Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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In einem Parterrezimmer des Streitschen Hotels am Jungfernstieg in Hamburg ging der Baron Tankred von Brecken in höchster Aufregung auf und ab.

Ein Brief, den er vor einer Stunde empfangen, versetzte ihn in einen völlig fassungslosen Zustand, raubte ihm jedes Interesse für die Außendinge und schuf ein Heer von widerstreitenden Gedanken und Empfindungen in seinem Inneren. Aus dem Briefe ergaben sich unumstößlich zwei Thatsachen: vorläufig war er von Holzwerder ausgestoßen, und wenn das Bankhaus in Elsterhausen die Weisung des Gerichts abwartete und alle Zahlungen an ihn sistierte, so war er auch geradezu in seinem Lebensunterhalt bedroht. Breckens erste Idee war gewesen, sogleich mit seinem Rechtsanwalt Rücksprache zu nehmen und die Firma in Elsterhausen telegraphisch anzuweisen, ihm den gesamten Kassenbestand nach Hamburg zu senden. Aber was konnte ihm sein Anwalt anderes sagen, als was sich ihm selbst an Schlußfolgerungen aufdrängte? Und das Telegraphieren war ja überhaupt zwecklos. Nur durch persönliches, mündliches Eingreifen vermochte er vielleicht, etwas zu erreichen!

Eben von der furchtbaren Krankheit genesen und aus der Privatklinik des ihn behandelnden Arztes entlassen, traf ihn nun dieser neue Schlag völlig unerwartet. Eine solche Möglichkeit war ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Das waren Dinge, wie sie sich höchstens in mittelalterlichen Zeiten vollzogen hatten. Damals ward wohl eine Burg in der Abwesenheit des Besitzers belagert, die Mannschaft entwaffnet oder bestochen, und die Fahne des Feindes flatterte statt der des Eigentümers vom Turme, aber jetzt? – –

Und Gegenmaßregeln? Eine Zwangsvollstreckung? Sie zu beantragen, war sicher zwecklos.

Tankred wußte, daß das alles nicht ohne Brix' Einwilligung geschehen war, und ohne die näheren Umstände zu kennen, war es für ihn zweifellos, daß ein solches Vorgehen sich auf besonders schwerwiegende Argumente stützte. Von der bisherigen, weil durch keinen Widerstand streitig gemachten Höhe war er mit einem jähen Schlage herabgestürzt. Das Bild hatte sich völlig verändert. Er stand tief unten und mußte bittend die Hände ausstrecken, mußte gute Worte geben. Und das war nicht nur zeitweilig. Brecken sah, daß er durch diesen unerwarteten Zwischenfall entweder das Spiel ganz verloren habe oder schon jetzt den von ihm für später geplanten Vergleich zur Ausführung bringen müsse. Ja, das war jetzt das einzige, was ihm übrig blieb, nur mit dem Unterschiede, daß, da nicht Tressens mürbe gemacht waren, sondern er, sie ihm nun ihre Bedingungen vorschreiben würden.

Verdammt! Verflucht! Er stampfte wie rasend mit dem Fuß und biß die unheimlich weißen Raubtierzähne in seinem Verbrechergesicht zusammen. Und dann – dann blitzte wieder in seinem Gehirn auf, was er endlich ein- für allemal begraben glaubte, schon deshalb, weil er bereits vor der That so furchtbar hatte büßen müssen: Theonie gewaltsam aus dem Wege zu räumen – ! Nein, nein, fort mit dem gräßlichen Gedanken! Ihm war's, als stelle sich das entsetzliche Kitteln wieder ein, als fühle er die Wiederkehr der Krankheit. Nein, alles, nur das nicht! – – Und doch, im Grunde war's ja Thorheit. Der Arzt hatte ihm gesagt, daß solche Hautreize, als welche er die Krankheit bezeichnet hatte, nur aus einer gestörten Blutzirkulation herrührten, und daß das heilbar war, hatte sich ja nun herausstellt.

Also Dinge in Verbindung setzen, die gar keinen Zusammenhang hatten, war mehr als Unsinn, deshalb konnte er – Ja, was? Nun war er doch abermals bei Theonie!

Wie so oft stand er wieder im Gedanken vor der Hinterthür in Falsterhof, drang ins Haus ein, erwürgte mit rascher Energie den Köter, schlich hinauf zu ihr, packte und erdrosselte sie mit seinen Fäusten, ehe sie überhaupt einen Ton von sich zu geben vermochte, versicherte sich noch einmal, daß sie nicht mehr lebe, und entwich darauf eben so leise, wie er gekommen war. – – Und dann und dann – Brecken reckte sich in die Höhe, trat vor den Spiegel, maß seine Gestalt und betrachtete sein knochiges Antlitz – dann war er Erbe von Falsterhof und konnte zur Not Holzwerder entbehren.

Entbehren? – Nun, soweit kam's überhaupt doch wohl nicht. Etwas würde man ihm doch zubilligen. – Und plötzlich fiel der Mann wieder in einen der roten Plüschsessel zurück und starrte vor sich hin, weil – weil – das doch eben nur schöne Wahnbilder gewesen waren. Die Wirklichkeit bestand wie vorher, und der Gegensatz zwischen gehobener Vorstellung und Wirklichkeit ernüchterte und entmutigte ihn nur noch mehr. – Endlich sprang er auf, und ein: »Ja, so soll es sein!« ging aus seinem Munde. Erst wollte er sich mit Tressens aussöhnen, zu erreichen suchen, was zu erreichen war, und dann später endlich die Geschichte in Falsterhof abmachen, nachdem er vorher – daß ihm dieser gute Gedanke doch jetzt erst kam! – die Bestie, den Hund, beseitigt hatte. Ja, so war's gut, und so sollte es bleiben. Unter solcher Stimmung packte er seinen Koffer und reiste, nachdem er vorher noch an Brix telegraphiert hatte, daß er ihn am kommenden Vormittag in Geschäften besuchen werde, nach Elsterhausen ab. –

Es war zwei Tage darauf in der Vormittagsstunde, als ein Reiter langsamen Schrittes die beschneite Landstraße von Elsterhausen nach Breckendorf durchmaß. Der Reiter war Tankred von Brecken, und ihm war sehr bedrückt zu mute. Seine ungünstigsten Vorstellungen hatten sich bestätigt. Von Brix war ihm erklärt worden, daß gerade an diesem Tage auf seinen speziellen Antrag die Bestätigung einer vorläufigen Kuratel über Gretes Vermögen eingetroffen sei, und daß Tressens jetzt zu irgend welchem Vergleiche um so weniger geneigt seien. Er vermöge in der Sache nicht nur nichts zu thun, sondern müsse auch eine Vermittlung ablehnen. Zugleich erfuhr Brecken, daß die Akten zur Prüfung an den Staatsanwalt gegangen seien, und die Möglichkeit vorliege, daß die Anklage wegen Fälschung gegen ihn erhoben werde. Mit dieser konnte, wie der Anwalt ihm nicht verhehlte, der Antrag auf Freiheitsentziehung verbunden sein, dem freilich, wie Brecken hoffte, durch eine Kautionsstellung vorgebeugt werden könne. Endlich war auch Tankreds Unterredung mit den Besitzern des Bankhauses resultatlos verlaufen; sie waren soeben angewiesen worden, keinerlei Zahlungen ohne Befehl des Gerichts, respektive vor der definitiven Entscheidung des obersten Gerichtshofes mehr zu leisten.

Nun wollte Brecken den schon einmal mit so gutem Erfolg betretenen Weg einschlagen und der Pastorin Höppner Hülfe in Anspruch nehmen.

Er fürchtete das Ergebnis der Fälschungsklage, in dieser Annahme unterstützt von seinem Rechtsanwalt, nicht eben sehr; es fehlten ja doch die Beweise! Aber die ganze übrige, seine Existenz und seine Bequemlichkeit gefährdende Situation war ihm unerträglich. Ein Vergleich hob die Streitigkeiten und den Prozeß wenigstens nach der einen Seite hin auf; darum war's ihm zunächst zu thun. Die Diäten, welche ihm das Gericht auf Antrag seines Anwaltes aus dem beschlagnahmten Vermögen zur Verfügung stellen würde, retteten ihn wohl vor Lebensnot, aber die in ihm zehrende Herrschsucht und Ungeduld ließen ihm, da die Dinge sich nun einmal so ungünstig gewendet hatten, keine Ruhe. Er wollte unter allen Umständen, und wenn er sich selbst nach Holzwerder begeben und dort gute Worte geben sollte, aus der Ungewißheit heraus. Das Spiel – er hatte es sich klar gemacht – war völlig verloren, und damit wollte er rechnen.

Bei den Blitzen der Selbsterkenntnis, die in ihm aufleuchteten, fand er sich gegenwärtig selbst so charakterlos, feige und schwankend, daß die Reue ihn mit ganzer Gewalt packte. Er wünschte, einen Kompromiß mit sich und dem in der Not immer doch wieder von ihm angerufenen Gott zu schließen, er wollte friedfertig und ehrbar werden, wenn nur diesmal noch der Himmel ihm beistehen wollte! Nur dies eine mal! – Und wenn der Vergleich mit Tressens durch Frau Höppners Hülfe gelang, dann würde auch Brix Rat wissen, das übrige zu beseitigen; dann war alles gut. –

Die Pastorin befand sich, als Brecken das Haus betrat, bei ihrem ›guten Mann‹ im Zimmer. Sie saß mit umgebundener Küchenschürze auf der Lehne des Sofas, er aber hatte, die Arbeit an der Predigt unterbrechend, dem Pulte den Rücken zugewandt und stand, die lange Pfeife im Munde und die Stirn in dem freundlich-arglosen Gesicht nach der Art der Beschränkten hoch emporziehend, aufmerksam zuhörend vor ihr.

Und die Pastorin weinte, indem sie einen Bericht über Lene, deren Angelegenheiten sie zu so ungewohnter Zeit in das Studierzimmer ihres Mannes getrieben hatten, mit den Worten schloß:

»Es ist das erste mal, daß ich das Kind bei einer Lüge ertappe! Aber eben – sie versteht doch schon zu lügen und sich zu verstellen, und das macht mich so unendlich traurig.«

Und als der Pastor beruhigend auf sie einsprach, fuhr sie fort:

»Ach nein, nein, es ist leider so, und Du mußt mit ihr reden und ihr vorstellen, wie unrecht sie gehandelt hat. Wir dürfen die Sache nicht leicht nehmen. Es ist sicher, sie neigt zu diesem furchtbaren Laster. Ich muß immer denken, was aus einem Menschen werden kann, wenn er schlecht erzogen wird, wenn nicht gleich die Fehler in ihm ausgerottet werden. Sieh nur Tankred von Brecken an! Welch ein Scheusal ist dieser Mensch –«

»Herr von Brecken bittet, den Herrschaften aufwarten zu dürfen!« ließ sich in diesem Augenblick die Stimme der die Thür öffnenden Magd vernehmen, und fast gleichzeitig und höchst ungelegen erschien Tankred unter tiefer, überhöflicher Verbeugung.

Aber während der Pastor wie gewöhnlich dem Gutsherrn mit großer Zuvorkommenheit begegnete, verhehlte die Pastorin ihre schlechte Stimmung gegen ihn durchaus nicht und bewillkommnete den Gast mit zurückgeworfenem Haupt und äußerst steifer Miene. Auch machte sie absichtlich, als ob sie annehme, Brecken sei in Geschäften zu ihrem Mann gekommen, sogleich eine Wendung zur Thür.

»Ich bitte einen Augenblick, sehr verehrte Frau Pastorin!« schmeichelte nun Brecken unterwürfig. »Ich möchte gerade Sie gern sprechen und Ihren freundlichen Rat erbitten. Würden Sie mir nicht einen Augenblick schenken? Ich wäre sehr dankbar dafür –«

Die Pastorin sagte nichts; schon sein Anblick war ihr so widerwärtig, daß sie sich zu einem entgegenkommenden Worte nicht zu zwingen vermochte; sie bewegte nur mit kaltem Ausdruck den Kopf und nahm wieder Platz.

Um die unhöfliche Begegnung seiner Frau auszugleichen, bot nun der Pastor mit der Entschuldigung, daß das Kraut zwar von sehr geringer Güte sei und Breckens verwöhntem Gaumen kaum behagen dürfe, dem Gast eine Zigarre an. Und nachdem Brecken sie unter der Erwiderung, daß er durchaus nicht verwöhnt sei, und daß ihm des Pastors Zigarren – obschon er sie höchst miserabel fand – stets vortrefflich schmeckten, entzündet hatte, begann er sogleich mit seinem Anliegen und wendete sich dabei fast ausschließlich an die Frau.

Er sprach in längerer Rede mit tiefem Bedauern von den Zerwürfnissen zwischen ihm und Tressens und wagte an die nie versiegende Güte der Frau Pastorin zu appellieren, noch einmal die Rolle der Vermittlerin übernehmen zu wollen.

Aber die Antwort fiel keineswegs nach seiner Erwartung aus, ja, die Pastorin nahm gleich für ihren Mann mit das Wort und entgegnete mit demselben ausdruckslos kalten Gesicht, mit dem sie Tankreds Auseinandersetzungen zugehört hatte:

»Wir müssen bedauern, Herr von Brecken! In dieser Sache auf Ihre Anregung hin einzugreifen, hieße an den Tag legen, daß bei uns doch noch ein Rest von Sympathie für Sie vorhanden wäre. Gerade das Gegenteil aber ist der Fall. Wir empfinden nur tiefsten Abscheu vor dem, was Sie gethan, und ich für meinen Teil bin ein- für allemal mit Ihnen fertig. Das mag Ihnen nicht angenehm klingen, aber ich kann mir nicht helfen, und somit ist denn auch meine fernere Anwesenheit hier überflüssig geworden. Empfehle mich!«

Brecken warf einen von der Pastorin nicht gesehenen, bittenden Blick auf den Pastor, seine Frau zurückzuhalten. Und so geschah es auch. Aber nicht zum Vorteil Tankreds.

Als er nochmals auf die Pastorin einsprach und dabei die alten Verstellungskünste anwandte, während doch seine Augen verrieten, daß er am liebsten der Frau, die ihm so zu begegnen gewagt, den Garaus gemacht hätte, erhob sich in der ohnehin durch Lenes Lüge äußerst verstimmten Pastorin ein solcher Tumult von Ärger und Widerstand, und ihr sittliches Gefühl bäumte sich so gewaltsam auf, daß sie mit funkelnden Augen hervorstieß:

»Wissen Sie was, Herr von Brecken? Am besten thäten Sie, wenn Sie so rasch wie möglich das Land ein- für allemal verließen! Hier nimmt kein Hund ein Stück Brod mehr von Ihnen! Ihrem Charakter mißtraut man aufs äußerste, man hält Sie für fähig, das Schlechteste zu thun, wenn es sich um Vorteile für Sie handelt, und ich kann mich nicht erinnern, daß jemals ein Mensch allen, mit denen er in Berührung gekommen ist, einen solchen Abscheu eingeflößt hat, wie Sie. Man nennt Sie einen Heuchler und Komödianten, und ich füge hinzu, Sie sind nicht das allein, sondern ein grundschlechter Mensch, den der gerechte Gott nur deshalb noch nicht gestraft hat, weil er ihn später um so empfindlicher züchtigen will. Nichts, gar nichts thun wir in der Sache. Wir wünschen vielmehr, daß unsere so hochgeachteten und lieben Tressens alles vollauf erreichen, was sie erstreben! – So, und das war nun das letztemal, daß ich Ihnen im Leben gegenübergestanden habe. Ich will nichts, gar nichts, unter keiner Bedingung mehr mit Ihnen zu schaffen haben!«

Nach diesen Worten verließ die unerschrockene Frau das Gemach, und bleich, zitternd und verzehrt von Wut stand der Gemaßregelte da.

Noch einmal aber nahm der Pastor das Wort und hub an:

»Lieber Herr von Brecken, es giebt für jeden, der fehlte, bei unserm Herrn Jesus Christus –«

Aber weiter kam er nicht.

»Ach was! Schweigen Sie doch mit Ihrem – Ihrem –« setzte Brecken, der vor Zorn jede Besinnung verloren hatte, an und fuhr gegen Höppner auf.

Er sah in des Pastors Worten einen neuen Angriff in anderer Form und wollte und konnte all das Geschwätz und all die ›Salbaderei‹ nicht mehr ertragen. Er ergriff deshalb seinen Hut und sagte mit wuterstickter Stimme:

»Sie begreifen wohl, daß ich nach einer solchen maßlosen Invektive es nicht erwarten kann, das Haus zu verlassen, das sich ein christliches und versöhnendes nennt, aber nichts anderes ist, als ein nichtiger Bau scheinheiliger Überhebung! – Nein, nein, ich höre nichts mehr, und nie werden Sie mich wieder unter Ihrem Dache sehen!«

Nach diesen trotz seiner maßlosen Leidenschaft berechnenden, den Pastor sicher gerade im tiefsten Herzen verwundenden Worten stürmte Tankred auf den Flur und aus dem Hause.

Brecken nahm nicht gleich den Weg ins Wirtshaus zurück, in das er seinen Rappen eingestellt hatte, sondern beschritt, um der wühlenden Gedanken in seinem Innern besser Herr zu werden, zunächst einen einsamen Nebenpfad. Er mußte allein sein; jetzt konnte er keinen Menschen sehen; er bedurfte der Sammlung, um zu einem vernünftigen Entschluß zu gelangen.

Einmal schoß es ihm durch den Sinn, sich direkt nach Holzwerder zu begeben, vor seine Schwiegereltern hinzutreten und seine Sache selbst zu führen. Aber das Zwecklose dieses Schrittes leuchtete ihm eben so sehr ein, wie die Nichtigkeit eines nochmaligen Versuchs, Theonies Verzeihung zu erringen. Nein, einmal hatte alles in der Welt ein Ende, und es war nun auch für ihn gekommen, aber weit schlimmer, als er es sich je vorgestellt hatte. Noch eine Woche weiter, und er besaß keine Mittel mehr zum Leben. Er mußte dann schon Anspruch auf Diäten erheben, aber da er ohne Wohnung war, würden sie kaum zu seinem Unterhalt ausreichen. Wieder ergriff den Mann eine an Raserei grenzende Wut. Und zu der Wut gesellte sich die Rachsucht und in erhöhtem Maße die Gier nach Besitz und Geld.

Welch ein Augenblick, wenn er Eigentümer von Falsterhof sein würde, wenn er mit stolzer, von Machtfülle getragener Geringschätzung herabblicken könnte auf das ›Gesindel‹, das ihn hatte vernichten wollen. Er weidete sich in Gedanken an ihrem Ärger und ihrer grenzenlosen Enttäuschung, daß es ihnen nun doch nicht gelungen war, ihn in den Staub zu drücken. Im Gegenteil! Ihnen allen zum Trotz blieb er dann doch in ihrer nächsten Nähe, und von genügenden Mitteln unterstützt, konnte er einen vorläufig verlorenen Prozeß noch einmal wieder aufnehmen.

Und fest entschlossen war er nun, dem Zaudern ein Ende zu machen. Die Verhältnisse trieben ihn dazu. Er wollte Theonie beseitigen. Während er dahinschritt, bald rasch, bald langsam, je nach den Regungen seines Innern, waren seine Gedanken ausschließlich mit diesem Plan beschäftigt. Abermals wollte er ausstreuen, daß er sich nach dem Süden begebe, bei seinem Anwalt wollte er, um später sein Alibi nachweisen zu können, seine Adresse an der Riviera niederlegen.

Und dann galt's noch einmal denselben Gang zu unternehmen wie damals, aber fest und ohne Schwanken. Und nach geschehener That wollte er dann direkt nach Italien reisen und sich von dort zurückrufen lassen – als Erbe von Falsterhof.

Nach solcher Auseinandersetzung mit sich selbst und Klarstellung dessen, was er wollte, schlug Brecken wieder die Richtung nach dem Breckendorfer Wirtshaus ein und erreichte es nach einer halben Stunde.

In der Gaststube fand er den Besitzer allein hinter dem Schenktisch; das paßte ihm eben; er bestellte ein Glas heißen Grog und knüpfte ein Gespräch an. Im Verlauf dessen fragte er den Wirt, seine lange Abwesenheit vorschützend, über Falsterhof aus; wie es seiner Kousine, die er, so warf er hin, diesmal nicht aufsuchen könne, gehe, und ob der Wirt etwas von ihr gehört habe.

»Ja, die gnädige Frau will in diesen Tagen, so erzählte der alte Frege, eine Zeit lang verreisen. Nach Dresden und Berlin. Ich glaube morgen früh gehen sie schon ab. – Nicht wahr, Anna?« rief der Mann seiner eben eintretenden Frau zu, als Brecken, seine Erregung über die Mitteilung geschickt unterdrückend, Zweifel hinwarf. »Sagte Frege nicht, daß die Herrschaft von Falsterhof morgen früh abreisen wollte?«

»Nein, übermorgen mittag,« berichtigte die Wirtin, Brecken ehrerbietig begrüßend. »So sagte der Pächter Harms gestern abend.«

Brecken fiel ein Stein vom Herzen. Wenn keine Spanne Zeit zwischen seinem Hiersein und seiner Abreise lag, so fiel leicht der Verdacht des Mordes auf ihn. Ohnehin war die Zeit schon kurz bemessen.

Mit schlecht verhehlter Hast ließ er sich sein Pferd wieder vorführen, bezahlte die Zeche und warf hin, daß er noch heut seine Reise nach Italien antreten wolle. Als er schon in der Thür stand, wagte der Wirt nach dem Stande der Prozeßangelegenheit zu fragen, er gab sich den Anschein, als leite ihn nicht Neugierde, sondern Interesse für Brecken.

»Erst hatte ich die Oberhand,« antwortete Tankred anscheinend gelassen, »nun haben die sie zeitweilig. Das Gericht wird entscheiden! Ich warte die Sache mit Ruhe ab, da der Ausgang mir nicht zweifelhaft ist. Zunächst will ich noch mal etwas für meine Gesundheit thun. Adieu, lieber Krüger! Adieu, Frau Krüger! Auf Wiedersehen!«

Damit trabte er davon, und der Wirt, getäuscht durch seine sorglose Miene, sagte, langsam neben seiner Frau ins Haus zurücktretend und sich an den warmen Ofen stellend:

»He schien ja ganz vergnögt to sin. Am Enn steiht doch de Sak för de Herrschaften up Holtwerder nich so günstig, as de glöwen. – Schall mi Wunner nehm'n, woans dat aflöst! Na, ick mug nich mit em in Striet kamm'n. He hett wat int Oog, dat man dat Gruseln krieg'n kann.«



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