Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Am Abend dieses Tages saß Hederich bei Tressens im Wohnzimmer. Er war gekommen, um Abschied zu nehmen; am nächsten Vormittag wollte er das Gut verlassen, unterwegs auf Falsterhof vorgucken und sich dann nach Elsterhausen begeben.

Der Rest der Ruhe, die ihnen noch geblieben war, wurde Tressens durch diese Nachricht genommen. Mit Hederichs Fortgang verloren sie den letzten Halt, und nun war es auch für sie nicht mehr zweifelhaft, daß sie Holzwerder aufgeben müßten. In diesen Trauertagen hatten sie einen Entschluß überhaupt nicht fassen können. Bei ihren Überlegungen sprach bald alles für ihren Fortzug, und bald wieder alles dagegen. Was sollte aus dem Kinde werden, dem lebendigen Andenken an die Tochter? Wenn sie blieben, würde die Großmutter in seinem Anblick wenigstens Trost und eine Ablenkung von der Trauer finden, und sie behaupteten auch eher ihre zweifellos gefährdeten Rechte. Es stand ja alles für sie in Frage. Aber dann drängte es sich ihnen wieder auf, daß es doch unmöglich sei, mit einem solchen Menschen, einem Fälscher, ferner unter einem Dache zu wohnen. Ihnen graute beiden bei seinem Anblick, und es war ihr sehnlicher Wunsch, nie wieder mit ihm in Berührung zu gelangen.

Herr von Tressen wollte vor einem entscheidenden Schritt nach Elsterhausen fahren, um mit dem Rechtsanwalt zu sprechen, aber bisher hatte ihn sein Leiden noch immer daran verhindert. So schuf die Lage Unschlüssigkeit und Zweifel, und nicht nur das furchtbare Ereignis, der jäh eingetretene Tod Gretes, machte ihre Herzen krank, sondern auch die Zukunft lastete mit ihren furchtbaren Sorgen auf ihnen.

»Drum und dran, machen Sie sich auf das Schlimmste gefaßt, gnädige Frau!« erklärte Hederich, nachdem er Bericht über seine Begegnung mit Brecken erteilt und dann Tressens Angelegenheiten zur Sprache gebracht hatte. »Ich rate, verlassen Sie Holzwerder. Machen Sie gar keinen Versuch, den Knaben mit sich zu nehmen; es ist doch vergeblich; aber klagen Sie, sobald Ihr Schwiegersohn die Ihnen zugesicherte Rente nicht bezahlt. Er wird sie Ihnen sicher vorenthalten, aber dann müssen alle Mittel in Bewegung gesetzt, und auch eine Eingabe an die Behörde muß gemacht werden, daß ihm als einer vertrauensunwürdigen Person die Vormundschaft über das Kind genommen wird. Gern würde ich in Ihrem Interesse mit ihm geredet haben, aber jetzt wird er mich gar nicht mehr anhören, und – drum und dran – ich halte, abgehen von meiner Abneigung, jemals wieder mit dem Schurken zu sprechen, eine Einmischung meinerseits auch für gänzlich aussichtslos.«

»Nun, so will ich mich selbst aufraffen,« entschied Frau von Tressen mit blitzendem Auge, und plötzlich wie verwandelt. »Morgen vormittag werden wir im klaren darüber sein, was wir zu erwarten haben, aber wir werden dann auch wissen, was wir zu thun haben, wenn dieser Erbärmliche seine Rolle weiter spielt!«



 << zurück weiter >>