Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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An einem der dem Vorerzählten folgenden Tage begab sich in der Vormittagsstunde Frau von Tressen zu ihrer Tochter Grete ins Zimmer. Grete bewohnte zwei sehr hübsche, in einem erkerartigen Anbau gelegene Gemächer im Parterre. Von hier aus hatte man einen ungehinderten Blick ins freie Land und eine Aussicht auf einen weitläufigen, sich bis an die Seite des Schlosses hin ausdehnenden Garten.

Eine große Ordnung zeichnete die Räume neben ihrer reichen Einrichtung aus, zugleich aber fiel die Anhäufung von zahlreichen Gegenständen auf. Hier konnte sich die Behauptung, daß aus der Umgebung eines Menschen sich sein Charakter ableiten lasse, bewahrheiten; ein geschärftes Auge erkannte sowohl das Bestreben der Inhaberin der Räume, sich mit Bequemlichkeiten zu umgeben, als auch ein peinliches Behüten von Besitz.

Auch fehlte ihr der Schönheitssinn nicht. Blumen standen in den Fenstern und füllten namentlich den Erker. Die vorhandenen Gegenstände bekundeten sämtlich einen geläuterten Geschmack.

Letzterer war ein Erbteil Gretes von ihrer Mutter; sie glich ihr darin völlig, während ihre sonstigen Eigenschaften sie durchaus von ihr unterschieden.

Heute hatte Frau von Tressen die Absicht, endlich einmal mit ihrer Tochter die materielle Frage der Zukunft zu besprechen. Ihr Mann hatte ihr mitgeteilt, daß er bei Brecken ein uneingeschränktes Entgegenkommen gefunden habe, aber das blieb doch gegenstandslos, wenn nicht auch Grete sich einverstanden erklärte; auch mußte die Höhe der Rente einer Besprechung unterzogen werden.

Grete befand sich eben beim Putzen ihrer vielen Nippessachen und erhob etwas überrascht den Kopf, als ihre Mutter zu so ungewohnter Stunde bei ihr eintrat.

»Hast Du einen Augenblick Zeit? Ich möchte etwas mit Dir besprechen. Grete –«

»Bitte, liebe Mama. Nur einen Augenblick –« Und fortfahrend in ihrer Beschäftigung: »Sieh, wie Minna grenzenlos ungeschickt ist! Da hat sie nun wieder etwas abgestoßen. Gerade an dem alten Krug! Man müßte die Dinge einschließen, und dazu sind sie doch nicht da. – So, bitte, Mama! Willst Du nicht hier sitzen? Noch eins: Habt Ihr heute jemanden eingeladen? Tankred kommt zu Tisch. Du weißt doch!«

Frau von Treffen nickte. »Gerade über ihn und Dich, aber auch über mich und meinen Mann wollte ich mit Dir sprechen, Grete. Höre mich also einmal ruhig an.

Als Dein Vater starb, lagen die Verhältnis sehr einfach, weil überaus günstig! Ich hatte selbst ein Vermögen, und Dein Vater überließ Dir den sonst vorhandenen, von ihm in die Ehe mitgebrachten Besitz. Leider hatten wir – ich meine Dein Stiefvater und ich – viel Unglück. Papiere, in denen mein Vermögen angelegt war, fielen oder wurden ganz wertlos; und einmal angebröckelt, zerrann im Laufe der Zeit alles, was ich besessen hatte.

Stillschweigend haben wir nun von den Renten, die Dir zufielen, mit gelebt und sind darauf auch für die Zukunft angewiesen, da dein Stiefvater sowohl seines Alters als seiner Kränklichkeit wegen nicht imstande ist, noch selbst etwas zu erwerben. Papa hat nun schon mit Tankred gesprochen und ihm die Notwendigkeit vor Augen gestellt, daß eine Vereinbarung zwischen Euch und uns stattfindet. In erster Linie aber hast Du Dein Einvernehmen zu erklären, liebe Grete, und ich möchte Dir einmal sagen, wie wir uns die Dinge gedacht haben.«

»Ja, liebe Mama,« ging's in ruhig kühlen Ton aus Gretes Munde.

»Holzwerder warf in den legten Jahren unter Hederichs Verwaltung durchschnittlich sechzigtausend Mark ab. Davon ist stets ein Teil für Verbesserungen aufgewendet, der Rest ist für unsern gemeinsamen Unterhalt, Deine Erziehung und die Abwechslungen, die wir uns verschafft haben, verbraucht worden. Tankred hat – natürlich unter Vorbehalt – mit Papa von zwanzigtausend Mark gesprochen, die er Dich bitten würde, uns zu überlassen. Ihr würdet also mehr als das Doppelte behalten, wenn Ihr auf Holzwerder bleibt, da Wohnung und Lebensmittel Euch hier nichts kosten. Wenn es auch natürlich erscheint, daß diese Dinge zwischen Eltern und Kindern besprochen werden, so bleibt es doch peinlich, und ich würde Dir dankbar sein, liebe Grete, wenn du nach Rücksprache mit Tankred das Resultat Eurer Überlegungen ohne abermalige Erörterungen in einem von unserem Advokaten beglaubigten Dokument Deinem Vater übergeben wolltest. – Nun, was meinst Du?« schloß die Frau, als Grete bei der Pause, die sie machte, nicht gleich ins Wort fiel.

»Ich verstehe ja gar nichts von Geldsachen, liebe Mama. Ich habe keine Ahnung, wie viel wir für unsern Unterhalt brauchen. Ich meine aber, daß es ganz selbstverständlich ist, daß Ihr eine auskömmliche Rente bezieht, zumal Euch die Vorteile des Aufenthalts auf Holzwerder entzogen werden.«

Da diese Antwort auf der einen Seite sehr ausweichend war, der Schluß aber auf etwas hinzudeuten schien, was Frau von Treffen noch gar nicht in den Sinn gekommen war, schwieg sie für Sekunden höchst betroffen und ihre Enttäuschung malte sich deutlich in ihren Zügen. Dann aber nahm sie mit einem Anflug von anlehnender Abwehr das Wort und sagte:

»Ich verstehe nicht, Kind, was willst Du mit dem letzten Satze sagen?«

»Na ja, ich meine,« entgegnete Grete, nicht ohne Verlegenheit, »daß Ihr doch – wohl in Zukunft –« und nun lenkte sie durch den Ton in einer Weise ein, als ob das Folgende eben doch nur den Wünschen ihrer Mutter entspräche, –«in der Stadt leben wollt!«

»Nein!« gab die Frau kurz und entschieden und wiederum so zurück, als ob sie die Hoffnung, die sich in den Worten ihrer Tochter ausgesprochen hatte, gar nicht herausgefühlt habe. »Wir behalten unsern Wohnsitz hier. Ich denke, wir richten uns oben ein – auch darüber wollte ich mit Dir reden – und Ihr herrscht unten. Natürlich bleibt Euch das Reich, und wir bescheiden uns mit den kleineren Räumen.«

»So, so,« meinte Grete, sich zwangsweise fügend. »Gewiß, ja, das läßt sich ja auch machen! – Ich weiß nicht, wie Tankred darüber denkt. – Und was die andere Sache betrifft, so will ich auch gleich heute mit ihm sprechen. Sei überzeugt, liebe Mama,« schloß sie, noch mehr einlenkend, da sie dem sehr ernsten Blicke ihrer Mutter begegnete, »daß die Dinge sich so vollziehen werden, wie sie einer gerechten Behandlung in solchen Fällen entsprechen.«

»Es wird also doch nötig sein, daß wir noch einmal reden!? Das möchte ich nicht. Es wäre mir –« hier nahm Frau von Treffen schon deshalb einen entschiedenen Anlauf, weil ihr ahnte, daß sie vielleicht alles verscherzen werde, falls sie die augenblickliche Gelegenheit nicht wahrnahm, –«doch lieb, wenn wir beide noch ein Wort über die Höhe der Rente sprächen, wenn Du, mein liebes Kind, mich dadurch, daß Du Dich jetzt äußerst, der Peinlichkeit einer abermaligen Erörterung überhöbest.«

»Nun ja, Mama,« entgegnete Grete, die nicht minder selbstsüchtig war als Tankred, aber die Tugend der Offenheit besaß: »Ich finde es, ehrlich gesagt, etwas viel, was Ihr verlangt. Zwanzigtausend Mark entsprechen bei vier Prozent einem Kapital von fünfhunderttausend Mark. Es können ja, so viel ich davon verstehe, in der Landwirtschaft Konjunkturen eintreten, die unsere Einnahme auf wohl zwei Drittel zu reduzieren vermögen, – ja, gewiß, Hederich hat mir das früher einmal gesagt, – und dann ist das Verhältnis doch zu ungünstig. Wir müssen rechnen, was uns im ungünstigsten Falle bleibt; davon Euch ein Drittel zu überweisen, scheint mir gerecht und billig. Bitte, laß mich mit Tankred, der ja über landwirtschaftliche Verhältnisse unterrichtet ist, sprechen, auch noch einmal mit Hederich Rücksprache nehmen. Ich sage Dir dieser Tage genau, was wir können und wollen!«

Die verwöhnte Frau, die bisher allein geherrscht und über die vorhandenen Mittel mit unbeschränkter Hand verfügt hatte, biß die Lippen aufeinander. Gegen das, was Grete gesagt hatte, ließ sich nichts einwenden, es verriet zugleich aber einen so festen Willen und einen so klaren Blick in die Verhältnisse, daß die Frau von der unangenehmen Überraschung, daß sie so benachteiligt werden sollte, ganz überwältigt ward.

Und doch bezwang sie sich. Gerade ihre zarte Sinnesart ließ sie schweigen neben der Erwägung, daß sie ja ohnehin machtlos war, wenn Grete erklärte, sie wolle sich an ein festes und schriftliches Abkommen überhaupt nicht binden. Nach dem Umfang ihrer Einnahme und ihres eigenen Verbrauchs wolle sie geben.

Aber unter dem schmerzlichen Gefühl über den unnatürlich berechnenden Sinn ihres Kindes griff sie nach dessen Hand und sagte:

»Wir waren bisher so glücklich mit einander, Grete. Laß unser gutes Einvernehmen nicht erschüttert werden durch Geldfragen, die leider in den meisten Fällen Zerwürfnisse hervorrufen. Ich bitte Dich, mein Kind, behalte mich lieb, wie ich Dich liebe, und erinnere Dich stets, daß Du einst ein hülfloses Geschöpf warst, das nirgends eine bessere Zuflucht fand als am Herzen seiner Mutter! – Nicht wahr, Grete, Du versprichst mir, daß Du zu mir und Deinem Vater halten wirst. Ach, oft sah ich schon mit Sorge in die Zukunft, und mein Sinn ward trübe. Er ist es jetzt wieder!«

Bei den legten Worten drängten sich schwere Thränen aus den Augen der Frau, und in Grete von der Linden regte sich etwas von Rührung und guten Entschlüssen zugleich.

»Ich bitte Dich, Mama, weine nicht. Gab ich Dir denn Anlaß, so traurig zu sein, habe ich nicht als selbstverständlich betont, daß Euch ein sorgenfreies Alter gesichert wird? Wenn ich meiner nur einmal innewohnenden Natur folge, die weniger sorglos und leicht ist als die Deine, – verzeih die Erwähnung, – und sorgfältig vorher prüfe, so liegt doch zugleich eine größere Gewähr für Dich darin, daß ich es ernst meine und gewillt bin, was ich zusage, auch nach Kräften zu halten.«

Grete von der Lindens Worte waren ehrlich gemeint. Sie fühlte, was sie sprach, wenn sie auch selbst in diesem Augenblicke sich nicht fortreißen ließ, sondern über den Anspruch, den ihre Mutter erhob, ihre eigene Meinung festhielt. Sie nahm sich aber vor, allzeit gerecht und billig zu handeln.

Freilich vergaß sie, daß in Zukunft noch jemand mitzusprechen haben werde, vergaß, daß Rost an der Seele unaufhaltsam weiter frißt, und daß kein Mensch vorher sagen kann, welchen Einfluß ein anderer auf seine Denk- und Handlungsweise gewinnen wird.



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