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Im Mälar liegt eine Insel, die heißt Björkö. Dort findet sich auch ein kleines Tal, das heißt »die schwarze Erde«, weil der Erdboden mit den Kohlen ehemaliger Feuerstätten vermischt ist. Hier ist eine Menge zerbrochener Schüsseln, Krüge und Gläser ausgegraben worden, bisweilen auch Kostbarkeiten und Münzen, die aus Arabien stammten. Ja, sogar Tonstücke wurden gefunden, auf denen deutliche Fingerabdrücke zu sehen sind, von den Sklaven, die vor tausend Jahren hier die Fußböden ihrer Herren verstrichen. Diese Tonstücke sind dann bei irgend einer Feuersbrunst gebrannt und dadurch der Nachwelt erhalten worden. Sowohl heidnische Aschenkrüge als christliche Kreuze und verrostete Sargnägel sind aus den alten Gräbern auf der Insel herausgeschaufelt worden, und bei niederem Wasserstand kann man noch die eichenen Pfosten sehen, die einst die Landungsbrücken getragen haben.
Dort lag in alter Zeit die reiche Stadt Birka.
Einstmals an einem Sommerabend war da viel Volk versammelt. Wer keine Unterkunft in der Stadt gefunden hatte, wohnte außerhalb in Laubhütten. Auf den Festwiesen lärmte die Jugend und zog später unter Scherz und Gesang auf den Berg hinauf, denn dort stand eine Ringburg aus großen Feldsteinen, von der man eine weite freie Aussicht hatte. Die Häuser, die aus Balken und bisweilen auch aus mit Lehm beworfenem Flechtwerk bestanden, spiegelten sich zwischen Erlen und Hängebirken in dem stillen Wasser.
Am lebhaftesten ging es drunten auf den Landungsbrücken zu, denn mehrere ausländische Schiffe hatten kürzlich hier angelegt, und die Wollstoffe aus Friesland fanden reichlichen Absatz. Die Fremdlinge, die an Land stiegen, hatten viel zu tragen; aber zwei von ihnen kamen mit leeren Händen daher. Der eine war ein siebenundzwanzigjähriger dunkler Benediktinermönch aus dem Kloster Corbie in der Normandie, und der andere sein Freund, der Mönch Vitmar. Der erste hieß Ansgar, und dieser legte dem ersten, dem er begegnete, den Arm um den Hals und küßte ihn auf beide Wangen.Ansgars Ankunft in Schweden fällt in das Jahr 830 n. Chr.
»Wir sind von den Vikingern ausgeplündert worden,« sagte er mit frischer, freundlicher Stimme. »Sie haben uns alles genommen, was irgend einen Wert hatte, und überdies auch die Bücher und Geschenke, die uns der Kaiser für Euern König mitgegeben hatte. Jetzt haben wir nichts mehr, womit wir unser Nachtlager bezahlen könnten. Deshalb frage ich, ist wohl jemand hier, der zwei ausgeplünderte Fremdlinge aufnehmen würde?«
Der Mann, den Ansgar also offen und ohne Verstellung angeredet hatte, sah barsch aus. Es war nämlich der Hauptmann der Stadt in eigener Person, namens Härger. Er war ein wetterharter, grauhaariger Viking, der sich erst auf seine alten Tage daheim zur Ruhe gesetzt hatte. In seinem Herzen regte sich Mißtrauen gegen die beiden Fremdlinge. Er wußte zwar wohl, wer sie waren, und auch, daß sie vom Kaiser ausgeschickt und von dem König eingeladen worden waren, dem Volke zu predigen.
Trotzdem antwortete er kurz angebunden: »König Björn ist auf der Jagd.«
Da streckten sich von allen Seiten gastfreie Hände aus, und eine alte Witwe, namens Frideborg, erfaßte den Strick, den Ansgar um den Leib trug.
»Es würde mich in meinem Recht kränken,« rief sie, »wenn ich euch nicht in meiner Hütte, die freilich nur niedrig ist, aber am nächsten von hier liegt, als meine Gäste aufnehmen dürfte.«
Ansgar und Vitmar traten dankbar bei ihr ein. Sobald sie sich gewaschen und ihre ärmlichen Kleider angezogen hatten, gingen sie zur Ruhe.
Am nächsten Morgen erschien Härger in der Hütte, denn er wollte die Fremden prüfen. Die beiden Freunde saßen auf dem Boden und flochten Netze. Ansgar war vom Kasteien und Fasten sehr mager, und er betete auswendig einige Stücke aus den Psalmen Davids, die er mit Vorliebe zum Lesen wählte, wenn er seine Bücher hatte.
»Da König Björn abwesend ist, habe ich an seiner Stelle ein stattliches Gastmahl für euch bereiten lassen,« begann Härger mit angenommener Freundlichkeit. »Ihr seid sicher ganz ausgehungert nach eurer langen Meerfahrt, und es soll an nichts fehlen, weder an Harfenspiel noch an köstlichen Gerichten.«
»Wir verdienen uns unser tägliches Brot mit unseren eigenen Händen,« erwiderte Ansgar ruhig und demütig. »Siehe, hier flechten wir uns Netze, um auf den Fischfang gehen zu können und für uns und unsere gütige Wirtin die nötige Speise herbeizuschaffen. Bei deinem Gastmahl würde uns nicht behaglich zumute sein.«
Als Härger in seine Burg zurückgekehrt war, sagte er zu einem seiner Diener:
»Hier ist ein großer Krug Wein. Bring ihn Ansgar und luge dann durch den Türspalt, ob er der Versuchung, sich an einem fröhlichen Becher zu erlaben, widerstehen kann.«
Ansgar nahm dem Diener den Krug ab und dankte ihm dafür, band ihn aber gleich zu und stellte ihn in die Ecke.
»Nun haben wir Wein zum Abendmahl für die Sterbenden,« sagte er. »Verwahre ihn wohl, Frideborg. Ach, wenn wir doch nur ebenso rasch auch unsere Kirche bekämen!«
In Birka gab es eine Menge Kriegsgefangene aus christlichen Ländern, die zu Sklaven gemacht worden waren. Als diese von der Ankunft der Mönche hörten, versammelten sie sich vor Frideborgs Hause. Sie weinten Tränen der Freude und waren überglücklich, daß sie endlich einmal wieder die christlichen Lehren hören konnten. Viele Ansässige von Birka kamen aus Neugierde auch herbei und riefen:
»Ansgar, wann redest du zu uns von dem neuen Gotte?«
»Am liebsten zu jeder Stunde,« antwortete Ansgar und trat unter die Tür in den Sonnenschein. »Mein Herz ist von Dank erfüllt, daß ihr Sveaer ein so prächtiges Volk seid, das ich vom ersten Augenblick an lieb gewonnen habe. Der Weg war schwierig durch dunkle Wälder und über Seen, die so groß waren wie Meere. Aber was ist das für ein herrliches Land, in dem ihr wohnen dürft! Reich ist es an Korn und Honig und Brennholz, an Flüssen und Meerbusen, und in den Häusern wimmelt es von gesunden, fröhlichen Kindern. Bessere Schiffe als die eurigen sind sicher nicht viele gebaut worden. Oftmals habe ich auch gesehen, wie Männer ehrfurchtsvoll aus verschiedenen Bezirken Erde herbeitrugen, um ein Hünengrab für einen großen Häuptling auszuwerfen. Aber wenn ich dann erfuhr, daß dieser Häuptling ein großer Seekönig gewesen war, der friedliche Küsten verheert hatte, dann erinnerte ich mich an das Ziel meiner Wanderschaft – Christus ist noch stärker als Thor.«
Ein dumpfes Gemurmel war die drohende Antwort auf Ansgars Worte. König Björn, der von der Jagd zurückgekehrt war, stand auch unter dem Volke. Im Kriege gehorchten die Sveaer ihm blindlings und mit Begeisterung, aber in Friedenszeiten beratschlagten sie beim Thing um Recht und Gesetz mit ihm, und jetzt begrüßten sie ihn mit treuem Handschlag.
Härger flüsterte ihm zu: »Der Ansgar, den du zu uns gerufen hast, ist ein seltsamer Mann, unüberwindlich und fest wie ein Kämpe. Er hat mir viel zu denken gegeben. Ich habe ihn wiederholt geprüft, und jetzt will ich es noch einmal tun.«
Hierauf wendete er sich an Ansgar und sagte: »Es ist ja recht und gut, daß du so viele schöne Worte machen kannst; ist aber dein Gott so mächtig, wie du behauptest, dann erwarten wir, daß er es durch ein Wunder beweise.«
Und Ansgar erwiderte: »Wenn ich würdig wäre, von meinem Herrn ein Wunder zu erbitten, dann wäre es das, daß er aus mir und uns allen, die wir hier versammelt sind, gute Menschen mache. Dann hätten wir bald Kraft genug, hier die erste Kirche zu bauen.«
»Was dich selbst anbetrifft, Ansgar, so hat Gott das Wunder bereits gewirkt,« erwiderte Härger.
Er wollte dem König folgen, hielt aber plötzlich an, preßte die Hände auf die Brust und rief lachend:
»Aber wenn du eine Kirche bauen und dein Gotteshaus aufrichten willst, mußt du dir die Riesen zur Hilfe herbeirufen.«
Ansgar wurde betrübt; am Abend jedoch, als er schlaflos auf seinem Lager ruhte, glaubte er plötzlich eine Stimme zu vernehmen, die sanft und ängstlich, wie die eines kleinen Kindes klang. Zugleich aber war es ihm auch, als sei es sein eigenes Herz, das ihm zuflüstere.
»Ansgar,« sagte die Stimme, »der Häuptling hat wahr gesprochen.«
Darüber entsetzte sich Ansgar sehr; er stand früh auf und ruderte zu seinen Netzen hinaus.
»Nimm dich vor dem jenseitigen Ufer in acht!« rief ihm Frideborg nach. »In den Schluchten dort haben noch viele Riesen ihren Aufenthalt.«
Diese Worte erinnerten Ansgar wieder an das, was die Stimme gesprochen hatte. Da drüben türmten sich hohe Felsen übereinander auf, und als er die Augen aufhob, meinte er beinahe schon die Riesen dort sitzen zu sehen, mit gebräunter Haut und mit den Fingern die Felsblöcke umklammernd, während ihnen das Haar um die Stirne wehte.
Der frühe Morgenwind rauschte durch die Tannenwipfel, und Ansgar legte die gefalteten Hände auf die Augen. So saß er längere Zeit in tiefes Sinnen verloren da. Schließlich wurde seine Seele von einem inneren Licht erleuchtet, und plötzlich bekamen die Worte der in der Nacht vernommenen Stimme eine ganz andere Bedeutung.
Er wendete den Einbaum wieder auf Birka zu, und als er zwischen den Haselnußsträuchern und Bäumen war, zimmerte er sich ein hohes Kreuz zurecht. Er nahm es auf die Schulter und ging damit hinaus aufs Feld, wo das Volk sich schon versammelte, um Thing zu halten.
So wie an diesem Tage war Ansgar die Gabe der Rede in seinem ganzen Leben noch nie zuteil geworden. Schließlich war in ganz Birka niemand mehr, der nicht herbeigekommen wäre, ihn zu hören. Kranke und Alte, die kaum noch die Füße bewegen konnten, Sklaven, Seefahrer und kleine Kinder, alle liefen hinaus zur Thingstätte. Die einen saßen im Grase, andere trugen Spaten oder allerlei Handwerkszeug über der Schulter, und große Scharen ließen sich weiße Gewänder anziehen und an dem nahen Strande taufen. Schließlich trat König Björn vor, um die Götter zu fragen, ob sie Ansgar gestatten wollten, dem neuen Gott ein Haus zu bauen. Ansgar stand froh und siegesgewiß neben dem König. Der König hieb nun einige Späne ab und zeichnete Runen darauf. Als er dann die Späne auf den Boden warf, fielen sie so, daß die Antwort bejahend lautete.
Indessen aber waren die Stunden verronnen, und wieder begann es zu dämmern. Goldschimmernde Wolken standen über der Bucht, die Wälder wurden immer dunkler, und die Tannenwipfel bedeckten schon den unteren Rand der Sonne.
Mit gefurchter Stirne und blitzenden, weitschauenden Augen hob Ansgar das Kreuz hoch in die Höhe, und das begeisterte Volk wanderte zu seinen beiden Seiten mit ihm dahin. Nachdem er eine Strecke gegangen war, bis zu einem etwas erhöhten Platz, stieß er das Kreuz fest in den Boden, daß es aufrecht dastand.
Dann begann Ansgar zu reden; aber jetzt bebte seine vorhin so starke Stimme.
»Endlich ist die Stunde gekommen,« sagte er beinahe flüsternd. »Hier soll die Schwelle der Kirche sein, und dort, wohin der Schatten des Kreuzes deutet, soll der Altar stehen. In jedem Jahre, an dem Tage des Heiligen, der heute gefeiert wird, wenn die Fluren und Bäume ebenso lieblich duften wie heute, soll der letzte Sonnenstrahl denselben Weg gehen, wie jetzt der Schatten dieses Kreuzes, und durch die Tür auf das Gold des Altars fallen.«
»Hast du, der du nur von Brot und Wasser lebst, selbst das nötige Gold, ein solches Haus zu errichten?« fragte Härger.
»Wenn mein Gott der stärkste ist,« antwortete Ansgar, »dann werden die Riesen, die seine Kirche zu einem Saal für die ganze Welt bauen sollen, sicherlich so starken Willens und so festen Glaubens sein, daß sie weder um Gut noch Lohn feilschen werden. Und du selbst, Härger, bist zu einem dieser Riesen auserwählt. Das ist das Wunder, das du erbeten hast. Das weiße Gewand wartet deiner, und morgen werde ich dich taufen.«
Das Volk wendete sich, um zu sehen, wohin der Schatten deutete. Und siehe da, seine Spitze deutete gerade auf den Platz vor Härgers eigenem Hause!
Härger schwieg, und es war nicht leicht, seine Gedanken zu erraten. Er kämpfte einen harten Streit; aber plötzlich klärten sich die barschen Züge auf und wurden gütiger und friedlicher als zuvor. Schließlich trat er in sein Haus und brachte seine ehemalige Schiffsaxt heraus.
»Macht es wie ich!« rief er den andern zu. »Nehmt eure Äxte und kommt mit mir über den See hinüber in den Wald. Die Nacht ist hell, und zu unserer ersten Kirche müssen wir das beste Holz auswählen.«
Wenn die Äxte von Riesen geschwungen worden wären, hätten sie keine mächtigeren Baumstämme fällen können, als die, die in den folgenden Tagen hinter den Einbäumen her durchs Wasser geschleppt wurden. Am nächsten Abend wurden Härger und Frideborg getauft.
Unter großer Freude wurde die Kirche schließlich vollendet und eingeweiht. Dann verabschiedete sich Ansgar von seiner neuen Gemeinde in dem entlegenen Norden und trat mit seinem Freunde Vitmar die weite Heimreise an. Mehrere Einwohner von Birka begleiteten sie zu Verwandten und Bekannten, und überall wurden sie gastfrei aufgenommen.
Aber daheim in Birka öffnete Frideborg ihre Säcke und Truhen, um all ihr Hab und Gut den Armen zu schenken. In dem reichen Birka waren indes keine Armen, und so bestimmte sie, daß ihre Spenden nach andern Orten gebracht würden, wo es Bedürftige gab, die die Gaben wohl gebrauchen könnten. Aber etwas behielt Frideborg doch zurück, und sie wachte darüber wie über den kostbarsten Schatz. Das war der letzte Rest des heiligen Weines, der sich noch in dem Kruge befand. Sie goß ihn in ein Fläschchen und hob ihn gut auf.
»Wenn meine letzte Stunde herankommt und kein Geistlicher zur Hand sein sollte, dann sollst du mir diesen Wein in den Mund träufeln,« gebot sie ihrer Tochter.
Nach König Björns Tode brachen unruhige Jahre über Birka herein und trotzige Häuptlinge richteten wieder Götterbilder auf. Diese Götterbilder erhielten jeden Morgen eine Schüssel Fleisch und Brotkuchen zur Nahrung. Die Christen, die oft verlacht wurden, lebten still für sich, und Frideborg verblieb in ihrer Hütte bis in ihr hohes Alter. Da schickte Ansgar einen Eremiten namens Ardgar; der kam eben noch zu rechter Zeit, um der sterbenden Frideborg die letzten Tropfen des heiligen Weines zwischen die Lippen träufeln zu können.
Auch Ansgar erfreute seine teure Gemeinde in Birka noch einmal mit einem Besuch, und obgleich an Jahren noch jung, war er doch damals schon Bischof und ein weitberühmter Mann. Er hat später in Bremen sein Grab erhalten.
Schließlich wurde Birka verheert und dem Erdboden gleichgemacht, worauf sich die Christen in Sigtuna sammelten. Dort bauten sie viele Kirchen, aber die wilden Esthen drängten auf ihren Schiffen in den Mälar herein und zerstörten auch Sigtuna. Der Sage nach sollen sie alle Kostbarkeiten mit fortgenommen haben und darunter auch von der Kirche unserer lieben Frau zwei Chortüren, die sich heute noch in Nowgorod befinden sollen. Um den Mälar abzuschließen, begannen die Sveaer jetzt, die Holme zu befestigen, und so wuchs Stockholm mit seinen Türmen und Ringmauern heran.
Auf dem Berge bei dem ehemaligen Birka steht jetzt ein steinernes Kreuz zum Andenken an Ansgar, den Apostel des Nordens.
Und wie der Schatten dieses Kreuzes sich jeden Tag dem Lauf der Sonne nach dreht, so wurden auch im Süden und Norden, im Westen und Osten ringsumher im Lande christliche Altäre errichtet.