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Lenzwetter. Draußen, im Grunewald und an den Havelseen, ist's ganz herrlich. Sogar das Gewimmel der Kilometerradler kann die Maienfreude nicht verderben. Das Grün noch ganz frisch, weiße Obstblüten, Tulpen und Hyazinthen, da und dort schon ein Heckenröschen in den Gärten. Und gar nicht heiß. Knospen, wohin man blickt. Drosseln, Amseln, Finken: die Vogelschar aus dem Lesebuch der Klippschule. Nach den langen Wintermonaten kann man sich ins Gras legen, eine Stunde unter Fichten liegen und friert nicht. Wie ein Wunder ist's. Man ertappt sich beim Pfeifen, Trällern. In der Bibliothek daheim ist's nicht mehr auszuhalten; Abscheu vor Büchern regt sich. Es ist, als verdopple der in den Pflanzen aufsteigende Saft auch den Menschen die Lebenskraft. Was geht in der deutschen Welt denn jetzt gerade vor? Die Flotte war schon im Hafen, ehe die Torpedoboote die Rheinländer entzückten, die Kanalvorlage ist fertig, doch niemand weiß, wann sie im Landtag landet, und im Pökelfleischhandel ist es noch nicht zum Abschluß gekommen; Tendenz fest, Gesinnung weichend. Sonst gar nichts? Die Zeitung wird uns belehren. »In festlichem Schmuck prangen die Straßen, freudigen Herzens harrt die Bürgerschaft des erlauchten …« Na also: einer der vielen großen Tage unserer neuesten Geschichte ist angebrochen. Der Kronprinz wird großjährig. Der Kaiser von Österreich kommt nach Berlin. Auch andere Fürsten kommen; sechs Dutzend, war neulich irgendwo ausgerechnet. Eine herrliche Zeit für Schmock. Er kann Uniformen und Toiletten beschreiben, in hymnischer Tonart von der Überseligkeit der Volksmassen fabulieren, auf einer Musikantentribüne einem Prunkmahl zuschauen, als Kellner vermummt durch das Fenster eines Bahnhofsrestaurants blinzeln und (die Hauptsache) immer die Bürgerschaft loben. Die ist arbeitsam, opferwillig, patriotisch, stets bereit, Gut und Blut für die Dynastie hinzugeben; sie weiß Feste zu feiern, wie man's nirgendwo in der Welt versteht, und hält im dichtesten Gedräng Ordnung, daß es eine Lust ist, ihr zuzusehen.
Dreiundsiebzig »Fürstlichkeiten« sollen hier sein. Und alle haben sympathische, ehrwürdige oder anmutige Züge, aller Augen blicken mit »bestechender« Freundlichkeit auf die Menge. (Bestechend ist Schmocks liebstes Wort.) Die Botschafter hören die Botschaft und tun, als ob sie dran glaubten. Wie viele Audienzen und Besprechungen hat sie die Sache gekostet! Die Abwesenheit der Kaiserin Friedrich wird eifrig beschwatzt. Von weit und breit sind die Fürsten und Fürstinnen gekommen und die Großmutter des Kronprinzen fehlt. Wunderliche Gerüchte gehen um. Sogar von einer zweiten (morganatischen) Vermählung der Frau wird geredet … Ob die kaiserlichen, königlichen und einfachen Hoheiten, die jetzt so oft auf der Eisenbahn liegen müssen, sich nicht fürchterlich langweilen? Vielleicht amüsiert sie das Familiengeplauder. Irgendein ironisch Gestimmter ist auch immer in der Nähe, man hört Hofklatsch und bringt ein paar wirksame Witze heim. Und man gewöhnt sich an alles. Freilich ist diese Art der Politik noch neu. Vor dreißig Jahren sagte Gustav Freytag in dem Vogesendorf Petersbach zu einem preußischen Kronprinzen, die Kaiserei könne den Hohenzollern gefährlich werden. »Die Gefahren ihrer erhabenen Stellung, die Abgeschlossenheit vom Volke, das leere Schaugepränge, das Beharren in einem verhältnismäßig engen Kreis von Anschauungen, die Besetzung ihrer Tage mit anmutigen Nichtigkeiten: das alles ist in diesen zwei Jahrhunderten scharfer Arbeit für sie wenig gefährlich gewesen. Eine gewisse spartanische Einfachheit hat Beamtentum, Heer und Volk in Zucht gehalten. Die neue Kaiserwürde wird dies ändern. Aller Glanz der Majestät, die Staatsaktion bei vornehmen Besuchen, die Hofämter, die Schneiderarbeit in Kostüm und Dekorationen werden zunehmen und, wenn sie erst einmal eingeführt sind, immer größere Wichtigkeit beanspruchen. Bei der schnellen Steigerung des Wohlstandes ist es schon jetzt sehr schwer, in den Offizierskasinos die alte Zucht und Einfachheit zu erhalten; für die Zukunft wird das nur möglich, wenn unsere Fürsten unablässig ein gutes Beispiel der Einfachheit geben und den Regimentern nicht die Gelegenheit gewähren, in vornehmer Kameradschaft Geld auszugeben. Und wie in Heer und Zivildienst, so wird auch im Volk ein höfisches und serviles Wesen sich einschleichen, das unserer alten preußischen Loyalität nicht eigen war. Wird einmal durch große Unfälle und ein Mißregiment im Volk die Unzufriedenheit verbreitet, dann drohen auch den altheimischen regierenden Familien größere Gefahren. Schon jetzt sind unsere Fürsten in der Lage, gleich Schauspielern auf der Bühne zwischen Blumensträußen und lautem Beifallsklatschen begeisterter Zuschauer dahinzuwandeln, während in der Versenkung die vernichtenden Dämonen lauern.« Und heute? Freytag war ein grämlicher Herr, gar nicht auf der Höhe der Zeit. Wo sind denn die Dämonen? Alles geht glatt, eigentlich gibt es überhaupt keine Opposition. »Die rote Rotte?« Mit der wird oben ja nicht gerechnet; sie wartet auf die Entwicklung und es geht einstweilen auch ohne sie. Früher, als wir noch von Bismarck mißhandelt wurden, wären Berlins Stadtväter für ein solches dynastisches Fest nicht zu haben gewesen. Jetzt wohnen die Herrschaften im Besitz, machen einträgliche Geschäfte und betrachten jedes höfisch glanzvolle Fest als wirksame Firmenreklame, die dem Export nützt. Aus Furcht vor den Antisemiten wird noch fortschrittlich gewählt. Aber wer schreit in dieser von sozialistischen und bürgerlichen Demokraten im Parlament vertretenen Hauptstadt denn auf der Straße Hurra, wenn eine Hofkutsche vorbeifährt?
Allerliebst ist die neue Reichsmode, Gefühle als vorhanden, stark, gewaltig, unwiderstehlich zu verkünden, von denen bisher niemand was merkte. In Schlössern geschieht es jetzt oft; aber auch die Oberbürgermeister leisten Großes. Sie vertreten rednerisch immer die ganze Stadt, führen die Gefühle der gesamten Bevölkerung spazieren. Wenn die Herren in ihren Ansprachen nur einmal die Spur eines Gedankens brächten! Der Fibelstil wird nachgerade unerträglich. Man braucht ja, um ein guter Verwalter zu sein, nicht reden zu können. Aber warum läßt Herr Kirschner sich seine Feierreden nicht von einem besseren Zeitungsmann machen? Seine Ansprache mit dem erstens, zweitens, drittens war ganz im Ton der Eierfibel. Und wie kam er dazu, für »Huld und Gnade« zu danken? Franz Joseph hat doch nicht ihn oder die Stadt Berlin besucht, sondern Kaiser und Hof. Diese freisinnigen Seelen sind noch schlimmer als die Altfeudalen. Merkwürdig ist auch die Sitte, ein kleines Mädchen, das nicht sprechen gelernt hat und vor Angst schlottert, ein paar Verse lispeln zu lassen. Schmock erzählt, der österreichische Kaiser habe gelächelt, als Fräulein Kirschner ihm in zwölf wildenbrüchigen Versen mitteilte, daß »die Herzen schweigen, wenn sie lieben«. Vielleicht dachte er lächelnd: Wenn sie nur wirklich mal ein Weilchen schwiegen!
Weshalb das alles? Die Frage war dumm, beinah ruchlos. Der Dreibund war ja »befestigt«. Sonst meint man, was befestigt wird, müsse vorher locker gewesen sein. Das gilt offenbar nicht für den Dreibund; er ist immer fest und wird trotzdem immer wieder befestigt, in jedem Jahr mindestens einmal. Schmocks Oberkollege erzählt Wunderdinge von diesem Bund; Friedensbund war er mit Recht genannt (weil er nur in Friedenszeiten brauchbar ist?) und der Erdkreis blickt in ehrfürchtigem Staunen auf sein blühendes Glück. Die Kuliorchester rasen; viel Blech und wenig Melodie. Die armen Menschen wissen nicht, was sie sagen sollen; alle Superlative sind längst verbraucht und Wortverbindungen wie »tiefe Bewegung«, »mächtig ergriffen«, »gewaltiger Moment« werden kaum noch beachtet. Auch glaubt der Kopf nicht, was die Feder schreibt; kein einziger von allen Plantagenmusikanten glaubt, das Hoffest könne für die ernsthafte Politik irgendetwas bedeuten. Sie würden sich ausschütteln, wenn man sie im stillen Kämmerlein katechisierte. Das scheint komisch, ist es aber im Grunde nicht. Welchen Merkmalen soll ein Monarch, der über einen beschränkten Kreis nicht hinauskommt, seine Kenntnis der Volksstimmung entnehmen? Er sieht jubelnde Massen und weiß vielleicht noch nicht, daß sie sich eben so drängen, eben so laut brüllen würden, wenn im Galawagen, statt des Österreichers, ein Chinese, Hindu oder Perser säße. Ihm werden Zeitungen vorgelegt, in denen die Bedeutung des Tages, das Genie des Herrschers, die Größe des Volkes im Marktschreierton gepriesen wird, und er muß glauben, dieses Wonnegeheul entstamme dem Herzensgrund. Da ist's natürlich, daß Wilhelm der Zweite, der seinen österreichischen Gast den »großen Kaiser« nennt, den »Pulsschlag des gesamten Volkes« zu fühlen wähnt und in einer höfischen Feier, an die übermorgen kein Mensch mehr denken wird, einen »welthistorischen Moment erster Größe« sieht. Solche Momente sind groß, weil sie selten sind; nicht jedes Volk erlebt sie in jedem Jahrhundert … Erfreulich ist, daß der Kaiser sich im Weißen Saal mit dem deutschen Volk so zufrieden erklärte und seinen fürstlichen Gästen wünschte, sie möchten eben so viel Dankbarkeit ernten wie er; nach den Tagen von Dortmund und Hamburg hatte man's anders gelesen. Nur soll man den schnell verhallenden Festtagslärm nicht als politische Errungenschaft schätzen; 1867 huldigten die mächtigsten Monarchen Europas in Paris Louis Napoleon. Und wer weiß, wie nah die Zeit ist, wo im Reich die Antwort auf die Frage gefunden werden muß, ob man altes deutsches Kulturland den Slawen opfern und die Deutschen Österreichs ihrem Schicksal überlassen will. Auch diese Frage gehört zu dem Problem des »Größeren Deutschlands«. Los von Rom heißt drüben schon jetzt oft: Los von Österreich!
Dem Earl Curzon, Vizekönig von Britisch-Indien meldet der Kaiser, mit seiner Genehmigung (soll wohl heißen: auf seinen Wunsch; denn eine Genehmigung wäre nicht nötig) sei in Berlin eine halbe Million für Indien gesammelt worden. Diese Spende sei ein Beweis des »warmen Gefühles von Liebe und Sympathie«, das die deutsche Hauptstadt für Indien und die britischen Vettern erfülle. Die halbe Million haben ein paar Bankiers und Großindustrielle auf hohe Weisung schnell zusammengebracht. Viel ist es ja nicht; aber im oberschlesischen Typhusrevier könnte es Segen stiften. Indien leidet seit 1896 unter der schlimmsten Hungersnot, die das von den Engländern beherrschte Land im letzten Vierteljahrhundert heimsuchte. Die frühere Regierung unterstützte die Kornwucherer und Spekulanten, hinderte alle Maßregeln zur Linderung der Not und sorgte nur für die Indigofabriken. Jetzt werden täglich hundertfünfzigtausend Mark für die Hungernden ausgegeben. Das Berliner Geld wird drei Tage und einen halben reichen. Wenn Herr Leiter, der die Börsenschulden seines Sohnes nicht bezahlt hat, guter Laune ist, kann er seinem Schwiegersohn Curzon, ohne sich weh zu tun, das Vierfache schicken. Wer aber mag dem Kaiser von Berlins zärtlichen Gefühlen für Britisch-Indien erzählt haben? Mindestens neun Zehntel der Berliner sind für die Buren begeistert und gönnen den Engländern jedes Mißgeschick; von Bengalen, dem Hauptsitz der Hungersnot, haben sie kaum je gehört, kennen nur von den Quartalsilluminationen der letzten Jahre her das bengalische Licht. Aber der Zweck, den Briten einen neuen Freundschaftbeweis zu geben, ist erreicht. Wenn man nur herausbrachte, wozu wir die vielen Schlachtschiffe brauchen, da wir mit England so innig befreundet sind.
Einer der vielen Glanzpunkte dieser herrlichen Tage, einer der hellsten, sollte die Enthüllung eines neuen Denkmals in der Puppenallee sein. Dem Bildhauer war die Weisung, sich zu beeilen, damit Franz Joseph die Enthüllung sehen könne. »Was Ihr für Künste braucht, ist einerlei; der Kaiser will, daß alles fertig sei,« sagt Goethes Lucanus. Alles wurde auch pünktlich fertig und den Denkmalsplatz zierten schwarz-gelbe Bänder in reichlicher Fülle. Aber Franz Joseph kam nicht. Man darf es ihm nicht verdenken. Zur Stärkung des monarchischen Gefühls wird diese Enthüllung nicht beitragen. Denn der Denkmalsheld, Kaiser Siegmund, war ein wunderlicher Heiliger, an den gerade ein Kaiser von Österreich wohl nicht gern erinnert sein mag. Dieser Luxemburger war der würdige Bruder Wenzels, des Trunkenboldes, der sich am liebsten mit drallen Bademädchen ergötzte. Siegmund kümmerte sich um sein Deutsches Reich recht wenig. Er war zur Macht gelangt, weil er als König von Ungarn allmählich beliebt geworden war und weil der andere Bewerber, Jost von Brandenburg, in üblem Geruch stand. Lamprecht sagt von Siegmund: »Er konnte würdelos sein bis zu einer selbst im fünfzehnten Jahrhundert ungewöhnlichen Prostitution der Persönlichkeit: quocumque veniat, semper mendicat et alieno aere vivit, schrieb ein hervorragender Zeitgenosse über ihn an den König von Frankreich. Er war ausschweifend bis ins höchste Alter, er war unstet in seinen Entschlüssen und beherrscht von oft leichtfertigen Stimmungen des Augenblickes.« Auch gute Herrschereigenschaften werden ihm nachgerühmt; Brunst und Prunksucht aber verdarben alles. Er glaubte, genug geleistet zu haben, wenn er den Deutschen das Prunkschauspiel einer Königskrönung bot. Er schwächte das deutsche Königtum und schnitt dem eigenen Stamm im Norden die Wurzeln ab; die Häuser Wettin und Hohenzollern hat er in die Höhe gebracht und damit die wichtigsten Positionen in Norddeutschland verloren. Er belieh Friedrich den Streitbaren mit der Kurwürde von Sachsen-Wittenberg und benutzte die Mark Brandenburg zu möglichst ergiebigen Pumpversuchen. Erst hatte er sie an Jost von Mähren verpfändet, dann, als Jost gestorben war, zedierte er sie an Friedrich von Hohenzollern, dem er hunderttausend Goldgulden schuldete und nicht bezahlen konnte, gegen Vernichtung der Schuldurkunde und endlich verschacherte er auch noch die Kurfürstenwürde, für die Friedrich viermalhunderttausend Gulden erlegt haben soll. Diese Art, mit der Verleihung landesherrlicher Rechte seine Schulden zu bezahlen und sich für neuen Verschwenderaufwand Geld zu schaffen, war bequem, aber sie hatte auch ihre Nachteile. Drei Jahre nach der feierlichen Belehnung konnte Friedrich den fränkischen Hohenzollernsitz mit dem märkischen vereinen und die Grundlage einer großen neuen Fürstenmacht schaffen; die Luxemburger aber blieben auf Ungarn, Böhmen und Mähren beschränkt und mußten ihre Hoffnungen auf die Heiratspolitik richten, durch die felix Austria berühmt werden sollte. Siegmund brach, als es ihm paßte, das Wort, das Johann Hus freies Geleit sichern sollte, und ließ den Reformator töten. Er befahl, das rebellische Tschechenvolk mit Stumpf und Stiel auszuroden, und führte in Böhmen den grausamen Krieg, der heute noch in der Erinnerung unheilvoll fortwirkt. Er hatte im entscheidenden Augenblick immer gerade Wichtigeres zu tun und konnte seine Zeit nicht an das Geschick seiner Länder vergeuden; in Siena amüsierte er sich mit hübschen Damen oder pumpte und bettelte sich im Purpur durch Welschland … Franz Joseph war gut beraten, als er der Enthüllung Siegmunds fern blieb. Wer weiß, wie es jetzt um Österreich stünde, wenn dieser liederliche Herr nicht die ernstesten Interessen seinen Launen und seiner Prachtliebe geopfert hätte. Nach und nach kommt in der Puppenallee übrigens eine nette Gesellschaft zusammen.
Sonderbar: in den Zeitungen steht, es handle sich um große, größte, allergrößte Politik, und kein Mensch denkt daran, daß es im Deutschen Reich einen Kanzler gibt, der, wie man sagt, nach der Verfassung dem Reichstag verantwortlich ist. Wo weilt er? In Berlin, Paris, Baden-Baden oder Werki? Wie vergänglich doch Würden sein können! Als Wilhelm der Erste mit Franz Joseph in Ems oder Gastein war und der Österreicher sich durch den Andrang des Publikums belästigt fühlte, sagte der alte Herr mit ironischem Lächeln: »Nur Geduld! Gleich wird Bismarck kommen: dann guckt kein Mensch mehr nach uns!« Ob Onkel Chlodwig sich effaciert, um nicht die ganze Aufmerksamkeit auf seine »gewaltige Persönlichkeit« zu lenken? … Waldersee und Hintzpeter haben bei der Cour dem Kaiser die Hand geküßt. Auch diese Hofsitte aus der Zeit des Sonnenkönigs lebt also noch. Nach Friedrichsruh wurde einmal eine Photographie geschickt, die darstellte, wie Bismarck dem totkranken alten Kaiser die Hand küßte. Die Fürstin wurde ganz wütend: »Ottochen hat in seinem Leben nie einem Manne die Hand geküßt!«
Während der Predigt soll in der Schloßkapelle ein Gardist ohnmächtig geworden sein. Der Mann stürzte und blieb hinter einer Kanzel liegen; »der Zwischenfall wurde nicht weiter beachtet«. So las man in den Zeitungen. Das klingt ganz unglaublich und sollte deutlich berichtigt werden. Im Hause des Galiläers kann keine Zeremonie und keine Ehrfurcht vor weltlicher Macht den Christen hindern, sich um einen leidenden Menschen zu kümmern.
Schmock scheint allgemach etwas wirblig im Kopfe zu werden. Jetzt hat er in den Festbericht auch die hochpolitische Nachricht eingeschmuggelt, der Kaiser habe dem Prinzen von Wales zum Sieg eines Rennpferdes eine Glückwunschdepesche geschickt. Macht den, der die frohe Kunde in einem englischen Sportblatt zuerst entdeckte, mindestens drei Zeilen, die von ungefähr vierzig Blättern honoriert werden müssen. Es wird Zeit, daß Schmock endlich zur Ruhe kommt; er hat Blut geleckt und ist nicht mehr zu halten. Gestern erzählte er, wie populär der kleine Herzog von Albany bei den Berlinern sei. Heute hat er entdeckt, der Kronprinz sehe »ungemein sanft« aus und werde wahrscheinlich eines Tages liberal regieren. Noch ein Weilchen so weiter und wir erfahren, wie der sechste Preußenprinz über den Kanalplan denkt und zu welchem politischen Glauben sich die kleine Tochter des Kaisers bekennt.