Friedrich Wilhelm Hackländer
Handel und Wandel
Friedrich Wilhelm Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Vergnügungen auf der Mühle.

Auf einer solchen Mühle, mitten im Walde, an keiner großen Straße gelegen, herrscht im allgemeinen ein fast einförmiges Leben, und die einzigen Unterbrechungen sind Sonntagsbesuche bei den Nachbarn, oder auch eine Kirchweihe, und dabei Tanz oder Jagdpartien, öffentliche und heimliche. Und letztere ließ sich Kaspar zuweilen eifrigst angelegen sein, und bei diesen hatte ich namentlich in früheren Zeiten oft die Ehre, ihn begleiten zu dürfen. Das Jagdrevier, zur Mühle gehörig, und vom Vetter gepachtet, war nicht groß und befriedigte lange nicht die Jagdgelüste Kaspars. Zu dem heimlichen Jagdvergnügen besaß er ein Gewehr, dessen Schaft mit Batterie man abnehmen und in die Tasche stecken konnte. Den Lauf bildete ein Stock, den er wohlgemut in die Hand nahm, und so zogen wir an schönen Herbsttagen, harmlos ausschauend, in der Frühe, sobald der Tag graute, aus. Da war in der Nähe ein herrschaftliches Revier, eine tiefe und lange Schlucht, an welche oben Krautäcker stießen, und in welcher die Hasen nach eingenommener Abendmahlzeit droben ihr Nachtquartier aufschlugen. An den Wänden dieser Schlucht standen große Buchen, und am Fuße eines solchen Stammes, im dichten Moos, nahm das Wild sein Lager, so daß es von den Wänden der Schlucht und von den Bäumen vor Regen und Wind geschützt war.

Wie alle unrechtmäßig gebrochene Frucht am meisten reizt, so war es auch unser größtes Vergnügen, bei grauendem Morgen aus dem dampfenden Tale hinauf in die Krautäcker zu steigen und dort, den Rand der Schlucht umgehend, auf die Hasen zu spähen, die uns eigentlich gar nichts angingen. Hatten wir, oben umherschleichend, so zwei, drei gefunden, die unter uns, in süßen Morgenträumen befangen, lagen, so mußte ich mich oben hinstellen und ein Zeichen geben, wo sie waren; Kaspar schraubte den Schaft an sein Rohr, schlich sich näher und schoß die Unglücklichen in ihrem Lager, worauf ich als Apporteur hinzustürzte, sie aufnahm, und wir kehrten nicht ohne eine Beute von zwei, drei bis vieren bei aufgehender Sonne nach Haus.

Von den herrschaftlichen Jägern waren wir eigentlich niemals ertappt worden, hatten aber mehrmals in großer Gefahr geschwebt, es zu werden. Ich erinnere mich sehr genau, wie einstmals, als ich einen getöteten Hasen aus seinem Moosbett herausgezogen, Kaspar aufmerksam in den Wald hineinhorchte, dann auf mich zusprang und, mich am Kragen ergreifend, mit mir durch dick und dünn, sogar durch einen Teil des Mühlbaches durchstürzend, nach Hause flog, und wie bald darauf ein paar herrschaftliche Jäger auf die Mühle kamen, um sich die Pfeife anzuzünden, und Kaspar, der sich umgezogen hatte, reichte ihnen das Feuer mit der Miene eines Menschen, der eben erst aus dem Bette steigt.

Interessanter als diese Hasenjagden waren die Hetzen mit großen Hunden auf den Dachs, die abends angestellt wurden. Da zogen wir unser fünf und sechs mit den Hof und Jagdhunden bei einbrechender Nacht aus. Einige von uns hatten große eiserne Gabeln, andere waren mit schweren Knütteln bewaffnet. Spürten die Hunde den Dachs auf, so wurden sie losgelassen; der Dachs entfloh, was er laufen konnte, die Hunde eilten ihm nach, und wir folgten den Hunden, so schnell uns unsere Beine zu tragen vermochten, durch Wald und Busch und Feld, eine schreckliche Jagd. Da ging es unbesehen durch Wasserbäche und Dornengestrüpp, so daß wir oft jämmerlich zugerichtet nach Hause kamen. Hatten die Hunde den Dachs erreicht, so umstellten sie ihn und hielten ihn fest, bis wir dazu kamen. Die mit den eisernen Gabeln suchten ihn mit denselben zu erreichen und niederzudrücken, worauf er von den andern feierlichst totgeschlagen wurde.

Ein weit harmloseres, aber für mich uninteressanteres Vergnügen waren die Kirchweihen; desto mehr aber freuten sich alle übrigen Bewohner der Mühle auf ein derartiges Tanzvergnügen, und selbst Sibylle besuchte mit ihrer Schwester Elsbeth die der größeren Dörfer, wo die Gesellschaft deshalb etwas ausgewählt war.

Man kann sich denken, daß der Doktor auf dem Tanzboden keinem nachstand. Er fegte umher, wie er es noch von den Studentenjahren her gewöhnt war, und spielte in jeder Hinsicht die Hauptperson. Beim Hinfahren ließ er es sich nicht nehmen, die Rosse zu lenken, und er tat dies mit besonderer Geschicklichkeit.

Diese sonntäglichen Kirchweihtage sind immer die allergrößten Feste und beginnen schon vormittags, wenn Herrschaften und Dienstboten aus der Kirche kommen. Da wird aus dem Schuppen der größte Leiterwagen gezogen, der vorhanden ist. Es werden Querbretter darauf gelegt, auf welche man mit Stroh ausgestopfte Säcke bindet, und alsdann wird der Wagen rings mit grünen Reisern bedeckt, sowohl zum Schutz gegen die Sonne, als auch zur angenehmen Verzierung. Wer sich von den Knechten und Mägden untadelhaft aufgeführt hat, wird von dem Bas – so nennen sie den Herrn – zur Partie eingeladen, und gegen elf Uhr geht es fort, was die Pferde laufen können.

Es war ein blendend schöner Sonntagsmorgen im Frühjahr, als wir in diesem Jahre die erste derartige Partie mitmachten. Der Vetter Christoph und der Doktor waren die einzigen, welche die Kirche nicht viel frequentierten, und letzterer trieb sich schon vor neun Uhr in den Ställen umher, um Pferde und Geschirr in den besten Stand zu setzen. Um elf Uhr war alles bereit. Der Doktor hatte die vier trefflichsten Pferde vor den größten Leiterwagen gespannt und kutschierte mit der Kreuzleine vom ersten Sitz. Er sah wirklich majestätisch aus. Von vormaligen Schlittenpartien her hatte er sich eine immense Fertigkeit erworben, die längste Schlittenpeitsche zu handhaben. Und, um diese Kunst vollkommen zeigen zu können, hatte er sich heute eine Peitsche angefertigt mit einer unendlich langen Schnur. Neben dem Wagen standen in ehrerbietiger Erwartung der Großknecht, die Altemagd, der erste Müllerbursche und die Viehmagd, aufs sauberste geputzt, im besten Sonntagsstaat. Jetzt erschien der Bas mit Vetter Franz, Vetter Kaspar mit seiner Frau und nahmen ihre Plätze ein. Dann erschien Elsbeth, und sogar die Müllerin mit Sibylle, und des Doktors Gesicht, das vor Behagen strahlte, wurde sichtlich ernster, als die beiden letzteren sich ebenfalls anschickten, auf den Wagen zu steigen. Ich begriff gar nicht, was ihm einfiel, denn als Sibylle und ich auf den ersten Sitz neben ihn kletterten, wollte er die Zügel der Pferde an Kaspar abgeben, der sie aber lachend zurückwies. Jetzt war alles bereit, der Bas rief: Vorwärts!« Der Doktor tat einen fürchterlichen Hieb mit der Peitsche in die Luft, und die vier Rosse galoppierten davon, mit den Schellen klingend, und das blank geputzte Messingzeug funkelte und glitzerte in der Morgensonne.

Mittags um ein Uhr erreichte man den Ort, wo die Kirchweihe gefeiert wurde. Es war dies ein großes Gehöft, und wir fanden dort schon alle Anstalten zu einem großen Mittagessen. Unter der Haustür stand der Freund des Vetters Christoph und bewillkommnete uns. Er war in kurzen Hosen, weißen Strümpfen und Schnallenschuhen, angetan mit einer langen Weste von braunem Manchester, und befand sich in Hemdärmeln, mit der weißen Mütze auf dem Kopfe. Die Frau hielt hinter ihm, hatte zum Willkommen einen Zipfel der langen, weißen Schürze emporgeschlagen, und beide grüßten die Gesellschaft äußerst freundlich.

Auf dem Herde prasselte ein ungeheures Feuer, über welchem ein schwarzer eiserner Kessel hing, in dem ein immenser Schinken herrlich duftete. In einem andern Gefäß kochten Erbsen und Bohnen, und neben einem riesenhaften Napf mit Suppe erblickten wir die unentbehrlichen Kartoffeln, schneeweiß und mehlig.

Alles wurde nach der Reihe bewillkommnet, und daß mir, als einem Bekannten aus früheren Jahren, ein sehr herzlicher Empfang zuteil wurde, kann man sich leicht denken. Die Frau des Vetters wurde von der Wirtin in die Staatsstube geführt, Vetter Christoph und Elsbeth gingen mit dem Gastfreunde in den Ställen umher, Sibylle spazierte mit Annemarie, der jüngsten Tochter des Hauses, in den Garten, die Altemagd und die Viehmagd halfen ihren Kolleginnen bei den siedenden Kesseln, und der Großknecht sowie der Müllerbursche setzten sich dazu, steckten Holz in den Herd und machten Bekanntschaft zu dem Tanzvergnügen heute abend. Ich half dem Doktor, die Pferde ausspannen, worauf zu Tisch gerufen wurde.

Die Tafel war im Freien, im Garten aufgeschlagen und bestand aus vier in die Erde geschlagenen Pfählen, auf welche lange Bretter gelegt waren und über diese ein blendend weißes Tischtuch. Der Hausherr sprach das Gebet, und alles setzte sich in bunter Reihe um den Tisch, sowohl wir, die Fremden, als die ganze Hauswirtschaft unseres Gastfreundes mit Knechten und Mägden.

Wenn ich an dergleichen Mahlzeiten zurückdenke, so empfinde ich beständig ein innerliches Behagen. Die frische Luft hatte den Appetit außerordentlich geschärft, und zu der einfachen, kräftigen Kost unter Gottes freiem, schönem Himmel, unter dem Gesang der Vögel, wurden ebenso einfache wie kräftige Tischreden geführt. Von großer Etikette war keine Rede, wir Männer saßen in Hemdsärmeln da, und alles ließ sich's wohl sein.

Nach Beendigung der Mahlzeit war jedem bis zum Kaffeetrinken Freiheit vergönnt, zu treiben, was er wollte. Die älteren hielten Gespräche über Landwirtschaft und Viehzucht, das junge Volk neckte sich im Garten umher. Der Doktor und ich nahmen unsere Mützen und schlenderten zum Hofe hinaus über die kleine Brücke eines schäumenden Bergwassers, den Wald hinauf. Langsam gingen wir den herabstürzenden Wassern entgegen und ergötzten uns, ohne ein Wort zu sprechen, an den kleinen Wasserfällen, die der Bach in den glatten Kieseln bildete. Es war recht warm, und als oben an einem kleinen Felsen, dessen Fuß mit weichem Moos bewachsen war, der Doktor den Vorschlag machte, ein Mittagsschläfchen zu halten, pflichtete ich ihm bei. Wir streckten uns auf dem grünen, natürlichen Bette nieder und waren bald im Schlummer. Nach einer halben Stunde erwachte ich wieder, da mir die Sonne, durch die Zweige brechend, in die Augen schien. Der Doktor aber, der im Schatten lag, schlief ruhig weiter. Vielleicht hundert Schritte oder auch weniger neben mir in dem dichten Gesträuch hörte ich lachen und leise singen. Es war die Stimme Sibyllens, und sie begann das Volkslied:

»In einem kühlen Grunde,
Da geht ein Mühlenrad,«

und sang es erst mit leiser, summender Stimme, wie es schien, zuerst schüchtern und verschämt, der lauschenden Annemarie vor; nachher aber wurde der Gesang lauter und klang bei dem letzten Vers recht hell durch den Wald. Man hörte aber dem Herzen, aus dem der Gesang kam, an, daß um seinetwillen noch kein Ringlein zersprang. Der Doktor lag neben mir im Schlaf, und er schien einen guten Traum zu haben. Hier und da bewegte er die Lippen und lachte und spitzte auch zuweilen den Mund, als tue er einen tiefen Zug. Die Mädchen drüben lachten und schäkerten nach Beendigung des Liedes.

»Höre, Sibylle,« sagte Annemarie, »die Leute behaupten, der Doktor, wie heißt er doch, habe dich früher in der Stadt gesehen und sei dir zuliebe herausgekommen.« – »Warum nicht gar!« lachte die andere. »Was soll er von mir wollen?« – »Nun,« entgegnete Annemarie, »er will dich, wie es in den Büchern oft so schön vorkommt, zuerst kennen lernen und dann heiraten.«

Ich sah unruhig auf den Doktor neben mir, und es war mir recht, daß er schlief und nichts von dem Gespräch hörte. Obgleich aber bis jetzt sein Gesicht noch größten teils von tiefem Schatten bedeckt war, so war die Sonne doch nicht zurückzuhalten, und fing schon an, um seine Nasenspitze zu spielen. Annemarie drüben fuhr fort und sagte: »Er hat einen so ganz spaßigen Namen; wie heißt er denn eigentlich?« – »Nun, wie wird er heißen?« entgegnete Sibylle, »Doktor Burbus heißt er.« – »Burbus, Burbus!« schrie die andere, so laut sie konnte, »das klingt beinahe, wie der Kuckuck drüben ruft.«

Und nun fing sie an, aus Leibeskräften in den Wald hineinzurufen: »Burbus! Kuckuck! Burbus! Kuckuck! – Burbus! Burbus!«

Und dabei lachten die beiden Mädchen so allerliebst und mutwillig. Der Doktor aber erwachte und fuhr überrascht in die Höhe, als er seinen Namen so rufen hörte. Ich hatte eben Zeit, bevor er mit seiner ungeheuren Stimme dem Rufe antworten konnte, ihm zu sagen, was die Veranlassung sei.

»Laß das dumme Zeug,« bat jetzt Sibylle; »du weißt, man soll mit dem Kuckuck keinen Scherz treiben.« – »Warum nicht,« lachte die andere. »Wir wollen jetzt gleich hören, in wieviel Zeit du einen Mann bekommst.« Und laut rief sie wieder in den Wald hinein:

»Kuckuck, Kuckuck, sag' mir an:
Wann kommt der Sibylle ihr Freiersmann?«

Dann ward alles still, und die Mädchen lauschten offenbar, was der Kuckuck im Dickicht des Waldes für eine Antwort gebe. Da aber zufällig keiner bei der Hand war und ringsum alles still blieb, so nahm der Doktor seine beiden Hände vor den Mund und brachte ein so natürliches Kuckuck hervor, wie ich es in meinem Leben aus keinem Menschenmunde gehört habe.

»Einmal! – zweimal! – dreimal! – viermal!« rief Annemarie, »nahe über drei Jahre kommt dein Freiersmann. Aber eins bitt' ich mir aus,« setzte sie hinzu, »wenn ich deine Brautjungfer werden soll, so muß dein Bräutigam erst den garstigen Bart abschneiden. Pfui, der ist mir unausstehlich! befiehl ihm, er soll ihn herunterschneiden.« – »Ach, Annemarie,« entgegnete Sibylle, »schwätz' doch nicht so dummes Zeug. Was geht mich der Doktor Burbus und sein Bart an? Dann glaube ich auch,« setzte sie leiser hinzu, »er läßt ihn meiner Schwester Elsbeth zuliebe stehen« – eine Bemerkung, die von der andern mit einem äußerst ungläubigen und lauten Lachen beantwortet wurde.

Der Doktor hatte dieser Unterredung mit großer Aufmerksamkeit zugehört. Er war sichtlich ernster geworden, und bei der Aeußerung, er lasse der Elsbeth zuliebe seinen Bart stehen, fuhr ein ungläubiges Lächeln über sein Gesicht. Ich wollte durchaus die beiden Mädchen überraschen und sie tüchtig auslachen, doch ließ es der Doktor nicht zu und bat mich, mit ihm ins Dorf zurückzukehren.

Am Abend nun war großes Tanzvergnügen. Der Tanzplatz war das mächtig große Wirtszimmer der Dorfschenke, wo es natürlicherweise so eng herging, daß namentlich beim Walzen die ganze Gesellschaft nicht von der Stelle kam, sondern sich jedes Paar wie ein Kreisel auf dem Platze herumdrehte. Da natürlich bei Erbauung dieses Lokals an einen Platz für die Musiker nicht gedacht war, so hatte man später für sie gesorgt, und das auf äußerst sinnreiche Art. In die Balken der Wand waren nämlich sehr starke Nägel eingeschlagen, an welchen Stühle wie Kupferstiche aufgehängt waren, und auf diesen saßen die Musikanten. Ihre Beine hingen in der Luft, und der Chef des Orchesters, der durch zu starke Bewegungen mit denselben den Takt angab, kam dadurch nicht selten in verdrießliche Berührung mit den Köpfen der Tanzenden. Es war auffallend, wie wenig Anteil der Doktor heute abend an dem Tanzvergnügen nahm. Er mußte mit der Elsbeth tanzen, die ihn früher dazu aufgefordert, und ich sah, daß er sie mit einigem Widerstreben holte. Er mußte sie auch fast mit Gewalt einem Gespräch über die Schaf- und Rinderzucht entreißen, das sie an der Seite eines benachbarten Bauernsohnes mit lauterer Stimme, als nötig war, hielt. Auch bemerkte ich, daß eben dieser Bauernsohn dem Doktor einen nichts weniger als freundlichen Blick schenkte. Warum Burbus mit Sibylle nicht tanzte, begriff ich nicht. Wohl sah ich zuweilen, wie er hinschielte, aber sich alsdann mit der Hand über die Augen fuhr, als habe er sich selbst über etwas Unerlaubtem ertappt. Ich konnte nicht umhin, ihn darauf aufmerksam zu machen, indem ich sagte, daß es nicht mehr als billig sei, auch mit der jüngsten Tochter des Vetter Christoph zu tanzen, worauf er sich nach längerem Ueberlegen hierzu entschloß. Mehrmals aber sah ich, daß er mit der Hand mißmutig durch seinen dicken Bart fuhr.

Jetzt trat er mit Sibylle zu einem Walzer an, und ich hatte wohl bemerkt, daß sie bei der Aufforderung hierzu die Augen niederschlug. Die beiden tanzten so hübsch, daß fast alle übrigen Paare aufhörten und ihnen fast den ganzen Tanzboden zur Verfügung ließen. Anfänglich hatte Sibylle die Augen fest auf den Boden geheftet, aber als sie, nach und nach von der Sicherheit ihres Tänzers angenehm berührt, ebenso sicher in ihren Bewegungen ward, hob sie den Kopf höher und höher und schwebte endlich stolz dahin wie eine Prinzessin. Ein allgemeines Händeklatschen der ganzen Tanzgesellschaft gab endlich das Zeichen zum Aufhören, und Sibylle, die mit laut klopfendem Herzen neben dem Doktor stand, bemerkte jetzt erst, daß sie die ganze Zeit allein getanzt hatten, und schlug errötend und verwirrt die Augen nieder. Ich stand gerade hinter ihr und wollte der hübschen Tänzerin etwas Schönes sagen; doch weiß ich nicht, es kam mir ein dummer Gedanke: ich neigte mich an ihr Ohr hin und flüsterte leise: »Kuckuck!«

Erschreckt fuhr Sibylle zusammen, wandte sich einen Augenblick nach mir, um im nächsten darauf ihren Tänzer stehen zu lassen, und eilte zu Annemarie, mit der sie vom Tanzboden verschwand.

Bei dem Heimfahren am heutigen Abend fehlte zur bestimmten Zeit niemand von den Leuten, weshalb keine Verzögerung eintrat und es mit Vetter Christoph keinen Verdruß gab; denn mit dem Vetter Christoph war an solchen Abenden nach einem Tage, wo er es für seine Schuldigkeit hielt, den Keller seines Gastfreundes gehörig zu untersuchen, nicht zu spaßen. Wir saßen alle auf, der Doktor hatte die Zügel erfaßt, und neben ihm auf der Bank saßen Sibylle und ich.

Es war ein außerordentlich schöner Abend. Nachdem wir eine Zeitlang, ohne zu sprechen, gefahren waren, forderte mich Sibylle zum Singen auf, und wir sangen allerhand lustige und ernste Weisen in die Nacht hinaus. Ich hatte, wie ich meistens zu tun pflegte, wenn ich neben Sibylle saß, meinen Arm um ihren Leib geschlungen, und sie lehnte an mir, bald mir etwas flüsternd erzählend, bald wieder die Augen schließend, als wollte sie schlafen. Mit dem Doktor sprach sie kein Wort.

Dieser hatte auch heute abend ein ganz sonderbares Aussehen. Er sah so grimmig auf seine Pferde, hatte die Zügel straff angezogen und knallte mit seiner Peitsche viel mehr als nötig. Oftmals lehnte er sich weit rückwärts, als wolle er die Pferde mit Gewalt anhalten, aber ich bemerkte ganz wohl, daß er zu uns herüberschielte, namentlich auf meine Hand, mit der ich die Hand Sibyllens erfaßt hatte. Er machte allerhand Kunststücke im Fahren, und als wir an eine schwierige Stelle kamen, wo es den Berg hinab in einem Bogen über eine sehr kleine Brücke ging, ließ er die Pferde in vollem Galopp laufen, so daß alle Frauenzimmer auf dem Wagen »Jesus Marie und Josef!« riefen. Sibylle und ich hatten uns gerade Märchen erzählt, und als der Doktor nach diesem Ausruf des Schreckens laut auflachte, flüsterte das Mädchen: »So hat gewiß der Blaubart gelacht!«

Unterdessen funkelten die Sterne und schien der Mond, und als wir die großen Wiesen wieder erreichten neben der Mühle, verschwand nach und nach das Rauschen des Wassers aus den Bergen, wo wir herkamen, in den Gebüschen rechts und links zirpten die Heimchen und klagten die Nachtigallen wunderbar schön und bezaubernd. Bald erreichten wir die Mühle, und alles suchte, ermüdet von des Tages Last und Hitze, von dem starken Mittagessen sowie dem Tanze, sein Lager; nur den Doktor hörte ich noch nach einer Stunde ein altes, bekanntes Lied singen, worin es heißt: »Und schaust du hin, so schau' ich her!«


 << zurück weiter >>