Friedrich Wilhelm Hackländer
Handel und Wandel
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Bekehrungsversuche des Herrn Specht.

Ueber unsern vortrefflichen Buchhalter – vortrefflich in den Augen der Prinzipalin, und als Kaufmann, wie mir schien, ohne Tadel – habe ich eigentlich noch gar nichts gesagt. Er war die Seele des Geschäfts und sah ebenso auf Ordnung wie Madame Stieglitz, nur gab er sein Gefallen oder Mißfallen auf ganz andere Art zu erkennen. Jene machte bei einem vorkommenden Fehler ein ernstes Gesicht, sagte: »Ei, ei,« und sah sich wohl veranlaßt, bei größeren Nachlässigkeiten der Ladenjungfer und mir einige ernste, derbe Worte zu sagen, dieser dagegen brauchte nie einen heftigen Ausdruck. Hatte ich ein Etikett unrichtig bezeichnet, zu welchem wichtigen Geschäft ich nach und nach gebraucht wurde, so faltete er die Hände, machte mich mit leiser Stimme auf meinen Fehler aufmerksam und konnte hinzusetzen: »Der Herr möge Sie erleuchten!«

Mit der Ladenjungfer schien er nie recht zufrieden; sie war eine arme, gutmütige Person aus einem Dorfe in der Nachbarschaft und hatte ein unbeholfenes, ja etwas bäurisches Wesen nie recht ablegen können. Auch schien die Gnade des Herrn, wovon der Buchhalter soviel sprach, nicht bei ihr zum Durchbruch kommen zu können, und selbst die frömmsten Reden desselben machten keinen Eindruck auf sie. Wenn sie auf ein ernstes Wort der Prinzipalin einen begangenen Fehler augenblicklich und mit dem besten Willen verbesserte, so konnte sie bei ähnlicher Gelegenheit einen frommen Wunsch des Herrn Specht, sie möge Gott um Kraft bitten, ihre Geschäfte mit mehr Pünktlichkeit besorgen zu können, mit einem recht bösen Lächeln beantworten, und ich hatte oft schon bemerkt, wie dann aus den sanften Augen des Buchhalters ein giftiger, unheimlicher Blick zuckte. Obgleich sie nichts weniger als schön war, so erschienen doch die Formen ihres Körpers nicht unangenehm; sie war stark und kräftig und handhabte die schwersten Stoffe mit der größten Leichtigkeit.

Den Buchhalter zu necken, war ihr größtes Vergnügen, und da auch mir der süßliche, schleichende Mensch mißfiel, so freute ich mich über alle Streiche, die sie ihm spielte.

Zwischen diesen beiden herrschte überhaupt ein merkwürdiges Verhältnis, doch war es kein freundliches. Eines Abends aber sah ich noch mehr, denn als ich etwas später als die beiden in mein Schlafzimmer ging und leise ohne Licht die Treppen hinaufstieg, bemerkte ich den Herrn Buchhalter und die Ladenjungfer, die eben auf dem Gange zusammen sprachen, sie lachend, er mit leiser Stimme in heftiger Bewegung. »Versuchen Sie es,« sprach er, »tun Sie sich Zwang an, den himmlischen Funken, der auch in Ihrer Brust wohnt, zur hellen, freundlichen, gottgefälligen Flamme anzublasen, lassen Sie zerschmelzen die rauhe Schale, so Ihr Herz umgibt, lassen Sie mich mit sanfter Freundeshand die helle Leuchte wahren Christentums in Ihnen entzünden, daß das liebliche Licht unser beider Leben mit rosigem Schein beleuchte.« Das Mädchen lächelte, eifriger fuhr der Herr Specht fort und schluchzte bedeutend. »Ihr Herz, Ihr Gemüt ist kalt, weil es finster ist, ohne belebendes Sonnenlicht! O, könnten Sie einmal die Wonne der sanften Wärme genießen, die durch mein Inneres bebt, Sie würden alsdann auf dem Rosenpfade der christlichen Liebe fort und fort wandeln, bis ich Sie einführen dürfte in den grünen Schatten der duftigen Hütten, wo das geläuterte Herz, nachdem es seine Prüfungen bestanden, sanft gegen einen gleichgesinnten Busen schlagen darf.« Er hatte bei diesen letzten Worten die Hand des Mädchens ergriffen und küßte sie eifrig, worauf sie, ängstlich lächelnd, erwiderte: »Lassen Sie Ihre Reden, Herr Specht, ich verstehe Sie nicht, und es wird mir ängstlich dabei.« – »Diese Aengstlichkeit,« antwortete der Buchhalter und küßte feuriger, »diese Aengstlichkeit entzückt mich, der böse Feind in Ihnen ist erschüttert, es wankt das Fundament Ihres Unglaubens, öffnen Sie die Fenster Ihres Herzens und lassen Sie hinein das junge, rosige Morgenlicht.« Er umschlang ihren Leib und sagte dringender: »Kommen Sie, Therese, lassen Sie uns gemeinsam beten, o wie sind die Lippen so holdselig, wenn sie, bewegt von milden, christlichen Worten, freundlich einem gläubigen Freunde während das Herz dem Herzen geöffnet ist, ein begeistertes Hallelujah jauchzen!« Der Busen des Mädchens hob sich heftig, als er fortfuhr, zu sprechen: »Und wie würde sich unser äußeres Leben freundlich und gottgefällig gestalten, wenn wir, im Glauben vereint, des Tages Last und Mühe gemeinschaftlich trügen!« –

Jetzt hustete ich auf der Treppe und trat eilig herauf. »Verzeihen Sie, Mamsell Therese,« sagte da der Herr Specht in ganz anderem Tone als vorhin, »mir ist meine Lampe erloschen, ich wünschte sie an Ihrem Licht anzuzünden.« Die beiden wurden meiner ansichtig, da ich die Treppe ganz hinaufstieg; ich wünschte eine gute Nacht und ging in mein Zimmer.

Es war noch früh, und obgleich in meiner Stube ziemlich kalt, setzte ich mich hin, etwas zu lesen, doch trat gleich darauf der Buchhalter zu mir und war äußerst freundlich und gesprächig. »Schön, schön,« sagte er, »daß Sie sich in Ihren Feierstunden beschäftigen, doch sollten Sie, statt die Zeit mit unnützen Schriftstellern zu verderben, eine fromme, geistliche Lektüre erwählen, und Ihr Herz durch die herrlichen Lehren der Heiligen Schrift stählen gegen die Versuchungen der Welt; kommen Sie zu mir herüber, mein Zimmer ist durch die unverdiente Freundlichkeit der Frau Prinzipalin erwärmt, und da ist es angenehmer, denn die Kälte ist nicht geeignet, das Herz empfänglich zu stimmen.«

War mir der Buchhalter auf der Treppe in seinen Reden sonderbar, ja lächerlich vorgekommen, so mußte ich mir jetzt bei seinem Anblick gestehen, daß ich nie früher diesen seltsamen Gesichtsausdruck an ihm bemerkte. Sein Auge glänzte, seine Wangen glühten, und über sein ganzes, sonst so melancholisches Gesicht lagerte der Schein einer wilden Lustigkeit. Ich folgte ihm, und es war das erste Mal, daß ich sein Zimmer betrat. Das erste, was ich bemerkte, war eine starke Punsch-Atmosphäre, welche sich aus einem großen, halbgefüllten Glase, das auf dem Tisch stand, entwickelte. In der Stube befanden sich etwas bessere Möbel, als in der meinigen, auch hatte er ein Sofa und einen Ofen, von welchem eine behagliche Wärme ausströmte. Diese Wärme war um so wohltuender, da wir schon Ende November hatten und es in den Zimmern, namentlich abends, schon recht kalt war. Obgleich die Prinzipalin keinem von uns verwehrte, bis zehn, auch halb elf Uhr in dem geheizten Speisezimmer zu bleiben und dort bei einer Lampe zu lesen, so zog ich es doch vor, abends für mich allein auf meinem Zimmer zu sein, wo ich dann trotz der Kälte noch etwas schrieb oder las.

Unserem Hause gegenüber war der größte Gasthof der Stadt, und ich konnte stundenlang an meinem Fenster sitzen und dem Leben und Treiben drüben zuschauen. Wenn drüben alles so hell erleuchtet war und in jedem Zimmer andere Szenen spielten, denen ich öfters in der Dunkelheit zulauschen konnte – das war für mich ein eigentümlicher Genuß.

Auf dem Tische des Herrn Specht lag eine aufgeschlagene Bibel, und ich sah an der Ueberschrift, daß es das Hohelied Salomonis sei, worin der Buchhalter gelesen. Er rückte mir einen Stuhl an den Ofen, und wir setzten uns. Der Herr Specht war so freundlich, mir von seinem Leben zu erzählen, und ich bemerkte dabei, daß er gern bei den Erinnerungen verweilte, die ihm aus den Jahren, wo er bei dem Hause Stieglitz u. Comp. in Amsterdam konditioniert, in seinem Innern aufstiegen. »Ja, mein Freund,« sagte er, »ein großes Geschäft ist und bleibt immer ein großes Geschäft, und nur das, daß ich hier die Prokura besitze, also eigentlich Mitchef bin, kann mir den Verlust meiner schönen Reisen einigermaßen erträglich machen. Auch,« setzte er mit frommem Blick gen Himmel hinzu, »kommt man endlich in die Zeit, wo man ein stilles, beschauliches Leben dem geräuschvollen Treiben der Welt vorzieht, und ich habe geräuschvoll und vergnügt gelebt, mein Lieber! Ich reiste für das Haus Stieglitz u. Comp. in Indigo, in blauem Indigo, und reiste mit zwei Pferden und einem Kutscher; unser Haus war berühmt, ich brauchte bloß zu sagen: »Mein Name ist Specht vom Hause Stieglitz u. Comp.«, so füllte sich meine Schreibtafel augenblicklich mit Bestellungen. Ah, das war ein Leben, junger Freund!« Er nahm das Glas vom Tische, tat einen großen Zug daraus und bot auch mir zu trinken an, ich ließ mich nicht lange nötigen und fand einen recht guten Punsch. »So strenge ich,« fuhr der Buchhalter fort, »in meinem gewöhnlichen Leben bin, und so sehr ich eigentlich den Genuß geistiger Getränke hasse, so gibt es doch Augenblicke, wo ich meinem Geist, der bleiern und schwer, das Diesseits nicht verlassen will, aufhelfe, damit er fröhlich emporflattere. Der Mensch ist ein schwaches Geschöpf, und das, was wir Körper nennen, muß hier und da aufgestachelt werden, damit es sich aufraffe und dem jubilierenden Lerchenschlag der Seele nicht widerstrebe, die aus den schweren Banden nach der himmlischen Höhe strebt.«

Mir schien, der Herr Specht habe sich schon bedeutend aufgestachelt, denn aus seinem flammenden Auge sprach eine außerordentlich jubilierende Seele, und er führte Redensarten, die für einen wenig Erleuchteten, wie ich, unverständlich waren; doch ging ich in seine Ideen ein und versprach auf seine dringende Bitte, alles mögliche an mir zu tun, damit das Licht in meinem Innern, welches ebenfalls durch sündige Asche verdeckt sei, zu einem hellen Aufflackern gelangen könne.

Meine guten Vorsätze rührten den Herrn Specht, und da ich sehr viel Punsch dazu trank, auch ihm das Glas häufig hinreichte, so wurde er ganz glückselig und jubilierte schluchzend, und dankte seinem Schöpfer, daß es ihm gelungen sei, abermals eine Seele auf den richtigen Weg zu führen. Dieses Jubilieren artete aber zuletzt in so merkwürdige Redensarten und Ausrufungen aus, daß es mir nicht möglich war, einen Sinn darin zu finden. Ich beurlaubte mich deshalb und ging in mein Zimmer zurück, wo ich meinem Vorgesetzten noch lange zuhorchte, wie er Bibelstellen rezitierte und mit unsicherer Stimme Verse aus dem Gesangbuch ableierte. Endlich schlief ich ein und versäumte am andern Morgen zum erstenmal die Stunde des Aufstehens, was mir einen sehr ernsten Blick der Madame Stieglitz zutrug.

Im allgemeinen war es mir aber wirklich gelungen, die Gunst der ernsten, finstern Frau zu gewinnen. Sie erlaubte mir häufig, meine Verwandten zu besuchen, und nach jedem Brief, den ich dem Professor bei solcher Gelegenheit übergab, wurde sein Gesicht freundlicher, und der Empfang bei seiner Frau und der kleinen Emma herzlicher. Wenn ich von der kleinen Emma spreche, so war dieses Prädikat durch ihr Aeußeres gar nicht gerechtfertigt; Emma, obgleich erst vierzehn Jahre, war schon ziemlich ausgewachsen, und wenn wir uns zuweilen durch einen Strich an die Tür maßen, so behauptete sie immer, ich habe sie übervorteilt und sei wenigstens einen halben Zoll kleiner.

Ich war damals sechzehn Jahre alt und begann aus allen Kräften zu wachsen; daß ich auf diese Art von Woche zu Woche fast merklich größer wurde, war mir nun recht lieb, dagegen kümmerte es mich sehr, daß meine Kleidungsstücke mich treuloserweise stecken ließen und nicht mit mir in die Höhe und Breite wuchsen. Der Vormund hatte erklärt, es seien keine Mittel vorhanden, mir vor Ablauf eines Jahres irgend etwas an neuer Garderobe zu verschaffen, und wenn mir die Großmutter nebst einem eindringlichen Briefe nicht das Geld zu einem Mantel geschickt, so hätte ich schon im Spätherbst bedeutend frieren müssen. Um mein einziges Tuchbeinkleid einigermaßen dem Körper passend zu erhalten, wurde durch die dicksten Stege unter den Stiefeln und ein furchtbares Anschnallen der Hosenträger das Uebermögliche getan, so daß die Knöpfe schon mehrere Male abgerissen waren, und ich dieselben abends selbst wieder befestigen mußte. Doch hat alles in der Welt seine Grenzen, auch die Dehnbarkeit eines abgetragenen Beinkleides, und so geschah es mir eines Tages, daß, als ich einige Stücke schweren Stoffs von der Stelle heben wollte, sämtliche Anhaltspunkte meiner Hose mit einemmal unerbittlich ihren Dienst aufkündigten und mir sogar der Stoff des linken Beines in der Gegend des Knies rund herum abriß. Verzweiflungsvoll eilte ich auf mein Zimmer und überlegte mit tiefem Schmerz, was nun zu tun sei, denn der Schaden war augenblicklich nicht zu ersetzen.

So eifrig ich auch meine Garderobe, die in einer Ecke des Zimmers sich hinter einem baumwollenen Vorhange befand, durchmusterte, es war wirklich kein Ersatzstück zu finden, als eine nicht mehr neue, graufarbige Sommerhose. Ich entschloß mich kurz und gut, sie anzuziehen, warf einen wehmütigen Blick auf die Eisblumen am Fenster und litt, während ich hinunterging, mehr von dem Gefühle meiner Armut als von der Kälte. Herr Specht schüttelte den Kopf, die Ladenjungfer lächelte, und die Prinzipalin winkte mir ins Speisezimmer.

»Nehme Er mir nicht übel,« sagte die Frau ernst, »aber in solchem Anzug geht man nicht in den Laden!« Ich schwieg. »Ei, ei,« fuhr sie fort, »wie kann man sich so vergessen! Oder,« sagte sie zögernd und sah mich mit einem gutmütigen Blick an, der sich in einen herzlichen und freundlichen verwandelte, als sie bemerkte, daß sich meine Augen mit Tränen füllten, »oder ist Seine Garderobe vielleicht so schlecht bestellt?« Ich nickte ja und setzte mit unsicherer Stimme hinzu, da mein Vormund sich geweigert habe, mir binnen Jahresfrist anderes machen zu lassen, so sei ich nicht imstande, dieselbe zu verbessern. »Es tut mir unendlich leid, so zu erscheinen, aber ich habe nichts anderes.«

»Hm, hm,« sagte die Prinzipalin, »das geht aber nicht, und ich werde mich darum bekümmern. Schau Er, mein Freund, ich habe mit Vergnügen bemerkt, daß Er seine Kleidungsstücke recht sauber ausputzt, aber ebenso ist es mir nicht entgangen, daß dieselben nicht waren, wie sie hätten sein müssen; glaub' Er mir aber, es ist für mich ein delikater Punkt, und wenn man auch behauptet, die Frau Stieglitz sei eine derbe, verdrießliche Frau, die kein Gefühl habe, so ist das doch nicht wahr! Ich bin hart und gefühllos gegen schlechte Subjekte, aber für Leute, die sich gut aufführen, wie Er bis jetzt getan, sorge ich mit großem Vergnügen. Er kann,« fuhr sie fort, »ein paar Tage aus dem Laden wegbleiben und anfangen, das neue Hauptbuch einzurichten, und während der Zeit läßt Er sich machen, was Er braucht.« – »Aber,« entgegnete ich, gerührt durch die freundlichen Worte der ernsten alten Frau, »ich weiß nicht, ob der Vormund . . .« – »Was aber! was Vormund!« fuhr sie mich hart an, »tu' Er, wie ich Ihm geheißen, und sei Er nicht naseweis, auch schenken will ich Ihm nichts, da kann Er ruhig sein, es wird schon die Zeit kommen, wo ich mit Ihm Abrechnung halte; pack' Er droben seine Garderobe und seine Wäsche aus, ich will die Geschichte einmal nachsehen; trotzdem Er ein langer, großer Mensch ist, ist Er noch wie ein kleines Kind. Er hätte früher schon offenherziger gegen mich sein sollen, nur keine falsche Scham! Jetzt geh' Er!«

Nach Tisch kam der Schneider und maß mein Aeußeres nach allen Richtungen.

Seit jenem Abend auf seinem Zimmer hatte mich der Buchhalter lebhaft protegiert, gab mir alle möglichen Anleitungen und Erleichterungen beim Buchführen, nahm mich sogar eines Tages auf die Wiegkammer und zeigte mir, wie die Seidenstücke zusammengelegt wurden. Auch gegen seine ewige Zielscheibe, die Ladenjungfer, war er auffallend freundlich geworden, und wirklich schienen die beiden, wie der Herr Specht an jenem Abend gesagt, »im Glauben vereint des Tages Last und Mühen freundlich und gemeinschaftlich zu tragen«. – Ich fand damals nichts Arges hierin.

Mich ging das ja auch nichts weiter an, und ich bekümmerte mich nicht darum. Auch in das Zimmer des Buchhalters ging ich nur auf seine Einladung und bekam da oftmals einen guten Punsch zu trinken. Doch nahm er sich auch meines inneren Menschen eifriger als je an und füllte meinen Kopf so mit mystischen Redensarten, machte mir solche Angst vor dem Bösen, das in uns beschäftigt sei, Seele und Leib zu verderben, daß ich eifrig seine Mittel dagegen benutzte. Diese bestanden im Lesen sonderbarer Bücher, die er mir mitteilte, beständigem Gebet und wiederholtem Auswendiglernen von Liedern aus dem Gesangbuch, die er mir förmlich aufgab.

Diese Uebungen an und für sich wären nun nicht so übel gewesen, doch lag etwas in denselben, was die Phantasie reizte und im Innersten des Herzens Bilder widerspiegeln ließ, von denen ich früher keine Ahnung hatte. Seine Vorträge, die er mir öfters hielt, waren glatt und wie verhängt mit dunkeln Reden, so daß der Sinn in diesem ungewissen Umherstreifen gern einen Schimmer erfaßte, den er zuweilen hineinfallen ließ.

»Man kann nichts lieben,« sagte er, »von dem man sich keinen Begriff machen kann; ich liebe Gott, ich liebe die Kirche, doch trage ich diese Neigung auf ein Bild über, das ich in meines Herzens Innerstem aufstelle. – Was ist Gott? – Gott ist alles um uns her – ist aber unser Begriffsvermögen groß genug, um alles um uns her mit der glühenden Liebe zu erfassen, die wir unserem Schöpfer schuldig sind? Nein, und eben deshalb ist es uns erlaubt, unsere Andacht vor einem Bilde zu begehen, das wir uns gläubig entwerfen, indem wir doch nur das Höchste lieben. Der schwache Mensch,« fuhr er fort, »ist nun einmal gezwungen, sein bestes Gefühl nur dem zuzuwenden, was er begreifen kann, und er begreift nur das, was er sieht.«

So ungefähr sprach der Buchhalter mit mir und warf meine Begriffe fürchterlich durcheinander; daß man nur etwas Körperlichem zugetan sein könne, das begriff ich vollkommen, konnte aber keine Vereinigung finden zwischen der Liebe, die man zu Gott haben soll, und zwischen der Liebe zu einem Bilde, das ich in mir auf stellte und ihm doch nicht glich. Ich bemerkte diese Zweifel meinem Lehrer und sagte ihm offenherzig, daß ich gegen ein höchstes Wesen nach einem Bilde, wie man es gewöhnlich von ihm macht (ein alter, ernster, ja zorniger Mann, mit langem Bart, der auf den Wetterwolken einherfährt), unmöglich eine Neigung fassen könne, wie er sie in diesem Falle verlange. Herr Specht lächelte sanft, erhob den Blick gen Himmel, und ich mußte ihm das Hohelied Salomonis vorlesen.

»Er küsse mich mit dem Kuß seines Mundes, denn deine Brüste sind lieblicher denn Wein.«

Der Buchhalter lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schloß die Augen, während ich ihm vorlas, mir aber machte diese Lektüre viel zu schaffen, und wenn sie auch sonderbare Blitze in meine Phantasie warf, so leuchteten sie mir doch nicht auf dem dunkeln Pfade, den ich betreten. Bei vielen Stellen nickte der Herr Specht mit dem Kopfe, und manche mußte ich ihm zweimal lesen:

»Siehe, meine Freundin, du bist schön, schön bist du, deine Augen sind wie Taubenaugen.

»Wie eine Rose unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Töchtern.

»Komm, meine Braut vom Libanon, komm vom Libanon.

»Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester, liebe Braut, mit deiner Augen einem und mit deiner Halsketten einer.«

Als ich zu Ende gelesen hatte, erlaubte ich mir die schüchterne Frage, die mir viele Zweifel klar machen sollte: »Hat denn König Salomon mit der Liebe, von der er in seinem Hohenliede von einer Freundin und Braut spricht, die Liebe zu Gott und der Kirche gemeint?« – eine Frage, die mir der Buchhalter nicht geradezu beantwortete.

»Lesen Sie,« sprach er mit seltsamem Lächeln, »lesen Sie dieses vortreffliche Lied häufig durch, sprechen Sie in diesen schönen, glühenden Strophen zu einem Bilde, das Sie verehren wollen, und das andere wird sich finden.«

Ich tat, wie mir Herr Specht anbefohlen, und obgleich ich in der ersten Zeit nicht viel von dem versprochenen Lichte merkte, so gewann ich doch durch die geheimnisvollen Worte, die mir freundlich anklangen, die Lehren des Buchhalters lieb und folgte mit gläubigem Vertrauen durch die Irrgänge seiner unverständlichen Reden.


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