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Bald nachdem Tankred sich entfernt hatte, begab sich Grete zu Hederich. Sie nahm einen versteckten der sie hinten ans Haus führte, fragte Hederichs Wirtschafterin, ob der Herr Verwalter anwesend sei, und trat, deren eifrige Bereitwilligkeit, Hederich zu benachrichtigen, kurz abwehrend, ohne Meldung in dessen Arbeitsgemach.
Hederich stand, den Rücken der Thür zugewendet, über eine Kiste gebückt, in die er Papiere packte, und sagte, offenbar seine Wirtschafterin vermutend, und ohne sich umzuwenden.
»Was ist – was ist? – Drum und dran – jetzt habe ich keine Zeit. – Wie? Was? – Ah, ah – Sie, liebe Frau von Brecken? – Verzeihen Sie! Bitte, nehmen Sie Platz. – Nein, es ist gar nichts. Es war nur – drum und dran – Hier, hier sitzen Sie bequemer. – Ja, ich will gleich sagen, daß ich nicht zu Hause bin, daß wir ganz ungestört bleiben.«
Nach diesen Worten lief er fort, kam eilfertig zurück und nahm neben Grete, die mit trüber Miene und blassen Wangen sich niedergehockt hatte, Platz.
»Nun, was ist geschehen? Hoffentlich nichts Böses?« begann Hederich, sich zu der jungen Frau neigend und sie mit seinen ehrlichen Augen voll Teilnahme anblickend.
Aber statt zu antworten, legte Grete plötzlich die Hände vor das Angesicht, und ein leises Schluchzen drang aus ihrer Brust.
»Es ist aus, alles aus, Hederich,« stieß sie, nachdem er zärtlich, wie man einem Kinde begegnet, auf sie eingeredet hatte, heraus. »Ich bin traurig zum sterben. Niemand hat mich lieb, niemand mag mich – Mama und Papa wollen unabänderlich fort. Und noch anderes: Ich fühle – o Hederich! – es ist schrecklich – entsetzlich – , allmählich eine nicht zu erklärende Abneigung gegen Brecken. – Und doch vielleicht sehr erklärbar,« fuhr sie nach kurzer Pause in bitterem Tone fort. »Er ist nicht gut, ich seh's, – er ist schlecht! Er ist es noch nicht gegen mich gewesen, wenn er auch schon gelegentlich sehr roh und rücksichtslos war, aber es wird kommen. Es bereitet sich etwas vor; mir ahnt es. Wissen Sie, Hederich, ich möchte wieder von ihm. Ich möchte meine Freiheit zurück haben. Nachdem mir Mama wiederholt ihre Ansicht über ihn ausgesprochen, und ich jetzt sehe und höre, wie sie alle über ihn denken, finde ich, durch meine eigene Sinnesänderung bestärkt, alles betätigt. Ich fühle, daß sein Einfluß auf mich nicht gut war, daß er meine Fehler, meine Engherzigkeit förderte, daß er es gewesen, der mich den Gedanken, die Eltern sollten Holzwerder verlassen, schon als etwas ganz Selbstverständliches ansehen ließ. Er bringt uns überhaupt mit aller Welt in Uneinigkeit. Die Menschen ziehen sich von uns zurück – ich merke es wohl – , sie wollen nichts mit ihm, mit uns zu thun haben. Wir erhalten Absagen, wenn wir einladen. Man giebt Gesellschaften und umgeht uns. Noch sind kaum zwei Jahre verflossen, und schon ist das Leben jeglichen Reizes entkleidet, ja, die Hoffnung auf Gut und Geld ist nun auch geschwunden. Er hat sich mit Theonie überworfen!«
»Wie? Mit Frau Cromwell auch?« stieß Hederich, dem alles andere von Grete Vorgebrachte nicht neu war, der auch die Sinneswendung in ihr früher oder später hatte kommen sehen, auf den das Zerwürfnis mit Theonie aber wie ein Blitzschlag wirkte, erschrocken heraus.
Und nun sagte sie ihm alles, was sie wußte, und wie sie trotz Tankreds Darstellung die Dinge beurteilte. Sie gab ihm allein schuld, sie schloß: »Er hat's natürlich verdorben. Als sie nicht gleich wollte, wie er wünschte, ist er brutal und ausfallend geworden. Sie wissen, im Zorn spricht er unglaubliche Dinge und deckt sein Inneres auf. Ach – ach – Hederich – ich weiß nicht, was werden soll. Hat mich Mama so beeinflußt? Ich verstehe mich selbst nicht. Ich bin mir nur darüber klar, daß ich nicht glücklich bin und mit Brecken nicht leben kann.
Nein! Nein. Es ist nicht das, was Sie denken, leider, leider denken, Hederich. Die Erbschaftsangelegenheit beeinflußt mich durchaus nicht. Ich schwöre es Ihnen. Ich kann ja einmal nicht gegen meine Natur, ich bin sparsam und habe das Geld lieb, aber jetzt bewegt mich nur der eine Gedanke, die Achtung vor mir selbst zurückzugewinnen, mir die Achtung anderer zurückzuerwerben, mich mit Mama auszusöhnen und meine Seelenruhe wieder zu erlangen. O, ich möchte Theonie sprechen. Nicht, um etwas von ihr zu erbetteln wie er, nein, um klar zu sehen, mich vor ihr zu rechtfertigen, und wenn ich Schuld trug, sie ihr abzubitten. Und nun helfen Sie mir, Hederich. Was soll ich thun? Wie komme ich von ihm ab? Ich muß wieder frei sein!«
Der Mann, der Grete durch besänftigende Einschaltungen und Trostworte wiederholt unterbrochen hatte, erhob bei den letzten Worten das Haupt und sagte:
»Ja, meine liebe Frau von Brecken, liebe Frau Grete, das ist eine schwere, sehr schwere Sache, und das müssen Sie selbst wissen. Wie wollen Sie das, drum und dran, anfangen? Er läßt Sie nicht gutwillig, und wenn er Sie wirklich läßt – passen Sie auf – dann verlangt er womöglich alles, was Sie besitzen, und wirft Ihnen und Ihren Eltern kaum einen Bettel hin. Ich sag's – drum und dran – offen, wie ich's mein. Und erlauben Sie die Frage: Haben Sie Gütergemeinschaft mit ihm geschlossen?«
»Ja – a – , ich that's, weil er seinerseits die Erbschaft von Falsterhof als sicher in Aussicht stellte. – Bitte vergessen Sie doch nicht, Hederich,« schob Grete eilfertig ein, als sie des Freundes bedauerndes Kopfschütteln begegnete, »welches Air er sich gab! Wir konnten doch nur die beste Meinung von ihm fassen! Er wußte sich so einzuschmeicheln, daß wir die abfälligen Urteile anderer bloß als Neid und Mißgunst ansahen, als das Ergebnis seines häufig schroffen Wesens und seiner gelegentlich hervorbrechenden jähzornigen Natur. Gewiß, ich weiß, Sie warnten mich. Aber er hatte damals meine Sinne bereits gefangen. Ich bin jung, ich bin ein Weib und habe Fleisch und Blut –«
Die Frau brach plötzlich ab und starrte vor sich hin, und dann sagte sie als Resultat ihrer raschen Überlegungen, aber auch so, als habe ein Vorgespräch darüber stattgefunden: »Ja, das wäre eine Möglichkeit, daß wir, ohne geschieden zu werden, getrennt weiter lebten, jeder für sich. Nun ja denn – ich will's versuchen, so lange es geht,« schloß sie, dumpf resigniert. »Dann können die Eltern bleiben, und gerade sie sollen bleiben, ›er‹ mag sich von uns separieren.«
Da die Gedanken der Frau solche Wendung genommen, sprach Hederich noch eindringlicher auf sie ein, bat, daß sie sich beruhigen möge, und gab auch, um zum guten zu reden, seiner Verwunderung Ausdruck, daß sie so plötzlich zu einer solchen Stellung Tankred gegenüber gelangt sei.
»Nicht plötzlich, Hederich. Ich habe mich nur rasch zu einem Entschluß aufgerafft,« entgegnete sie mit einer eigentümlichen Weichheit im Ton. »Und wissen Sie nicht, daß mir schon während meiner Verlobung bisweilen Zweifel kamen, daß ich fühlte, es sei doch vielleicht nicht das Rechte, daß ich äußerte, ich brauche einen Mann, der mein bischen Herz fördere, statt die guten Regungen in mir zu ersticken!? Gewiß, ich hatte zeitweilig alle Sehkraft verloren, während unserer langen Reise fast ganz, aber die letzten Gespräche mit Mama, zusammen mit allen Vorgängen, brachten mich zum Nachdenken und zur Besinnung, und mir schauderte vor dem Bild, das sie mir von mir selbst und von ihm rückhaltlos entrollte. Das Gefühl für Recht und Wahrheit begann sich in mir zu regen; ich konnte meinen Mann plötzlich nicht sehen; über alles, was er that und sagte, stieg Ärger und Unmut, oft Ekel in wir auf, weil ich alles berechnend, unwahr, falsch fand; mir graute, wenn er mich berührte, und meine Gelassenheit und Ruhe waren schon längst künstlich oder ein Ergebnis der letzten noch vorhandenen Regungen für ihn.«
Während Grete diese Worte sprach, erschien die Wirtschafterin und überbrachte ein Schreiben. Es sei im Schloß abgegeben; Peter habe es herübergebracht; der Bote von Falsterhof wisse nicht, ob er Antwort haben solle.
»Von Falsterhof? Von Theonie?« Grete erbrach den Brief mit fieberhafter Hast, las ihn, erbleichte, griff dann nach einer Einlage und schaute sie mit großen, erschrockenen Augen an. Und nachdem sie auch diese gelesen, ließ sie die Schriftstücke aus der Hand fallen und sank stöhnend und wie vernichtet in den Sessel zurück.