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Vierunddreißigstes Kapitel.
Die Wiegkammer ist für die Fabrikation, was das Kontor für das Handlungshaus ist: die Seele des Geschäfts, in der alle Lebensfäden zusammenlaufen. Um vom Urstoff anzufangen, so wird die rohe Seide, welche durch einen Makler von den großen Seidenhändlern erkauft ist, alsbald in das Magazin gebracht; die Bücher hierüber sind in der Wiegkammer, wo sich auch Muster von allen vorrätigen rohen Seiden befinden. Von der Wiegkammer erhält der Färber die Stoffe zugleich mit den Farbenmustern, und dorthin wird die gefertigte Seide wieder eingeliefert. Der Name »Wiegkammer« zeigt schon, daß hier alles genau abgewogen wird; es ist auch mit der Seide nicht anders möglich. Der Kettenscherer, das ist der Mann, welcher zum Stoff die Kette zurichtet, erhält sein Quantum zugewogen und muß die fertige Kette nach Abzug des angenommenen Verlustes in derselben Schwere abliefern; die Einschlagseide wird nach Gewicht von der Wiegkammer zum Spulen gegeben und kommt dorthin zurück.
Dies Gemach nun hat ein recht freundliches Aussehen, an den Wänden befinden sich große Regale, in welchen die gespulte Seide, auf zierlichen Röllchen gehaspelt, zu Tausenden aufgestellt ist; da glänzen alle möglichen Farben durcheinander, und von diesen Farben stehen wieder die feinsten Schattierungen, von der hellsten bis zur dunkelsten, schön geordnet nebeneinander. Ich glaube nicht, daß ein Maler so feine Nuancen beobachten muß wie der Seidenfabrikant.
Auch die geschorenen Ketten liegen auf Rollen von schönem, hartem Holz gewickelt, nebeneinander, und mit sauber geschriebenen Etiketten versehen, worauf zu lesen ist, von wem die Seide gekauft wurde, wieviel sie in der Station verloren, wer sie gefärbt und geschoren. Ebenso ist hier viel rohe Seide zu sehen, nach ihren verschiedenen Gattungen geordnet, denn rohe Seide ist nicht bloß rohe Seide, sondern hier gibt es auch viele Rassen, wenn ich mich so ausdrücken darf, von der groben Filetseide an bis hinauf zum feinsten Turiner Organzin. Nicht nur jedes Land, jede Stadt liefert verschiedene Seide, sondern auch ein einzelner Cocon, von der äußern grauen Umhüllung an bis zum innersten Gewebe, das wie ein batistenes Schlafhemd die eingesponnene Raupe umgibt.
Daß ein Kontortisch und mächtige Bücher in der Wiegkammer nicht fehlen, ist natürlich, ebensowenig mächtige Folianten, in welchen Tausende von Mustern eingeklebt sind. In der Mitte des Zimmers steht ein langer Tisch mit einer schönen, messingnen Wage, fein gearbeitet, denn sie muß das kleinste Gewicht richtig angeben. Dieselbe ist immer blank und sauber geputzt. Jeder Fabrikant, der nur einigermaßen auf Ordnung und Sauberkeit sieht, setzt seinen Stolz darein, daß dieses Gemach hell und freundlich und schön geordnet aussieht, und meistens hat der Herr des Geschäfts selbst, oder bei großen Fabrikanten ein vertrauter Geschäftsführer seinen Sitz auf der Wiegkammer. Hier sind die schärfsten Augen versammelt, und die genauesten, ja unbarmherzigsten Kommis prüfen die Waren, welche der Weber einbringt. Große Strenge ist notwendig, denn bei der Seidenweberei ist die kleinste Nachlässigkeit imstande, ein ganzes Stück zu verderben. Diese Strenge nun war namentlich in früheren Zeiten und bei manchen Fabrikanten, die bei dem armen Arbeiter einen Fehler und ein Unglück nicht als möglich zugaben und nur sich selbst für unfehlbar hielten, oft über alle Maßen gesteigert, und dadurch wurde selbst dem geschickten, sauberen und fleißigen Weber dieser Ort oft zur Qual und Verzweiflung. Da wurde ein kleiner Fehler in der Kette, der einen falschen Punkt vielleicht von der Größe eines Nadelknopfes hervorbrachte, ein unbedeutender Irrtum im Dessin, oder der Verlust einiger Lot an Seide, der sich bei dem Abwiegen des Stücks herausstellte, aufs fürchterlichste mit großen Abzügen geahndet. Dann herrschte noch, namentlich in kleineren Landstädten, der fluchwürdige und schändliche Gebrauch, daß der arme Weber genötigt war, für einen Teil seines sauer verdienten Lohnes Lebensbedürfnisse, als Kaffee, Zucker, Seife, Oel, von dem Fabrikanten statt baren Geldes anzunehmen, zu welchem Zweck sich neben der Wiegkammer eine Art Spezereiladen befand. Die erste Einführung dieses Gebrauchs mag vielleicht in einer guten Absicht geschehen sein, und der Fabrikant, welcher väterlich für seine Arbeiter sorgte, mag hierdurch seinen Leuten gute und billige Lebensmittel haben verschaffen wollen, doch artete das sehr aus. Jetzt ist aber dieser Gebrauch glücklicherweise fast gänzlich wieder verschwunden; ein rechter Fabrikant gab sich ohnehin nie mit diesem Geschäft ab.
Es ist morgens acht Uhr, die Wiegkammer wird geöffnet, und vor der Tür haben sich schon eine Menge Weber versammelt, die abgefertigt sein wollen. Einige wohnen in der Stadt, andere auf dem Lande, und diese machten schon in der Frühe einen Marsch von einigen Stunden, um zur rechten Zeit da zu sein. Der Prinzipal des Hauses – ich spreche nicht von dem unsrigen – eine kleine, dicke Gestalt mit rotem Gesicht, eine Brille auf der Nase, kam eben von seinen Zimmern, und die Art, mit der er brummend guten Morgen sagt, und die Heftigkeit, mit welcher er sein Buch aufschlägt, zeigt den Kommis und Lehrlingen an, daß der Chef äußerst schlechter Laune ist, und man sich sehr zusammenzunehmen habe. Er schlägt einige Paginas nach, schielt aber währenddessen nach seinen Leuten, und das erste Ungewitter bricht los. »Herr Block,« sagt er zu einem der Lehrlinge, »sind Sie nicht imstande, Ihre ewige Lust zu Kindereien zu bändigen, oder glauben Sie, es gehöre zum Geschäft, die Wage ewig auf- und abtanzen zu lassen? Nehmen Sie sich zusammen, Herr! Und Sie, Herr Braun, lassen Sie die Leute eintreten!« Der Herr Braun ist ein alter Kommis, viel älter als der Prinzipal, mit einem langen, dürren Gesicht, einer rötlichen Haartour, einer Habichtsnase und mit Augen wie ein Falke, ein wahres Vogelgesicht, denn er hat gar kein Kinn, und wenn er ißt, glaubt man, er schiebe die Speisen in die Nasenlöcher. Bei der Anrede des Prinzipals fährt er erschrocken zusammen, denn er hat höchst verbotenerweise eine Prise genommen.
Der Herr Block öffnet die Tür, und der erste Weber tritt ein. Dieser hat bloß einen Einschlag zu verlangen, der Herr Braun schlägt das Konto auf und sagt mit erschrecklicher Fistelstimme: »Es ist dem Meister zu wenig mitgegeben worden, der Herr Block hat die Seide eingeschrieben.« – »Wieder der Herr Block!« entgegnete der Prinzipal. »Ist denn mit Ihnen gar nichts anzufangen? – Doch hätte ein alter Meister wie Er,« wandte er sich an den Weber, »auch eigentlich schon wissen können, was er braucht.« Der Weber erhielt seine Seide und trat in das Nebenzimmer, wo ein solcher Laden eingerichtet war, wie wir ihn vorhin schilderten.
Diesem Filialgeschäft stand die Schwester des Prinzipals vor, und Fräulein Pfeffer – so hieß dieselbe – verdiente sich hier im Schweiße ihres Angesichts und in dem der Weber ein kleines Nadelgeld. Von diesem Laden ging eine Blechröhre, eine Art langes Sprachrohr, bis zum Pult des Prinzipals, und kaum war der Weber drüben eingetreten, so erschallte die Stimme des Fräulein Pfeffer, welche ihren Bruder fragte, wieviel der Mann noch zu bekommen habe.
»Sobald er abliefert,« war die Antwort, »noch zirka fünf Taler.« – »Wovon er mir,« schallte es zurück, »schon drei Taler schuldig ist; kann ihm nichts mehr geben.« Gleich darauf kam der Weber traurigen Angesichts zurück, und es war zu bemerken, wie er das Seidenpaket, das er in der Hand trug, fest umklammerte. »Herr Pfeffer,« sagte der Mann, »es ist allerdings wahr, daß ich schon für drei Taler Waren bekommen habe, aber ich habe weiß Gott nicht mehr geholt, als ich notdürftig brauchte.«
Der Prinzipal zuckte die Achseln und versetzte kalt: »Liefere Er ab!« – »Aber, Herr Pfeffer,« entgegnete schüchtern der Arbeiter, »ich muß doch leben; damals wollt' ich ja nur für einen Taler kaufen, aber man drang mir Waren für drei Taler auf.«
Der Prinzipal fuhr in die Höhe. »Was sagt Er? Wer drang auf? Sieh einer an!« – »Nun ja,« antwortete der Weber, »ich nahm freilich für drei Taler, aber heute brauch' ich wieder Oel und Mehl, und Sie können sich denken, daß ich jetzt in einem andern Spezereiladen auch keinen Kredit bekomme.« – »Kann nichts dafür,« entgegnete der Prinzipal, »liefere Er ab und Er kann wieder Waren bekommen.« – »Auch mein Geld?« fragte der Weber gereizt.
»Zwei Drittel Waren, ein Drittel Geld, wie es bei mir Brauch ist,« sagte kalt der Herr Pfeffer. Der Weber verließ das Zimmer. Es trat ein anderer ein, ein kleiner, gut aussehender Mann, aber mit tief bekümmertem Gesicht; er hatte ein großes Stück Seide abzuliefern, und der Prinzipal, der ihn freundlicher als den ersten begrüßte, trat an den Tisch, um es mit Herrn Braun durchzumustern. »Schon fertig?« kreischte dieser; »Ihr seid sehr fleißig, Meister Haase.« – »Habe mehrere Nächte durchgearbeitet,« antwortete seufzend der Weber; »mein Weib wird immer kränker, und da muß ich des Nachts wachen und webe unterdessen.« – »Das ist mir nicht lieb,« sagte der Prinzipal, der, unterstützt von den scharfen Augen des Herrn Braun, Elle um Elle mit der größten Genauigkeit durchsah, »das ist mir gar nicht lieb, Meister Haase, das schadet der Ware; sieht Er, hier fangen die Nachtwachen an.« Dabei bezeichnete er eine Stelle des Stoffes, wo der Herr Braun ein kleines Knötchen entdeckt hatte. »Ja, ja, hier fangen die Nachtwachen an,« wiederholte er, »das ist schlechte Arbeit, und da wieder ein Knoten.« – »Schlechte Arbeit,« sagte der Weber, »habe ich noch nie gemacht.« – »Sehen Sie da,« fistelte der Herr Braun, »da ist ein Oelflecken, um Gottes willen, ein Oelflecken!« – »Wahrhaftig, ein Oelflecken!« bekräftigte der Prinzipal; »da müssen wir bedeutende Abzüge machen.« – »Abzüge, Herr Pfeffer?« sagte ernst der Weber, »das kann Ihr Ernst nicht sein; haben Sie mir je einen Fehler nachweisen können? Ich habe den Flecken auch gesehen, aber er läßt sich ganz gut herausbringen; o, dieser Flecken, Herr Pfeffer, ist vorgestern nacht in das Stück gekommen, das war für mich eine schreckliche Nacht! Die Frau im Bett, ich denke, sie stirbt jeden Augenblick, und ich mußte beständig vom Webstuhl zu ihr hinlaufen, die Arbeit stehen lassen und der kranken Frau bald zu trinken geben, bald sie zurechtlegen.« – »Diese Unterbrechungen sieht man wohl an der Arbeit,« bemerkte kalt der Prinzipal.
»Auch,« fuhr der Weber ruhig fort, »auch mein kleines Kind ist krank, es konnte nicht schlafen und warf die Lampe vom Webstuhl um, daher kommt der Flecken, wofür Sie wohl diesmal Nachsicht haben können, ich brauche mein Geld so notwendig.« – »Tut mir leid,« sagte der Prinzipal und ging an sein Buch zurück; »notieren Sie die notwendigen Abzüge, Herr Braun. Der Meister Haase bekommt acht Taler sechs Groschen, davon – was macht der Abzug? – also davon zwei Taler sechs Groschen Abzug für schlechte Arbeit, bleibt sechs Taler. Zwei Drittel hiervon werden dem Meister auf Warenkonto gutgeschrieben, bekommt Er bares Geld zwei Taler.«
Bei dieser Abrechnung zuckte ein wilder Schmerz über das Gesicht des Webers, und sein sonst gutmütiges Gesicht wurde ernst, ja drohend. »Herr Pfeffer,« sagte er, »Sie wollen also keine Barmherzigkeit mit mir haben, und wollen mir, der Ihnen schon seit langer Zeit untadelhafte Ware geliefert, einen Abzug wegen eines Fehlers machen, der, ich sage es offen, unbedeutend ist, und den zu verhüten, weiß Gott nicht in meiner Macht lag! Nun gut, ziehen Sie mir zwei Taler sechs Groschen ab, ich will nicht vor das Fabrikgericht gehen, aber zahlen Sie mir sechs Taler bares Geld, weiß Gott, ich kann keine Ihrer Waren gebrauchen,« – hier seufzte der Mann – »denn die Waren, welche ich um dieses Geld für meine Kranken kaufen muß, haben Sie ja doch nicht.«
Der Prinzipal hob seine Brille aus und sprach kalt: »Was ausgemacht ist, bleibt ausgemacht, zwei Drittel Waren, ein Drittel bares Geld; hier sind zwei Taler, ein so fleißiger Mann, wie Sie, wird den kleinen Verlust bald wieder eingebracht haben. Herr Braun, notieren Sie für den Meister Haase die Rosakette dort, und Sie, Herr Block, geben Sie weißen Einschlag dazu, Nummer 4.«
Der Weber kämpfte während dieser Zeit mit sich selbst, doch trat er nach einer Pause ruhig vor den Prinzipal und sagte: »Bemühen Sie sich nicht mit der Rosakette, Herr Pfeffer, schließen Sie mein Konto und zahlen Sie mir meine sechs Taler, ich arbeite nicht mehr für Sie.«
Erstaunt blickte der Prinzipal auf, und Herr Braun wollte einige begütigende Worte sagen.
»Sparen Sie Ihre Rede,« versetzte der Meister Haase, »so behandelt man keinen Menschen, es wird schon noch die Zeit kommen, wo überhaupt kein ordentlicher Weber mehr in Ihre Wiegkammer kommt.«
Der Prinzipal kämpfte einen Augenblick mit sich selber, ob er seinen besten Arbeiter wegen dieser Kleinigkeit solle ziehen lassen, doch zischelte es in diesem Augenblick aus dem Sprachrohr an sein Ohr, und Fräulein Pfeffer sprach die Worte: »Laß den Kerl laufen, er bekommt soviel mehr bezahlt als jeder andere, und hat an meinen Waren immer etwas auszusetzen, hat neulich sogar gesagt, ich habe zu leicht gewogen, und mein Zucker sei naß, der Schlingel.« Dies entschied. Von seinen sechs Talern mußte der Weber die Hälfte stehen lassen, bis er die hölzernen Spulen, die dem Fabrikherrn gehörten und die vielleicht einen Wert von zehn Silbergroschen hatten, abliefern würde, alsdann verließ er mit einem unterdrückten Fluch das Zimmer.
Solche Szenen folgten eine der andern. Herr Braun spürte an den Seidenzeugen umher, und seinem Blick entging nichts das geringste. Die Zunge der Wage mußte mit einer Schärfe einspielen, die unglaublich war, Abzüge wegen fehlender Seide oder wegen kleiner und großer Fehler wurden unzählige gemacht, und je größer die Liste derselben wurde, je eifriger rieb sich der Prinzipal die Hände. In dem Sprachrohr zischelte es hin und her, und auch Fräulein Pfeffer machte glänzende Geschäfte. Diese, über die Blütenjahre längst hinaus, war lang und hager, äußerlich ein vollkommener Gegensatz ihres Bruders, im Innern aber harmonierte das Geschwisterpaar aufs vollkommenste. Hatte man aus der Wiegkammer dem armen Weber abgezogen, was nur möglich war, so schraubte ihn Fräulein Pfeffer aufs allerentsetzlichste, indem sie ihm für das Guthaben auf das Warenkonto schlechten Zucker und noch schlechteren Kaffee gab, oder den armen Leuten Sachen aufdrängte, die sie oftmals gar nicht brauchen konnten.
Diese würdige Dame trug ein altes, verschossenes, hochgelbes Seidenkleid und hatte auf zwei mächtigen falschen Locken eine große Blondenhaube mit zerknitterten Blumen; dabei war es komisch anzusehen, wenn sie in diesem prachtvollen Anzug Kaffee und Zucker wog und Butter und Seife auf blaues, schmutziges Papier strich.
In der Wiegkammer klapperten die Spulen, klirrte die Wage, fistelte der Herr Braun, rumorte der Herr Block mehr, als notwendig schien, und dazwischen annoncierte der Prinzipal seiner Schwester die unglücklichen Schlachtopfer, welche aus dem Regen in die Traufe kamen.
»Die Frau Müller,« schallt es in den Laden herüber, »hat gut drei Taler,« und, so angekündigt, erschien die Weberfrau vor dem Fräulein Pfeffer. »Nehmen Sie sich einen Stuhl,« sagt dieselbe herablassend und kritzelte in ihr Buch. »Sie hat zwei Taler gut geschrieben, was wünscht Sie, liebe Frau?«
Die Frau Müller zieht ein Papier heraus und legt es auf den Tisch; da sind verzeichnet: Kaffee und Zucker, Salz und Pfeffer, Baumöl und Brennöl, wollener Stoff zu einem Unterrock, wollenes Garn zu Strümpfen für den Mann und baumwollenes Zeug zu Hemden für die Kinder. Das Ganze macht einen Taler und vierundzwanzig Silbergroschen.
»Was legen wir hinzu für die sechs Silbergroschen, die noch fehlen?« sagt Fräulein Pfeffer; »Sie ißt ja gern Stockfisch, ein sehr gesundes Essen, und weiß Sie was, tue Sie Ihrem Manne etwas zu gut und nehme ein Pfund Tabak zu zwei Silbergroschen!« – »Aber mein Mann raucht nicht,« sagt die Frau; »den Stockfisch würde ich schon nehmen.« – »Stockfisch macht zwei Silbergroschen,« entgegnet die Schwester des Prinzipals, »dazu legen wir zwei Ellen Band, um Ihre Sonntagshaube aufzuputzen, macht fünf Silbergroschen, und,« setzt sie mit einem Lächeln hinzu, das gutmütig aussehen soll, »wenn man so weit gegangen ist, kann man schon ein Schnäpschen trinken und eine Bretzel essen, macht zusammen sechs Silbergroschen. Ein Taler vierundzwanzig und sechs macht zwei Taler.« Wie der Blitz sind die zwei Ellen verschossenes, für die Frau ganz unbrauchbares Band abgeschnitten, der Kümmel, der sich in einer Flasche befindet, welche so voll mit Fliegen ist, als habe man einen Fliegenlikör zubereiten wollen, ist eingeschenkt, eine harte Bretzel danebengelegt, und die arme Frau muß es hinnehmen. Der Schnaps verdirbt ihr den Magen, und, zu Hause angekommen, harrt ihrer eine unglückliche Familienszene, denn der Meister Müller kann bei seiner sitzenden Lebensweise keinen Stockfisch vertragen und tobt mit vollem Recht, als er die zwei Ellen Band bemerkt, die höchst unnötig sind und drei Silbergroschen gekostet haben.
Wie aber oft schon hier in der Welt Vergeltung für Gutes und Böses den betreffenden Taten auf dem Fuße folgt, werden wir zu unserer besonderen Genugtuung auf der Wiegkammer des Herrn Pfeffer zu sehen Gelegenheit haben. Herr Block flüstert dem Herrn Braun einige Worte zu, und dieser meldet dem Prinzipal, der Färber Brand sei draußen. »Was will der Kerl?« fragt der Prinzipal, »ich habe nichts mit ihm zu schaffen.«
»Aber ich mit Ihnen,« sagt eine tiefe Stimme, und ohne die Erlaubnis abzuwarten, tritt der Angemeldete ins Gemach. Der Meister Brand ist eine große, kräftige Gestalt, nichts als Muskeln und Sehnen, welche ein außerordentlich starkes und kräftiges Knochengebäude zusammenhalten, eine Gestalt, wie sie recht für einen Färbermeister paßt. Das Gesicht hat einen braunen Anstrich, die Merkmale der frischen Luft und des Wassers, in welch beiden Elementen sich der Meister den Tag über bewegt, doch zeigt die Nase eine verdächtige Röte, welche deutlich beweist, daß der Färber das letztere Element nur äußerlich, und daß er zur innern Erwärmung und Auffrischung andere Mittel anwendet. Seine Hände, die unverhältnismäßig groß und lang sind, spielen in verschiedenen Farben, doch ist Violett und Schwarz vorherrschend. Er hat bei seinem Eintreten die Mütze mit sichtlichem Widerstreben abgenommen und drückt sie in der Hand zusammen.
»Was will Er?« fährt ihn der Prinzipal an; »wir sind geschiedene Leute, gehe Er mir aus den Augen, denn mir läuft die Galle über, wenn ich an die schöne Partie Schwarz denke, die Er, Meister Brand, durch Seinen ewigen Brand mir verbrannt.« Es zuckt bei diesen Worten eine kaum merkliche Heiterkeit über seinen gelungenen Witz über das Gesicht des Prinzipals, und der Herr Block und der Herr Braun lachen pflichtschuldigst.
Der Färber scheint aber nicht geneigt, diesen Spaß so ruhig hinzunehmen, obgleich er ebenfalls ein klein wenig lacht. »Das sind,« sagt er mit seiner tiefen, rauhen Stimme, »abgemachte Sachen, und davon spricht man nicht weiter. Die Seide war verbrannt, so haben Sie nämlich vor dem Fabrikgericht ausgesagt, obgleich der Meister Steffens eine Ware davon geliefert hat, eine Ware, nun, die nicht schlechter ist als Ihre übrigen. Dabei haben Sie aber vergessen, daß ich den Austrag hatte, die Ware schwerer zu färben, als es eigentlich möglich war, weshalb die Seide verderben mußte, was ich Ihnen auch im voraus gesagt.« – »Und was wollt Ihr eigentlich?« entgegnete Herr Pfeffer, »wir sind im reinen, das Gericht hat Euch den Abzug für die verbrannte Seide zuerkannt, Ihr habt ihn bezahlt, und damit Punktum!« – »Noch lange nicht Punktum,« versetzte der Färber ruhig, »es hat sich in der Abrechnung ein kleiner Fehler ergeben, das haben mein Advokat und ich herausgebracht, und hier ist der Nachweis darüber.« Er legte ein Papier auf den Kontortisch, und der Chef des Hauses, während er es entfaltete, sagte gereizt: »Das ist unmöglich, ich irre mich nie.« – »Zu Ihrem Nachteil, ganz richtig, das kommt wohl selten vor, aber zum Nachteil der armen Leute, die für Sie arbeiten, zuweilen.« – »Was, Ihr wollt mir auf meiner Wiegkammer Injurien sagen?« entgegnete der Prinzipal, »Herr Block, Herr Braun, Sie sind Zeugen.« – »Ja,« entgegnete der Färber lachend, »dies Papier zeugt auch, und wenn es Ihnen lieber ist, so kann ich es auch beim Fabrikgericht vorzeigen.«
Der Herr Pfeffer hielt das Papier in zitternder Hand und las es hastig durch, der Zorn stieg ihm blau und rot ins Gesicht, dann sprang er ans Hauptbuch und jagte die Paginas herum, daß Staub und die eingelegten Blätter von seinem Papier in die Höhe wirbelten; dann rechnete er emsig, zerstieß ein paar Federn, notierte aus dem Buch und verglich die Zahlen alsdann mit der Abrechnung des Färbers, wurde ganz blaß, als er zum Endresultat kam, und schnappte mühsam nach Atem. Der Färber hatte dieser Szene lächelnd zugesehen, einen Stuhl an den Tisch gezogen und sich ruhig niedergesetzt.
»Wer hat,« fragte jetzt der Chef des Hauses, und die Wut erstickte fast seine Stimme, »wer hat jene Abrechnung für das Fabrikgeschäft ausgezogen? Herr Braun, ich will nicht hoffen?« – »Herr Prinzipal,« entgegnete der dünne Mann schüchtern, »ich war, wie Sie wissen, damals einige Tage unwohl und, wie ich glaube, hat der Herr Block – –« – »Der Herr Block also?«
Dieser junge Mensch hatte dem Auftritt mit großer Seelenruhe zugesehen und entgegnete kaltblütig: »Allerdings habe ich den Auszug gemacht und ihn dem Herrn Prinzipal zur Unterschrift vorgelegt, doch stand ja ausdrücklich darunter: Irrtum vorbehalten.« – »Herr Block also,« sagte der Prinzipal, majestätisch und groß, und schlug das Hauptbuch zu, daß es krachte, »Herr Block, Sie sind aus meinen Diensten entlassen, gehen Sie nach Haus, ich werde mit Ihrem Vater über Sie sprechend
Herr Block sah den Prinzipal einige Augenblicke ruhig an, und es schien, als habe der Abschied keinen großen Eindruck auf ihn gemacht. Lachend sagte ihm der Färber: »Es tut mir leid, Herr Block, aber machen Sie sich nichts daraus, Sie finden überall eine solche Stelle, wie gesagt, machen Sie sich nichts daraus.« Der Lehrling schien diesen guten Rat auch vollkommen zu befolgen, er nahm seine Mütze von der Wand, klopfte den Staub heraus und sagte, indem er gegen den Prinzipal eine Verbeugung machte: »Adieu, Herr Pfeffer, der Papa hat mir gesagt, als ich hierher kam, das sei ein Glück für mich, ich bekäme einen wohlwollenden, freundlichen Prinzipal, könne was Rechtes hier lernen, und das habe ich auch so geglaubt, aber: Irrtum vorbehalten. Guten Morgen, Herr Pfeffer!« Damit ging er zur Tür hinaus.
»Und meine Abrechnung?« sagte der Färber, »nicht wahr, wir können auch rechnen? Ich bekomme demnach noch sechs Taler.«
Der Chef würdigte ihn keiner Antwort, er wollte offenbar vollkommen ruhig scheinen, doch als er die Kasse aufschloß, klirrten die Schlüssel bedeutend in seiner Hand, und er zählte die sechs Taler zitternd auf den Tisch.
Ein boshaftes Lächeln überflog die Züge des Färbers, indem er sagte: »Ei, wo denken Sie hin, Herr Pfeffer! Ich bekomme freilich sechs Taler, aber wie es immer in Ihrem werten Hause Brauch ist, ein Drittel in barem und zwei Drittel in Waren. Ich kann es wahrhaftig nicht unterlassen, dem Fräulein Pfeffer einen Abschiedsbesuch zu machen.«
Das war zu viel für den Prinzipal, er sprang von seinem Stuhl auf und wollte hitzig werden; aus dem Sprachrohr zischelte es: »Laß mir diesen Kerl um Gottes willen nicht in den Laden!« und der Herr Pfeffer hatte darauf allerhand Entwürfe. Doch was war zu tun? Als Fabrikherr auftreten in Würde und Hoheit, das machte keinen Eindruck auf den Färber, nach der Polizei schicken, das widerriet die Fistelstimme des Herrn Braun, vor das Fabrikgericht gehen, das war nicht tunlich, denn er hätte dort unrecht bekommen und wäre von seinen Kollegen ausgelacht worden! Er hatte einmal den Kontrakt mit seinen Arbeitern gemacht, und was dem einen recht ist, ist dem andern billig. »Ich kann nichts tun,« sagte er in die Sprachröhre, »gib dem Kerl, was er verlangt.« Damit setzte er seine schwarze Samtmütze auf und stürzte aus der Wiegkammer, indem er die Tür hinter sich zuwarf, ohne den Färber anzusehen.
Dieser schritt lachend in den Laden und hielt an der Tür Fräulein Pfeffer auf, die ebenfalls eben im Begriff war, zu entfliehen. »Ist das auch eine Art,« sagte er, »wenn man sein Geld sauer verdient hat, daß man Umstände macht, einem die Waren dafür zu geben?«
Was wollte die Ladenbesitzerin machen! Es war die herbste Stunde ihres Lebens, aber sie mußte sich in Geduld fügen. Der Färbermeister teilte seine Einkäufe in sehr kleine Portionen, das Geschäft dauerte über eine halbe Stunde, auch bekrittelte er die Waren und wog die Sachen häufig selber nach, da ihm hier und da ein halbes Lot zu fehlen schien. Alsdann machte er seine Rechnung mit mehreren Gläsern Schnaps voll, zu welchem Zweck er aber den Fliegenlikör verwarf, und dann ging er, geistig erheitert und stolz über seinen Sieg, von dannen.
Dieser Zustand war wohl schuld, daß er dem Herrn Braun in Gegenwart von ein paar Webern einige höchst unpassende Worte sagte und ihn ermahnte, doch ja zu bedenken, daß der Färber und der Weber eigentlich auch Menschen seien.
Herr Pfeffer kam an diesem Tage nicht mehr auf die Wiegkammer, und Fräulein Pfeffer mußte sich heftiger Krämpfe halber zu Bett legen.