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Sechstes Capitel.

Eine ernste Nacht.

Als Siegbert Wildungen wieder bei der Gesellschaft war, sprach er zur eifersüchtig forschenden Fürstin Worte, die er nicht bedachte und erwiderte eine Anrede der Trompetta, ohne sie verstanden zu haben. Er aß von dem gefrornen Champagner, ohne zu wissen, was man ihm bot. Er bereute schmerzlich, was geschehen war; umsomehr, als er die Wirkung entdeckte, die diese Scene auf die wie umgewandelte Olga hervorbrachte. Olga trällerte, hüpfte, schlug das Piano zu einem Tanze an, sie sang ein kurzes, rasches Volkslied aus der Ukraine, ein Kriegslied der Tscherkessen, sie umschlang Anna von Harder und bestellte hundert Grüße an die Perlhühner und türkischen Enten, an die Tauben und die Mäuse sogar und Kaninchen, die zu Tempelheide zusammen in einem Käfig hausten. Ja, als die Gesellschaft aufbrach, als die Wagen vorfuhren, der Propst sich empfahl, die Pröpstin knixte, die Töchter für den übergenußreichen Abend dankten, als die Trompetta mit Umständlichkeit nach ihrem Shawl rief, die Flottwitz noch zerstreutgefesselt mit Dankmar plauderte, war sie bei Allem behend zugegen, half, schwatzte, lachte, sodaß die Mutter mit strengem Blicke ihr verbot, so ausgelassen die Honneurs zu machen und sie in den Schatten zu stellen suchte. Leidenfrost, der inzwischen auch noch, wie er's nannte, von dem »gefrorenen Zeuge« etwas gekostet hatte, erntete noch manchen Lobspruch. Dankmar schüttelte Rudhard's Hand und warf im Vorübergehen noch der Flottwitz die Worte hin: Also, wir zürnen uns doch? Die junge Freundin der Trompetta konnte aber im Augenblick gerade nicht antworten, denn die Trompetta dominirte jedesmal, wenn es die Benutzung ihres Bedienten und ihres Wagens, das Zusammensuchen ihrer Garderobe galt. Siegbert gab dem Propst die Versicherung, er würde sich seine gefälligen Vorschläge ernstlich überlegen und mit ihm darüber genauere Rücksprache nehmen. Als er Rudhard die Hand bot, war dieser etwas verstimmt oder wenigstens nachdenklich. Die Fürstin aber trat ihm einen Schritt näher und sagte mit klagendem Nachdruck und in langgezogenem Ton:

Sie gehen auch schon?

Gute Nacht! Gute Nacht! unterbrach Olga heiter und mit einer fast triumphirenden Sicherheit, gradezu die Frage der Mutter abschneidend.

Gute Nacht! Gute Nacht!

Was ist denn? Was soll Das? wandte sich die Mutter streng zu der Tochter.

Gute Nacht! Gute Nacht! rief Olga wieder und geleitete den Scheidenden hinaus, noch ehe er der Fürstin auf ihren Wunsch, daß er bliebe, Rede stehen konnte... Endlich waren Alle verschwunden. Die Wagen fuhren ab und an dem Gitter vorüber schritten Leidenfrost, Dankmar, Siegbert, hinter ihnen die drei Willing'schen Arbeiter. Danebrand trug den Böller hoch auf den Schultern... Olga begleitete die sich entfernenden und die Hüte ziehenden Freunde noch das Gitter entlang bis zu der kleinen Estrade, wo einst Rudhard den vorübergehenden Siegbert angehalten hatte. Eine Rose konnte sie dem Freunde nicht nachwerfen. Die Zeit der Rosen war im Garten vorüber; aber in ihrem Herzen war es ein ganzer Frühling, der ihm folgte. Da brachen alle Knospen auf! Da duftete es wie von einem Walde voller Blüten!

Als Olga zurückkam, fand sie die Mutter in der gereiztesten Stimmung.

Ist es schon an und für sich eine eigenthümliche Leere, die sich meist nach allen Festen, wo es ganz ohne Zwang und künstliche Anregung doch niemals abläuft, einzustellen pflegt, so war die Fürstin vollends unbefriedigt von sich, von den Andern, von Olga, von Rudhard, von Jedem. Daß Siegbert gehen konnte, sie allein zurücklassend in dem wüsten Gefühlschaos, der Folge solcher künstlichen Aufregungen, verletzte, ja erbitterte sie. Zuerst mußten die Kinder entfernt und zu Bett gebracht werden. Sie gingen übermüdet und von Allem, was ihnen als Vergnügen geboten war, eher erdrückt als gehoben. Olga's Geschäftigkeit, ihr Aufräumen, ihre Kritik der Personen und Gespräche erklärte die Fürstin für nervenangreifend. Rudhard sprach gar nichts, was ihr ebenso drückend erschien. Obgleich es erst acht Uhr schlug, wollte sie sich auf ihr Zimmer zurückziehen und früh zu Bett gehen. Sie gab Olga nicht undeutlich zu verstehen, daß es ihr lieber wäre, wenn sie allein bleiben könnte. Olga griff diese Gelegenheit, sich das eben Vergangene noch einmal zurückzurufen und noch einmal in seiner ganzen berauschenden Seligkeit durchzukosten, mit Freuden auf. Hatte sie doch nichts Heiligeres vor, als noch einmal in den Garten zu schlüpfen, noch einmal jene Stelle aufzusuchen, wo sie an Siegbert's Herzen ruhen, das Haupt auf seine Schulter lehnen durfte und den Kuß seines Mundes fühlte. An der Hängeweide hätte sie die ganze Nacht durchwachen mögen.

Adele Wäsämskoi, die Fürstin, ging auf ihr Zimmer. Es war bescheiden eingerichtet, wie die ganze Wohnung, die nirgends einen ursprünglichen Luxus und nirgends auch die Spur verrieth, Das aus eigenen Mitteln hinzuzufügen, was zum Comfort dieser gemietheten Einrichtung schon von vornherein fehlte. Adele warf sich auf ein Kanapé, das an einer dünnen Wand stand, die dies Zimmer von dem nebenan befindlichen Schlafkabinet der Fürstin trennte. Eine große Öffnung dieser Wand war mit einer Portière versehen, die eben aufstand. Verdrießlich ließ die Fürstin die Portière fallen, streckte sich ermüdet auf das Kanapé und ergriff, indem sie eine ihr nachgetragene Lampe sich näher rückte, eins von den Büchern, die neben ihr auf dem Tische lagen. Es waren dies Bücher, die Rudhard zu wählen pflegte. Seit Jahren hatte sie Das gelesen, was er empfahl; größtentheils Reisebeschreibungen, leichte geschichtliche Werke, populaire Denkübungen, Schriften, die der Phantasie keinen Schwung gaben. Sie hatte Goethe's Wilhelm Meister heute nennen hören. Sie kannte dies Buch gar nicht. Sie besaß es in der kleinen Bibliothek, die zu der Einrichtung des gemietheten Hauses gehörte. Es standen da Goethe's sämmtliche Werke in einer kleinen unschönen Ausgabe in einem Glasschranke des Zimmers, den sie noch nicht einmal geöffnet hatte. Sie that dies heute zum ersten male und suchte von Goethe's Werken den Theil heraus, der Wilhelm Meister's Lehrjahre enthielt. Sie wollte sie kennen lernen. Es quälte, es drückte sie, daß sie in so vielen Dingen nicht au niveau eines gebildeten Gespräches stand und durch ihre gesellschaftliche Würde, durch das Vorschützen der Mutterpflichten die Lücken verdecken mußte, die sie in sich selber fühlte. Sie begann die Blätter des ungelesenen Buches, die noch zusammenklebten, aufzuschlagen und durchflog sie.

Aber auch zum Lesen gehört Virtuosität. Adele besaß nichts davon. Ein Schriftsteller mußte sie sogleich auf der ersten Seite ergreifen, anders konnte sie ihm nicht folgen. Erst ihn gewähren lassen, erst lauschen, wohin er uns wol führen würde, Das ermüdete sogleich ihre Spannung, und die Erzählungen über Puppenspiele, mit denen jenes so situationsreiche Werk beginnt, widerstanden ihr sogleich. Sie nannte sie, wie einst Lasally auf Hohenberg, kindisch. Sie besaß nichts von jener Naivetät, die das Kennzeichen des Genies oder der Bildung ist.

Sie hatte das Buch aufgeschlagen auf den Tisch gelegt, als es klopfte. Sie gab keine Antwort; denn sie glaubte, einer der Bedienten käme und brächte vielleicht Briefe oder Zeitungen. Ein flüchtiger Blick auf Egon's so viel gerühmte Rede würde ihrem gedrückten Geiste etwas Spannung geben, hoffte sie. Aber es klopfte wieder. Sie rief: Wer ist da? Und Rudhard war es, der draußen fragte, ob er eintreten dürfe?

Kommen Sie doch! Was gibt es denn? sagte sie, erschrocken, daß ihrer vielleicht etwas Unangenehmes harrte.

Rudhard trat mit einer gewissen Feierlichkeit ein, mit Papieren in der Hand.

Meine liebe Adele, sagte er mit so viel Milde, als ihm zu Gebote stand. Ich muß Sie noch heute Abend stören. Ich habe mit Ihnen zu sprechen.

Was ist? Worüber? Nur nichts, was mich aufregt! Bis morgen!

Nein, nein, sagte Rudhard und nahm sich ohne Weiteres einen Stuhl, am Abend faßt man Entschlüsse, beschläft sie des Nachts, prüft sie morgens und führt sie den Tag über aus.

Was haben Sie denn? Wegen der Kinder?

Ich möchte Ihnen, meine gute Adele, sagte Rudhard ruhig und gemessen, ich möchte Ihnen vorschlagen, daß wir den längeren Aufenthalt in dieser Stadt abbrechen und uns, ehe noch der Winter da ist, beeilen, nach einer südlichen Stadt zu ziehen.

Adele sah ihren alten Erzieher erstaunt an.

Wie kommen Sie darauf? fragte sie.

Ich stand früher mit Frau von Osteggen, mit dem Fürsten Wäsämskoi und seiner Gemahlin so, daß, wenn ich irgend einen Gedanken zum Heile der Familie mit einer gewissen innern Überzeugung von seiner Nothwendigkeit aussprach, dieser nicht erst lange geprüft, sondern wirklich ausgeführt wurde. Lassen Sie uns reisen, Fürstin! Morgen lieber als jeden andern Tag! Ich bitte Sie darum.

Adele richtete sich von ihrer liegenden Stellung auf und gab dem väterlichen Freunde ihr Erstaunen zu erkennen, was ihn zu diesem Entschluß veranlassen könnte.

Bekommt Ihnen das Klima nicht? Bekommt es mir, den Kindern nicht? sagte sie.

Und als Rudhard schwieg, fuhr sie fort:

Sind die Unterrichtsanstalten nicht vorzüglich? Hab' ich nicht guten Umgang? Oder soll ich der Möglichkeit ausweichen, mit Helenen in Berührung zu kommen?

Als Rudhard alle diese Fragen verneinte, sagte Adele, sich wieder legend:

Dann bleib' ich auch da und reise nicht mehr.

Rudhard nahm darauf eins von den Papieren, die er in der Hand hielt, und überreichte es, ohne ein Wort zu sprechen, der erstaunten Fürstin.

Diese las in französischer Sprache:

»Mein Herr, es ist unverantwortlich, wie Sie der öffentlichen Meinung die Blöße geben und durch Ihre Beziehung zu Herrn Wildungen die Moralität der Ihrer Obhut anvertrauten Familie verdächtigen können. Es ist das Gespräch aller Cirkel, daß in Ihrem Hause Mutter und Tochter in der Leidenschaft für jene genannte Persönlichkeit wetteifern. Erkennen Sie hierin die Warnung eines Freundes!«

Wer hat Das geschrieben? fragte Adele und erhob sich mit leidenschaftlicher Gebehrde.

Eine Person, sagte Rudhard in aller Ruhe, seine Aufregung unterdrückend, eine Person, die in der Lage ist, ihre erbärmliche Insinuation durch Motive zu heiligen, die leider auf unwiderruflichen Thatsachen beruhen.

Wie? rief Adele mit dem Ausbruche des ganzen Zornes, dessen phlegmatische Naturen in äußersten Fällen fähig sind. Wie? auf diese jämmerliche Anonymität hin wollen Sie mich aus meinem Frieden, meiner Ruhe stören? Erkennen Sie nicht die Bosheit Helenen's aus diesen Zeilen? Von wem können sie anders kommen?

Mein gutes Kind, sagte Rudhard, der die alten eingeräumten Rechte seiner Vormundschaft nicht aufgab; mein gutes Kind, es ist eine Eigenheit des menschlichen Charakters, daß wir Alles, was uns zu thun oder zu lassen unangenehm ist, dadurch in seiner mahnenden Nothwendigkeit herabstimmen wollen, daß wir die Motive Derer, die uns zum Guten auffordern, verdächtigen. Lassen Sie, liebe Adele, die Worte kommen, von wem sie wollen. Lassen Sie einen Teufel oder einen Engel diesen Brief geschrieben haben, er soll uns mahnen an die Wahrheit. Die Wahrheit ist darum nicht verschleiert, wenn es hier auch ihr Verkündiger ist. Handeln wir nun so, daß wir uns selbst überwinden und eine besonnene, uns ehrende Entschließung fassen.

Wahrheit, sagen Sie? rief Adele. Warum sagen Sie mir Dinge, Rudhard, die mich empören müssen? Wahrheit wäre dieses abscheuliche Wort von der Mutter und Tochter? Wie könnte Olga wagen –

Olga?

Auf keine andere Thatsache werd' ich Rede stehen. Wird Wildungen von Olga geliebt? Haben Sie dafür Beweise?

Ich rede von Olga nicht....

Nicht von Olga? Sie könnten kommen, nur mich zu quälen? Sie könnten sagen, wir müssen reisen, und denken nicht an die Gefahren, denen höchstens meine Kinder ausgesetzt sind?

Rudhard schwieg. Das war eine so kühne Parade der gereizten jungen Frau, daß ihm seine Waffe fast aus der Hand flog und er anfangs nichts erwidern konnte, als ein kopfschüttelndes:

Hm! hm! hm!

Machen Sie Vorschläge, Olga in ein Institut, in eine Pension zu geben! sagte Adele, ohne ihre gewaltigen, fast hörbaren Herzschläge bekämpfen zu können.

Rudhard stand auf. Sein ganzer innerer Mensch war ergriffen, erschüttert. Er sah eine Mutter, so beherrscht von Leidenschaft, daß sie ihr eigenes Kind aus Eifersucht von sich entfernen wollte. Heftig schritt er auf das Fenster zu, als fürchtete er, daß es offen stünde. Er lüftete die Portière und sagte:

Adele, hier die Eingangsthür Ihres Schlafkabinets ist wol nicht verschlossen?

Es ist Alles verschlossen, lassen Sie, lassen Sie! antwortete Adele ungeduldig.

Wenn man uns hörte, belauschte, wenn Olga –

Welche Schonung? fuhr Adele mit gesteigerter Ungeduld fort. Ich werd' es ihr in's Gesicht sagen, daß sie die schlechteste französische Aussprache von der Welt hat, daß man englisch lernen muß, daß es in Brüssel Institute gibt, in denen die Töchter eines Reichskanzlers noch Fortschritte machen können...

Adele! Adele! rief Rudhard und hielt ihr den andern Brief entgegen. Olga ist sechszehn Jahre, reif für das Leben, reif für jede Zukunft, die Frauen nur erwarten können, und hier ist ein Brief des Barons Otto von Dystra! Verheirathen Sie Ihr Kind, aber verpflanzen Sie einen Baum nicht mehr unter die kleinen Gesträuche.

Adele nahm den Brief jenes Otto von Dystra, den Rudhard erwähnt hatte, und durchflog ihn. Wenn Rudhard nicht in unruhigster Bewegung auf- und abgeschritten wäre, hätte er ein Geräusch hinter dem Vorhange hören müssen. Es war Olga, die in einem Drange, den sie früher nie gekannt hatte, heute, wo ihr das unaussprechlichste Glück vom Himmel gespendet war, nicht ohne einen Nachtgruß von der Mutter scheiden wollte. Sie wußte selbst nicht, war es Neckerei, Übermuth oder Großmuth, was sie trieb, an das auf den Corridor gehende Pförtchen des Schlafkabinets zu klopfen. Sie hatte den Drücker erfaßt und die Thür offen gefunden. Da sie Gespräch hörte, wollte sie sich zurückziehen. Wie sie aber ihren Namen nennen hörte, den ihr oft genannten und von Odessa her noch in ihr Ohr tönenden Namen Otto von Dystra vernahm, hielt sie den Athem an und blieb stehen. Da es, während die Mutter den Brief las, wieder ruhig wurde, wäre sie fast durch den Vorhang geradezu eingetreten. Nur Rudhard's heftiges Auf- und Abgehen sagte ihr, daß sie doch wol stören würde.

Die Mutter begann jetzt:

Nun gut! Nun gut! So ist es ja in der Ordnung! Der Plan ist ja alt und hat immer meine vollste Billigung gehabt. Der Fürst hatte nur unser Bestes im Auge. Die merkwürdigsten Umstände vereinigten sich, Olga's Hand einst für den Baron von Dystra zu bestimmen. Er wird von Amerika kommen. Sie ist entwickelt genug, um sich ihm zu verloben. Ich war wenig älter, als ich dem Fürsten nach Odessa folgte.

Rudhard blieb stehen. Olga lauschte mit Herzschlägen, die ihr eigenes Ohr vernahm.

Finden Sie diese Partie so unangenehm? fragte Adele, als Rudhard unentschlossen blieb.

Otto von Dystra ist ein merkwürdiger seltener Mensch, aber den Funfzigen nahe; verwachsen, ein Sonderling... sagte Rudhard.

Sie kennen ihn nicht persönlich, antwortete die Mutter. Es ist der Mann der ewigen Jugend. Reich, ein Jugendfreund des Fürsten, treu, ausharrend, edel. Die Verbindung mit unserer Familie war ein Lieblingswunsch meines Mannes. Wäsämskoi starb beruhigt, als in seinen letzten Augenblicken ein Brief aus Washington kam und ihm Dystra schrieb: Freund, meine Fahrten zur See und zu Lande sind zu Ende, ich lege meine Stelle als Botschafter des Kaisers bei den Vereinigten Staaten nieder, ich komme nach Europa und biete den Deinen an, was ich besitze. Ist deine Schwester oder irgend eine alte Tante oder sonst wer geneigt, einen Philosophen zu heirathen, so hoff' ich, die trüben Bilder, die du von der Zukunft hast, zu verscheuchen und durch meinen Tod einmal den Deinigen geben zu können, was, wenn ich unvermählt sterbe, leider meiner Familie gehört.

Eine Vernunft-, eine Geldheirath! fuhr Rudhard, da Adele stockte, mit fester Stimme fort. Sie wissen, in dem Falle, daß wir vor den Thorheiten der d'Azimont geschützt bleiben, in dem Falle, daß Ihre Kinder einst die Erben Ihrer Tante werden, daß sich die zerrütteten Vermögensverhältnisse des Hauses Wäsämskoi auch ohne eine Verbindung mit dem Baron Dystra wiederherstellen können.

Sie glauben, daß Helene von dem Prinzen Egon lassen, durch eine Scheidung von d'Azimont, die schon im Werke sein soll, uns die Hoffnung auf ihre Reichthümer nicht nehmen wird? Ha! Ha!

Ich zweifle sehr daran, sagte Rudhard fest, ich zweifle, daß Egon, der sich täglich mehr wiederfindet, täglich sein Inneres kräftiger entwickelt und einen Wall reinster Sittlichkeit gegen die alten Thorheiten aufrichtet, sich jemals zu solchen excentrischen Schritten, wie eine Heirath zwischen ihm und Helene sein würde, herbeiläßt...

In diesem Falle hätten wir Aussichten... Gut! Aber sie reichen weit hinaus!

So weit, Adele, wie der Fürst selbst sah. Ihre und die Jugend-Existenz Ihrer Kinder ist gesichert. Sie werden niemals glänzend leben können, das ist wahr. Sie haben es aber nicht nöthig, da Sie nicht glänzend erzogen wurden. Was Sie zur Unterhaltung Ihrer Würde, zur Ehre Ihres Standes bedürfen, das besitzen Sie. Der Fürst wollte nur die entferntere Zukunft seines Hauses, seinen Namen, das spätere Loos seiner Kinder gesichert sehen. Er war nie reich. Die Familie verarmte vollends und fühlte nur zu tief, wie mislich es ist, von den Launen des Kaisers abzuhängen und von den Wechselfällen des Geschickes. Er wollte in jenem alten russischen Bojaren-Stolze der Selbstständigkeit seiner Familie eine Stütze geben und hoffte auf zwei Möglichkeiten, entweder die Erbschaft von der reichen Gräfin d'Azimont oder die Verheirathung seiner Kinder. Baron Otto von Dystra ist sein Freund gewesen. Ein unruhiger Charakter, der zweimal die Welt umschiffte und von der Regierung zu ihren großen überseeischen Missionen benutzt wurde. Es ist wahr, er soll Schätze besitzen, die er längst schon dem Fürsten zur Verfügung stellte. Der Fürst schlug sie für sich aus, nahm aber die mir immer nur frivol erscheinenden Anerbietungen des Barons, sein unruhiges wechselvolles Leben mit einem Mitgliede seiner Familie und wär's mit Olga oder Paulowna beschließen zu dürfen, erst eben so scherzend, eben so frivol entgegen, bis aus ihnen ernstlichere Versicherungen entstanden und Baron Otto von Dystra jetzt in der That unterwegs ist, sein leichtsinnig verpfändetes Wort zu lösen. Dieser Brief, den ich heute aus London empfing, kündigt seine Ankunft so plötzlich an, daß wir ihn binnen drei Tagen erwarten dürfen.

Olga fühlte etwas wie einen kalten Griff in ihr Herz.

Die Mutter blieb bei der Vortrefflichkeit dieses Arrangements stehen, lobte die weise Sorgfalt des Fürsten, pries die Umstände Dystra's, nannte ihn, trotz seiner barocken Gestalt, einen Philosophen, ohne angeben zu können, worin seine Philosophie bestände, behauptete, daß der Fürst nur Ehrenmänner zu Freunden gehabt haben könne und schloß damit, daß auf diese Art Olga's Zukunft ja vortrefflich bestimmt wäre und es keiner Böswilligkeit ferner einfallen könne, sich in die innern Angelegenheiten ihres Hauses zu mischen.

Und Alles, Alles Das, Adele, weil... rief Rudhard, seinen Zorn unterbrechend.

Sein Gefühl, die Rücksicht übermannte ihn.

Weil? fragte die Fürstin mit einer Sicherheit, die ihm verrieth, daß ihr Charakter jetzt erst, in ihrem vierunddreißigsten Jahre, in seine Entwickelung getreten war.

Weil Sie selbst es sind, brach Rudhard hervor, Sie selbst, die Wildungen lieben und in Olga die glücklichere Nebenbuhlerin fürchten!

Rudhard glaubte in der Fürstin eine gewaltige Bewegung hervorgerufen, irgend den Ausbruch eines gewaltigen Zornes, eines längst gegen seine Bevormundung verhaltenen stillen Ingrimmes geweckt zu haben. Nichts von alledem. Die Fürstin rümpfte die Nase und sprach mit einer wegwerfenden Miene:

Wie zart und rücksichtsvoll Sie sind!

Sag' ich etwa die Unwahrheit? fuhr Rudhard, durch diese Antwort sich steigernd fort. Muß ich mir nicht die bittersten Vorwürfe machen, daß ich in blindem Vertrauen auf Ihre Selbstbeherrschung einen Freund der Kinder, einen theilnehmenden gebildeten jungen Mann in dies Haus einführte, der, ohne selbst die geringste Veranlassung zu geben, in die jungen Gefühle eines Kindes den ersten Funken wirft und auch in der Asche eines Mutterherzens noch die letzten Funken zur Flamme entzündet.

Diese Worte entrüsteten die Fürstin.

Es ist genug! rief sie sich erhebend. Es ist genug, Rudhard. Ich habe das Joch Ihrer Weisheit so lange getragen, daß ich selber dumm darüber wurde! Ich habe Sie denken lassen und gethan, Jahre lang gethan, was Sie mir als gut und recht zu thun anempfahlen. Aber ich fühle, daß ich gegen Andere zurückgeblieben bin, daß ich verkürzt wurde um meine Freiheit, um mein wahres Lebensglück. Diese Zeit ist aus. Von der Botmäßigkeit, in der ich unter Ihnen stand, jetzt in eine Sklaverei kommen zu sollen, bei der ich unter meiner eigenen Tochter stehen würde, Das ist zu viel, Das vermag ich nicht zu ertragen.

Ich würde gehen, sagte Rudhard, wenn ich dem Fürsten nicht geschworen hätte, über die Kinder zu wachen, bis mein Auge bricht.

Quält Ihr mich, rief Adele, foltert Ihr mich, so wähl' ich den äußersten Fall –

Fürstin!

So bleiben Sie und ich gehe!

Die Mutter von ihren Kindern?... Adele!

Rudhard's Stimme zitterte. Er mußte einen Sitz suchen, um sich aufrecht zu erhalten.

Adele aber fuhr fort:

Versteh' ich denn jetzt, was meine Schwester bestimmen konnte, entehrende Fesseln zu brechen? Fass' ich's denn jetzt, was es heißt, das Leben hingehen lassen, ohne seine Blüten zu brechen, ohne seine Früchte zu genießen? Du kalter Mann, du schiltst das Herz, daß es liebt? Hab' ich denn je geliebt? Hab' ich denn je die Wonne empfunden, in eines Mannes Ferne vom Schauer der Sehnsucht, in seiner Nähe vom Schauer der zärtlichsten Freundschaft ergriffen zu werden? Ich habe den Fürsten geheirathet, weil es so beschlossen wurde. Ich achtete ihn, ich verehrte ihn. Ich war die treue Pflegerin seiner gemessenen Lebensjahre. Mein Leben verstrich wie der Traum einer verpuppten Raupe. Ich ahnte eine schöne Welt, ich fand sie in den mütterlichen Pflichten. Ich habe mich nie gesträubt sie zu vollziehen. Ich lebte ihnen bis diese Stunde. Aber wenn sich ein Kind in das eigene Herz der Mutter krallt, wenn es über uns hinweghüpfen, über uns hinwegtändeln, über uns hinweglachen, lieben will und die Jugend wie ein trotziges Vorrecht übt, dann komm' ich mir vor wie ein Mensch, den man lebendig begraben will, und ich schüttle mich, ich springe auf, ich lasse mich nicht in die Erde werfen, ich sage: Ich liebe! Ich liebe Siegbert Wildungen und das Schicksal ist gütig, Gott ist liebevoll wie unser Herz, ich weiß es, ich werde durch ihn nicht unglücklich sein.

Hier unterbrach ein gellendes Lachen die Worte der Fürstin.

Rudhard wandte sich und sah hinter dem halbgeöffneten Vorhange Olga stehen, wie wahnsinnig, mit geisterhaftem Blicke.

Du hier? Was willst du? herrschte die Mutter zornentbrannt.

Mutter! rief das Mädchen halb ohnmächtig mit schmelzendem Ausdruck und wollte sich in die Arme der Fürstin werfen.

Hinweg! schrie diese im höchsten Ausbruch ihres Schreckens und ihres Zornes.

Olga, so zurückgewiesen, blieb stehen, sah die Mutter mit zitternden Lippen, funkelnden Augen lange wie eine Irrsinnige an, dann lachte sie plötzlich, klatschte in die Hände und rief: Gute Nacht! Gute Nacht! lachte wieder und stürzte mit dem convulsivischen Ausbruch ihrer Gefühle schluchzend, aber auch triumphirend hinter dem Vorhange davon.

Die Fürstin folgte ihr, sah, daß das Cabinet auf den Corridor hin nicht verschlossen gewesen war und warf sich halb ohnmächtig und erschöpft auf ihr Kanapé.

Rudhard nahm die Briefe und kämpfte einen Augenblick mit sich, ob er dem Starrkrampf, in den die Fürstin gefallen schien, eine mildere Lösung geben sollte. Er war aber zu entrüstet, zu streng dazu. Auch überwältigte ihn die Trauer, daß alle Erziehung, alle Lehre nicht ausreicht, in gewissen äußersten Krisen des Lebens die Eingebungen des Naturells zu unterdrücken. Er sagte nichts, als ein einfaches:

Sammeln Sie sich, Adele! Prüfen Sie ernst, was Sie bewegt. Tödten Sie Ihr Kind nicht! Es gibt einen moralischen Tod, den ich bei Olga mehr fürchte, als den physischen. Ich finde Sie morgen anders als ich Sie jetzt verlasse. Das weiß ich, Das hoff' ich.

Damit ging Rudhard und überlegte, als er die Treppe zu seinem Zimmer hinaufstieg, ernstlich, was nun zu thun sei. Als der Sensenmann an seiner Uhr zehnmal anschlug, stand es ihm nach längerer Prüfung fest, daß hier nur Siegbert Wildungen selber helfen konnte. Er war überzeugt, daß es nur einer kurzen Aufforderung bedürfen würde, um diesen edlen jungen Mann zu bewegen, sich auf einige Zeit nicht nur von diesem Hause, sondern auch aus der Stadt und ihrem nächsten Umkreise ganz zu entfernen.

Adele aber überlegte, wie viel von Dem, was Olga möglicherweise belauscht hatte, hinreichen würde, ihre Wünsche zu erleichtern oder zu erschweren. Goethe's Wilhelm Meister nahm sie nicht wieder vor. Sie sah durch ihr Fenster hinüber in die dunklen Gärten. Im Hause der Geheimräthin von Harder war es hell und belebt. Sie mochte nicht länger hinsehen; es war ihr Alles peinlich, Alles zu eng, um sich zu klein! Erst in den heftigen Vorwürfen, mit denen sie ihr Kammermädchen wegen der nicht geschlossenen Thür überschüttete, fand sie sich zurecht und warf sich erschöpft, in verdrießlichster Misstimmung von der Welt, schmerzzerrissen, auf ihr einsames Lager.

Diese Nacht, einer uns werthen Familie so ernst und bedeutsam, sollte auch dem Kreise der Freunde, deren Schicksalen wir folgen, mit verhängnißvollen Sternen aufgehen.

Versetzen wir uns in das innerste Gewühl der großen Stadt, an die Stelle ihrer reichsten historischen Erinnerungen. Da, wo die alte Johanniskirche und die Propstei, wo die Dreieinigkeitskapelle und die von Schlurck bewohnte Johanniterkomthurei und das Rathhaus liegen, befindet sich auch der sogenannte Rathskeller, einer der beliebtesten Besuchsörter, ein von der gewähltesten Gesellschaft gepflegtes, alterthümliches Local. Dicht an dem Rathhause selbst gelegen, waren seine oberen Räumlichkeiten zur Aufbewahrung der im Laufe der Zeiten flutartig emporgewachsenen Registraturen und Akten bestimmt und standen durch einen Hof mit dem ehrwürdigen alten Rathhause selbst in nächster Verbindung. Das untere Geschoß hatte seit den ältesten Tagen der Rathskellermeister in Besitz. Es waren dies große, feuerfeste Gewölbe, zu denen man durch eine niederwärts gehende Treppe von der Straße herabstieg und die nach jenem Verbindungshofe mit dem Rathhause wieder ihren Ausgang hatten. Der Rathskeller war immer nur den tüchtigsten und empfohlensten Küfern anvertraut worden. Es war eine Pachtung, die man vom Rathe nicht meistbietend, sondern nach einer Prüfung erstand. Die gewaltigen Vorräthe aus alter Zeit, die man mehr der Curiosität als der Nutznießung wegen gesammelt hatte, standen unter der Pflege dieses Rathskellermeisters, während der übrige Theil seines Geschäftes auf eigene Rechnung ging.

Der gegenwärtige Rathskeller war eins der beliebtesten Stelldicheins der Stadt geworden. Man fand nicht nur an den vorzüglich gehaltenen Weinen seinen Gefallen, sondern auch an der außerordentlich gemüthlichen Einrichtung dieser vielen kleinen Souterrains. Wenn man von der Straße etwa acht Stufen niedergestiegen war, betrat man einen langen Gang, der auch den ganzen Tag schon durch Gaslicht erleuchtet und an den Wänden nicht ohne Geschmack in Fresko bemalt war. Links und rechts gingen schwere eichene, größtentheils neue Thüren zu kleinen, fensterlosen, grünangestrichenen Cabineten, die alle von einer Gasflamme erhellt waren. Diese durch dicke Grundmauern getrennten Cabinete waren groß und klein, je nachdem man möglichst allein oder in größerer Gesellschaft sein wollte. Klingeln führten auf den Gang hinaus und setzten jeden noch so isolirten Besucher mit den Kellnern, die im Schurzfelle als Küfer auftraten, in Verbindung. Mit der Kellerei war eine sehr gut unterhaltene Speisewirthschaft verbunden.

Dieser Rathskeller war eins der ältesten Gebäude der Stadt. Man setzte es auf die Zeiten des vierzehnten Jahrhunderts zurück und mancher Alterthümler betrachtete voll Theilnahme seinen Giebel oder ließ sich den innern Bau zeigen, der verfallen war, unwegsam durch die hier aufgeschichteten Papiervorräthe, alten Schränke, Pulte, Stühle, aber durch seine Bauart und die Behandlung des Balkengefuges noch mannichfaches Interesse bot. Ursprünglich gehörte dies Haus denselben Templern, die in Tempelheide einen Hof hielten. Es war das Profeßhaus des Ordens gewesen, der in Deutschland sich länger erhielt als irgendwo und, wie wir wissen, auf Befehl des Papstes in den St.-Johanniterorden, ohne weitere Anfechtungen zu bestehen, überging. Bis zur Reformation gehörte dies Profeßhaus den Johannitern, und nach ihr, als diese norddeutschen geistlichen Ritter protestantisch wurden, rechnete man es gleichfalls zu jenen Besitzungen, die bei der Theilung der unglaublich ausgedehnten Güter des Ordens dem Ritter Hugo von Wildungen überwiesen wurden. Noch jetzt sah man das alte dreiblätterige Kleeblatt an den vier Enden des Kreuzes am höchsten Giebel des Rathskellers und fand es auch sonst auf sinnige Weise hier und da so zu architektonischer Verzierung benutzt, daß der kreuzliebende Don Eusebio in Calderon's Andacht zum Kreuze darüber seine freudigsten Schauer würde empfunden haben.

Es war nach sieben Uhr und schon dunkel, als in dem Verbindungshofe des Rathhauses und des Rathskellergebäudes zwei Männer standen, die einen Dritten zu erwarten schienen. Der Eine war eine hohe stattliche Gestalt mit dickem Backenbart und einem tief über die Stirn gedrückten Hute. Der Andere klein und schmächtig und wie von Hektik gebeugt, kurzathmend und klapperdürr.

Zum Henker mit Ihrer Schwerhörigkeit, sagte der Starke und Stattliche zu dem Schmächtigen, der ihn schon einige Dutzendmale mit seinem Wie? Wie sagten Sie? geplagt hatte.

Und sich dicht an das Ohr des Fragenden lehnend, rief er hinein:

Haben Sie ihm punkt Sieben gesagt?

Punkt Sieben, Herr Oberkommissair!

Der Oberkommissair Pax zog seine Uhr und ließ sie repetiren. Es war sieben Uhr. Der Erwartete kam noch immer nicht. Ungeduldig ging der Harrende auf und ab. Hier lagen alte Balken, da standen Tonnen, die zur Kellerei gehörten. In mancher Ecke hing noch eine eiserne Kette oder ein Ring, der früher zu den in den Rathhaushöfen üblichen Executionen benutzt wurde. Der Oberkommissair spielte ungeduldig mit einem dieser Ringe und sah zu den Fenstern des Rathhauses hinauf, die nach dieser Seite hin vergittert waren. Ein menschliches Wesen ließ sich sonst nicht blicken. Abgelegen und still lag dieser Hof, nur zugänglich den Leuten des Rathskellermeisters und den Subalternen des Rathhauses, wenn sie in den Fall kamen, aus den Verschlägen des alten Profeßhauses Akten oder zu feierlichen großen Sitzungen Stühle und Tische holen zu müssen. Eine andere Thür zu dem alten Gebäude als die, zu der man auf einer halben Leiter hinaufstieg, war nicht sichtbar. Ohne Zweifel hatte hier früher eine größere Steintreppe gestanden, war baufällig geworden, abgerissen und nun durch eine hölzerne Nothtreppe ersetzt, die in der That mehr den Namen einer Leiter verdiente.

Kommen Sie, Schmelzing, rief der Oberkommissair, wir bleiben einstweilen beim Rathsdiener Spieß oder wir schließen auf und gehen immer hinein.

Der zu einem Rathe in diesem Falle Aufgeforderte war in der That der ehemalige Schreiber Schmelzing, der schon lange in mancherlei Relationen zur Polizei gestanden hatte, seitdem aber Hackert's Talente von Pax erkannt und für die öffentliche Sicherheit gewonnen waren, sich gleichfalls dem Oberkommissair offener zur freien Verfügung gestellt hatte. Er war mannichfach zu verwenden. Schrieb er auch nicht so kunstvoll wie Hackert, der in der Kalligraphie ein Künstler war, so war seine Feder doch rascher, sein Auge geübter im Enträthseln schwieriger Handschriften und seine Kenntniß des Kanzleistyles zuverlässiger als bei Hackert, dem oft einfiel, seine eigenen Wege zu gehen und in die von dem Oberkommissair verlangten Berichte seine eigenen Ideen einfließen zu lassen. Die heutige Expedition war eine von denen, denen Schmelzing sich gern unterzog, da sie besonders gut bezahlt wurden und ohne ein besonderes Vertrauen der Behörde nicht gut ausgeführt werden konnten. Leider störte ihn seine Harthörigkeit, die wir schon von Nr. 87 her in der Brandgasse Nr. 9 kennen und auch jetzt gab er keine andere Antwort, als daß er äußerte:

Frau Rathsdienerin Spieß? Eine schöne Frau!

Ungeduldig hatte der Oberkommissair mit einem großen Schlüssel, den er aus der Brusttasche zog, sich an die Treppe begeben und auf ihr die Thür des alten Profeßhauses aufgeschlossen und Schmelzing aufgefordert, nach ihm einzutreten, als man eilende Fußtritte hörte. Pax hielt die Thür noch zu und sah sich um. Es war der Erwartete.

Sie kommen so spät, Hackert! Haben Sie's nicht finden können?

Da bin ich jetzt, sagte Hackert. Was soll's nun?... Die Fässer hier kenn' ich... auch die Ratten, die sich hier im Hofe jagen, sind alte Freunde...

Finden Sie sich hier zurecht? fragte Pax voll Antheil für seinen Schützling, der in gewählter Kleidung, leicht, heiter und sorglos schien.

Wenn Schlurck oben auf dem Amt zu thun hatte, sagte Hackert, sprang' ich kleiner Bursch' hier auf dem Hof herum, zupfte das Gras aus und band alte Stricke an die Halseisen und kugelte die Tonnen herum, bis die Rathsdiener kamen und mir Ruhe geboten. Hier hab' ich leider zu früh Wein trinken lernen. Als zehnjähriger Junge hab' ich da in der Ecke oft betäubt gelegen und schlief meine ersten Räuschchen aus, die freilich mehr vom Dunst in den Kellern kamen, als...

Sie waren von jeher ein Taugenichts, unterbrach Pax lachend. Machen Sie sich nicht besser wie Sie sind!

Hackert schüttelte den Kopf.

O ich saß hier oft ganz allein im Hofe, fuhr er, sich umsehend, fort, und freute mich über die Schwalben, die da oben in den alten rothbraunen Fenstern nisteten. Sehen Sie nur da, Fratzen von Füchsen, Wölfen, Kranichen, die die alten Steinmetzen hinein gehauen haben. Die schienen mir alle lebendig zu werden, auch ohne Rausch. Da kam denn manchmal der alte Rathskellermeister heraus und kannte mich als Schlurck's Pflegesohn und Schreiberjungen. Da hieß es denn: Fritz komm! Willst einmal Wein kosten? Ich schmunzelte blos und sagte gar nichts. Aber der Alte ging und kam mit einem grünen Römer angewackelt voll vom ältesten Niersteiner. Ich hatte bei Schlurck's früh Wein getrunken, aber der Niersteiner aus dem Rathskeller brachte mich gleich fertig. Dem Alten quollen die Augen über vor Lachen, wenn er sah, daß ich das Glas hinuntergoß und gleich darauf Augen machte wie ein angestochenes Kalb. Er wollte, ich sollte nun gleich tanzen und ich tanzte auch, und wurde so verwirrt, daß ich umfiel. Da lachte er aus Leibeskräften und ging in den Keller zurück. Noch ist's mir, als hört' ich das alte Schurzfell rascheln, wenn er so klatsch! klatsch! klatsch! wieder in die Verließe hinunter stieg. Er ist nun todt. Seitdem bin ich nicht wieder da gewesen. Und was soll's nun hier?

Die drei Diener der öffentlichen Sicherheit waren während dieser Unterhaltungen in dem innern Raum des alten Profeßhauses angekommen. Aufgeschreckte Ratten huschten an ihnen im Dunkeln vorüber. Pax zog eine kleine Handleuchte aus der Tasche, zündete sie durch ein Streichhölzchen an, das er behutsam auslöschte und der vielen Papiere wegen, die hier schon herum lagen, nicht etwa hinter sich fortwarf.

Schmelzing war hier bereits bekannt. Hackert kam zum ersten male.

Das sieht da aus! rief er, hier war ich nie!

Er erblickte zunächst eine große gewölbte Halle, die jedoch ihre Wirkung durch die vielen Schränke und Repositorien verlor, die hier aufgerichtet standen. Schrank an Schrank, Kiste an Kiste, angefüllt mit Papieren. Dazwischen waren Tische, Stühle, Leitern zusammengeschichtet. Beim weitern Fortschreiten sah man eine steinerne Wendeltreppe, die aufwärts ging und auf allen ihren Stufen dieselbe Unordnung verrieth. Links und rechts standen Thüren auf, die in Gemächer führten, die seit langer Zeit ohne irgend eine Bestimmung schienen. Es kam nun ein Treppchen, das aufwärts und sogleich eins, das wieder niederwärts führte. Endlich hielt der Oberkommissair an, setzte seine kleine Handlaterne auf einen Sims und bedeutete seine Begleiter, ihr Ohr näher zu halten, da er leise sprechen müsse.

Hackert, sagte er, ich habe Sie deshalb herbestellt, damit Sie Schmelzing unterstützen.

Worin?

Im Hören! sagte Pax.. Ich habe ihm schon alle seine verdammten Gehörgänge untersuchen lassen. Sie waren zwar seit Jahren nicht ausgefegt worden, wie alte Schornsteine; aber schreien muß man doch, wenn er etwas authentisch in seinen Hirnkasten aufnehmen soll.

Was gibt's denn hier in der Dunkelheit zu hören? fragte Hackert erstaunt.

Die Regierung, sagte Pax, ist einer Menge gefährlicher Umtriebe auf die Spur gekommen. Fremde Emissaire sind von Paris und Amerika eingetroffen. Man hat die genauesten Anzeichen einer sich ausbildenden neuen revolutionairen Bewegung. Die Nothwendigkeit, wachsam zu sein, liegt auf der Hand und unsere Kräfte reichen kaum aus, überall aufzumerken und aufmerken zu lassen, was im Stillen angesponnen wird... hier nun befinden wir uns –

Über dem Rathskeller! unterbrach ihn Hackert.

Einer Lokalität, setzte Pax hinzu, die ihrer eigenthümlichen Bauart wegen von einer gewissen feineren Revolutionspartei sehr gesucht ist.

Es herrscht hier das Zellensystem! sagte Hackert trocken.

Pax lächelte über diese Anspielung auf die pennsylvanischen Gefängnisse.

Allerdings, bemerkte er, hat diese Lokalität das Einladende, daß sich kleine Gesellschaften hier völlig abschließen und berathen können...

Dicke Eichenthüren, Mauern so breit wie Kirchenfundamente – da soll Schmelzing etwas hören? Herr Oberkommissair, die Posaunen von Jericho muß er sich an's Ohr setzen, um durch solche Wände eine Verschwörung zu entdecken.

Sie verstehen sich auf Akustik, seh' ich, sagte Pax. Erfahren Sie denn, daß hier drei der gesuchtesten Trinkstuben unter uns mit einer Vorrichtung für Schwerhörende versehen sind.

Hackert erstaunte und Schmelzing, der ahnte, wovon die Rede war, bestätigte, was der Oberkommissair ihm eben gesagt zu haben schien.

Ist in die Decke unter uns ein Schallrohr eingemauert? fragte Hackert ungläubig.

Das nicht, sagte Pax verschmitzt. Aber diese alten Baumeister waren nicht dumm. Jene drei Zellen sind der Art, daß man hier im ersten Stock jedes darin gesprochene Wort hören kann.

Das ist ein Wunder! Wie wäre Das? fragte Hackert.

Ich kann es Ihnen nicht an Ort und Stelle beschreiben, sagte Pax, denn dort, wo das Wunder stattfindet, müssen wir schweigen. Die Einrichtung ist sehr eigenthümlich. Die in jenen Zellen Sitzenden glauben von dichten Wänden und Eichenthüren verschlossen und geschützt zu sein und sind es auch...

Also keine Hohlwände?

Keine Hohlwände! Wohl aber wölbt sich die Decke in Bogen der Art empor, daß sie oben sich in der Figur eines Kreuzes vereinigen. Dies Kreuz, an den Ecken in Form eines dreiblättrigen Kleeblattes, ist eine Öffnung, die unfehlbar keinen andern Zweck als zum Luftzuge hatte...

Sagen Sie Das nicht, fiel Hackert ein. Die geistlichen Ritter, die hier hausten, waren halbe Pfaffen, aber sie verstanden Künste, wie die ganzen Pfaffen. Das waren Gefängnisse oder Bußestuben, durch das Kreuz sprachen die Engel mit den Gefangenen und Büßenden oder die Profoßmeister, wie es gerade kam. Ich entsinne mich, mein alter Rathskellermeister hat mir Mordgeschichten von seinen Trinkstuben erzählt. Der mußt' es wissen. Ich sag' Ihnen, in seinem Schurzfell und der schwarzen Sammetkappe sah der Alte aus, als wenn er den geistlichen Rittern hier schon vor fünfhundert Jahren Niersteiner kredenzt hätte.

Genug, fuhr Pax fort, Sie werden sich überzeugen, Hackert, daß der Schall der unten gesprochenen Worte durch die Wölbung in das enge Kreuz hinauf dringt wie durch die klügste akustische Vorrichtung. Man vernimmt hier oben jedes Wort und ich kann Ihnen sagen, daß ich mich vollkommen auf Schmelzing verlassen würde, wenn er nicht zu furchtsam wäre, hier oben allein zu bleiben und freilich auch, wenn nicht gerade jetzt sich Menschen dort unten versammelten, bei denen man zwei Zeugen haben muß, um ihrer gefährlichen Verabredungen gewiß zu sein.

Aber bester Herr Kommissair, begann nun Hackert, der plötzlich über eine ihm gestellte Zumuthung dieser Art, die erste in diesem Fache der praktischen Polizei, fast überrascht schien; glauben Sie denn, daß sich da Menschen hinsetzen und dicht unter dem Schallloche verfängliche Reden führen werden?

Ich wünschte, sagte Pax, Sie hätten einmal von unten aus eine dieser Trinkstuben des Rathskellers gesehen. Sie treten ein und sind in einem kleinen abgeschlossenen Zimmer. Eine schwere mit Eisen beschlagene Eichenthür fällt hinter Ihnen zu. Die mit grüner Ölfarbe bestrichenen Wände sind gemüthlich einladend. Man sieht wohl dies Kreuz in der Decke, das mit weißem gegipsten Stukkaturrande zierlich gearbeitet ist; aber dicht daran hin ist die Röhre der Gasbeleuchtung geleitet. Die Gasflamme, gedeckt von einem Schirme, geht gerade so empor, daß ihr Dunst durch das hohle Kreuz seinen Abzug findet. Diese Einrichtung ist so willkommen, scheint so sinnreich und unerläßlich nothwendig, daß Niemand die Ahnung hat, es könnte durch die Wölbung Das, was unten gesprochen wird, oben hinauf geleitet werden.

Also sein Ohr darf Schmelzing nicht darüber halten, sonst würd' er sich seine schönsten Haare verbrennen? fragte Hackert lachend.

Allerdings dringt genug von dem heißen Dunst herauf, erklärte Pax. Allein das Zwischengebälk des Kellers und des ersten Stockes ist doch wohl zwei Fuß auseinander. Ich entdeckte diese sinnreiche Vorrichtung, wie ich mir einmal die Trinkstuben des Rathskellers ansah. Ich fand den Ton unten so hohl, so schallend und stellte, ohne daß der jetzige Rathskellermeister eine Ahnung davon hat, Versuche an, die selbst mit dem harthörigen Schmelzing ergiebig waren.

Das glaub' ich, sagte Hackert. Diese Vorrichtung ist eine Schalltrompete. Husch!

Schmelzing erschrak. Hackert hatte sich den Scherz gemacht, ihn durch einen Schreckensausruf zu ängstigen.

Lassen Sie Hackert! sagte er ängstlich. Ich versichre Sie. Es spukt hier!

Wirklich? antwortete Hackert, haben Sie einen alten Ritter gesehen, Schmelzing, der vielleicht mit dem Finger drohte: Will der vermaledeite Horcher da vom Fußboden weg!

Das erste Mal, flüsterte Schmelzing, schloß ich die Thür nicht zu. Da war Alles still. Ich blieb eine halbe Stunde. Es wurde nicht viel Besonderes gesprochen. Das zweite Mal schloß ich hinter mir zu, weil die Thür aufgeht, wenn man sie nicht zuschließt und einem Küfer, der zufällig in den Hof kommt, doch die offene Thür auffallen könnte. Da sah ich etwas...

Ja, sagte Pax lachend, er sah etwas und hörte nichts. Es waren gerade zwei sehr gefährliche Persönlichkeiten in der einen Trinkstube, wo ich schon Minister und Geheimräthe angetroffen habe, der bekannte Major Werdeck und noch einige Geheime, und er hörte nichts, will aber etwas gesehen haben.

Ein Skelett, sagte Hackert. Sich selbst hat er irgendwo in einem Spiegel gesehen, der vielleicht vom Pfandhaus sich hierher verirrt hat.

Schmelzing sah sich um. Die Stille des Orts war in der That geheimnißvoll und Hackert bewunderte Schmelzing's Muth, auch nur einmal hier ausgehalten zu haben.

Was sah er denn? fragte er den Oberkommissair.

Es war ihm, antwortete dieser, als hätte Einer die Thür hinter ihm aufgeschlossen. Dann hätt' er es rascheln hören. Auch ein Lichtstrahl wär' in der Ferne sichtbar geworden und zuletzt hätt' er einen kleinen Mann im grauen Rocke an sich vorüber schleichen sehen.

Die aufgeschlossene Thür, sagte Hackert lachend Schmelzingen in's Ohr, war der Wind, das Rascheln kam von den Mäusen und Ratten. Der Lichtstrahl kam aus dem Hofe von irgend einem ehrbaren Rathsküfer und das graue Männlein sah die gesteigerte Angst...

Schmelzing schüttelte mit dem Kopf und protestirte entschieden gegen diese natürliche Auslegung Seitens eines Menschen, von dem er wußte, daß auch er nicht recht geheuer war... Er blieb dabei, es wäre Jemand in dem Gebäude mit ihm zusammen gewesen, aber er hätte ihn auch fortgehen sehen und deutlich gehört, wie er wieder zuschloß. Es wäre ein Mann mittlerer Statur gewesen. Er, Schmelzing, hätte seine eigene Laterne gleich beim ersten Rascheln ausgelöscht und beim Schein der kleinen Leuchte des unheimlichen Besuchers sich überzeugen können, daß er ganz grau war. Freilich hätte er ihn nur am Ende eines Corridors gesehen. In der Nähe hätte er unfehlbar den Tod gehabt.

Nun wohl! sagte Hackert scherzend und doch grübelnd, das ist der Geist von einem alten Pfaffen der Johanniter, der keine Ruhe hat. Schmelzing, der wählt Sie am Ende, um ihn zu erlösen.

Machen Sie nur keine Scherze, Hackert! sagte der Schreiber. Was ich sah, sah ich. Ich beschwöre, daß Alles wirklich war.

Genug, unterbrach Pax die Streitenden. Ich habe Eile, Schmelzing fürchtet sich allein zu sein; auch vor Ihnen Hackert fürchtet er sich eigentlich. Aber durch wen soll ich ihn unterstützen lassen? Mullrich und Kümmerlein waren früher handfeste Metallarbeiter, sind aber jetzt, da es ihnen gut geht, Hasenfüße. Fürchten Sie sich, Hackert, hier mit Schmelzing allein zu bleiben?

Nicht vor zehn Teufeln, sagte Hackert, fürcht' ich mich hier. Wo sind die Kreuze, die uns beschützen werden?

Ehe ich Sie dorthin führe, bemerkte Pax, sprechen Sie mit Schmelzing Alles ab! Denn dort an dem Fußboden dürfen Sie nichts mehr zusammen reden. Es würde zu gefährlich sein und uns die ganze Unternehmung verderben.

Geben Sie Acht! sagte Hackert, wir verständigen uns schon.

Damit fing er ein sonderbares Gebehrdenspiel an, schnalzte mit den Fingern, zupfte bald am linken bald am rechten Ohre, tippte auf die Nase und machte die sonderbarsten Gestikulationen.

Was treiben Sie denn für Narrenspossen? fragte Pax.

Nichts Narrenspossen! antwortete Hackert. Ich spreche mit Schmelzing.

Und Schmelzing bestätigte dem Oberkommissair, daß er sich, ehe seine Gehörkanäle polizeilich gereinigt wurden, oft der fürchterlichsten Melancholie ergeben hätte und vollkommen des Glaubens gewesen wäre, er würde einmal ganz taub werden. Da hätte ihn denn schon Hackert als guter Nachbar getröstet und ihn von den vielen tausend Künsten, die er verstünde, auch die Kunst der Zeichensprache gelehrt. So könnten sie Stundenlang zusammensitzen und sich, ohne den Mund zu öffnen, auf das Lebhafteste unterhalten.

Das trifft sich vortrefflich! fiel Pax erfreut von den Talenten seines Lieblings ein. Und wenn Sie vollends noch Wein vorräthig finden, so kann Ihnen die Zeit nicht lang werden, falls das graue Männchen die Flaschen nicht ausgetrunken hat.

Wein? sagte Hackert erstaunt.

Wir wollen sehen, bestätigte Schmelzing. Der Herr Oberkommissair gab mir das zweitemal einen Korb Wein mit, den ich in der Dunkelheit herein trug, um für öftere Besuche nicht ohne Erquickung zu sein.

Ja, sagte Hackert. Schmelzing und Wein! Nun weiß ich! Beim ersten Glase schon haben sich ihm alle Gräber der Vorzeit geöffnet.

Schmelzing schüttelte den Kopf und blieb fest dabei, daß er wirklich hier oben einen nächtlichen Besuch empfangen hätte.

Der Oberkommissair bemerkte jetzt, daß es ihm besonders lieb wäre, die Äußerungen des Majors Werdeck zu hören. Er wisse aus bestimmtester Quelle, daß er mit einigen Freunden heute Abend im Rathskeller soupiren würde. Er hätte auf die elegante feinere Trinkstube Beschlag gelegt. Wer die Gäste wären, wisse er noch nicht. Aber er zweifle nicht, daß es dieselben Personen sein würden, auf die die öffentliche Sicherheitspflege schon längst ihr Augenmerk gerichtet hätte.

Damit zog er Hackerten und Schmelzing vorwärts und bedeutete sie, leise aufzutreten.

Sie kamen alle Drei jetzt auf einen steinernen Fußboden. Anfangs war es um sie her dunkel. Bald aber zeigten sich auf den steinernen Vliesen lichte Stellen.

Sehen Sie da, flüsterte Pax, den Widerschein der Gasflammen! Aber nun kein Wort mehr!

Zugleich bemerkten sie den Schwefelgeruch des Gases.

Schmelzing bedeutete Hackerten, nur auf den Zehen aufzutreten.

Sie waren an einem der Lichtschimmer. Es bildete sich hier ein Kreuz mit drei Kleeblättern an den vier Enden. Geisterhaft, wie aus Licht gewoben, schwebte das Kreuz im Dunkeln. Ebenso an einer andern und noch an einer dritten Stelle.

Mit dem Auge zu nahe kommen durfte man dem Schimmer nicht und an ein Hinunterblicken war nicht zu denken. Wie Irrwische schwebten die heiligen Zeichen in der Nacht auf dem großen steinernen Estrich, der eine Speisehalle gewesen zu sein schien. Indem winkte Schmelzing sehr lebhaft. Die beiden Andern schlichen näher. Schmelzing zeigte auf einen Korb und machte Gebehrden der angenehmsten Überraschung.

Noch Alles da, wie es war? fragte Hackert durch die Zeichensprache der Taubstummen.

Schmelzing zog eine Flasche nach der andern in die Höhe und winkte, daß sie schwer waren.

Also, flüsterte Hackert dem Oberkommissair in's Ohr, die Geister haben hier oben inzwischen keinen Durst gehabt.

Pax bedeutete ihn ernstlich zu schweigen. Er zeigte ihm mit besonderm Nachdruck das Lichtkreuz, das in der Mitte flammte, und winkte ihm, dort am meisten Acht zu geben. Schmelzing trug den Korb an das mittlere Kreuz und erbot sich, dem Oberkommissair das Geleite zu geben, damit er hinter ihm wieder zuschließen könne. Pax nickte dazu. Schmelzing folgte ihm mit der kleinen Laterne und ließ Hackerten mit dem Bedeuten, er würde sogleich wiederkommen, im Dunkeln allein.

Als sich Pax und Schmelzing entfernt hatten, warf sich Hackert in der Nähe des mittleren Kreuzes auf die Erde. Er fühlte, daß er auf etwas Weiches fiel. Schmelzing's Mantel schien es ihm, den er an seinem groben Tuche und einem abgeschabten Halskragen erkannte.

Aha! dachte er, der Spion hat sich hier schon ganz häuslich eingerichtet!

Und nun erst ergab er sich einem genaueren Nachdenken über die sonderbare Situation, in die er hier so plötzlich, er wußte nicht wie, versetzt worden war.


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