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Noch immer waltete in seiner Eckstube des rechtstädtischen Rathauses Altbürgermeister Zierenberg seines seit einem Menschenalter versehenen Amtes als Ratspräsident und Leiter der politischen Geschicke der Stadt. So mancherlei ebendaher stammende Sorgen hatten seinen Scheitel gelichtet und gebleicht, über dessen jugendliche Blondheit und Fülle seinerzeit Martin Opitz gestaunt hatte, als er ihm zum erstenmal in diesem Gemach gegenübersaß. Zuvörderst war es das leidige Problema der Seezölle, das noch immer in den Köpfen der polnischen Kronratgeber und der polnischen Majestät selbst spukte und allen polnischen Gelöbnissen zuwider nicht zur Ruhe kommen wollte.
Am frühen Morgen des Neujahrstages – Opitz war soeben erst mit einem geradezu zentnerschweren Kopf aufgestanden – hatte ein Ratsbote ein kurzes Billett des Bürgermeisters überbracht, mit der Aufforderung, der Herzogl. Rat möge ihm noch vor der Mittagsstunde seine Aufwartung im Rathause machen. Es handle sich um eine Materie von Wichtigkeit.
Das Erstaunen des Dichters war nicht gering. Seit Jahren war kein derartiges Ansinnen mehr an ihn ergangen. Sollte es sich wieder um politica handeln? Am Ende gar neuerdings um solche mit der polnischen Krone? Aber was sollte ihm das? Hatte er diesem ganzen intriganten Treiben, allen den meschanten Händeln und Zwischenträgereien, mit denen sich die Großen dieser Erde gleich Roßtäuschern übers Ohr zu hauen suchten, nicht längst abgesagt? Vor Zeiten – es kam ihm wie eine kleine Ewigkeit vor – hatten ihn das Mischen und gelegentliche Vertauschen der Karten im diplomatischen Spiel als Unterhändler wechselnder Auftraggeber mit allen seinen Erregungen und seinem unvermeidlichen Auf und Nieder im Bann gehalten, wie er etwa die Landsknechte in den Kriegszelten dieses Zeitalters ihre Seele an den verteufelten Würfelbecher hatte hängen sehen. Ja, war es nicht oftmals die pure irdische Notdurft, der Zwang, sich über Wasser zu halten, selbst um den Preis des guten Gewissens, der ihn auf den Weg des politischen Agenten geführt hatte? Und war es denn so manchem seiner berühmten humanistischen Vorgänger, vorab des vergangenen Säkulums, etwa einem Bembo, einem Strozzi in Welschland, oder noch früher in deutschen Landen einem Konrad Celtes oder einem Erasmus, soviel anders als nachmals ihm selbst beschieden gewesen? Hatten nicht auch sie sich und ihr von Gott ihnen zugewiesenes Pfund an die Mächtigen dieser Zeitlichkeit verkaufen müssen, um ihr nacktes Leben fristen zu können?
Opitz atmete, die Straße betretend, die reine Winterluft des hellen Neujahrsmorgens ein, ein Befreiter, der er war (wie weit lagen alle jene Kämpfe und Ränke und Nöte hinter ihm!), und machte sich wohlgemut, da auch sein Schädel nicht mehr brummte, auf den Weg zum Rathaus.
»Seid mir willkommen im neuen Jahr, Herr Magister!« rief der Bürgermeister dem die Schwelle Überschreitenden aus der Tiefe des Gemachs entgegen. »Ihr seid einer der ersten heute bei mir,« fügte er hinzu. »Sei es uns beiden ein glückverheißendes Omen!«
Opitz verneigte sich dankend und bat nähertretend, die guten Wünsche Seiner Herrlichkeit zum neuen Jahr mit allem gebotenen Respekt und aller schuldigen Ehrerbietung erwidern zu dürfen. Auch sei es ihm verstattet, die besten Wünsche für Glück und Wohlergehen der der weisen und umsichtigen Führung Seiner Magnifizenz anvertrauten ebenso schönen wie mächtigen Stadt damit zu kommunizieren. Auf eine einladende Gebärde Zierenbergs nahm er ihm gegenüber am Tisch Platz. Eine Zeitlang sahen die beiden Männer schweigend einander in die Augen. Jeder schien seinem Gegenüber den Vortritt lassen zu wollen.
»Ihr schweigt, Herr Magister?« bemerkte mit verhaltenem Lächeln schließlich der Bürgermeister. »Es überrascht Euch sichtlich, daß ich Euch wieder einmal zu mir rufen ließ. Wie lange schätzt Ihr wohl, daß Ihr nicht an diesem Tisch gesessen habt?«
Es seien wohl drei Jahre seither ins Land gegangen, erwiderte der Dichter, seine Zeitschätzung vorsichtig abwägend.
»Ist's die Möglichkeit?!« rief der Alte. Es sei bedauerlich genug, daß jemandem wie ihm, der tagaus tagein hier zu sitzen und alten Quark breitzutreten habe, nur äußerst selten, genau gerechnet also nur alle drei Jahre, wenn das Glück es wolle, die Gelegenheit sich biete, mit Männern von Einsicht und Erfahrung, nicht nur auf dem Gebiete der schönen Künste, sondern, was gerade für ihn noch mehr ins Gewicht falle, auch mit vollkommenem Wissen von den öffentlichen Dingen Umgang zu pflegen und ihrer klugen und gebildeten Rede sein Ohr zu leihen. Aber das solle und müsse hinfüro anders werden, und da es ja keine tauglichere Zeit für gute Vorsätze gebe als diese jährlich einmal sich wiederholende Zäsur, die Chronos selbst in das unaufhörlich abrollende Räderwerk der Tage und Monde eingefügt habe, nämlich den Jahresanfang, so habe er den heute gefaßten löblichen Vorsatz am besten gleich in die Tat umsetzen wollen und den Herrn Herzogl. Rat zu sich gebeten, um mit ihm die ihn wieder einmal bewegende Sorge und Frage der polnischen Angelegenheiten unter vier Augen abzuwandeln.
»Ihr erinnert Euch gewiß noch, Herr Magister, der seinerzeit zwischen uns mehrfach traktierten, aber auch vor dem öffentlichen Forum viel besprochenen Seezölle, die uns während der schwedischen Kriegshändel auferlegt worden und uns beinahe an die Gurgel gegangen sind, dann aber durch den Stuhmsdorfer Pakt von uns genommen, nach einer kleinen Weile jedoch wider Treu und Glauben von der polnischen Krone sind aufgegriffen und für sich selbst usurpiert worden. Habt Ihr nicht damals selbst auch die Hand mit im Spiele gehabt, Herr Herzogl Rat?«
Diese nach der längeren, mit eintönigem Bedacht vorgetragenen Einleitung schier abrupte, wenn auch durch ein harmloses Lächeln äußerlich verhöflichte Anfrage brachte, wie es nicht anders sein könnte, den etwas schläfrig zuhörenden Dichter mit einem Schlag auf die Beine.
»Meine Hand mit im Spiele gehabt?« rief er bestürzt. Es könne sich dabei nur um einen bedauerlichen lapsus memoriae Seiner Magnifizenz, um einen durch die Vielheit seiner ihn bedrängenden Geschäfte veranlaßten und leicht erklärlichen Gedächtnisfehler seines verehrlichen Gönners handeln. Seinem Erinnern nach habe er nichts weiter getan, als für ein ihm von der polnischen Majestät übergebenes Handschreiben an Seine Herrlichkeit den simplen Botengänger abzugeben. »Nicht weniger, aber auch nicht mehr, Eure Magnifizenz!« schloß er seine Beteuerung ab.
Zierenberg hob mit einer ungeduldig abwehrenden Gebärde die Hand.
»Genug! Übergenug, Herr Magister, mit Eurer zweifelsohne aus bestem Gewissen entspringenden Selbstverteidigung. Mag es damit sein, wie ihm wolle ... Ihr wißt, daß wir Euch nichts nachgetragen haben, Euch vielmehr in unserer Stadt, ja auch in unserem engsten circulo gehegt haben, soviel wir konnten, es auch ...« er hielt einen Augenblick inne ... »entschuldigt, wenn ich das Kind beim rechten Namen nenne, es auch an Barem nicht haben fehlen lassen, Ihr somit schon längst einer der Unseren und noch dazu einer der geschätztesten Bürger unserer alten Stadt geworden seid.«
Opitz hatte sich von seinem Stuhl erhoben und verneigte sich vor dem listig lächelnden Alten mehrmals tief.
Der Bürgermeister machte von neuem eine abwehrende Geste.
»Laßt es des Dankes genug sein, Herr Magister von Boberfeld. Wir wissen, was wir an Euch haben, und Ihr wißt, wieviel Ihr uns wert seid. Also entschuldigt meinen lapsus memoriae. Es mag wirklich einer gewesen sein, ich bin ein alter Mann, der bald ausgedient hat. Laßt mich denn zur Hauptsache kommen, weshalb ich Euch zu mir rufen ließ.«
Es sei, so fuhr der Alte nach einer kleinen Atempause fort, dem Herrn Magister ja aus eigener Wissenschaft bekannt, wie im vorigen Jahr und ebenso auch Anno 37, also zweimal kurz nacheinander, die dänische Flotte hier auf der Reede und vor der Münde eine höchst unwillkommene Visite abgestattet habe, mitten im Frieden hier ankernde polnische Schiffe gekapert und nach Kopenhagen eingebracht, auch manchen sonstigen Unfug angerichtet habe, woraus denn allerlei diplomatische Weiterungen und ein ausgedehnter Schriftwechsel zwischen Warschau und Kopenhagen ihren Ausgang genommen hätten. So sehr nun das eigenmächtige Einschreiten Dänemarks auch zu verurteilen sei, und niemand habe dies deutlicher bekundet als der Rat der Stadt Danzig, voran er, der Bürgermeister und Ratspräsident, in feierlicher und öffentlicher Sitzung, so sei doch dieses Einschreiten insofern zu begreifen und zu entschuldigen, als es darauf abgezielt habe, den freien Handel auf der Ostsee wiederherzustellen, der durch die eigenmächtige Weitererhebung der Seezölle polnischerseits in Unordnung geraten sei. Hierüber seien ja zahlreiche Streitschriften dafür und dawider in deutscher, polnischer und lateinischer Sprache erschienen, darunter auch eine lateinische von dem weithin bekannten Danziger Ratsmann Barnabas Schroer und eine zweite vom Syndikus Freder im direkten Auftrag der Stadt.
Dies alles sei dem Herrn Herzogl. Rat gewiß sattsam bekannt. Was ihm aber höchstwahrscheinlich noch verborgen geblieben: In Warschau sei von Reichstag und Senat ein hochnotpeinliches Verfahren gegen die Stadt Danzig eingeleitet. Man erhebe harte Anklage gegen die Stadt. Bezichtige sie des geheimen Einverständnisses mit den Feinden der polnischen Krone und habe jetzt sogar ein Kontumazurteil gegen die Danziger als Verbrecher gegen die königliche Majestät und als Meineidige, die des Kopfes, der Ehren und Güter verlustig zu erkennen seien, vom Stapel gelassen.
Opitz war den Eröffnungen des Bürgermeisters als einem besonderen Vertrauensbeweis mit Spannung gefolgt und fuhr jetzt unwillkürlich auf. War es schon so weit? Davon wußte in der Stadt außer den Eingeweihten zweifelsohne noch niemand, selbst Freund Hünefeld nicht, der ja sonst seine Ohren überall hatte.
»Habe ich recht gehört, Eure Magnifizenz,« rief er, sich umsehend, mit gedämpfter Stimme. »Danzig in die polnische Reichsacht erklärt?! Am Ende gar schon bewaffnete Streitkräfte von Warschau auf dem Marsche hierher? Welch ein Unheil bedroht die Stadt?«
Zierenberg hatte wieder sein verschmitztes Lächeln.
»Beruhigt Euch, Herr von Boberfeld! Es freut mich natürlich von Herzen, wie sehr Ihr unserer Stadt zugetan seid und wie sehr sie Euch zur zweiten Heimat geworden ist. Nichtsdestoweniger braucht Ihr Euch keine Sorge zu machen. Gedenket des alten Spruches der Vorfahren: Die Nürnberger henken keinen, sie hätten ihn denn. Und so auch der Pole mit uns. Wir werden uns notfalls schon unserer Haut zu wehren wissen. Der Pole hat jetzt andere Sorgen, als sich in innere Fehden mit Waffengewalt einzulassen. Von außen drohen der Moskowiter und der Türke schlimmer denn je. Aber nicht allein zu Lande, auch zu Wasser muß sich Wladislaw vorsehen. Nicht umsonst hat vor acht Wochen der Däne zum zweitenmal seine Flotte vor unseren Hafen gelegt. Es ging nicht gegen uns, wie es gemeinhin ausgelegt wurde, es ging gegen die polnische Majestät und ihre vertrackten Seezölle, von denen sie um keinen Preis lassen zu wollen scheint. Ja, seid versichert, Herr Magister, es ging noch viel weiter. Es ging gegen das Dominium maris baltici, gegen die Seeherrschaft über unser Ostmeer, worauf der Polenkönig und nicht allein er, sondern auch Reichstag und Senat unbändigen Appetit zu haben scheinen. Und das wird der Däne nie und nimmer zulassen. So habe ich es aus dem Munde des dänischen Admirals in persona. Ein harter Seevogel, kann ich Euch sagen, mit dem nicht zu spaßen ist. Also schlagt Euch die Sorge um uns nur aus dem Kopf. Es wird uns schon kein Leid zustoßen, wenn wir nur fest bei der Stange bleiben und natürlich auch nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen, sondern es geschickt anzustellen wissen. Eben deshalb habe ich an Euch, Herr Magister, gedacht und an Eure in aller Welt berühmte Eloquenz, wodurch Ihr ganz besonders auf Frauenzimmerherzen Eindruck zu erzielen versteht.«
Opitz rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Dies war nun schon die zweite überraschende Wendung in dem weitausholenden Diskurs des Alten und womöglich, so fand er, sprang sie ihm noch direkter ins Gesicht als vorhin die erste. Was plante man? Alles das war ihm nicht recht geheuer. Doch ehe er noch sprechen konnte, fuhr der Bürgermeister fort:
»Ich sehe an Eurer verdutzten Miene, daß Ihr Euch auf mein ganz ernstgemeintes Kompliment keinen Reim zu machen wißt. So hört denn. Es kommt uns aus Warschau gutverbürgt die Nachricht, die ja nach Lage der Dinge auch allerlei für sich hat, daß König Wladislaw bis über die Ohren in seine ihm jüngst angetraute Ehehälfte aus dem Erzhause verliebt ist. Ihr wißt, Cäcilia Renata, die Kaisertochter und Schwester Ferdinands III., sie haben ja erst vor kurzem in Warschau ihr Beilager gehalten ... Soll man sich also verwundern, daß der König, wir alle kennen ihn als einen höchst galanten und für Amors Pfeil zugänglichen Herrn –, daß er also über die Maßen in seine Gemahlin verschossen ist und unter Höchstdero Pantoffel steht. Was sie sagt, tut er, und was sie will, geschieht. Käme also jemand wie Ihr, Herr Magister von Boberfeld, mit Eurem allenthalben berühmten Namen, mit Eurer anerkannten Eloquenz und Geschicklichkeit und Eurem hofmännischen Auftreten und gewänne das Ohr der Königin, so wäre damit auch das Ohr des Königs gewonnen, was gleichbedeutend wäre mit einem gewonnenen Spiel für unsere Stadt Danzig und ihre gerechte Sache.«
»Und welches wäre die mir nach Eurem Willen anzuvertrauende Kommission?« fragte Opitz mit mehrmaligem bedenklichem Kopfschütteln.
»Schüttelt nicht abweisend den Kopf, Herr von Boberfeld!« entgegnete der Bürgermeister. »Hört mich zu Ende an. Wir bieten dem König zu der früheren, von ihm seinerzeit vorbehaltlos entgegengenommenen Abfindung für die Seezölle eine abermalige, aber auch letztmalige Abfindung in anständiger Höhe, die Zahl erfahrt Ihr noch, und wollen damit den ewig wiederauftauchenden Zankapfel schiedlich friedlich aus der Welt schaffen. Der König kann dafür in allen rebus politicis, die ihm am Herzen liegen, auf unsere guten Dienste rechnen.«
»Nur nicht gerade in der Sache des Dominiums über das Ostmeer,« warf Opitz lächelnd ein.
»Nein! Darüber wäre nicht mit uns zu reden,« entschied der Bürgermeister und ließ seine schwere Faust auf den Tisch fallen, daß es dröhnte. »Darüber niemals! Über alles mögliche andere ja, so zum Exempel über Subsidien gegen den Moskowiter oder den Türken. Warum nicht! Aber über das Dominium maris baltici unter keinen Umständen!«
Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort:
»Also wie wollt Ihr es halten, Herr Magister? Es ist nichts Unrechtes noch Ungebührliches, so wir Euch zumuten wollen. Ihr hättet nichts weiter zu tun, als daß Ihr in schicklichen und beredten Worten, wie sie Euch so gefällig von den Lippen fließen, Ihrer Majestät unsern Standpunkt und unser bares Angebot, das ja am Ende auch nicht von Pappe ist, zu Gehör bringt und in das rechte Licht setzt ...«
»Aber posito den Fall, die hohe Dame will nichts davon wissen. Ja, sie will mich nicht einmal anhören, will mir zum Exempel keine Audienz erteilen?« fiel Opitz dem Bürgermeister in die Rede.
Der schüttelte überlegen den Kopf.
»Sie wird wollen! Verlaßt Euch darauf! Es wird nur an Euch liegen, ob sie will oder nicht.«
»Um Gottes willen!« rief Opitz und sprang mit abwehrend erhobenen Händen auf. »Welch eine Verantwortung wälzt Ihr auf mich!«
»Sie wird wollen!« wiederholte hartnäckig der Alte. »Und soll ich Euch sagen, warum? Weil ihr daran liegen muß, die Hände auch mit in dem Spiel zu haben, das hier am Ostmeer gespielt wird. Sie wäre denn keine Tochter Habsburgs. Sagt man doch, daß der Kaiserhof eben darum dieses polnische Konnubium so angelegentlich betrieben und ins Werk gesetzt habe. Nicht bloß Warschau, auch Wien drängt es nach dem Ostmeer, Auge in Auge mit dem schwedischen Glaubens- und Erbfeind. Kann die Habsburgerin einen besseren Anlaß finden, als denjenigen, den wir ihr durch Euch an die Hand geben? Also darum laßt Euch kein graues Haar wachsen! Eure Audienz bei Ihrer Majestät bekommt Ihr! ...«
Zierenberg hielt wieder einen Augenblick inne und setzte dann mit einem sardonischen Lächeln hinzu:
»Und wenn es schon aus keinem anderen Grunde wäre, als weil Ihr es seid, Herr poeta laureatus, der um die Audienz nachsucht! Muß ich Euch daran erinnern, daß man Euch einst am Kaiserhof mit dem Lorbeer gekrönt hat? Ihre Majestät müßte kein Frauenzimmer sein, wenn es sie nicht nach einer Zwiesprache mit dem berühmten Mann gelüstete, von dem man ihr in ihrer Kindheit erzählt und viel Wesens gemacht hat. Also schlaget ein!«
Er streckte dem Poeten seine Rechte entgegen. Aber dieser stand mit bedenkenvoll gesenkten Kopf da und zögerte, die Hand des Alten zu ergreifen.
»Eure Herrlichkeit möge es nicht für ungut nehmen! Ich fürchte, es übersteige meine Kräfte. Ich bin leider nicht mehr, der ich einmal war. Auch sind wir in tiefster Winterszeit. Ja, wäre ich noch dreißig! Nichts könnte mich abhalten, Eurer Magnifizenz und Eurer großmächtigen Stadt, die mir in denen Jahren ans Herz gewachsen ist wie kaum etwas anderes, den von Euch gewünschten Dienst zu leisten. Ich bitte Eure Herrlichkeit daher inständigst, entbindet mich von diesem Auftrag, dem meine Kräfte, noch dazu in Schnee und Frost, sich nicht mehr gewachsen fühlen.«
Der Bürgermeister schüttelte den Kopf.
»So seid Ihr in Eurem Alter schon am Ende?« sagte er frostig.
»Nicht alle sind von solchem Kernholz wie Eure Magnifizenz,« gab der Dichter geschmeidig zurück und fuhr dann mit unerwarteter Wendung fort: »Es sind jetzt fast auf den Tag drei Jahre her, da ließ Eure Herrlichkeit mir während eines kurzen Unwohlseins, das mich befallen hatte, durch Euren Herrn Syndikus Freder äußerste Schonung anempfehlen, besonders was die Teilnahme an dem Besuch der polnischen Majestät, die grade nach Danzig kam, anbetraf. Und damals hätte ich nicht durch Schnee und Eis zu reiten brauchen, um dem König meine Aufwartung zu machen. Es wäre nur ein Weg um die nächste Ecke gewesen. Laßt mich das Gedächtnis an Eure damalige rührende Sorge um meine Gesundheit ungetrübt durch Euer heutiges so viel geringeres Wohlwollen in meinem Innern bewahren!«
Zierenberg hatte sich mit gekreuzten Armen in seinen Stuhl zurückgelehnt und lachte kurz auf.
»Nicht schlecht pariert, Herr von Boberfeld! Eine gut angebrachte Finte! Ihr seid ein gewandter Fechter! Ich wußte es ja. Nur schade, daß Ihr Eure schätzbaren oratorischen Künste nicht an dem richtigen Ort zu Gehör bringen wollt. Aber wir zürnen Euch nicht weiter darob. Werden uns auch nach wie vor freuen, Euch bei uns zu haben. Gehabt Euch wohl, Herr Magister!«