah, ohne sein Zuthun, ohne eine Anfrage bei ihm, ohne ein Gutachten, wie es sonst in den heterogensten Dingen von ihm gefodert wurde, Gelbsattel wünschte etwas von Dem zu hören, was Egon geäußert, besonders über die Gewerbe geäußert hätte.
Dankmar sagte, daß Dies die Zeitungen heute Abend ausführlich berichten würden. Egon hätte in der Gewerbspflege eine Vermehrung der Reichthümer einer Nation nachgewiesen; denn die Arbeit schaffe Werthe und Werthe der Arbeit wären Dasselbe, was Werthe des Besitzes, ja moralisch genommen, wären sie noch kostbarer. Die Pflege der Gewerbe könne nur erblühen in einem freien, in einem mächtigen Staate. Wenn unsre Monarchie in Deutschland erstarke, so könnte der Wettkampf mit England gewagt werden – ich meine, rief er, jener unblutige Krieg der Arbeit mit der Arbeit, des Fleißes mit dem Fleiße, des Menschenberufes mit dem Menschenberufe – eine Stelle, die großen Beifall hervorrief.
Anna unterbrach Dankmar mit den fast wehmüthigen Worten:
Sie ist auch schön! Ich gestehe, daß der Gedanke, wie in diesem jungen Manne die edle Natur seiner Mutter so hervorbricht, mich unendlich rührt.
Von der Verfassung der Gewerbe, fuhr Dankmar fort, sagte Egon, daß man sie durchaus schützen müsse, ohne die veraltete Form dieses Schutzes beizubehalten. Bei Aufhebung des Zunftzwanges, rief er, hat sich der Zeitgeist, der es liebt, sich zu überstürzen...
Sagte er Das? fragte schnell die Flottwitz angenehm überrascht.
Ja, mein Fräulein, antwortete Dankmar bitter, aber doch mit einer Art schalkhafter Galanterie, er sagte Das, kurz vor einem Angriff auf Vermehrung der Armee...
Halten Sie Das für mein einziges Princip? fragte das junge Mädchen den Kopf mit Grazie erhebend, daß die Locken in ein angenehmes Schaukeln geriethen.
Das nicht, sagte Dankmar, aber ich kann Sie versichern, daß er auch dem Reubund einen recht schneidenden Seitenstich versetzte. Hören Sie nur! Bei Aufhebung des Zunftzwanges, sagte Egon, hat sich der Zeitgeist, der es liebt, sich zu überstürzen, darin geirrt, daß er das Kind gleich mit dem Bade verschüttete. Das Gute am Zunftzwange hätte schon bleiben sollen. Allein unser damaliger Staat, der Militairstaat, rief er, wie tief stand er! Wie oberflächlich waren seine Neuerungen! Wie verbrecherisch seine Bestrebungen, sich auf Kosten der innern Kraft äußerlich auszudehnen! Er gab die Gewerbe frei, nicht um der Gewerbe willen, sondern um seiner Armee willen! Er sagte: Ruinirt Euch, wenn Ihr mit dem gescheiterten Versuche, glücklich zu werden, mir nur die Patente, die Freiheiten des Gewerbes bezahlt! Dieser schlechte Staat von damals, rief er, derselbe Staat, den die blinde Reue bündlerisch wiederherstellen will...
Ah, rief die Trompetta. War Das die Stelle?
Das war die Stelle, gnädige Frau! sagte Dankmar.
Aus dem Munde des Sohnes –
Eines Generalfeldmarschalls! griff Dankmar die zweite Rüge, die vom Fräulein von Flottwitz kam, auf. Die Galerieen waren außer sich darüber, nicht etwa vor Zorn, sondern vor Jubel. Der Präsident mußte die Glocke ziehen und den Zuhörern alle Zeichen des Antheils und der Misbilligung untersagen –
Ah! Das war seine Schuldigkeit! bemerkte die Trompetta, die sich constitutionell zu bilden anfing. Aber, wie weiter?
Dieser schlechte Staat, fuhr Dankmar fort Egon's Worte zu wiederholen, den jetzt die blinde Reue bündlerisch wiederherstellen will, hatte zur Förderung einer unverhältnißmäßigen Kriegsmacht nur die üppige, wuchernde Fortpflanzung der Bevölkerung zum Ziele. Dieser Staat vernichtete die Gewerbe, indem er sie der Willkür preisgab. Er erleichterte das Recht des Ansiedelns, des Meisterwerdens, der Heirathen. Er wollte nur Menschen und raschgewonnene Einnahmen für den Fiskus. Kurz, Egon schilderte die Nothwendigkeit der ernstesten Erwägungen dieser Verhältnisse mit so lebhaften Farben, daß man auf seinen Wunsch einging und den Gewerbeausschuß aus den Elementen der Kammer zusammensetzte, die über die Interessen der Arbeit kompetent sind. Es ergab sich zwar nunmehr, daß die linke Seite bei der Zusammensetzung dieses Ausschusses im Nachtheile war, sie verlor drei Stimmen und hatte die Majorität nicht mehr, aber man beachtete kaum dies Resultat, so wirkte der Zauber der Persönlichkeit des Prinzen und seiner aus der unmittelbaren Anschauung des Volkslebens gewonnenen Überzeugung nach.
Die Trompetta, Fräulein Wilhelmine, die drei Gelbsattels, selbst Rudhard waren nur froh, daß die linke Seite in der Minorität geblieben war und bezweifelten jetzt keineswegs die gewaltigen Talente des neuen Staatsmannes. Siegbert sah Dankmarn bedenklich an. Dankmar flüsterte ihm zu: Ich habe viel mit dir zu reden. Ich verlange entschieden, daß wir Beide um acht Uhr heute frei sind... Siegbert nickte ihm zu, daß er sich darauf verlassen könne... Die Fürstin erhob sich und bat die Gesellschaft, ihr behülflich zu sein, nun die Trauben vom Stock zu lösen. Einer der Bedienten präsentirte die Körbchen mit den Messern. Die Damen fanden die Idee allerliebst und Alles folgte der Fürstin, um das Werk zu beginnen und dem Dienste des Bacchus in holdesten Grenzen zu opfern. In der Ferne ertönte auf ein von Leidenfrost, der sich wieder genähert hatte, gegebenes Zeichen eine sanfte Musik, die irgendwo in einem hintersten Winkel des Gartens versteckt sein mußte. Die Fürstin war davon auf's Angenehmste überrascht und als es sich herausstellte, daß dies eine Idee von Leidenfrost selbst war, söhnte man sich mit dem wunderlichen Manne, der sie Alle durch seine Äußerungen verletzt hatte, im Geiste leidlich wieder aus und ging wohlgemuth, unter den sanften Accorden, scherzend und neckend an die spielende Arbeit.
Die Näscherei Paulowna's und Rurik's hatte nun freilich schon früher dafür gesorgt, daß diese »Weinlese« keine zu lange Zeitdauer in Anspruch nahm. Unter mancherlei Scherzreden und Neckereien war man bald mit der »Ernte« fertig und überließ den Kindern, den helfenden Dienern und Mägden, hie und da die Beeren, die noch versteckt oder schwer zu erreichen waren, vom Stamme zu lösen. Man sollte nun die gefüllten Körbe bei sich behalten, ihren Inhalt entweder selbst verzehren oder mit sich nehmen. Das war die Antwort, die die Fürstin Jedem gab, der einen Ort zu wissen wünschte, wo er seine Beute niederlegen sollte. Die Fräuleins Gelbsattel, die sehr lang waren, kamen dabei gut fort. Sie hatten reichlich gesammelt. Die Trompetta, die Lebhafteste, hatte nur geringe Ausbeute. Sie war zu klein, um mit ihrem Messer besonders hoch zu langen und das Anerbieten von Stühlen, Schemeln und Leitern, die die Diener in Bereitschaft hielten, schien ihr bei ihrem corpulenten Wuchse zu halsbrechend und gefährlich. Sie irrte von Blatt zu Blatt und klagte wie der Fuchs in der Fabel aufblickend, daß man ihr Alles vorweggeschnitten hätte. Wo ist denn noch eine Traube? Wo? Wo? rief sie. Kinder! Ich sehe nichts! Wilhelmine! Wilhelmine!... Aber Fräulein Wilhelmine von Flottwitz stand ihr nicht mit gewohnter Treue zur Seite. Sie war fortwährend mit Dankmar in neckendes Gespräch verwickelt... Die Fürstin nahm die Lese sehr umständlich und ernst, fast pedantisch. Siegbert mußte ihr den Korb, die Hand, den Schemel halten. Rudhard und Gelbsattel erzählten sich von einer Weinlese bei Naumburg, die sie einst in lateinischer Sprache hätten mitmachen müssen und lächelten über die Erinnerung, wie die Portenser, wenn Einer eben sagte: O quam dulcis haec uva est! und eine Traube in den Mund herablassen wollten, sie immer vom Andern geraubt bekamen, wobei sie auf Wildungen übergingen, der zu Denen gehörte, denen man nur zu oft den Genuß verdarb, wenn er eben sagen wollte: O quam dulcis haec uva est!
Die eigenthümlichste Erregung unter Allen zeigte Olga. Sie hatte den Trieb, gleichsam die Ehre des ganzen Festes zu vertreten, war hier und dort, sprach mit Dem und Jenem, half überall nach und befahl in der Stille, was die Mutter ihr zu laut zu befehlen schien oder wol gar ganz vergessen hatte. Und bei alledem zog sie sich von Jedem zurück, blieb allein, hüpfte bald da-, bald dorthin und schien nur von Einem Gedanken beseelt, dem, ihren geliebten Freund Siegbert nur einen kleinen Moment für sich allein zu besitzen. Die Mutter, die Flottwitz, die Fräuleins Gelbsattel, Alle machten ihr den Verdruß, daß sie auch an Siegbert zuviel Gefallen fanden und ihn immer nur für sich behielten, während sie nicht ein Wort von ihm erhaschen konnte und nur zuweilen einen freundlichen Blick, der sie mehr verwundete als erfreute, denn in diesem Blicke lag Das nicht, was sie in seiner Seele suchte. So kam es, daß sie von einer quälenden Unruhe hin- und hergetrieben wurde und nur bei Leidenfrost zuweilen Stand hielt, mit dem sie wenigstens lachen, über Alle spotten konnte. Sie ging mit dem kleinen, unschönen Mann in den hintersten Theil des Gartens, wo ein Hügel zum Feuerwerk hergerichtet war. In der Mitte stand der Böller. Ringsherum waren Stakete festgepflanzt, an welchen schon am Morgen Leidenfrost seine pulvergefüllten Papiere befestigt hatte. Am Fuße des Berges, in einer Laube saßen fünf Musikanten, die von Blaseinstrumenten eine weiche, für Gartenräume zweckmäßige Musik aufführten. Olga sorgte dafür, daß diese Leute Erfrischungen bekamen. Die Mutter achtete nicht solcher Dinge, die ihr kaum einfielen und die, wenn man sie daran erinnerte, immer Veranlassung gaben zum Streit. Denn sie hatte dann immer dieselbe Sache längst bedacht, aber natürlich ganz anders und viel besser ausführen wollen.
Die Gesellschaft wandelte im Garten auf und ab, bald vereint, bald zerstreut. Olga galt für ein Kind, man nahm wol Notiz von ihr, aber scheute sich nicht, ein Gespräch abzubrechen, wenn sie sich nahte. Sie streifte an den Beeten entlang und schloß sich Niemanden an. Rudhard verbot ihr diese Isolirung und sagte ihr im Vorübergehen, sie müsse sich an die Mutter halten.
Wird sie mich denn wollen? fragte sie und warf die großen Augen sicher und fest auf Rudhard, der ihr keine weitere Antwort darauf gab; denn er blieb im Vorübergehen mit der Pröpstin nicht stehen, wie sie. Sie sah ihm eine Weile nach und wandte sich dann, gedankenlos hin- und herirrend und Manchem, der mit ihr sprechen wollte, nicht einmal Rede stehend, wieder zu den Musikern. Unter diesen war ein alter Mann mit weißem Barte. Er blies das Waldhorn...
Wäre Das ein Harfner, sagte eine Stimme hinter ihr, als sie an der Laube stand und die Notenblätter der Leute musterte, so würde man an Mignon und den Alten erinnert werden.
Es war Dankmar, der diese Ähnlichkeit fand, und alle Damen stimmten ein...
Was wußte Olga vom Harfner und von Mignon! Was hatte sie von dem Gespräch, das die weiterwandelnde Gesellschaft über Goethe und Wilhelm Meister und die Bekenntnisse einer schönen Seele begann! Sie folgte dem Zuge der Lustwandelnden, kaum theilnehmend am Äußerlichen, noch weniger an dem Gegenstand des Streites, der sich sogleich zwischen Dankmar und der Trompetta ergab über Goethe, über Wilhelm Meister, über die Bekenntnisse einer schönen Seele, über Alles durcheinander... Anna von Harder faßte Olga's Arm und ließ sich von ihr führen. Was verstand noch Olga, stillträumend wie ein unerschloßner Blumenkelch, von den Worten, die eben die sanfte Frau zu Dankmar's Freude sprach:
Liebe Trompetta, sagte Anna von Harder. Verurtheilen Sie den großen Dichter seiner Unchristlichkeit wegen nicht! Sagen Sie auch nicht, er wäre unwürdig gewesen, durch die ohne Zweifel von ihm wörtlich aufgenommenen Geständnisse des Fräuleins von Klettenberg sein schlimmes und wie Sie es nennen, frivoles und unsittliches Buch zu schmücken. Daß Goethe diese glaubensstarke Natur in seine Dicht- und Denkweise eintreten ließ, ganz unverbunden, ganz unzusammenhängend mit dem Werke, das er uns geboten hat, beweist nur, wie er doch wol einen tiefen Blick für alles Ursprüngliche im Menschen hatte und uns in den krausen und wilden Erlebnissen des jungen Meister nur das Leben selber geben wollte in seiner Rückwirkung auf die große Mannichfaltigkeit menschlicher Charaktere. Da ließ er denn auch jenes Fräulein gelten, nicht um der Frömmigkeit, sondern um ihrer Eigenheit willen. Ich fühle, daß man jenem Buche vom Standpunkte der Erfindung aus viel Schlimmes nachsagen kann, aber Menschen sind es doch, die da durcheinandergehen, Situationen sind es doch des wirklichen Lebens. Man sieht Das ordentlich und erlebt es mit. So paßte auch das fromme Fräulein ganz hier herein, diese wunderliche Seele, der ich eigentlich nicht einmal recht zugethan bin.
Was? rief die Trompetta, Sie tadeln die schöne Seele? Das Kleinod aller nach innengewandten Herzen seit einem halben Jahrhundert?
Tadeln? sagte Anna sehr ermuthigt, welch' hartes Wort! Ich sage nur, daß ich sie nicht von Herzen lieben kann.
Nun, Das ist wunderbar! erstaunte die Trompetta und bat um Aufklärung, indem sie fast die Hände faltete. Alle waren gespannt.
Ich finde, sagte Anna gesammelt und ruhig, daß dies Fräulein eigentlich recht eigenwillig ist. Sie nimmt sich das so vor, einmal in Gott ihren einzigen Freund zu suchen und weist, fast kalt, fast gleichgültig, alle Zweifel, alle Sorge, alle Lehre der Menschen zurück. Sie bricht mit ihrem Verlobten, wie er mit ihr bricht. Sie sagt ihm: Magst du mich, so mag ich dich. Magst du mich nicht, so mag ich dich auch nicht. Ich gestehe Ihnen, daß eine solche Ergebenheit in die Wege des Schicksals bis an's Fahrlässige grenzt. Und weil ich doch aus ihrer Erzählung herausfühle, daß sie keineswegs in andern Dingen fahrlässig, sondern eifrig, emsig ist, so kann ich mich nicht erwehren, sie sogar für ein ganz klein wenig trotzig zu halten und ich glaube, ihr alter Onkel schickt ihr seine kleinen Nichtchen deshalb so selten auf ihr einsamgelegenes Schlößchen, nicht weil er fürchtet, daß die kleinen Mädchen bei ihr herrnhutherisch werden, sondern weil sie ein reizbares und recht apartes altes Jüngferchen ist.
Die Männer billigten diese eigenthümlich vorgetragene, fast wie zwischen Zerbrechlichem mit verbundenen Augen behutsam auftretende Auffassung vollkommen und Rudhard wollte sogar noch weiter gehen und wieder von seiner beliebten Muckerei anfangen...
Nein, nein, sagte Anna mit freundlicher Drohung, weiter nicht! Sie sollen auch gar nicht loben, Herr Pfarrer; ich bin Ihnen doch noch etwas bös mit Ihrem Don-Quixote!
Dankmar bekam von den Andern die Aufklärung über diese Erwähnung des Don-Quixote...
Daß ich Recht habe, gnädige Frau, sagte Rudhard, bestätige Ihnen der Anblick da oben!
Die Gesellschaft war nämlich wieder an den Anfang des Gartens gekommen, dem zur Seite der Hof mit einem Wirthschaftsgebäude, einer Remise und dem Stalle lag. Über dem Stalle war ein kleines, zwar längliches, aber niedriges Mansardenfenster. Es war offen. Ein Mann in weißer Piquéjacke saß an dem Fensterbret und las mit aufgestütztem Kopfe tief in einem Buche verloren...
Alle lachten; denn sie waren überzeugt, daß dies Peters war, der eben den Don-Quixote las...
Nun, rief Dankmar hinauf, hat Saul den Esel seines Vaters gefunden?
Peters, der die Anspielung auf seine Bibel und die Begegnung im Park von Solitüde nicht verstand, fuhr erschrocken auf und wollte sich zurückziehen...
Ei, so bleibt doch, Peters! sagte Rudhard hinauf zu dem in größter Verlegenheit nach dem Kopf greifenden Peters, der nicht wußte, wie man ohne Mütze oder Hut grüßen sollte. Mit wem hat es denn jetzt der tolle Junker?
Peters lachte nur mit verklärtem, abwesendem Angesicht.
Dankmar wollte etwas von der Kathrine hören...
Ich wette, sagte Siegbert, als Peters nicht antwortete, er besinnt sich, ob Kathrine eine von den Mägden ist, die dem Junker Don-Quixote für Edelfräulein gelten...
Kennt Ihr uns denn nicht? sagte Dankmar.
Nun erst besann sich Peters und kam grüßend aus seiner Lektüre wieder in den Zusammenhang mit der Welt. Alle lachten und mußten dem Pfarrer bestätigen, daß er ein vortreffliches Mittel gefunden hatte, einen eifersüchtigen Mann von seinen Grillen abzubringen. Man kehrte auf das Parquet zurück und folgte der Aufforderung, von dem Fruchttische zu genießen, den man nicht genug bewundern konnte.
Olga entzog sich verschämt allen Lobeserhebungen über Das, was Rudhard heute für ihre Idee und ihre Schöpfung erklärte. Man fand das eigene Mädchen allgemein schön, liebenswürdig und sagte, als sie sich entfernt hatte, der Mutter mannichfache Artigkeiten über ein Kind, das sich seit der kurzen Zeit ihrer Anwesenheit so auffallend entwickelt hatte. Die Fürstin nahm diese Freundlichkeiten mit jenem Takte hin, der dem Gebildeten unter allen Umständen eigen ist und ihn immer Das treffen läßt, was sich nach den allgemeinen Gesetzen in solchen Fällen geziemt oder am Platze ist. Rudhard sah schon tiefer und blickte voll Unmuth zur Erde. Er beschäftigte sich mit den Kleinen; denn die Gesellschaft zerstreute sich theilweise im Garten und fing an, sich in gleichgestimmte Paare aufzulösen, während die Fürstin und die Gelbsattel's auf dem Parquet blieben...
Der Propst und die Trompetta schienen es auf Siegbert abgesehen zu haben. Sie nahmen ihn bei Seite und begannen vom Gethsemane. Der Propst rühmte die ausgezeichneten Blätter dieses Albums, vorzugsweise aber die Farbenskizze Siegbert's. Einen Vorschlag, den er an sein Lob anknüpfen wollte, unterbrach die Trompetta mit dem Jammer über das Unglück, das ihr eine Laune des Hofes bereitet hätte. Sie wollte von den Männern Vorschläge hören, wie sie ihre Sammlung zum Besten eines wohlthätigen Zweckes veräußern könnte. Es blieb nichts übrig, als ihr eine Lotterie anzurathen. Sie schlug den Werth des Albums auf den Betrag von tausend Thalern an und zweifelte durchaus nicht, tausend Loose, jedes zu einem Thaler, absetzen zu können. Das Album sollte zu dem Zwecke einer Einladung und Ermunterung in den Sälen des Kunstvereins aufgelegt werden. Nun aber handelte es sich um die Verwendung des eingegangenen Geldes. Frau von Trompetta hatte damit etwas Zeitgemäßes im Sinne. Sie sprach von den im Kampfe gegen die Demokratie hier und da gebliebenen oder verwundeten Kriegern und von deren Angehörigen, fand aber bei Siegbert sowol wie beim Propste lebhaften Widerspruch. Jener erklärte eine solche Verwendung für eine politische Demonstration, die er nimmermehr unterstützen, ja gegen die er sowol wie mancher seiner Freunde, die zu dem Album beigetragen hätten, entschieden protestiren würde. Dieser konnte nicht umhin, Siegbert Recht zu geben. Er lehnte zwar jede Übereinstimmung mit Siegbert's politischen Motiven ab, meinte aber doch auch, daß die Zeit noch nicht reif wäre, in einer solchen Verwendung des Albums jene Harmlosigkeit zu erblicken, die denn doch von den Künstlern, die diese Idee unterstützten, vorausgesetzt wurde... Zu diesem Streit gesellte sich in diesem Augenblicke Leidenfrost, der nach seinen Feuerwerksvorbereitungen sehen wollte. Der Propst wußte es so geschickt zu wenden, daß er mit Siegbert plötzlich abbog und die Trompetta mit Leidenfrost allein ließ, bei dem sie, da er sehr praktisch war, noch einige Winke über ihre Pläne zu gewinnen hoffte, so abgeneigt sie ihm seiner Richtung nach auch sein mußte. Man kann sich vorstellen, wie komisch diese Unterhaltung ausfiel. Leidenfrost hielt durchweg den Ton der Ironie fest, den die Trompetta, erfüllt von ihrem Gegenstande, nicht fühlte. Er rieth ihr ohne Zweifel die wunderlichsten Wege an und machte die Frau wol nur noch verwirrter, als sie schon war.
Der Propst aber sprach sich so misbilligend über die Ostentation dieser Frau aus, daß Siegbert Vertrauen gewann und das ihm für seinen Nicodemus gespendete Lob nicht zurückwies.
Ich habe eine Idee mit dieser Skizze, sagte der Propst. Ich wünschte wohl, daß Sie Veranlassung fänden, sie in größern Dimensionen und am liebsten al fresco auszuführen.
Die Frescomalerei, sagte Siegbert, ist mir noch zu wenig geläufig. Ich habe darin Übungen gemacht, würde aber kaum wagen, sie vor Jemanden sehen zu lassen...
Und dennoch, fuhr der Propst fort, muß man Wände haben, um sich daran vervollkommnen zu können. Ich schlage Ihnen vor, Ihre Skizze in einer Kirche auszuführen, die im vorigen Jahre theilweise abbrannte und neuerdings wiederhergestellt ist. Die Gemeinde ersucht mich, ihr Vorschläge zu einigen durch Künstlerhand auszuführenden Zierrathen zu geben. Da sie reich ist, da dem Bau noch manche Summe zu Gebote steht, so schlag' ich Ihnen vor, die Gemeinde zu besuchen und sich mit ihr über diese Idee zu verständigen.
Siegbert war von dem Vorschlage sehr angenehm überrascht und fragte nach dem Namen des Ortes.
Das große und reiche Dorf Schönau, auf dem Wege von hier nach Hohenberg.
Siegbert lehnte das Anerbieten durchaus nicht ab. Er erklärte sogar, daß ihm nichts erwünschter sein könnte, als die ersten Proben der Technik, die er sich in der Frischmalerei erworben hätte, an einem Orte zu versuchen, wo er die allzustrenge Kritik nicht herausforderte.
Das ist sehr weise gedacht! sagte der Propst. Reisen Sie hin! Beginnen Sie das Werk!
Sie vergessen, Herr Propst, sagte Siegbert, daß diese Unternehmung nur im warmen Sommer begonnen werden kann.
Das ist wahr! besann sich künstlich der geübte Kunstkenner. Allein man macht vorläufig seinen Überschlag, Sie prüfen die Örtlichkeit, Sie nehmen mit dem Vorstande der Gemeinde Rücksprache. Auch wüßt' ich sogleich eine Veranlassung, sich in Schönau den Leuten werthvoll und angenehm zu erweisen. Man wünscht bei der Einweihung der Kirche, die am Martinstage stattfinden soll, die Wiederherstellung einiger glücklicherweise aus dem Brande geretteter Bilder aus der altdeutschen Schule. Ich entsinne mich, bei früheren Inspektionsreisen in der Schönauer Kirche zwei vortreffliche Kranach's und einige Bibelscenen gesehen zu haben, die, wenn nicht von Albrecht Dürer selbst, doch aus seiner Schule sind. Zu dem neuen frischen Anblick der wiedererrichteten Kirche wünscht man diese Bilder so lebhaft und anmuthig als möglich zu restauriren. Auch dafür, hab' ich gedacht, entschiede sich gewiß Ihre kundige Hand und Sie nähmen die Entschädigungen mit, die man Ihnen dafür bieten würde.
Siegbert freute sich der wohlwollenden Versöhnlichkeit, die aus diesen Anerbietungen des Propstes zu sprechen schien und drückte ihm unverhohlen die angenehme Überraschung aus, die er über diese Anträge empfand.
Bester Freund, setzte Gelbsattel mit einem eigenthümlichen kaustischen Ausdrucke hinzu, bis zu dem Tage, wo Ihnen das Obertribunal in letzter Instanz eine Million zu Füßen legt, dürfte es noch ziemlich lange hin sein.
Glauben Sie nur nicht, sagte Siegbert, daß ich irgendwie die sanguinischen Hoffnungen meines Bruders theile! Ich darf mich natürlich seinen Unternehmungen nicht entziehen und lasse Das, was eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat, ihm zu Liebe gern für Gewißheit gelten. Seh' ich doch, daß ihn diese Angelegenheit nicht lässig, sondern im Gegentheil eifrig macht. Sie schlägt in sein Fach, sie nährt seine Studien. Und ich selbst finde wenigstens Den Gefallen an den Verhandlungen, daß ich mich des Überblickes der Zeiten erfreue, an vergangene Zustände meiner Familie zurückdenke und an den großen Widersprüchen der Verhältnisse, die unser Leben erfüllen, einen persönlichen Antheil habe.
Dies Vergnügen wird Ihnen aber viel Geld kosten! warf Gelbsattel etwas bitter hin...
Das ist wahr, sagte Siegbert, wir müssen schon jetzt Opfer bringen und haben alle Ursache, uns einzuschränken. Sie sehen mich auch deshalb nicht abgeneigt, eine Gelegenheit zu ergreifen, mir meine Kunst ergiebig zu machen. Leider fesseln mich für den Augenblick so viele Dinge...
Schütteln Sie doch diese Fesseln ab! sagte der Propst. Ihr jungen Männer lebt in einer glücklichen Zeit! Welche Mühe hatten wir einst, unsre Wünsche auszuführen, unsre Wirkungskreise zu verändern! Jetzt reist Das hin und her; im Fluge ist man unter andre Verhältnisse versetzt. Ein junger Geistlicher, Oleander, hört heute von einem Vikariat in Plessen, von der unbesetzten Stelle des einige Zeit beurlaubten Pfarrers Stromer; morgen ist er schon unterwegs und tritt dieses Amt an, das ihm den Weg zu besseren Ämtern bahnen soll...
Oleander? fragte Siegbert, der den Namen schon oft, auch einigemale sonderbarerweise von Louis Armand gehört hatte. Irr' ich nicht...
Sie werden Manches von ihm gelesen haben...
Es ist der Verlobte...
Meiner ältesten Tochter? Glauben Sie Das nicht! Wo junge Mädchen sind, stellt sich sogleich bei jedem männlichen Besuche ein solches Vorurtheil ein. Es ist wahr, ich habe diesen Oleander gehoben. Er hat das Sabbathspredigerstipendium in der Dreieinigkeitskapelle, er genießt manchen Vortheil, der für seine Jahre und Einsicht unverhältnißmäßig ist; da zeigt er sich auch als Einen der Undankbaren und Vermessenen, die Alles nur sich selbst danken wollen, reißt sich von den behaglichsten Verhältnissen los und übernimmt jenes elende Vikariat –
Siegbert war fast im Begriff, diese Handlungsweise Oleander's edel und schön zu nennen, als ihr Gespräch durch eine Störung unterbrochen wurde. Sie waren dem Hause wieder näher gekommen, als Siegbert am Gitter des Gartens im Hofe einen jungen Soldaten erblickte, der schüchtern die Thür öffnete und sich nach Jemanden, den er zu suchen schien, umsah. Siegbert ging zu dem jungen Soldaten hinüber, um ihn nach seinem Anliegen zu fragen. Dieser trat mit dem schönen Anstande, der einem gebildeten Krieger eigen ist, näher, faßte an seinen Tschako und wünschte Herrn Dankmar Wildungen zu sprechen.
Warten Sie einen Augenblick! sagte Siegbert und empfahl sich dem Propste. Er wollte den Bruder im Garten suchen.
Da trat ihm dieser aus einem schattigen Gange, Fräulein von Flottwitz begleitend, schon entgegen. Er erkannte sogleich den Sergeant Heinrich Sandrart, dessen sich der Major von Werdeck öfters zu Aufträgen bediente bei der nähern Beziehung, die zwischen diesem Offizier und den Brüdern seit einiger Zeit besonders durch Leidenfrost eingetreten war...
Heinrich Sandrart, der etwas leidend aussah, überreichte Dankmarn ein Billet von dem Major. Während dieser las, trat Fräulein Wilhelmine dem Sergeanten näher und fragte:
Garde?
Garde!
Erstes Regiment?
Zweites Regiment!
Dritte Compagnie?
Dritte Compagnie!
Lieutnant von Aldenhoven?
Sandrart mußte alle Fragen der unterrichteten, kriegskundigen Offizierstochter fast zustimmend beantworten.
Dankmar trat näher und sagte dem Sergeanten:
Eine Empfehlung an den Major! Sehr erwünscht. Wir würden die Ehre haben, ihn zu erwarten.
Damit legte Sandrart die Finger an den Tschako und wollte sich entfernen zum Entzücken der Flottwitz, die sich an seiner Haltung und dem Hereinragen auch des Militairischen in dieses Fest nicht genug weiden konnte. Aber schon hatten auch Paulowna und Rurik von einem Soldaten gehört, waren herbeigesprungen und betasteten diesen Krieger, seinen Säbel, die Aufschläge seiner Uniform, die Tressen, wie den Schmuck einer Figur...
Sie sind Heinrich Sandrart? fragte Dankmar.
Zu dienen, mein Herr!
Es ist schon einige male, daß wir uns sahen; Sie blasen die Flöte, sind fleißig, wollen Ihr Fähnrichexamen machen?
Hat Ihnen Das der Major gesagt?
Der Major hält große Stücke auf Sie!
Er verdient, daß sein Bataillon für ihn durch's Feuer geht.
Die Flottwitz hatte etwas auf der Zunge, was sie auszusprechen durch die Kinder verhindert wurde. Olga, die das Gespräch in der Ferne beobachtet hatte, war gleich so wohlwollend gewesen, ein Glas mit Wein füllen zu lassen, es auf ein lackirtes Bret zu stellen, ein Stück Kuchen hinzuzulegen und den Kindern zum Überbringen an den hübschen Soldaten zu übergeben. Diese faßten den Teller Beide zugleich an und trugen ihn behutsam, doch nicht ohne bedeutende Schwankungen und Verschüttungen. Dankmar redete Sandrart zu, zu nehmen und wollte Olga einen freundlichen Blick zuwerfen; doch war Olga schon wieder verschwunden... Es trieb sie eben wie ein Irrlicht unruhig bald da-, bald dorthin, ruhelos, unstät, wie ihre dunklen Augen selbst hin und wieder gingen...
Die dritte Compagnie steht in keinem guten Rufe; sagte die Flottwitz.
Wer sagt Das? antwortete Sandrart.
Die ganze Armee!
Sandrart schwieg. Es lag außerhalb der Disciplin, hier Ansichten auszusprechen.
Ein guter Soldat, fuhr die Flottwitz begeistert fort, soll treu seinem Könige dienen, treu der Fahne, auf die er geschworen hat.
Sandrart aß in steifer Haltung seinen Kuchen, trank seinen Wein und schwieg.
Die Ehre des Kriegers, fuhr das geröthete, jetzt flammende Mädchen fort, ist der Gehorsam. Wenn sich die Bande der Disciplin lockern, wird die Kraft eines Heeres gelähmt. Das unsrige hat seine Schlachten nicht dadurch gewonnen, daß ein Jeder dazwischen redet und vom Volke fabelt, sondern dadurch, daß es für seinen König Blut und Leben dahingab und seinem Vorgesetzten selbst dann gehorchte, wenn eine Armee auch nur unter den Waffen steht und zusehen muß, was die Weisheit seines Fürsten so oder so beschließt.
Sandrart schwieg.
Krieger, fuhr das seltene Mädchen, die in der That den Namen einer neuen Jungfrau von Orleans verdiente, fort, Krieger, die sich von der Demokratie irre machen lassen in ihrer Pflicht, verdienen den Namen der Tapfern nicht. Sie schänden die glorreiche Uniform, die sie tragen. Sie verletzen ihren Eid, den sie dem Fürsten geschworen, und ein Eid ist heilig, heilig wie das Evangelium. Sagen Sie Das der dritten Compagnie, die eine Fahne trägt, die von Kugeln zerfetzt ist in zwanzig Schlachten, eine Fahne, die eine Ahnin des königlichen Hauses selbst gestickt hat!
Sandrart wischte sich den Mund, trat einen Schritt zurück und machte seine Honneurs, um zu gehen. Die Kinder gaben ihm bis auf die Straße das Geleite. Der junge Soldat hatte nichts erwidert, nichts politisirt... er schwieg.
Dankmar aber mußte, als er mit dem Fräulein allein war, in ein lautes Lachen ausbrechen.
Bestes Fräulein, sagte er; in Ihrer Rede war für meinen verlorenen unglücklichen Standpunkt jedes Wort ein Lustspiel, aber auch für den tragischen Standpunkt dieses jungen Mannes keine Tragödie!
Wie so? fragte Wilhelmine mit einer Mäßigung, die im Widerspruche zu ihrer aufwallenden Mahnung an die berüchtigte dritte Compagnie des zweiten Garderegimentes stand.
Sie gingen wieder allein, Beide dem dunkeln Gange zu.
Dies Paar war heute zum ersten male in eine persönliche, durch Gespräch verbundene Beziehung gekommen und wunderbar rasch, wie zwei chemische Stoffe, die sich vereinigen, um zu explodiren, hatten sie sich während des Festes gesucht und gefunden. Es gibt Begegnungen, die gleich bei der ersten Begrüßung das Facit längst angelegter Beziehungen sind. Dankmar und Fräulein von Flottwitz kannten sich, ohne sich gesprochen zu haben. Sie gewannen sogleich eine Vertraulichkeit, die schnell über die ersten Vorbereitungen einer Verständigung hinausging. Da das junge Mädchen etwas vorstellte und bedeutete, da sie ein Ziel und Streben hatte, so mußte sie dem jungen Manne von Interesse sein. Nichts kürzt ja die Verlegenheiten, die man der unbestimmten Gefühlswelt und der geheimnißvollen Existenz eines Frauenherzens gegenüber empfindet, so sehr ab, als wenn ein weibliches Wesen doch auch einmal ein wenig mehr ist als nur eine bloße Tabula rasa, die erst die Liebe, die künftige Begegnung mit dem Manne, der sie wählt, mit Charakteren beschreibt. Anders wenigstens ist es kaum zu erklären, wie sich Dankmar und Friederike Wilhelmine so schnell in eine gewisse, Allen auffallende Vertraulichkeit fanden...
Sie haben, sagte Dankmar, diesen jungen Soldaten wie eine Puppe von Holz behandelt und ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß das trotz seines Schweigens ein sehr gebildeter Mensch ist. Er bläst die Flöte, liebt die Empfindsamkeit, denkt schwärmerisch, macht leidliche Verse, hat Kenntnisse in allen Fächern und ist der Erbe eines sehr bedeutenden Vermögens. Er nahm den Wein und Kuchen mit einem Anstand, den Sie müssen gewürdigt haben. Er hätte gern gesagt: Ich bin kein Bettler, kein Bote, ich bin ein freier Mann und ich schweige auch zu den Ermahnungen des Fräuleins nur, weil sie wunderschöne blonde Locken, einen reizenden Teint, sprechende dunkelblaue Augen, kirschrothe Lippen und Zähne wie von Elfenbein hat!
Spotten Sie, rief Wilhelmine fast erbebend und warf einen ihrer in der That schmelzenden Blicke ernst und vorwurfsvollzitternd auf Dankmar, den sie ohne Zweifel in Folge der Gesetze von der Polarität seit der Begegnung an der Terrasse von Solitüde fast zu lieben schien...
Ich spotte nicht, Fräulein! sagte Dankmar mit seinem gewohnten feinen Lächeln. Ich kann mir keine reizendere Form der Bellona denken. Sie haben etwas von einer Hohenpriesterin Ihrer Überzeugung! Und aufrichtig gestanden, ich gönne unsern Lieutenants, wie sie so kommen und gehen und das Trottoir der Residenz beherrschen, nicht die Poesie, die in Ihrer enthusiastischen Vertheidigung der reactionairen Staatsprincipien liegt!
Es geht mir mit Ihnen fast ebenso, sagte das junge Mädchen beklommen, schüchtern und hocherröthend. Ich gönne den Demokraten nicht, daß Sie zu ihnen gehören.
Dankmar warf die Augen flüchtig in die Runde, ergriff ihre linke Hand, küßte sie rasch und erwiderte:
Bekehren Sie mich, Fräulein!
Wilhelmine zuckte zusammen. Sie ließ die Hand in Dankmar's Rechten; er mußte fühlen, daß sie zitterte...
Ihr Bruder, sagte sie nach einer Weile sich sammelnd und die Hand wieder zurückziehend, Ihr Bruder schwärmt über die Gesellschaft und verfolgt bunte Träume, die sich nie verwirklichen werden. Sie aber sind viel schlimmer. Sie haben Ihren Geist wie ein Arsenal mit lauter feindseligen Waffen gegen das Bestehende ausgerüstet. In Ihrem Kopfe leben nur Mordgewehre, Dolche, Barrikaden. Jedes Wort, das Sie über öffentliche Dinge sprechen, klingt mir wie Hohn in's innerste Herz. Es ist die Trommel des Aufruhrs, die Sie rühren, und mich schmerzt es, daß Sie vielleicht in Verbindungen stehen, die Ihnen gefährlich werden können. Was haben Sie mit diesem unglücklichen Werdeck zu thun?
Wir treiben zusammen Schädellehre, sagte Dankmar. Er hat einen prächtigen Kopf, der mich physiognomisch unterhält und ihn unterhält wieder mein Kopf. So befühlen wir uns gegenseitig und sagen uns phrenologische Schmeicheleien.
Weichen Sie mir nicht aus! Ich weiß sehr wohl, wie Sie mit Werdeck bekannt geworden sind.
Wie denn, mein Fräulein?
Sie ritten mit Lasally, Aldenhoven und einigen Offizieren vor mehren Wochen nach Burgheim. Nicht wahr?
Sehr oft thun wir Das.
Eines Tages begegnete Ihnen zu Pferde Werdeck...
Sehr oft begegnet er uns...
Er schloß sich Ihnen an. Es gab Unterhaltungen und zwei Parteien. Sie und Werdeck bildeten die Minorität. Es entstand Bekanntschaft, Verständigung, Freundschaft...
Und zuletzt eine Verschwörung? Nicht wahr?
Bewahre Sie der Himmel davor! Ich warne Sie vor Werdeck. Erschraken Sie nie vor seinem unheimlichen Auge? Oder fesselt Sie doch nicht die wilde Leidenschaftlichkeit seiner Frau?
Ah! Ich hätte nie geglaubt, daß die Inquisition so schöne Dienerinnen hat, wie Sie, Fräulein Wilhelmine...
Ich habe mehr von Ihnen und Ihren Umgebungen gehört, als ich Ihnen wiederholen möchte...
Was wissen Sie von mir und jener Frau?
Der Majorin von Werdeck?
Ich hoffe, Sie wissen, daß ich sie noch in meinem Leben nicht gesprochen habe. Mein Bruder malte ihr Bild und aß zuweilen bei den Werdeck's polnische Pirotkis.
Und Leidenfrost? Dieser Aufwiegler der Werkstätten, dieser Führer der Handwerker, dieser cynische Robespierre...
Steht in einer geheimnißvollen, mir dunkeln Beziehung zu jener Familie, das ist wahr. Aber ich glaube nicht, daß dabei die Politik eine Rolle spielt...
Die gefährlichste! Die Verbindung mit Polen soll in jenem Hause unausgesetzt unterhalten werden. Der leidenschaftliche Katholicismus der Majorin ist der Deckmantel ihrer wahren Gesinnung. Man weiß, daß sie Seelenmessen für Menschen lesen läßt, die in Sibirien gestorben sind. Durch Klosterverbindungen verständigt man sich mit Denen, die in Krakau und Warschau nur auf den Augenblick harren, um – doch wovon unterhalt' ich Sie!
Ich staune, Fräulein! rief Dankmar, dem alle diese Äußerungen übertrieben und verleumderischen Entstellungen nacherzählt vorkamen. Welche Chronik!
Trennen Sie sich von diesen Umgebungen! sagte das Fräulein drängend und mit großer Innigkeit. Über Allen, die mit Werdeck verkehren, zieht sich eine mächtige dunkle Wolke zusammen... Ihr Proceß, Herr Wildungen – wüßten Sie nur, was man davon spricht!
Ich lausche mit Spannung...
Wolle der Himmel verhüten, daß Sie jemals diese großen Reichthümer gewännen! Sie würden sie nur dazu anwenden, die Revolutionen aller Staaten zu unterstützen.
Ah so! Nein, mein Fräulein! Ich würde sie nur dazu anwenden, einmal irgend ein Wesen, das ich liebe, mit allen Reizen des Glückes zu umzaubern. Ich baute diesem Wesen Villen, hängende Gärten, Paläste... Aber im Ernst, Fräulein, sind diese Gesinnungen der Loyalität, die Ihre schöne Stirn mit einem Heiligenschein umgeben haben, wirklich Ihre innersten Überzeugungen? Ich weiß es, ich frage fast so dreist, wie man eine Prophetin fragen würde, ob sie wirklich an den Gott glaube, von dem sie sich ergriffen erklärt? Aber wir haben denn doch die Bücher der Geschichte aufgeschlagen vor uns liegen. Sie sind doch auch den Frauen zugänglich und ich weiß es, die Bildung ist Ihnen, mein Fräulein, ein theures Wort. Sagen Sie mir nur um's Himmelswillen, kennen Sie denn Das nicht, was wir Männer Kritik nennen? Es ist Ihnen also unmöglich, die Zeit im Großen und Ganzen aufzufassen und zu fühlen, daß Ihr und Ihrer Genossen Wirken und Denken eine reine Selbsttäuschung ist?
Fräulein Wilhelmine bat Dankmar, auf einer Bank, die ziemlich am Ende des Gartens unter dem Weinlaubdache stand, Platz zu nehmen. Sie setzten sich...
Sie sagen, begann sie gesammelt und mit einem Sonnenschirme spielend, daß Ihnen etwas an uns unbegreiflich ist und wir sind in dem gleichen Falle über Sie und die Ihrigen. Kann man gemeinschaftliche Sache mit Menschen machen, die die Fackel der Empörung anzündend nur Verwirrung wollen, um sich zu bereichern oder zu Ehrenstellen aufzuschwingen! Wie schonungslos hat man zerstört! Forschen Sie den Tonangebern nach! Es sind meist nur ruinirte, zweideutige Mitglieder der Gesellschaft. Kann man Freiheit da finden, wo nur die Rohheit und Sittenlosigkeit das Recht bekommt, glänzende Gewänder um sich zu werfen! Sehen Sie die kecken Gebehrden der verworfensten Individuen, die es jetzt wagen, der Sitte und dem Anstande Hohn zu sprechen. Kann man wünschen, daß je die Gesellschaft diesem Pöbel preisgegeben wird, diesem Pöbel, der in meinen Augen auch unter den Menschen steckt, die äußerlich anständig gehen. Man wühlt nur, um seiner jämmerlichen, ehrgeizigen und habsüchtigen Leidenschaften willen.
Die Musik spielte in der Ferne. Die Kinder jagten sich. Die Paare wandelten auf und ab. Man mied das von seinen Früchten befreite Weinlaubdach...
Dankmar, dem diese Unterhaltung von psychologischem Interesse war und dem die Situation einer Verständigung zwischen zwei so verzweifelten Gegensätzen, wie sie von ihm und diesem Fräulein vertreten wurden, fesselnd erschien, erwiderte:
Sie sind in diesem Augenblicke viel aufrichtiger gegen mich, als Sie es gegen die Welt sind.
Wie so? fragte Wilhelmine.
Der Welt gegenüber stellen Sie die Hingebung an den Thron und die Interessen der absoluten Monarchie wie etwas Ursprüngliches dar, wie eine Art Religion; während Sie doch eben verriethen, daß dies System, wie ich es nennen möchte, nur die Folge einer sehr klug angestellten Reflexion ist.
Welcher Reflexion?
Sie fühlen, daß mit der Demokratie in der Art, wie sie Ihnen erschienen, nicht gut zu leben ist und verwerfen sie deshalb ohne Weiteres, indem Sie eine Anbetung der Monarchie, eine Vergötterung der Hebel derselben befördern, die das Übel, das Sie bekämpfen wollen, nur ärger machen wird.
Man muß dem Throne Kraft geben, den Arm der Fürsten stärken, die Bürgschaften der Ordnung befestigen!
Alles Politik! Alles Reflexion! Durchaus keine Religion, durchaus keine Andacht! rief Dankmar und rückte seiner Gegnerin näher, indem er einige welke Weinblätter, die auf ihren Nacken gefallen waren, weglas...
Nennen Sie es Tugend, wenn man sich dahin stellt, wo man die Gefahren der Gesellschaft abgewendet sieht! antwortete das Mädchen bestimmt und von Dankmar's Spiel durchrieselt.
O nein, Das nenn' ich Instinkt, Selbsterhaltungstrieb, erwiderte Dankmar und nahm ihr wie spielend den Sonnenschirm aus der Hand. Mein bestes Fräulein, Sie vertheidigen sich nicht gut. Sie müssen so, wie Sie einmal sind, sagen: Ein Demokrat ist das nicht relativ, sondern absolut Verwerflichste, und die Liebe, die ich zum Könige, zu den Prinzen, zu den guten Ministern, zu dem Adel, zur Armee habe, die ist etwas Unerklärliches, die entspringt aus dem Gefühle, das einst die Christen trieb, das Kreuz zu nehmen und in's gelobte Land zu ziehen. Sie zerstören mir ja durch Ihre Theorie den ganzen Heiligenschein, den ich um Ihre schönen Locken erblickte.
Wilhelmine sah gedankenvoll empor. Es durchbebte sie etwas von einem Gefühle, von dem sie sich keine Rechenschaft zu geben wußte. Sie ahnte fast, daß Dankmar für sich Recht hatte. Sie konnte ihm nur nicht sagen, daß es eins der schmerzlichsten Gefühle, das die Seelen unserer Zeit zerreißt, genannt werden muß, Menschen, die man liebt und verehrt, in Ansichten gefangen zu sehen, die man selbst nicht theilen kann. Sie hatte sich im Stillen auf Dankmar's Standpunkt gestellt, mit ihm verhandeln, ihn in ihre Gedankensphäre hinüber ziehen wollen und nur deshalb für etwas, was allerdings auch in ihr rein ursprünglich, wie eine visionäre Anschauung lag, äußere Gründe des Verstandes gesucht. Sie sagte:
Darf ich denn wagen, mich Ihnen so zu geben, wie ich bin, ohne von dem stärkeren Geiste verspottet zu werden? Ich sehe, Ihre Menschenkenntniß fühlt mir vollkommen die Empfindungen nach, die meine wahren sind. Sagen Sie mir aber Das: Warum ergreift Sie nur nicht auch das Gefühl, Ihren König geehrt und mächtig zu sehen, seinen Herrscherblick vielleicht auf Sie selbst niederzulenken, die Fahnen unserer Krieger stolz entfaltet zu schauen, von unsern Schlachten zu lesen und sich gläubig, nichtig, ergeben zu fühlen in dem großen, gefeierten, heiligen, aber von Andern geleiteten Ganzen, das man den Staat nennt?
Das will ich Ihnen sagen, mein Fräulein! antwortete Dankmar ernst und voll Antheil. Die Geschichte und das Leben haben mich gelehrt, daß die großen Ideen nur an der Wiege, als sie geboren wurden, unschuldig und heilig waren. Das Christenthum war unschuldig und heilig, als es in Galiläa gepredigt wurde. Als es heranwuchs, gedieh, erstarkte, mußte sich der Denker schon wieder von ihm abwenden. So kann ich in politischen Dingen auch nur die Vasallentreue eines Bayard unschuldig und heilig nennen, und für die Dichtkunst haben die Empfindungen, die in Ihnen, mein Fräulein, leben, einen großen, auch mir sehr bedeutenden Werth. Anders aber ist es auch hier mit der erstarkten Idee der Loyalität, wenn auf ihr Institutionen wurzeln, Systeme. Da seh' ich, daß zuviel Lüge, zuviel Egoismus von jenen Institutionen in Schutz genommen wird. Ich sehe, daß sich böser Wille, Unterdrückung, Anmaßung zu gut bei jenen Systemen unterbringen läßt und muß deshalb auch das Gute, das ihnen zum Grunde liegen mag, leider zerstören, der Schlupfwinkel wegen, die das Böse hier im Guten findet. Ich bin nicht blind für die Fehler der Revolution. Auch sie war an ihrer Wiege in Rousseau's Schriften ein reiner keuscher Gedanke. Man kann nicht reiner und unschuldiger über den Staat denken, als damals gedacht wurde, als im Enthusiasmus für Freiheit und Gleichheit aller Menschen die Adeligen Frankreichs ihre Privilegien selbst auf den Altar des Vaterlandes legten. Aber auch die Revolution ist entartet, degenerirt. Nun kann der Denker nur in der Mitte stehen und da seine Hand bieten, wo noch der meiste Rest von der Wiegenunschuld der Ideen übriggeblieben ist und ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, daß das Zeitalter der Revolution jünger als Bayard ist. Die Pflicht der Menschen soll sich an das Gute der Revolutionen anschließen, von Nichts aber, bei aller Nothwendigkeit der Mäßigung, des langsamen Fortschreitens, des Abwägens der Übergänge, von Nichts sich entfernter halten, als von dieser rein vegetativen, alles Denken verbannenden, instinktmäßigen Verehrung der Institutionen, die das neue Zeitalter anzweifelt. Man kann diese Institutionen noch eine Weile stützen, man soll es; aber man versündigt sich an Gott, wenn man sie anbetet und z. B. mit einem Soldaten so spricht, wie Sie es eben mit diesem Heinrich Sandrart gethan haben.
Friederike Wilhelmine blieb eine Weile nachdenkend und schwieg. Dann sagte sie rasch und aufseufzend:
Wir verständigen uns nicht!
Sie erhob sich gerade noch zur rechten Zeit, ehe die ganze Gesellschaft sie Beide in dieser Situation auf der einsamen Bank überraschte...
Es war nun fast sieben Uhr und schon ziemlich dunkel. Jeden Augenblick erwartete Leidenfrost seine Unterstützung zum Lösen des Böllers und zum Steigenlassen der Raketen. Die Musiker, die unermüdet fortfuhren, sanfte Harmonieen durch die Büsche hin aus der Laube zu entsenden, hatten schon Licht. Auch in dem Salon, in den unmittelbar eine Thür des Hauses vom Garten führte, brannten Kerzen. Die Trompetta verlangte von Anna von Harder ein Musikstück auf dem Klavier. Die Schwester Paulinen's hatte aber ihre Freude meist nur mit den Kindern und dachte daran, heimzukehren nach Tempelheide. Selbst Siegberten, der ihr so sympathisch war, mochte sie in seinem Verkehr mit den jüngern weiblichen Anwesenden nicht stören. Man bat, man drängte in sie noch zu bleiben, zu singen, zu spielen, wenigstens jedenfalls die Raketen abzuwarten. Sie konnte sich denn der Bitten nicht erwehren und willigte ein, auch am Piano das Duett zu begleiten, das die Trompetta und Wilhelmine singen wollten. Bald auch erscholl von den zwei kräftigen Stimmen ein Duett aus dem Judas Maccabäus.
Ein krachender Böllerschuß unterbrach diesen Gesang und die Aufmerksamkeit der um den Flügel geschaarten Zuhörer. Zu gleicher Zeit zischte unbekümmert um die Cadenzen der Trompetta eine Rakete in die Höhe. Die Musik war abgebrochen. Alles trat in Shawls und Mantillen gehüllt hinaus in den schon kühlen, jetzt völlig dunkel gewordenen Garten. Leidenfrost's drei Gehülfen mußten angekommen sein. Die Kinder rannten über die Beete, die Damen suchten den günstigsten Ort, um, sicher vor dem Niederschlag der abgebrannten Präparate, doch von dem Lichteffekte derselben sich nichts entgehen zu lassen. Überall her in den umliegenden Gärten wurde es lebendig. Das Feuerwerk fand Zuschauer, die draußen am Hinterzaune, der schon in's Feld führte, bei besonders gelungenen Effekten Beifall spendeten.
Der erste Böllerschuß und die Rakete war nur ein Signal. Es folgte nach einiger Pause ein zweiter und wieder eine Rakete. Dann ein dritter und jetzt eine Leuchtkugel. Ah! ertönte es in diesem ganzen fashionablen Quartier. Anna von Harder, die Unruhe und Eile hatte, dachte, ob wohl auch drüben die Schwester sich an's Fenster stellen und an dem Scherze ihre Freude haben würde?...
Leidenfrost legte große Ehre ein. Erst spielte in ununterbrochener Folge ein kleines Geplänkel von Leuchtkugeln. Es war wie das Spiel eines Equilibristen, der Fangbälle wirft und aufgreift, ohne daß einer von der gewandten Hand verfehlt wird. Dann kam ein Pot à feu, der plötzlich einen lebendigen Blumenkorb von Schwärmern vorstellte. Das war ein Zischen, ein Züngeln, Platzen und Knallen in der Luft. Von diesem Momente hatten die Näherstehenden mehr Genuß als die Entfernteren, denen nur die Leuchtkugeln volles Vergnügen gewährten. Es kamen deren auch wieder neue, nun mit bunten Lichteffekten, die blau und roth in der Höhe sich auflösten; andere entwickelten oben noch einen Schwärmer und ängstigten die im Felde Stehenden; denn der züngelnde Auslaufer der gestiegenen Rakete suchte gerade sie auf. Nun brannte Leidenfrost, der mit seinen drei Gesellen und dem einz'gen Lichtchen, das sie auf ihrem dunkeln Berge unterhielten, einen eigenthümlichen Eindruck machte (fast wie Seeleute, die sich heimlich ducken, um einen Brander anzuzünden), einen Tourbillon ab, der wie eine herabfallende Fontaine gestaltet, schnurrend in die Höhe fuhr und einen Feuerregen in unzähligen blinkenden Tropfen niederrieseln ließ. Auch Feuerräder machten einen ähnlichen Effekt. Zwei Sonnen, die dicht hintereinander in Rotation kamen, ergänzten sich in ihren Strahlen, so daß sie in der Ferne den Eindruck einer einz'gen gewaltigen Sonne machten. Zuletzt brannte das Bouquet in einer für den kleinen Raum unglaublichen Menge von Schwärmern, Raketen, Leuchtkugeln und Donnerschlägen ab. Nun gab der Böller noch drei kräftige Schläge und die Herrlichkeit war unter einem unaufhörlichen Tuschblasen der Musikanten zu Ende.
Bravo! scholl es von allen Seiten und in der That hatten sich die Feuerwerker mit Ruhm bedeckt. Leidenfrost's mannichfache Talente hatten sich auch hier wieder glorreich bewährt. Die Fürstin dankte ihm und ersuchte ihn, ja dafür zu sorgen, daß seine Genossen noch blieben und sich von einer für sie bereit gehaltenen Collation nach so kühner Arbeit stärkten. Alle kehrten in den Saal zurück, wo sie mit Eis und einer großen silbernen Vase voll gefrornen Champagners, einer von Olga angegebenen Idee, empfangen wurden.
Siegbert, der hier und da fast wie der Wirth oder der Sohn vom Hause nach dem Rechten sah, hatte sich an dem Berge verspätet und besprach mit den Arbeitern das Abbrechen der Zurüstungen und den Transport des Böllers, den Danebrand wie ein Spielzeug auf die breiten Schultern hob und erklärte, ihn so nach der Willing'schen Maschinenfabrik zurücktragen zu wollen...
Wie ist es denn, Herr Wildungen, fragte Alberti bei dieser Gelegenheit, wann kommt denn der Franzos in unsern Verein?
Und Sie selbst und Ihr Herr Bruder... sagte Heusrück. Wollten Sie uns denn nicht einmal einen Abend schenken?
Schon längst, antwortete Siegbert, längst wären wir gekommen, wenn uns nicht mancherlei Sorgen in Anspruch genommen hätten. Auch gestehen wir Euch, Freunde, wir haben noch mit uns selbst in Zwiespalt gestanden...
Wir waren Ihnen nicht sauber genug... sagte Alberti...
Wo denkt Ihr hin! fiel Siegbert ein. Unser Herz schlägt nur für die Sache des Volks. Wir hatten immer ein Ohr, um hören zu können, was in Eurer Brust für Zeugnisse über den höheren Werth der Menschen und die Möglichkeit einer Fortbildung der arbeitenden Klassen leben. Denen sollten wir nicht trauen? Sollten feige sein und mit unserer Meinung zurückhalten?
Sie leben unter Fürsten und Fürstinnen... ließ Heusrück schüchtern fallen.
Und habt Euch doch heute überzeugen können, daß die Schranke zwischen denen und uns und Euch nicht mehr gar zu hoch ist! Nein, Freunde, der Grund, warum Louis Armand, Dankmar und ich zögerten, ist ein anderer. Wir bezweckten...
Ihr Kohlenbrenner, geht nun zum Teufel! unterbrach Leidenfrost in seiner polternden Art die Siegbert'sche Ergießung und zündete sich eine Cigarre an. Da habt Ihr Jeder noch eine Cigarre – auch Ihr, Danebrand – und nun examinirt uns nicht lange! Wir werden schon gackern und Euch rufen, wenn unsere Eier gelegt sind.
Die Arbeiter lachten, nahmen die Cigarren und zündeten sie an Leidenfrost's brennendem Glimmstengel an. Danebrand gebehrdete sich dabei ungeschickt genug. Sie wollten gehen...
Nein, nein, sagte Siegbert, die Fürstin läßt Niemanden von Euch jetzt fort, ehe nicht der Tisch, der in einem vorderen Entréezimmer gedeckt wurde, ganz geleert ist. Das sind unerläßliche Sachen, die von Olga so vorbereitet wurden und nun auch nach ihrem Willen ausgeführt werden müssen.
Sie meinen wol die Kleine mit den schwarzen gewundenen Flechten, im weißen Kleid...
Es ist die Tochter der Fürstin...
Die ist muthig, sagte Heusrück. Sie stand am nächsten, fast mitten unter den Schwärmern. Wenn sie nur nicht böse ist, ich habe sie etwas grob zurückgeschickt...
Da hat es gute Wege, sagte Siegbert. Am liebsten hätte sie wol selbst mit Hand angelegt. Aber, Freund, Ihr haltet den Böller mit einer Hand über den Schultern und raucht mit der andern die Cigarre?
Die Arbeiter lachten über Danebrand, der wirklich dies possierliche Bild eines so zu sagen die Weltkugel tragenden und zu gleicher Zeit rauchenden Atlas darstellte.
Stellt ihn herab! Ihr bleibt und leert erst den Tisch und die Flaschen!
Na! sagte Danebrand, stehen lassen wir den Böller hier nicht! Artillerie ist jetzt so verlockend wie Baumobst. Die kleine Pfefferbüchse könnte mir über den Zaun gestohlen werden.
Danebrand, sagte Leidenfrost, nehmt die Büchse mit zum Tisch und was Ihr nicht essen könnt, stopft in den Böller hinein und nehmt die wohlschmeckende Ladung für morgen mit in die Fabrik!
Topp!
Darauf gingen die Arbeiter ein und sagten, sie würden sogleich kommen.
Siegbert wandte sich nach vorn.
Wie er rasch dahin sprang und im Dunkel an einer Gruppe von Hängeweiden vorüber mußte, sah er an einer derselben Olga ganz allein an den Stamm gelehnt. Es war ein kleines Rund, fast abgeschlossen. Die Zweige der Weiden hingen so dicht und tief, daß sie fast um die Stämme herum eine Laube, einen Versteck bildeten. So halb eingehüllt stand Olga an einem Baume, lehnte den Kopf träumerisch auf den Arm und den Arm an den Stamm. Siegbert erkannte sie nur an dem weißen Kleide. Vorübereilen, sie in diesem ihn rührenden Bedürfniß nach Einsamkeit allein stehen lassen, vermochte er nicht. Er hielt seinen eilenden Schritt an, wandte sich zu dem still nachdenklichen Mädchen und sprach mit einem so weichen Tone, wie er nur von seinem gerührten Herzen und von seinen Lippen kommen konnte:
Olga!
Das träumende Mädchen hatte ihn nicht erwartet und hätte überrascht sein sollen. Sie war es aber nicht. Sie gab ihm die linke Hand hinüber, während der rechte Arm als Stütze des unverwandt ruhenden, vom Sternenlichte milderhellten Hauptes, am Stamme liegen blieb.
Olga! Es ist kalt! Gehen Sie nicht zur Gesellschaft? Man musicirt wieder.
In diesem Augenblick änderte das Mädchen ihre Stellung, wandte ihr Antlitz ab und Siegberten war es, als hörte er sie schluchzen.
Er ergriff ihre Hand.
Olga, was ist Ihnen? fragte er sanft.
Olga wandte sich und sah ihn mit großen, thränenerfüllten Augen an.
Sie erkälten sich in der Abendluft, Olga! Kommen Sie!
Olga schüttelte das Haupt und lehnte es wieder an den Stamm der Hängeweide.
War das Fest nicht nach Ihrem Wunsch? Es ging Alles so heiter, so wohlgeordnet! Warum sind Sie nicht zufrieden?
Siegbert hatte wieder ihre Hand ergriffen und war so von dem Abende angeregt, daß er Olga leise an seine Brust zog und ihr in's Auge sehen wollte, um ihr Muth zuzusprechen und Freude, Heiterkeit, Theilnahme.
Wie sie aber seinem Herzen so nahe sich fühlte, schlug Olga die Arme um ihn und legte sich so in die seinigen, daß er sie halten mußte, wenn sie nicht zur Erde gleiten sollte.
Unwillkürlich kam es Siegbert über die Lippen, in sanftem, zärtlichem Tone zu sagen:
Olga! Was thust du?
Liebst du mich? fragte Olga zu ihm aufblickend.
Olga! Olga! Laß uns gehen! rief Siegbert durchrieselt von Wonne und Schrecken...
Nein, ich mag keinen Menschen mehr in der Welt sehen, außer dir!
Man wird uns vermissen! Olga, komm!
Sie sollen mich in deinen Armen sehen. Laß mich! Laß mich!
Dabei hielt sie sich so fest an Siegbert's Halse, daß dieser, von innerster Empfindung durchbebt, kaum noch wußte, wie er sich ihrer und seiner wehren sollte. Er war zärtlich, er mußte es sein, er streichelte ihr Haar und drückte einen Kuß auf ihre Stirn, nur um sie zu beruhigen, sie abzulehnen, zur Besinnung zu führen. Aber kaum fühlte Olga die warmen Lippen des angebeteten Freundes auf ihrer kalten Stirn, als sie ihm mit erneuter Wonne in's Auge blickte und durch ihre Zärtlichkeit, durch ihr Verlangen nach einer Versicherung auch seiner Liebe ihn verlockte, auch ihre Lippen mit dem warmen, weichen Munde zu berühren.
Wie ihm Das so geschehen war, besann er sich und hielt mit plötzlich erwachender männlicher Kraft das liebekranke Mädchen von sich zurück.
Olga, rief er, was thun wir – sehen Sie die Mutter!
Er zeigte auf die Thür des Saales, die geöffnet war. Geblendet von dem Lichte eines Armleuchters, den sie in der Hand hielt, stand die Fürstin und suchte im Dunkeln Siegbert oder Olga, vielleicht Beide...
Olga, wie von einer bacchantischen Lust und einer jubelnden Schadenfreude ergriffen, lachte laut, schlang den Arm um Siegbert, zog ihn mit sich und behielt dabei seine rechte Hand, küßte sie und rief:
Du bist mein! Siegbert! Dich lieb' ich!
Siegbert, der sonst so Rücksichtsvolle, sonst sich so Beherrschende, hatte die Besinnung verloren. Er wollte widerstehen und konnte nicht. Er drückte Olga an sein Herz, schlang den Arm um ihren Nacken und hauchte bebend:
Meine Olga!
So standen sie, geschützt vom Dunkel, eine Weile. Dann riß sich Olga los und rannte zu dem hellen Hause hin, wie ein flatternder Nachtvogel.
Siegbert folgte langsam und sprach vor sich hin:
Verhieß dir Das damals die weiße Rose?