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Der Wanderer, jetzt ein Jüngling. Palmyra.
Jüngling
innerlich meditierend
Wie schön die Stille um mich! –
Lautes Rom,
du drangest an mein Krankenlager.
Noch hör' ich peinigend vor meinem Ohr
spielender Kinder Stimmen
unter den Fenstern,
während ich im Halbschlaf
Geduld erlernte.
Hyperion
war meines Träumens süßer Trost.
Schönheit
versöhnte mit dem Tode mich.
Doch ich
genas. –
Hier wandl' ich losgelöst
und Stille trinkend,
mit dem Durste des Genesenden,
der Welt hinschenkend meinen neuen Pulsschlag,
so müd er annoch schleicht. –
Mir fehlen nicht,
die ich verließ, die Lieben,
nicht die Freunde,
die bräutlich holden Frauen, alle,
denen das Fieber mich entriß.
Auch nicht die Töpferscheibe meiner Arbeit
fehlt mir
noch auch der Ton,
mit welchem nachzuschaffen
dem Weltentöpfer ich mich unterfing.
Genosse ist mir hier
des Finken Lied im Ölgezweig,
die stumme Frucht,
gelbgoldene Kugeln,
in dichten Wipfeln greifbar mit der Hand,
Gestein,
Gemäuer, das der schwarze Efeu
verhüllt,
der Silberschleier des Olivenwalds,
durchglüht von Himmelspurpur,
des Landmanns Hacke, die im Boden knirscht,
die Hippe, die am harten Zweige tönt,
des Weinstocks schwarz Gekrieche –
und ich selbst.
Wie süß ist Müde!
Was denn heißt mich
den steilen Pfad
durch enge Schluchten wählen? –
Hier auf durchglühtem Steinsitz will ich rasten.
Palmyra
zwölfjährig, überholt den Jüngling
Ja, es ist steil hier! Ihr seid müde, Herr!
Jüngling
Ja, Kind. Und du? Du nicht?
Palmyra
Wir sind wie Geißen, Herr!
Wir sind des Kletterns
gewohnt.
Jüngling
Du kletterst nicht! Du schwebst den steilen Pfad
empor wie ohne Schwere.
Sag, wie heißt du?
Palmyra
Palmyra.
Jüngling
Sprich den Namen noch einmal!
Palmyra
Palmyra.
Jüngling
Nun – was frag' ich denn zuerst:
Wie kommt ein Name so wie der hierher
oder wie wohl ein Antlitz so wie deines?
Palmyra
Ich versteh' Euch nicht.
Jüngling
Laß gut sein, Kind! Nun weiß ich jedenfalls,
daß mich Bestimmung diesen Weg geführt,
du heimische und doch so fremde Blume,
Palmyra!
Weißt du, was dieses Wort bedeutet?
Palmyra
Nein.
Jüngling
Palmyra war die Stadt der heißen Wüste,
der kühlen Quellen, grünen Palmen, Karawanen
und Märchen.
Und sieh:
von alledem, Oase,
erzählt dein Anblick.
Der heiße Wüstensand durchglüht dein Blut,
dein Wachstum gleicht der Palme,
deine Augen
sind schwarze, rätselhafte Brunnen,
sind klar und kalt;
allein, sie spiegeln
den Glanz der Sonnenglut.
Unergründlich sind
die Rätsel und die Märchen ihrer Tiefen.
Die Karawanen aber raubten dich
in den Harem des Sultans. –
Laß mich schwatzen,
Palmyra,
und vergiß den Bettler,
den allerärmsten, den du je gesehn,
vor dir!
Palmyra
Herr – soll ich Euch zu trinken holen? Ihr
seht bleich!
Auch ist der Abstieg schwerer als
der Anstieg.
Jüngling
Wieviel Wahrheit redet ahnungslos
ein Kind!
Willst du mich stützen
beim Abstieg?
Palmyra
Gern.
Der Wanderer, jetzt ein Mann von dreißig Jahren.
Wanderer
Aufreizend war der Hämmer Picken
im Marmorbruch.
Das blendende Gestein
erfüllte mit Gestäube wolkenhaft
den Raum
und beizte mir die Lungen.
Gelöste Blöcke kamen voller Wucht
herabgehüpft,
als wären sie
erlöst zum Leben.
Und auf einen legt' ich meine Hand.
Es war, als warf er sich herum zu mir
im letzten Augenblick,
bevor er still lag,
als wollt' er sagen:
ich gehöre dir,
mein Herr und Meister! –
Nun schon lebt in meinem Haupt
der Jungfrau Bild,
das sich in deiner Weiße,
deinem Glanz
gebären soll! –
Allein, wo bin ich?
Tyrrhenischen Meeres Silberwüste wogt
tief unten.
Ewiger Jugendschöne,
der Meeresschaumgeborenen, hingegeben, die
in meiner Brust um Dasein rang,
hab' ich der Pfade nicht geachtet, die
mäandrisch mich verführt.
Nun aber bin
ich in der Irre.
Hier blüht Arbutus, hohe Erika,
doch Brombeer auch und Teufelszwirn. Ich will,
da hier ein Grat ist, nun mich tiefer schlängeln,
wo die Gemäuer durch die Ritzen rauchen,
Bauern dem Ölbaum und dem Weinstock dienen,
die Feige ernten und die goldnen Äpfel
der Hesperiden. –
Und du,
du mögest mich,
süßherzige, heilige Göttin, der zuliebe ich
mit goldnem Meißel gern anstatt mit Stahl
diente, auf eine Art belohnen, die
dem Alexandras einst von dir gegönnt ward.
Zuviel gefordert!
Nein, o glückselige Göttin! Meine nicht,
ich wolle anderes tun vor deinem Block
als beten, beten, bis du draus hervorgehst,
und staunen vor dem Rätselspiel des Werdens,
wenn eine Göttin wie von Gottes Hand
aus Stein hervorblüht! –
Hier ist ein Absturz – halt!
nun weiter abwärts nebenhin.
Vergib: verlassen muß ich deinen Dienst
auf kurze Zeit,
um nicht zu stolpern, Göttin,
keinen Sturz zu tun,
der mir für alle Zeit womöglich dann
den Meißel aus der Hand schlägt. –
So,
nun sänftet sich der Weg.
Zu beiden Seiten steile Vignen,
oben ein Haus.
Doch was ist das?
Palmyra, neunzehnjährig, kommt in fliegender Eile durch die Vignenböschung herab. Sie fällt dem Wanderer um den Hals und küßt ihn vielmals, mehr als ob sie einen Verwandten wiedersähe, nicht einen Geliebten.
Palmyra!
Palmyra
Ja, ich bin's!
So lange bist du fortgewesen, Freund!
Und doch: du würdest kommen, wüßt' ich, und
nun bist du da!
Wanderer
Du bist so schön geworden, wie du warst,
Palmyra!
Palmyra
O komm nun, komm!
Die Mutter wartet mit dem Mahl.
Colomba
hat schon den Tisch gedeckt.
Der Vater
füllt seinen Krug mit Wein aus der Amphore.
Es rinnt ein Bach durch unsern Grund, und heut,
grade als hätte Gott ihm eingegeben,
du würdest kommen,
fing er ein Gericht
Fische!
Wanderer
Oh – es haben Göttinnen
in Schwalben sich verwandelt –
warum nicht in dich – Palmyra?
Palmyra
Und wie stark du bist!
Wie leicht du schreitest! Komm, der Weg zum Haus
ist kurz, doch steil.
Wanderer
Werd' ich nun deinen – meinen Vater sehn?
Palmyra
Sogleich!
Wanderer
Denn wahrlich: wie ins Elternhaus kehr' ich zurück
als der verlorne Sohn.
Palmyra
nun schon mit dem Wanderer vor der Haustür
Vater!
Der Vater, ein blonder Riese von nahezu sechzig Jahren, tritt vor die Haustür. Er sagt nichts, betrachtet den Gast und streckt ihm dann eine Handvoll schwarzer Oliven entgegen.
Vater, er ist's! er ist's!
Mutter, er ist es!
Colomba, dies ist Apollonius!
Wanderer
Ich bin es, und so hab' ich mich genannt.
Wie schön ist eure Tochter!
Mutter
Freu dich mit ihr,
wenn sie dir gefällt.
Sie liebt dich!
Palmyra
Nicht doch, Mutter!
Viel schöner ist Colomba!
Colomba
Kommt und setzt euch und eßt und trinkt!
Man nimmt um den Tisch Platz.
Vater
Der Wein ist gut! Hier wächst ein guter! Wie? –
Wie heißt er?
Palmyra
dem schon Schwerhörigen ins Ohr
Apollonius!
Wanderer
erhebt den Weinkrug, aus dem einer nach dem andern getrunken hat
Geliebte Menschen!
Wann hab' ich je euch nicht gekannt!
Niemals.
Die Mutter legt mir auf,
Colomba bringt mir Mispeln, frische Feigen,
und immer wieder steckt der Vater mir
Oliven in den Mund.
Den süßen Käse legt Palmyra mir
und duftend frisches Brot auf meinen Teller,
des Zickleins Schenkel rösten überm Feuer.
Der kleine Bruder liest in meinen Augen
und sucht mit Eifer irgendeinen Wunsch
drin zu entziffern.
Ihr denkt an mich nur, nicht an euch. Wer bin ich?
Von alters euer Bruder,
von Ewigkeit.
Hört, was uns hier geschieht,
geschieht nur Götterlieblingen!
Nehmt hin die Kunde: wir sind auserwählt,
und eine hohe Himmelsfrau ist's, die
uns so,
euch so wie mich, so reich beschenkt.
Nach einiger Zeit erhebt man sich vom Tisch, und jeder geht seiner Hantierung nach. Niemand kümmert sich danach um Apollonius und Palmyra.
Wo können wir nun plaudern, süße Schwester?
Palmyra
In meiner Kammer, Liebster, wenn du magst.
Wanderer
Ich folge dir auf höheres Geheiß.
In der Kammer
Ist hier dein Lager?
Palmyra
Ja.
Wanderer
Hast du es je mit einem Mann geteilt?
Palmyra
Nachdem ich dich gesehen?
Wanderer
So höre mich:
In jenen frühen Zeiten war ich krank,
jedoch im Geiste jung.
Ich bin gesund und stark,
Palmyra, heut,
doch alt und müd im Geist.
Wie soll ich mich verständlich machen:
Menschen baut' ich auf
aus Ton, aus Stein, aus Erz.
Doch was als Göttergabe ich
erachtete, den Lebenden ein Gottgeschenk,
es ward verachtet.
Und dennoch schreit' ich weiter auf der Bahn
und glaube an der Götter Führung, die
zu euch mich lenkte.
So laß mich dich aus deinen Hüllen schälen,
den Adel deiner Jugend mich bestaunen,
die Süße deines Mundes, deiner Schultern
und deiner Brüste kosten –
ja, deines Schoßes.
Palmyra
Wem sollt' ich sonst gehören! Nimm mich hin!
Der Wanderer, nunmehr über sechzig Jahr alt.
Wanderer
Grüß Gott!
Bäuerin
noch nicht fünfzig Jahr alt
Schön'n Dank!
Wanderer
Dein Eimer lockt. Der Tag ist heiß.
Willst du, so schenk mir einen Trunk.
Bäuerin
Der ist umsonst für jeden!
Sie füllt einen Tonkrug im Eimer und reicht ihn dem Wanderer.
Wanderer
nachdem er getrunken
Dank!
Ein hübscher Krug! Wo stammt er her?
Bäuerin
Von einem längst Verschollenen.
Wanderer
Ich frage nicht, wer ihn besaß.
Ich möchte nur
gern wissen, wo man solche Krüge herstellt.
Bäuerin
Das eben tat er.
Wanderer
Der Verschollene?
Bäuerin
Ja,
und auch noch andere schuf er, denen er
wie Gott der Herr lebendigen Odem einblies.
Wanderer
Wer? der Verschollene?
Bäuerin
Ja.
Wanderer
So war's ein Zauberer, wenn nicht ein Gott?
Bäuerin
Wer weiß!
Wanderer
Ein lieblich Bildwerk lacht
von diesem Krug.
Ein nacktes Mägdlein schwingt die Schellentrommel
und tanzt.
Habt Ihr noch mehr Gefäße so wie dies?
Bäuerin
Zwei oder drei.
Doch liegt nicht weit von hier
ein Haufe Scherben.
Wanderer
Von gebranntem Ton
wie dieser Henkelkrug,
und schön glasiert?
Bäuerin
Seht selbst!
Die Zeit hat alles überwuchert
mit Gras und Kraut.
Es sind auch kleine Götterbilder unter
dem Schutt.
Kleine Göttlein,
verschollen längst ...
Wanderer
So wie ihr Töpfer?
Bäuerin
Ja.
Wanderer
Du bist noch immer eine hübsche Frau.
Bäuerin
Sieh mich nicht an! Laß solche Reden, Fremder
Wanderer
Ich bin ein Sammler. Euer Scherbenberg
verbirgt wohl die und jene Kostbarkeit.
Wo ist er? Darf ich wohl ein wenig ihn
durchforschen?
Bäuerin
Uns ist's Schutt! Tu, was du magst!
Wanderer
Und doch hat mancher Gott dem Schutte sich
entrafft
und regt die Marmorglieder.
Und alles huldiget dem neugeborenen
Unsterblichen.
Bäuerin
Du steigst zu hoch
mit deinen Worten, Fremdling!
Ähnlich war es auch
bei dem Verschollenen.
Wanderer
Kannst du das Scheuern und das Kehren, Frau,
ein wenig unterbrechen und
mir mehr von dem Verschollenen erzählen?
Bäuerin unterbricht ihre Arbeit, hält die Hand über ihre Augen und blickt ihn lange an.
Lebt der Mann noch, der
vor dreißig Jahren hier den Boden umgrub,
hier oder nebenan?
Das mörtellose Mauerwerk
von Schieferplatten, draus der Berg besteht,
rauchte aus allen Poren
und aus der offnen Tür.
Das Reisig sah ich auf dem Herde flackern.
Von dort aus wandte sich ein mächtiger,
blondbärtiger Riese fragend nach mir um.
Er sah mich lange an und wandte sich
und trat zu mir heraus.
Bäuerin
Zu dir?
Ihr wart zu zweien!
Wanderer
Mir schien der Recke von ganz anderem Schlag
als die Landleute hierherum.
Lächelnd ernst,
bot er Oliven schwarz in mächtiger
und rot behaarter Faust.
Sein heller Himmelsblick
hieß mich willkommen.
Nimm dies Gastgeschenk!
sprach sein treuherziges Schweigen.
Ich dachte bei mir selbst:
Du bist ein Nordmann, kein Italiker!
Du triebst mit deinen Stammesbrüdern Seeraub
und warfst vielleicht gezwungen deinen Anker
in dieses Berggestein!
Bäuerin
Dergleichen Sagen sind
im Schwang von dieses Mannes Urahn.
Er verlor sich
vom Strand
und ging auf Beute hierherum.
Rückkehrend fand er sich verlassen, denn
die Seinen waren ohne ihn davon
auf hohe See hinaus.
Wanderer
Der Gastfreund
zog mich ins Haus.
Bäuerin
Und noch zwei Arme taten das, die heut
von schwerer Arbeit hart wie Eisen sind.
Wanderer
Genug.
Wo ist der Mann?
Bäuerin
Du meinest, wo sein Staub ruht?
Im Berg, hoch oben, dorten, ist der Friedhof.
Wanderer
Du kanntest ihn?
Bäuerin
O ja, ich glaube wohl!
Eine schöne Bäuerin von dreißig Jahren kommt von der Arbeit.
Zweite Bäuerin
Grüß Gott!
Du hast Besuch?
Erste Bäuerin
Ein Fremdling hat sich hierherauf verirrt.
Wanderer
Vielleicht verstiegen?
Zweite Bäuerin
Was denn wäre wohl bei uns
zu suchen und zu finden?
Wanderer
Bergkrank bin ich, scheint es mir.
Mir wankt die Erde.
Erste Bäuerin
Weißt du, daß
er den verschollenen Töpfer kennt?
Wanderer
O du verschollener Töpfer! der du uns
von deiner Töpferscheibe springen lassest,
uns Menschlein!
Was gedenkst du zu entfalten?
Schon ahnt ein ungeheures Leuchten sich
in meinen blöden, abgenützten Augen!
Ich habe siebenmal den Ozean
zur Neuen Welt hinüber und zurück
in wildem Schöpferdrange überquert,
goldhungrig, abenteuergierig und
voll Wut nach Ruhm.
Alles genoß ich,
doch wie eine Krankheit kam
zuletzt die Pein der Leere über mich.
Tändelnderweise kam ich hierherauf,
nichts hoffend, nichts erwartend.
Zweite Bäuerin
Wer ist dieser Mann?
Erste Bäuerin
Er sammelt Scherben, wie er sagt, Palmyra.
Wanderer
Wer ist Palmyra?
Erste Bäuerin
Ich bin die Mutter, und sie heißt wie ich.
Wanderer
Und wo – wo ist dein Mann?
Erste Bäuerin
Längst bin ich Witwe.
Wanderer
zur zweiten Bäuerin
Zweite Bäuerin
Kastanien sammeln, höher im Gebirg'.
Sie ruft
Palmyra!
Palmyra, ein zwölfjähriges Mädchen, erscheint.
Wanderer
hält sich am Ast einer Olive, um nicht zu fallen
Palmyra? Was ist das!
Vergebt, ihr Fraun!
Ich bin zu schnell gestiegen.
Es wirrt
sich mir im Haupte Ort und Zeit,
das ewig Alte und das ewig Junge.
Palmyra, kennst du mich?
Palmyra, die zwölfjährige, schüttelt verneinend den Kopf.
Du weißt nichts mehr von einem Jüngling, der,
von schwerer Krankheit eben auferstanden,
an deinem Blicke fast gesundete?
Du hast ihn sorgsam dann zu Tal geleitet.
O holdes Wunder, wäre denn auch das
dir ganz entschwunden?
Erste Bäuerin
Das Wissen, Fremder, rollt in ihrem Blut
erst unbewußt.
Palmyra
Großmutter hat von einem solchen Mann
uns oft erzählt.
Wanderer
kniet nieder und legt seine Arme um die Hüften der Zwölfjährigen
Palmyra, o Palmyra!
Laßt es geschehen, heilige Frauen, daß
die Unschuld meinen weißen Scheitel segnet
mit ihrem Göttermund.
Zweite Bäuerin
Küß ihn, Palmyra!
Es geschieht, was er gewünscht.
Wanderer
O Dank!
Nun atm' ich freier!
Erhebt sich, hält das Kind bei der Hand.
Ihr Fraun! Ich sah das Venerabile,
und steh' ich gleich noch unter euch:
ich bin entrückt!
Nie drang das Wirkliche so in mich ein
und ich ins Wirkliche.
Doch ebenso der Traum
und ich in ihn.
Nie hat die Sohle so den harten Stein
gefühlt –
und schwebt doch, ohne
ihn zu berühren.
Gottes reiner Leib
bin ich,
seid ihr,
die Himmelsbotin, deren warme Hand
ich halte!
Zur ersten Bäuerin
Bin ich nicht
mit dir ein Leib?
Zur zweiten Bäuerin
Bin ich nicht
mit dir ein Blut?
und auch mit dir, du kleine Heilige?
Erste Bäuerin
Darf ich dich nennen, Wanderer, wie ich dich
gern nennen möchte? –
Apollonius?
Wanderer
Ich kannte diesen Mann,
ich traf ihn
jenseit des Weltmeers.
Doch er ist nicht wert,
daß du ihn nennst.
Er starb.
Er hat an euch nicht gut gehandelt.
Hier ...
er gab mir einen Beutel Geld, sofern ich je
in eure Nähe käme, sollt'
ich diese schlechte Sühnung euch
darreichen.
Erste Bäuerin
Er bedarf der Sühnung nicht.
Er tat des Guten viel an uns.
Nur, daß er uns nicht ferner Gutes tat
und meinem armen Herzen sich entriß,
war bitter hart für mich.
Wanderer
Zeigt mir, ihr Fraun,
jetzt seine Werkstatt!
Er wird, das Kind an der Hand, über die Bergterrasse geführt, bis zu einem mit einem großen Fenster versehenen Schuppen.
Erste Bäuerin
Hier steht die Töpferscheibe noch,
die er mit seinen Füßen drehte.
Wir ließen
sie unberührt
wie auch das Tongefäß,
das, halb erst fertig,
du jetzt noch siehst.
Auch hier die Vasen und Amphoren
befahl der Vater sorgsam zu behüten,
da sie nicht unser seien und der Töpfer
sie eines Tages von uns fordern könnte.
Wanderer
betrachtet das Bildwerk auf den Tongeschirren, die er nacheinander in die Hand nimmt
Palmyra! Überall Palmyra!
Ich will so tun, als wär' ich Apollonius.
Dann warst du einst mein Weib.
Du aber bist mein Kind,
auch du mein Blut, mein Enkel.
Denkt euch: im großen Philadelphia
blickt ihr, im Bild, von den gewaltigen Palästen
der Weltschau,
nicht nur allein ihr drei Palmyren,
unsichtbarer Kinder viele
Zur ersten Bäuerin
von dir.
Wie manchesmal hast du auf diesem Drehpflock
dich preisgegeben einem Künstlerblick
in reiner Nacktheit:
wenn er dich und sich vergaß,
die Grenze deiner liebenden
Hingebung, –
so überfiel dich Ohnmacht.
Erste Bäuerin
Herr! Ihr sprecht wie Apollonius!
Wanderer
Das wäre mir nicht lieb.
Hätt' er hier Anker
geworfen
– denn das hätte ich getan –
wie euer Urahn einst,
dann wär' er meiner würdig.
Erste Bäuerin
Folg mir, du falscher Apollonius.
Üb Vorsicht!
Unbehauene Stufen hier
steil abwärts!
Hier das dritte Becken, das
des Bergbachs Klarheit füllt!
Wir steigen auf
zum zweiten: hierher hat mein Vater dich
niemals geführt, mein falscher Apollonius.
Hier sind wir nun.
Noch ein versprengter Feigenbaum
und ein gemauert Viereck, höher nicht
als Klein-Palmyras Knie.
Und siehst du das?
Wanderer
Ein Anker, fast unlöslich im Gestein
verhaftet,
efeuüberwuchert.
Erste Bäuerin
Ja.
Es ist der Lar.
Der Urahn, der Pirat, der, beutemachend,
hierher sich einst verirrt
und der sein Schiff
am Strande nicht mehr fand,
hat diesen Anker mit heraufgebracht,
den Altar hier erbaut aus. Schieferplatten
und neben ihm das eiserne Gerät
verhaftet im Gestein.
Hier wollte jenen Apollonius
mein Vater würdigen
und ihm die heimlichen Gebräuche weisen
zum Opfer.
Allein, als jener heilige Tag sich anhub,
warst du hinweg.
Wanderer
Nicht ich! nicht ich! nicht ich!
Erste Bäuerin
Hätt'st du dem Lar gehuldigt und dem Anker,
dir wär die Irrfahrt durch die Welt erspart.
Und ist auch schwer die Arbeit unserer Hände,
so sind wir einig doch mit uns und Gott.
Wanderer
Häuft Reisig, ihr Palmyren!
Es geschieht auf dem Altar.
Wir wollen wenigstens dem Gottverlaßnen
ein Totenopfer bringen!
Erste Bäuerin
Dazu ist Wein vonnöten! Schöpfe Wein!
Die zwölfjährige Palmyra läuft davon.
Wanderer
zündet das Reisig
Steig aus dem Orkus auf,
verlorene Seele
des Apollonius!
Huldige dem Lar,
sei's einen Augenblick!
Palmyra, das Kind, kommt wieder mit einem Krug Wein auf dem Kopf, den ihr der Wanderer abnimmt.
Genieß der Spende,
gepreßt aus deiner Schicksalsfrüchte süßester,
und schwinde hin
ins Nichts!
Zweite Bäuerin
Wie kerzengrade steigt der Rauch zum Himmel auf!
Wanderer
Und wißt ihr, was das heißen will:
was war,
das ist!
Rapallo, 1935/36 und Februar 1937.