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Auf dem Sobbowitzer Herrenhof, dem einstigen »Subitz« geheißenen Amtssitz der Deutschordensvögte, schaltete und waltete Anna von Proen, die geborene Schwarzwald, in Küche und Kammern, auf dem Hof und in den Ställen vom frühen Morgen bis zum späten Abend, als hätte sie es nie anders gekannt. Sie, die niemals, sehr zum Verdruß ihrer auf Ordnung und Pünktlichkeit bedachten und daher als altmodisch verschrienen Mutter, eine Frühaufsteherin gewesen war, erhob sich jetzt zu fast noch nachtschlafender Zeit vom ehelichen Lager und wuchs sich binnen kurzem zum Schreckbild der in dem seither frauenlosen Haushalt arg verwilderten Mägde aus. Es müsse endlich wieder einmal Zucht in das liederliche kaschubische Weibsvolk gebracht werden, hörte ihr Mann, der Feldhauptmann, sie eifern, und wunderte sich nicht wenig, wie geschwind vor seinen sehenden Augen aus dem verzärtelten städtischen Stubengewächs eine stachlige Landdistel geworden war.
An einem dieser nebelgrauen Novembertage, deren Licht, kaum entfacht, schon wieder verglomm, saßen die beiden Neuvermählten in der saalartig tiefen Wohnstube des Herrenhofes schweigend einander gegenüber. Der Sonnenball, der sich erst am Spätnachmittag durch das Nebelgewölk hindurchgearbeitet hatte und jetzt, gleichsam plattgedrückt, breit und trächtig wie eine überreife Frucht zwischen zwei langgestreckten violetten Wolkenbänken zu zerfließen schien, ergoß einen goldenen Strahl durch das dunkelnde Gemach.
Die junge Frau hatte die Hände im Schoß gefaltet und starrte tief in Gedanken vor sich hin.
»Wo bist du mit deinen Gedanken, Schatz?« fragte der Hauptmann und legte seine Hand leicht auf die ihre. »Etwan in Danzig in deinem Vaterhaus? Oder wo sonst?« fuhr er mit gedämpfter Stimme fort, wie um die Stille ringsum nicht zu unterbrechen.
»Ich weiß es selbst nicht,« erwiderte die junge Frau und sah mit einem verlorenen Blick um sich. »Ich glaube, mir fiel gerade ein, ob die Hühner auch ihr Futter bekommen haben, ehe sie in den Stall kamen.«
Proen konnte sich nicht enthalten, laut aufzulachen.
»Ei der Tausend! Guck' mal einer an! Was du für eine Landfrau geworden bist in den paar Wochen!«
Sie lehnte den Kopf zurück und schien nachzudenken.
»Ich will dir etwas sagen, Gerhard. Aber lache mich nicht aus. Ich könnte das nicht ertragen.«
»Soll ich mich nicht freuen, daß meine kleine Frau sich so rasch eingelebt hat und mit ihrem Lose zufrieden ist, und hat sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt.«
Anna machte eine abwehrende Bewegung.
»Ich weiß, ich bin dumm gewesen, Gerhard! Dumm wie ein kleines Kind, das noch von nichts eine Ahnung hat! Aber erinnere mich nicht daran! Ich schäme mich vor mir selbst!«
»Das sollst du nicht, Kleinchen!« rief er und streichelte ihre gefalteten Hände. »Wie alles gekommen ist, so ist es gut.«
»Ich will dir etwas sagen, Gerhard,« wiederholte sie, »ob du's nun glaubst oder nicht. Ich kann mir manchmal schon gar nicht mehr vorstellen, daß ich je etwas anderes gedacht oder getan habe als jetzt.«
»Dann ist damit bewiesen, daß ich recht getan habe, als ich dir mit Gewalt zu deinem und meinem Glück verhalf und dich wie ein rechter Bär hierher schleppte in meine Höhle!« rief Proen und streckte die Arme aus, um sie an sich zu ziehen.
Sie schüttelte lebhaft den Kopf.
»Nein, nein! Nicht jetzt! Und nicht hier! Du tust, als wenn schon Feierabend für uns wäre.«
»Für mich ist immer Feierabend, wenn ich dich bei mir habe und im Arm halten kann. Was gibt es denn noch so viel zu tun?«
»Oh, noch allerhand! Du bist mir auch ein Hausvater! Das Brot für morgen ist an die Mägde auszuteilen. Keller und Speisekammer sind abzuschließen. Willst du, daß die Mägde an die Spickgans und an die Würste gehen? Du bist kein Junggeselle mehr! Hörst du wohl, mein Lieber? Und eine gewisse kaschubische Margell soll keine offenen Türen mehr finden! Nirgendwo! Das mußt du mir versprechen!«
»Alles was du willst,« lächelte Proen und versuchte von neuem, sie in seine Arme zu ziehen.
»Die Nachfolgerin von so einer zu sein, ist freilich eine große Ehre! Hätte ich es vorausgewußt, nie hättest du mich bekommen! Eher wäre ich gestorben!«
»Schon viele Frauen sind Nachfolgerinnen gewesen,« erwiderte Proen gleichmütig, »und sind auch nicht daran gestorben. Warum also du?«
»Pfui! Wie du sprichst!« rief Anna und wandte sich heftig ab. Dann mit einer raschen Bewegung gegen ihn: »Wenn du's durchaus wissen willst: weil ich von einem andern Schlag bin als die meisten Frauen, mit denen du vielleicht zu tun gehabt hast. Und jedenfalls als diese kaschubische Margell! Das ist mein Stolz!«
»Meiner auch!« gab Proen mit unerschütterlichem Gleichmut zurück.
Anna stampfte mehrmals aufgeregt mit dem Fuß auf den Boden.
»Du kannst einen Menschen rasend machen mit deiner Wurstigkeit!«
Proen breitete seine Arme gegen sie aus.
»Komm in meinen Arm, Kleinchen! Da bist du am besten aufgehoben.«
»Bleibe mir mit deinen Tatzen vom Leibe!« schmollte sie, kam aber einen Schritt näher heran.
»Hast du Angst, ich könnte dich zerbrechen?« meinte er und zog sie ganz zu sich auf seine Knie.
Sie ließ es geschehen und flüsterte:
»Weil du ein Bär bist. Ein richtiger ausgewachsener Bär. Du nennst dich ja selbst so.«
»Und Bären pflegt man tanzen zu lassen. Ist es nicht so, Kleinchen?«
»Wenn sie es sich gefallen lassen ...« hauchte sie.
»Man soll sich bei Bären nie allzusehr darauf verlassen,« murmelte er und küßte sie.
Nach einem Weilchen richtete sie ihren Kopf auf und blickte halb verstohlen zu ihm empor.
»Du hast mir noch keine Antwort gegeben.«
»Worauf, Schatz?«
Sie schüttelte unmutig den Kopf.
»Verstelle dich nicht! Du weißt es ganz gut.«
»Ich weiß es bei Gott nicht!« erwiderte er und mußte unwillkürlich lächeln. »Ah! Du sprichst noch immer von Veronika?«
»Ja, von deiner Verflossenen!«
»Sie hat ja doch jetzt ihren Mann,« versetzte er. »Sie hat ja doch meinen Jäger Gottfried.«
»Als ob es dadurch besser würde!« rief sie und entwand sich seinen Armen. »Als ob es dadurch ungeschehen gemacht würde!«
Proen hatte wieder sein aufregend gleichmütiges Lächeln.
»Soll ich sie vielleicht an den Galgen bringen oder als Hexe verbrennen lassen?«
»Verdient hätte sie's!« versetzte sie und stand wie eine zürnende Göttin vor ihm.
Proen gab es einen plötzlichen Ruck. Eine schnelle Röte lief über sein Gesicht. Er ergriff ihre beiden Hände und preßte ihre Handgelenke.
»Jetzt ist es genug, Schatz! Es bleibt, wie es ist! Sie ist Gottfrieds Frau und damit gut! Soll ich am Ende ihn und sie mit ihm wegschicken und meinen anstelligsten Bedienten, meinen besten Jäger deshalb verlieren, wegen einer Laune von dir? Nein, nein, Schatz, so haben wir nicht gewettet.«
»Ich mag sie nicht immer vor Augen haben!« rief Anna, in leidenschaftliche Tränen ausbrechend. »Eine Laune nennst du das? Wenn man einen Mann lieb hat! Geht das denn nicht in deinen Kopf hinein, du wirklicher Bär, der du bist, du bösartiger Eisbär!«
Proen konnte sich wieder nicht halten. Er mußte auflachen.
Anna starrte ihn an.
»Du lachst noch? Und mir zerreißt es beinahe das Herz!«
Er hielt sich den Bauch und lachte noch immer.
»Du weißt nicht, wie drollig das ist, wenn du so dastehst, mit den Augen rollst, daß man das Weiße darin sieht, und die Fäuste schüttelst, deine zwei kleinen Fäuste, die ich mit meiner einen Tatze umspannen kann. Komm her! Soll ich's dir mal zeigen?«
»Versuch' es doch! Versuch' es nur!« rief sie empört. »Ich kratze dir die Augen aus, wenn du mich anrührst!«
Er hatte sie mit einem raschen Griff an sich gezogen und umspannte ihre beiden schmalen Handgelenke mit seiner breiten Faust.
»Na, Kleinchen? Wie ist es? Willst du mir nicht die Augen auskratzen?«
»Ich tue es schon nochmal!« ächzte sie, indem sie sich ihm zu entwinden suchte.
Proen nickte wohlgefällig, während er sie zappeln ließ.
»Ich warte ja nur darauf! Warum tust du es nicht? Obwohl es ja auch wieder schade wäre.«
»Wieso schade?« schäumte sie.
»Weil ich dann keine Augen mehr hätte, um zu sehen, wie schön du bist, wenn dein Haar sich löst so wie jetzt und dir über die Schultern fällt und es unter deinen Wimpern blitzt, als müßte es auf der Stelle aus mit mir sein! O Anna! Anna! Wilde kleine Furie! Merkst du denn gar nicht, fühlst du denn gar nicht, wie lieb dich dein großer täppischer Bär hat, und daß sich keine andere, keine mit dir messen kann?«
Er ließ plötzlich ihre Hände los und umschlang die unwillkürlich Zurücktaumelnde mit seinen beiden Armen. Sie sank halb willig an seine Brust und stammelte:
»O Gerhard! Es ist ja nur, weil ich dich keiner andern gönne ... Ich weiß, ich bin sehr töricht! Und du verdienst es gar nicht!«
»Es geht in dieser Welt nicht immer nur nach Verdienst, Kleinchen,« gab er zurück. »Es geht auch manchmal nach Glück. Zumal bei uns Soldaten. Und ich bin ja einer, vergiß das nicht!«
»Weißt du auch, daß ich mir immer einen Soldaten zum Mann gewünscht habe?« flüsterte sie kaum hörbar.
»Damit hast du aber hübsch hinter dem Berg gehalten!« lachte Proen. Dann sie wieder an sich ziehend: »Und jetzt? Jetzt hast du deinen Soldaten. Ist meine Eheliebste jetzt zufrieden?«
Sie nickte. Aber auf ihrer Stirn schien ein Zweifel zu stehen.
»Nun?« forschte er. »Was ficht dich an?«
»Daß sie meinen Eheherrn, meinen tapsigen Bären,« erwiderte sie, »nicht zum General gemacht haben! Diese stupiden Krämer! Diese Dummköpfe, die auf unseren Ratsstühlen sitzen!«
Proen fuhr zusammen.
»Warum erinnerst du mich daran? Weißt du nicht, daß es dein eigener Ohm gewesen ist, der es mit seinem Veto verhindert hat?«
»Ohm Zierenberg?!« rief Anna. »Das soll er mir büßen!«
Proen schüttelte den Kopf.
»Was sollen wir tun, Anna? Wir müssen vernünftig sein, kalt' Blut bewahren. Das ist die erste Pflicht des Soldaten: Order parieren.«
Sie sah ihm fragend ins Gesicht.
»Warum glaubst du wohl, daß sie den andern, den Huwald, dir vorgezogen haben? Steht er so hoch über dir?«
»Du sprichst, als wolltest du mich aufhetzen!« murmelte er stirnrunzelnd.
»Ja, das will ich auch!« rief sie mit einer Stimme wie aus tiefster Brust. »Merkst du das erst jetzt? Ich will, daß mein Eheherr groß und berühmt wird, über alle andern hinaus, und ich mit ihm! Alle Danziger Frauen sollen mich um dich beneiden! Das ist mein fester Wille. Und ich werde durchsetzen, was ich will!«
Sie faßte seinen Kopf mit beiden Händen und drückte einen langen Kuß auf seine Stirn.
»So! Jetzt bist du geweiht!«
Der Hauptmann nickte und stand auf.
»Ja, meine Göttin hat mich geweiht. Diana – die Griechen nannten sie Artemis, die Streitbare mit ihrem Bogen und den Pfeilen im Köcher – hat mich geweiht. O du! Du!«
Er schloß sie in seine Arme, in denen sie, hochgewachsen wie sie war, dennoch beinahe verschwand.
»Jetzt weiß ich, daß du mir wirklich ganz gehörst!« kamen seine flüsternden Worte.
»O du Dummer!« gab sie ebenso leise zurück. »Kannst du noch im Zweifel darüber sein?«
»Elin gewisser Jemand hat mir nicht aus dem Kopf wollen. Ein gewisser poeta laureatus.«
»Herr Martin Opitz von Boberfeld? Der Herzogl. Rat? Ach, der?«
Der Hauptmann nickte mehrmals kräftig mit dem Kopf und musterte sie mit einem ironischen Lächeln.
»Ja, der! Kein anderer als der! Der berühmte Dichtersmann. Hatte er's nicht euch beiden angetan, Base Constanzia ebenso wie dir?«
»Ich gönne ihn ihr mit ihrem alten gichtbrüchigen Kerschenstein. Mag sie ihn für sich behalten!« rief sie, unmutig die Stirn runzelnd, und dann zu ihrem Mann gewandt, mit einem plötzlichen Lächeln: »Siehst du nicht, daß ich einen guten Tausch gemacht habe? Ich habe ja dafür dich!«
Proen hatte sich wieder gesetzt.
»Erzählte ich dir nicht, daß ich ihn neulich bei meinem Ritt in die Stadt am Langgasser Tor getroffen habe?«
Anna zuckte gleichgültig die Achseln.
»Kann sein. Wann war denn das?«
»Vor einigen Tagen habe ich ihn getroffen und ihn eingeladen, uns zum Schweineschlachten zu besuchen.«
»Zum Schweineschlachten! Du bist gut! Der Herr Poet erscheint höchstselbst zum Schweineschlachten! Wird es ihm auch bekommen? Wird er sich nicht den Magen verderben?«
Der Hauptmann schüttelte den Kopf.
»Du sprichst, als wenn du dich über ihn lustig machen wolltest? Vor ein paar Wochen klang es anders aus deinem Munde.«
»Vor ein paar Wochen!« warf Anna mit einem überlegenen Achselzucken ein. »Sage doch lieber gleich: vor ein paar Jahren! Was liegt nicht alles dazwischen!«
»Da kenne sich einer mit euch Weibervolk aus!« rief Proen. Es schien ihm aus tiefster Brust zu kommen.