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Die Dame Constanzia hatte nicht so unrecht gehabt, als sie damals geäußert hatte, je weniger Aufhebens man von dem anstößigen Vorfall im Predigerhaus mache, desto schneller werde er samt dem immerhin fraglichen Anteil des Herrn Opitz daran in Vergessenheit geraten. Hatte man nicht überall in der Stadt, oben wie unten, erwartet, über die Schuldigen eines solchen seit langem nicht dagewesenen Skandals, über die pflichtvergessene buhlerische Frau und ihren saubern Herrn Galan, den fremden Schreibersmann mit dem gespreizten anmaßlichen Wesen und Benehmen, werde ein Strafgericht von gleichfalls noch nicht dagewesenem Ausmaß niedergehen? Als nichts dergleichen geschah, es sich vielmehr herausstellte, daß dieser Herr von Boberfeld nach wie vor im Hause des betrogenen Ehemanns wohnen blieb, selbiger ihn also nicht kopfüber die Treppe hinuntergeworfen und aus dem Hause gejagt hatte, zudem auch die hauptschuldige Predigersfrau nicht wieder gesehen wurde, sondern verschwunden und verschollen blieb, demnach selbst Gericht an sich vollzogen haben mochte, so verstummten sehr bald auch die ärgsten Lästermäuler in Bürger- und Patrizierhäusern, und sogar die unermüdlich aus den Fenstern auf die Gassen spähenden Tanten und alten Fräuleins wußten sich schließlich keinen Rat mehr als angesichts des Weltlaufs schweigend den Kopf zu schütteln, wenn je noch einmal der heikle Fall aufs Tapet kam.
So dauerte es denn auch nicht lange mehr, daß das Blättchen sich zu wenden begann und Stimmen laut wurden, man habe dem Herrn Herzogl. Rat Opitz von Boberfeld, unserm berühmten und hochgeschätzten Gast, zweifelsohne mit gewissen Mutmaßungen Unrecht getan und alles sei nur ein Altweiberklatsch gewesen, auf den nichts zu geben sei. Am deutlichsten tat sich diese Wandlung der Gemüter auf dem Fastnachtsfeste kund, das die »Einhörner« unter dem Präsidium des Herrn Plavius im »Blauen Pomuchel« abhielten und das sich sehr bald zu einem richtigen Bacchanal auszuwachsen begann. Erst auf dringendes Zureden von Hünefeld, der sich neuerdings wieder häufiger sehen ließ (seine Geschäfte hatten ihn eine Zeitlang sehr wider Willen leider zurückgehalten), hatte Opitz sich entschlossen, das Fest mitzumachen, zumal der Buchdrucker andeutete, es solle ihm bei dieser Gelegenheit die freundschaftliche Gesinnung der gesamten Einhornrunde als eine Art von Ehrenrettung zum Ausdruck gebracht werden. Wenngleich der Dichter daraufhin äußerte, es bedürfe, da er sich keines Verbrechens bewußt sei, einer solchen Ehrenerklärung gar nicht und am allerwenigsten von diesen Herren Zechbrüdern und Saufkumpanen, die wohl alle, ohne daß er ihnen damit zu nahe treten wolle, Ursache hätten, selbst an ihre Brust zu schlagen, so ließ er sich von Freund Hünefeld doch umstimmen und zu jener altstädtischen Schankwirtschaft mit fortziehen, da es in dieser Welt nun einmal so bestellt sei, daß man mit den Wölfen heulen müsse, und heute das Fastnachtsgeheul sicherlich wahrhaft höllenmäßig sein werde.
Daß die Wirklichkeit nicht hinter dieser Voraussage Hünefelds zurückblieb, womöglich sie noch in Schatten stellte, konnten der Buchdrucker und sein Begleiter schon von weitem wahrnehmen, da ihnen aus der in einem der Hinterhöfe der engen Gasse gelegenen Schenke ein gradezu ohrenbetäubendes Heulen, Schreien und Lärmen entgegengellte, als würden ein Dutzend Kesselpauken gleichzeitig bearbeitet und dabei von hundert Dudelsackpfeifern begleitet. Opitz, dem jede derartige Raserei gegen den Strich ging, hätte sich am liebsten noch auf der zu der Schenke hinaufführenden Hühnerstiege von Hünefelds Arm losgerissen, aber da jener, der ihn kannte, nicht locker ließ, so warf er sich mit einem plötzlichen Selbstvergessen gleich einem zum äußersten entschlossenen Schwimmer mitten in die Brandung.
In dem hinter dem eigentlichen Schankraum, Nathanaels und Euphrosynes gewöhnlichem Horst, gelegenen Allerheiligsten, wo die »Einhörner« auch ihre andern soviel stilleren Zusammenkünfte abhielten, waren an Stelle eines Tisches Fässer mit Schemeln davor herumpostiert. Vor jedem Platz standen Humpen mit dickem schwarzem Bier, das der junge Bierbrauer und Sterngucker Hewelke zum heutigen Fastelabend aus des Vaters Brauerei der Einhornrunde zum besten gab. Da dieser Fastelabend eigentlich ein Vormittag war, so hatte man, um dem Tageslicht zu wehren, die Läden der vom neumodischen Tabakrauch geschwärzten Stube geschlossen und die so erzeugte nächtliche Dunkelheit wurde nur von ein paar schwelenden Talgkerzen spärlich erhellt.
Den beiden Eintretenden kreischte und gellte das schon von weitem vernommene Getöse nun mit verdoppelter Stärke entgegen, und Opitz mußte sich ein paar Augenblicke seine von Natur etwas empfindlichen Ohren zuhalten. Als er sich umblickte, sah er mit Verwunderung, daß der vollführte Höllenlärm eigentlich nur von vier Personen erzeugt wurde. Es waren dies, außer dem Einhorn-Oberhaupt Plavius, der als König Gambrinus seil kahles Haupt mit einer vielzackigen Blechkrone geschmückt hatte und eine Posaune blies, und dem in einer Alt von Magiermantel aufwartenden Gastgeber Johannes Hewelke, der einen Kessel mit einem Hammer bearbeitete, noch zwei weder Opitz noch Hünefeld von Ansehen bekannte offenbar fremde Gäste in wunderlicher Ausstaffierung. Der Ältere der beiden, ein sechs Fuß großer breitschultriger Mann von brünetter Haut- und Haarfarbe, mit tiefschwarzen Augenbrauen und einem ebensolchen bis auf die Brust herunterreichenden Bocksbart, trug einen wallenden, mit Flittergold verzierten Krönungsmantel, eine aus Pappe und Goldpapier gefertigte Königskrone auf dem Kopf, die er von Zeit zu Zeit abnahm, um sich den herunterrinnenden Schweiß von der Stirn zu wischen, sowie als Zeichen unersättlicher Mordgier ein blutbeflecktes Holzschwert an der Linken. Eine mit Blut gefüllte Schweinsblase, die oben am Griff des Schwertes befestigt war, sorgte für stetigen Zufluß neuen Blutes. Auch die Dielen der Stube waren bereits reichlich mit Blut getränkt.
Als der Poet sich erkundigte, was dies alles bedeute und wer der dargestellte blutgierige Tyrann sein solle, erfuhr er, teils aus dessen eigenem Munde, teils von Hewelke, der ihn als Gast mitgebracht hatte, er habe da einen höchst mörderischen und unrechtmäßigen König von Schottland vor sich, der als ein Vasall des redlichen und rechtmäßigen Königs diesen aus teuflischem Ehrgeiz zu nachtschlafender Stunde meuchlings erdolcht und dessen Thron usurpiert habe, aber immer weiter durch Ströme von Blut watend schließlich durch seine eigenen Greueltaten zu Fall gekommen und in den Höllenrachen gestürzt worden sei. Macbeth habe dieser sagenhafte Thronräuber von Schottland geheißen, und eben dieser sei nun hier in der Person des gegenwärtigen Herrn Johann Friedrich Scultetus, des Prinzipals einer Gesellschaft reisender deutscher Komödianten, wiedererstanden und gedenke nächster Tage einem hochedlen Publiko dieser weitberühmten Stadt Danzig die erschröckliche Tragödie jenes furchtbaren Tyrannen leibhaftig vorzuführen, um damit ein warnendes Exempel zu statuieren, zu welchem grausigen Ende maßloser Ehrgeiz den davon Befallenen hinzuführen vermöge. Übrigens habe besagtem Macbeth seine Gemahlin, eine Lady von höchstem schottischen Adel, bei seinen zahllosen Verbrechen schmählich assistiert, ihn wohl gar zu noch mehreren angefeuert und zur gerechten Strafe all dessen in Nacht und Wahnsinn geendet. Selbige Lady und nachmalige falsche Königin von Schottland sei gleichfalls zur Feier des Fastelabends heute hier erschienen, und zwar in der Person des jungen Herrn Antonio, dessen liebliche Physiognomie eher einer Antonia weiblichen Geschlechtes gleichzuachten sei.
Während dieser von Hewelke und Scultetus abwechselnd in übertrieben altvaterischem Stil vorgebrachten Ankündigung hatte Opitz Zeit genug, die beiden Fremdlinge in näheren Augenschein zu nehmen. Der Theaterprinzipal, ein guter Vierziger, mochte seinen verwüsteten Gesichtszügen nach ein wirres und stürmisches Leben hinter sich haben, wie es den Söhnen dieses Zeitalters gemäß war. Anders sein junger blonder Gehilfe Antonio, der wie die liebe Unschuld aussah, so daß es Opitz in der Tat vorkommen wollte, er habe ein verkapptes junges Frauenzimmer in Männerkleidern vor sich, sehr im Gegensatz zu der ihr zugeschriebenen Rolle einer verruchten Mörderin in dem von Scultetus vorbereiteten Spektakulo.
Der Lärm der Trompeten, Posaunen, Sackpfeifen und mit Schlegeln bearbeiteten Kessel hatte inzwischen nachgelassen, weil die Kräfte der ihn allzu nachdrücklich Ausübenden vor der Zeit erschöpft sein mochten, und Plavius, der statt der Posaune jetzt zur Flöte gegriffen hatte und einige Triller darauf blies, sowie Hewelke, ein immer dienstbereiter Mundschenk und Gastgeber, sprachen fleißig dem dickflüssigen schwarzen Stoff zu, den die väterliche Brauerei in Schiffsladungen nach England ausführte und den man Porter nannte. Schon bei der erstmaligen Nennung dieses Namens war der schwarzhaarige Theaterdirektor zusammengezuckt, hatte mehrmals kostend kräftige Schlucke über seine Zunge rollen lassen und war nur nicht mehr zu halten. Es sei, by Jove, rief er in einem englisch gefärbten Tonfall, derselbe köstliche und würzige Labetrunk, den er vor mehr als zwanzig Jahren Seite an Seite mit dem inzwischen längst verblichenen Theaterdirektor Shakespeare, dem berühmten Stückeschreiber und Komödianten, hinter die Binde gegossen habe. Denn man müsse wissen und es solle den verehrlichen Anwesenden nicht vorenthalten werden, daß er, Johann Friedrich Scultetus, vormaliger Studiosus der Gottesgelahrtheit an der Universität Wittenberg, später lange in England gelebt und sich dem Komödienspiel zugewandt habe. So habe er denn auch jahrelang jener Truppe am Globetheater zu London angehört, wo der berühmte Shakespeare sein Zepter geschwungen und sein Schäfchen ins Trockene gebracht habe. Sehr schade, daß dieser infolgedessen allzufrüh sich von den Geschäften und vom Stückeschreiben und Komödienspiel aufs Land zu den Bauern zurückgezogen und in Vergessenheit geendet habe. Man hätte sonst noch mancherlei von ihm gewärtig sein können.
Auf Opitzens interessierte Frage, ob es ebendieses auch ihm namentlich bekannten Stückeschreibers Shakespeare eigenes Originalstück Macbeth sei, das Herr Scultetus vorzuführen gedenke, verneinte dieser und gab zu, es handle sich bei seinem Macbeth um eine nachmals aus dem Gedächtnis, jedoch möglichst sinngetreu und mit vielen Verbesserungen niedergeschriebene Verdeutschung jenes englischen Originals, die man hier spielen wolle, falls ein Hochedler Rat seine Genehmigung erteile. Es sei sein eifrigstes Bestreben, beteuerte Herr Scultetus, einem hochgeschätzten Publiko, wie in andern deutschen Städten, so auch hier den Nachweis zu erbringen, daß auch deutsche Komödianten etwas vom Theaterspiel verstünden, nicht bloß die viel und über Gebühr gepriesenen englischen Spieler. Er habe in seiner Truppe eine Anzahl von ersten Kräften, die es gewißlich mit jeder Truppe in London und auf dem Kontinent aufnehmen könnten, wozu er denn auch sich selbst und seinen jungen Schüler Antonio zählen dürfe.
»Steh auf, mein Page Antonio,« befahl er, »und präsentiere dich dem hier anwesenden Meister der Deutschen Poeterei, dem Herrn Herzogl. Rat Opitz von Boberfeld, mit dem ganzen Mark und Nachdruck deiner zwanzig Jahre.«
Der junge Mann, halb als Fähnrich, halb als Page mit dem Galanteriedegen an der Seite kostümiert, schnellte bei dem Befehl seines Meisters von seinem Sitz auf und salutierte dem Dichter in soldatischer Weise, wobei er unter dessen Blicken tief errötete.
Opitz lachte und nickte dem jungen Mann zu.
»Ich dank' Euch, Herr Antonio, und hoffe, wenn Ihr nächstens Eurem Herrn und Meister als dessen Ehegemahlin bei seinen Untaten auf den Brettern zur Seite steht, daß Ihr Eure holde Person nicht allzusehr mit Blut beflecken werdet. Es wäre schade um diesen reinen Spiegel einer anscheinend unschuldsvollen Seele.«
Herr Scultetus schlug eine dröhnende Lache auf und donnerte mit der Faust auf sein Faß.
»Da hörst du's, mein Antonio! Predige ich dir nicht immerfort, dein eigentliches Fach seien nicht die augenrollenden Heroinen, nicht die bluttriefenden Königinnen, nein, vielmehr die schmachtenden Schäferinnen, die liebegirrenden Nymphen. Äußerstenfalls noch eine sprödetuende Daphne, die sich der Umarmungen ihres Liebhabers zu erwehren sucht. Aber du willst ja nicht auf mich hören. Du willst ja immer alles besser wissen als dein alter Lehrer und Meister. Aber so ist die heutige Jugend. Stimmt Ihr mir nicht bei, hochgeschätzter Herr Opitz von Boberfeld?«
Der Dichter zuckte lächelnd die Achseln, da er den jungen Mann noch tiefer als zuvor erröten sah. Er hatte keinen Zweifel mehr, daß er eine Antonia, keinen Antonio an seiner Seite habe.
Dieser oder diese wandte sich lebhaft gegen Scultetus.
»Ich bitt' Euch, Meister, verschont mich nur mit den Schäferinnen und mit der sprödetuenden Daphne. Ihr tut ja grade, als ob ich ein Frauenzimmer wäre. Wenn Ihr mich als Lady Macbeth nicht brauchen könnt, so müßt Ihr mir den Laufpaß geben, damit ich anderswo mein Glück versuchen kann.«
Der Schwarzhaarige ließ wieder seine dröhnende Lache erschallen. Es schien eine seiner Glanznummern auf den Brettern zu sein.
»Hört nur den windigen Fant,« rief er mit seinem tiefsten Baß. »Entblödet sich nicht, seinem Prinzipal den Stuhl vor die Tür zu setzen! Statt daß er froh sein müßte, zusammen mit einem der berühmtesten Macbeths unseres Säkulums auf den Brettern agieren zu dürfen!«
Er griff nach seinem Humpen, tat einen langen und tiefen Zug daraus und schob ihn dann seinem jungen Adlatus hin.
»Da! Steige in die Kanne, Bube! Wie wir es seinerzeit auf der Hohen Schule zu Wittenberg den Füchsen als Buße zuerkannten, wenn sie allzu üppig wurden.«
Antonio, der sich dieser Buße nicht ungern zu unterziehen schien, erwies sich durch die Länge und Tiefe seines Schlucks als würdiger Adept seines Lehrers und Meisters, so daß Opitz nun doch wieder Zweifel kamen, ob ein junges Frauenzimmer denn wirklich einer solchen Leistung fähig sei.
Die Gaststube hatte sich inzwischen mit noch mehr Gästen gefüllt, die offenbar gleichfalls zur Einhornrunde gehörten, gewissermaßen wie in der Tragödie der Alten den Chorus für die Hauptakteure, einen Plavius und andere, zu bilden schienen, zumeist übrigens Opitz unbekannt waren, da er seit langem wenig mehr in diesem Kreise erschienen war. Plavius, der als Oberhaupt der Einhörner keinem Zeremonienmeister etwas an Würde und strenger Beobachtung des Ritus nachgab, unterließ jedoch nicht, Opitz mit jedem einzelnen dieser Statisten, wie man sie wohl nennen konnte, nach Namen, Stand oder Rang genauestens bekannt zu machen, und so erfuhr der Dichter, daß die meisten von ihnen zum Lehrerkollegio des Akademischen Gymnasii zählten, einige auch der allhier zahlreich vertretenen schreibenden und dichtenden Humanistengilde angehörten. Das dürftige Äußere so manches von ihnen ließ freilich vermuten, daß sie, mit so großem Selbstbewußtsein sie sich auch zum Hofstaat Apolls bekannten, es in seinem Dienst noch zu keinem klingenden Lohn gebracht haben mochten. Nachdem alle diese Jünger Apolls, die sich künstliche Nasen und Masken im Stil der attischen und römischen Komödien angeheftet hatten, Händedrucke und feierliche Verbeugungen mit Opitz ausgetauscht und in der engen Stube irgendwo, so gut es ging, sei es auch auf dem Fußboden, Platz genommen hatten, gebot König Gambrinus mit einer aus Urtiefen kommenden Donnerstimme Silentium, zog eine Pergamentrolle aus seinem Ornat und hub mit der Verlesung eines längeren, klangvoll gereimten Poems in Alexandrinern an, worin er nach einer kurzen Beschwörung Apolls und seiner neun Musen sehr bald auf Martin Opitz als den zu feiernden Helden dieses närrischen Fastelabends, vielmehr Vormittags, zu sprechen kam und ihn als den Fastnachtskönig der Einhornrunde begrüßte, indem er einen bis dahin verborgen gehaltenen Distelkranz zum Vorschein brachte und dies mit der Erklärung begleitete, es sei leider der für dergleichen Auszeichnungen übliche welsche Lorbeer in dieser Böotierstadt nirgendwo aufzutreiben gewesen. Denn was im vergangenen Säkulo in Welschland für einen Ariost und einen Torquato Tasso als recht befunden worden sei, nämlich die Krönung mit des Dichtergottes heiligem Lorbeer, müßte mit gutem Grund auch für den deutschen Vergil oder Ovid dieses Zeitalters als billig anerkannt werden. Aber woher diesen Lorbeer nehmen? Da sei denn ihm, Plavius, ein rettender Einfall gekommen. Er habe sich an einen ihm bekannten reichen Bauern aus dem sogenannten Stüblauer Werder, etwa vier Meilen von Danzig, mit der Bitte gewandt, ihm aus der in einer abgelegenen Ecke seines Hofraums wuchernden Wildnis von Brennesseln und Disteln eine Anzahl der schönsten Distelstauden auszuheben und selbe zu einem prächtigen Kranz winden zu lassen, damit er am heutigen närrischen Fastelabend das Haupt des Königs der deutschen Poeterei schmücke. Freund Opitz möge daher den guten Willen für die Tat nehmen und den heimischen Distelkranz anstatt des verdienten welschen Lorbeers als deutsche Dichterkrone sich aufs Haupt drücken lassen.
Opitz hatte mit etwas süßsaurem Lächeln die in feierlichem Pathos vorgetragene Rede des Einhornhäuptlings über sich ergehen lassen, hielt es jedoch, als jetzt schallendes Gelächter und Händeklatschen der Runde dem Redner applaudierte, für das Beste, gute Miene zum anzüglichen Spiel zu machen und mit einem Anschein komischer Resignation den dargebrachten Dichterkranz sich selbst auf den Kopf zu setzen. Die drollige Behutsamkeit, mit der er dies tat, erregte neues Gelächter und brachte ihm die gute Meinung der großen Mehrzahl ein, so daß die Partie schon für ihn gewonnen war, ehe er noch zur Erwiderung das Wort ergriffen hatte.
Eine ganz große Auszeichnung, so hub er an, sei ihm mit der Distelkrone zuteil geworden, vor allem eine gewißlich nicht erwartete, wie ihm jeder glauben werde, da er sich sonst fürsorglich mit einem Käppchen versehen hätte, um seinen Scheitel gegen die Disteln zu schützen, die mit der Dornenkrone diese Eigenschaft gemein hätten, daß ihre Stacheln für den dergestalt ausgezeichneten Träger auf die Dauer ein bißchen sehr empfindlich seien. Aber eben hierin glaube er das Tertium comparationis zu entdecken, auf das es der allverehrte König dieser Runde, der würdige Herr Plavius, alias Gambrinus, offenbar abgesehen habe, als er ihm den Distelkranz überreichte, nämlich die Dornenkrone des deutschen Poeten, die dieser zeitlebens von seinen ersten Gehversuchen auf den Pfaden zum Parnaß bis zum endlichen Erreichen des Gipfels zu tragen habe und wovor ihn auch der göttliche Musaget selbst nicht zu schützen vermöge. Es sei also dieser Distelkranz das sinnreichste Symbol für alles das, was der deutsche Poet auf seinem Erdenweg zu erdulden habe, und keiner wisse dies besser als sein edler Freund und Gönner Plavius, der es nur zu oft am eignen Leib und Leben erfahren habe. Keiner auch sei darum berufener, diesen wahrhaftigen Ehrenkranz zu tragen als Herr Plavius selbst. Vor ihm als dem Würdigsten dieser Runde trete er bescheiden in den Hintergrund, entäußere sich der unverdienten Ehre und drücke das beziehungsvolle Symbol Herrn Plavius ab dem Verdientesten auf das von Apoll und allen neun Musen geweihte Dichterhaupt.
Opitz hatte seine vom Anfang bis zum Schluß mit heiligem Ernst vorgetragene Erwiderung kaum beendet, als er mit zwei raschen Schritten auf den vor ihm sitzenden Dichterkollegen zutrat und kurzen Griffs den eigenen Distelkranz von seinem Kopfe weg auf das kahle Haupt des andern stülpte, so daß dieser wollend oder nicht ein lauf vernehmliches »Au!« ausstieß. Brüllendes Gelächter und stürmisches Händeklatschen, in das schließlich auch der an seiner Krone vergebens herumfingernde Plavius mit einstimmte, lohnten Opitz für die geschickte und blitzschnelle Art, mit der er der von dem alten Widersacher mit offenbarem Vorbedacht gegen ihn geführten Attacke eine unerwartete Wendung gegeben und den ihm geltenden Hieb mit einem noch gelungeneren witzig pariert hatte.
»Ihr habt ihm den Distelkranz ja beinahe bis über die Ohren gestreift, geschätzter Freund!« bemerkte Hünefeld mit einem zwinkernden Seitenblick zu dem neben ihm wandelnden Opitz, als sie beide das Fastnachtsgetümmel des »Blauen Pomuchels« wieder hinter sich hatten und sich bereits auf dem Heimweg befanden. »Ich hätte Euch bei Eurer sonstigen Politesse und Delikatesse eine solche Vehemenz gar nicht zugetraut.«
»Was du tust, das tue ganz,« entgegnete der Dichter. »Und wen es juckt, der kratze sich!«
Hünefeld kicherte in seiner unterirdischen Manier.
»Mich dünkt, er wird sich noch lange kratzen. Der Stacheln wird man nicht so bald ledig.«
»Ich habe mich meiner Haut gewehrt,« warf Opitz ein. »Hab's meiner Lebtag so gehalten.«
»Jedenfalls habt Ihr das Spiel gewonnen,« bestätigte Hünefeld kopfnickend. »Ihr habt die Lacher auf Eurer Seite gehabt. Darauf kommt es im Leben an.«