Verner von Heidenstam
Die Schweden und ihre Häuptlinge
Verner von Heidenstam

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XXV. Karl Knutsson und der Rattenfänger

(1441 – 1470)

Engelbrechts Standbild zu Örebro

Karl Knutsson wird König

Auf der Südbrücke vor Stockholm war ein großes Gedränge. Die Schweden und Dänen hatten Christoph von Bayern an Stelle seines Oheims, des abgesetzten Erich von Pommern, zum König gewählt, und er hielt nun seinen stolzen Einzug in die Hauptstadt.

Er war klein und dick, trug ein rotes Gewand und übermäßig lange Schnabelschuhe; den Leuten war es rein unbegreiflich, daß er darin gehen konnte, ohne auf die Nase zu fallen. Sein Mantel reichte nur halb über die Hüfte, und der Hut mit den aufgebogenen Krempen glich einem umgestülpten Topf. Um sich wohl daran zu machen, steckte er freundlich und leutselig seinen Arm durch den Karl Knutssons; aber neben einem solchen stattlichen Manne zu gehen, war eine gefährliche Sache, und das Volk begann auch sogleich zu rufen: »Was sollen wir denn mit diesem kleinen Deutschen, wenn wir doch Karl Knutsson haben?«

Ein alter Gaukler kauerte in einem Winkel am Torturm. Er blies die Pfeife und ließ ein paar zahme Ratten darnach tanzen. Er war an den Füßen gelähmt und hatte ein abgeschabtes Schaffell als Dach über sich ausgespannt. Mitten durch Horngeschmetter und Trompetenblasen hindurch hörte man deutlich den scharfen Ton seiner Pfeife. Die Vorübergehenden schlugen ihm auf die Schulter und fragten ihn, warum er denn an so einem großen Tag nicht neugieriger sei, sondern in aller Ruhe auf seinem Holzrohr spielen könne.

»Es wird schon noch ein größerer Tag kommen,« erwiderte er und hob die beiden Ratten auf seine Kniee. »Der Sonnenglanz auf Karl Knutssons Helm bedeutet eine Königskrone.«

Schon nach kurzer Zeit wurde diese Prophezeihung noch von andern Lippen ausgesprochen. Es kam Mißwuchs, teure Zeiten stellten sich ein, und Christoph wurde der »Rindenkönig« genannt. Als das Volk sich über die Seeräubereien des abgesetzten König Erich beklagte, sagte er ganz lustig, sein Oheim brauche auf einem Felsennest wie Gotland doch auch etwas zum Leben. Schließlich erkrankte Christoph und starb. Da eilte Karl Knutsson mit achthundert Knappen in silberschimmernden Rüstungen gen Stockholm.

Es war ein wonniger Maitag, und das Frohnleichnamfest wurde eben in hellem Sonnenglanz gefeiert. Ratsherren und Bäcker, Pfarrer und Bader, Schmiede und Krieger wanderten in einem langen Zuge durch die Straßen. Alle waren bekränzt und trugen Blumen in den Händen. Sie jubelten und schwenkten die Sträuße, denn schon aus der Ferne erkannten sie den schwedischen Hauptmann, der auf seinem Schimmel eben über die Südbrücke ritt. Aber Morgenrot auf westlichen Wolken bedeutet Regen. Im Westen war der Horizont trübe, und von dem immer wolkigeren Himmel fiel bald ein klatschender Frühlingsregen herab. Die Zunftbrüder und Nonnen beschleunigten ihre Schritte mit stets lauter werdendem Jubel; denn seit langer Zeit hatte schreckliche Dürre geherrscht, und dieser Regen war ihnen ein Zeichen, daß Karl Knutsson mit dem Glück an der Seite einziehe.

Bisweilen hielt er sein Pferd an, um mit alten Bekannten zu reden; und als er den Rattenfänger sah, fiel ihm dessen gellende Pfeife auf.

»Komm mit mir, Gaukler,« sagte er, »ich will dir ein besseres Dach verschaffen als dieses Schaffell, das du über dir ausgespannt hast. Die Wolle ist ja schon fast ganz abgeschabt.«

»Edler schwedischer Herr,« erwiderte der Rattenfänger, der seine Pfeife unter den Arm gesteckt hatte, »du weißt wohl, daß man den Ratten, die man zähmen will, eines aufspielen muß. Spiele du nun deinen Ratten, dann spiele ich den meinen. Vielleicht hast du mein Schaffell einmal nötiger als ich das Dach, das du mir jetzt anbietest.«

Lachend begleiteten die Ritter Karl Knutsson nach seinem Hause in der Stadt. Dort spielte er dann »den Ratten« etwas vor, aber so wie es ihm beliebte. Mit glänzender Freigebigkeit hielt er den ganzen Tag offenen Tisch für jeden, der sein Gast sein wollte. Die Jugend und das Alter verhandelten da vertraulich über das Schicksal des Landes. Draußen rauschte klatschend der Frühlingsregen aufs Dach herunter, und der Duft von den erquickten Wiesen drang bis ins Haus herein.

Schließlich schlug die Stunde, wo die Großen sich zum Rate in dem Zunfthause zur heiligen Gertrud versammelten. Am nächsten Tag sollte die Königswahl stattfinden; aber die Männer hatten sich nun so lange an die Ausländer gewöhnt gehabt, daß ihnen, als sie jetzt die Krone einem Schweden zusprechen sollten, die Worte fast im Halse stecken blieben. Die Bedenklicheren unter ihnen legten sorglich die Hände ans Kinn, mußten aber dann doch zugeben, daß niemand würdiger sei als Karl Knutsson.

Nur einer preßte die Lippen fest zusammen, das war der Erzbischof Jöns Bängtsson Oxenstjerna. In seinem mit Hermelin gefütterten Samtmantel trat er ein paar Schritte vor. Sein silberner Gürtel sah aus, als müsse er platzen, so heftig steckte er die Finger hinein. Sein Gesicht zeigte grobe Züge und war etwas gerötet und wie von beständigem Zorn erhitzt. Aber die braunen Augen – bald klar, bald unruhig und grausam – flammten von Herrschsucht.

»Wenn einer von euch Gleichgestellten der Herr wird, wer wird ihm dann gehorchen wollen?« fragte er verächtlich. »Früher haben wir deutsche Könige gehabt, die in Dänemark wohnten, die sind uns Großen am wenigsten im Wege gewesen, und mit ihren Vögten haben sie die Bauern in den Schranken gehalten. Packt das Volk, das da draußen nach Karl Knutsson schreit, mit eisernen Händen und richtet euch nicht nach solchem Wespengesums!«

Da schrieen die andern noch lauter nach Karl Knutsson, sowohl die auf der Straße, als die im Zunfthause.

Am wenigsten aber konnte es der Erzbischof verzeihen, daß seine eigenen Freunde von der Macht weggedrängt werden sollten. Ergrimmt trat er zu seinen Knappen an der Tür. Sie knieten nieder und reichten ihm ein paar einfache Schuhe und einen Mantel zum Schutz gegen den Regen, und im nächsten Augenblick saß er schon im Sattel und ritt mit einer Schar von dreißig Hofleuten davon.

Jöns Bängtsson ritt lieber eine ganze Nacht hindurch im Regen, als daß er etwas auf den nächsten Tag verschoben hätte. Erst auf dem Hofe des erzbischöflichen Schlosses ließ er die Zügel los. In der Kapelle, wo der Altar reich mit goldenen und silbernen Geräten geschmückt war, leuchteten die Lampen mit rubinrotem Licht. Der Erzbischof schmückte seine Kirchen prächtig aus und fühlte sich zwischen Gesang und Weihrauchwolken überaus wohl, vergaß aber darum doch auch seine Rüstkammer nicht. Wehe dem, der ihm trotzte! Rachgier und Haß erfüllten seine Seele neben der fanatischen Begeisterung für die Kirche und machten ihn zu einem rastlosen, unversöhnlichen Kriegsmann, dem beständig Waffengeklirr auf den Fersen folgte. Ruhe und Zaudern waren für ihn etwas Verächtliches.

Unter dem Torbogen wendete er sich und ballte die Faust in der Richtung, wo Stockholm hinter den waldigen Hügeln lag. Es war eine dämmrige Sommernacht, der Regendunst verhüllte die Stadt, daß sie einem endlosen Meer glich, und in die grünlich schwarzen Wasser des Mälar fielen die Regentropfen.

»Ihr guten Herren,« sagte er halblaut, »wählt euch nur untereinander zu Königen. Hier bin ich Herr, und Jöns Bängtsson vergißt keine Beleidigung.«

Das Unglück beginnt

Nun wurde Karl Knutsson König, und schließlich wurde er auch in Nidaros von den Norwegern gekrönt. In seiner Jugend hatte es eine Zeit gegeben, wo er auf seiner ländlichen Vogelbucht sorglos mit dem Bogen im Röhricht umherstreifte. Aber die Sorgen und der Kummer gruben ihm bald so tiefe Furchen in sein Antlitz, daß er nun so aussah, wie sein Geschlechtsname »Bonde« sagte, nämlich wie ein Bauer.

Wenn er von düsteren Ahnungen heimgesucht war, pflegte ihm seine junge Königin Katharina zuzuflüstern: »Preise lieber dein Glück! Seit Jahrhunderten hat kein schwedischer Mann einen solchen Erfolg gehabt wie du.«

Dann ergriff er ihre wegen ihrer weißen Schönheit berühmten Hände und preßte sie sich an die Augen. »Ich wollte, ich wäre blind,« seufzte er, »denn mir ist, als sähe ich draußen auf dem Lande etwas in den Burgschmieden glänzen. Das alte Aufruhrschwert ists, das dort gewetzt wird. O ihr mißgünstigen Schweden, könnt ihr es mir nicht verzeihen, daß ich einer der eurigen gewesen bin! Meine eigenen Verwandten möchten mich am liebsten verjagen.«

Aber zum Schlusse gelang es der Königin doch immer, ihn mit ihrer Fröhlichkeit wieder froh zu machen.

Sie liebte Tanz und Spiel. Die Dienerinnen mußten einen Kreis bilden, in die Hände klatschen und ein Lied anstimmen. Oft mischte sich dann Karl Knutsson selbst auch ins Spiel. Aber manchmal, wenn die Geigen am lustigsten erklangen, wurde auch Katharina ernst, und sie zog ihn mit sich in die Fensternische.

»Früher hattest du Freunde,« flüsterte sie, »aber jetzt, wo es dir gut geht, wie ist es jetzt? Hüte dich, deine früheren Tischgenossen mit so viel Pracht und Staat herauszufordern.«

Er aber schüttelte den Kopf. Überfluß und Ritterglanz wollte Karl Knutsson um sich haben. Wein im Becher, silberne Geräte, Trompetenbläser vor den gebratenen Hirschkeulen, Kronleuchter an der Decke des Saals und in jedem Lichterkranz ein vergoldetes Heiligenbild – so pflegte es einst bei den Königen zu sein. Zweitausend Hofleute wurden aus seiner Küche gespeist, wo die Ochsen ganz am Spieß gebraten wurden; das nannte er gute Burgsitte. Die Gäste waren oft so zahlreich, daß viele lange in den Räumen umherwandern mußten, ohne einen Platz zum Sitzen ausfindig machen zu können.

»Dein Mundschenk ist noch großartiger als du, Karl Knutsson,« scherzte einmal ein mißgünstiger Verwandter.

»Ganz richtig,« erwiderte der König, »aber meine Freude besteht darin, meine Gäste noch geputzter zu sehen als meinen Mundschenk.«

Dann ließ er wunderbare Geschenke austeilen: Rauchwerk, Silber und herrliche Schmiedearbeiten. Seine Waffenschmiede waren Meister in ihrer Kunst, und solche Armbrüste wie damals in Stockholm angefertigt wurden, fand man nicht so leicht wieder.

Wenn die Lichter gelöscht waren, wurde der Torwächter recht häufig von Kranken wieder geweckt, die um der heiligen Mutter Gottes willen um einen Trunk Wasser baten. Die Pest hatte sich nämlich abermals ins Land hereingeschlichen und breitete sich in Stockholm aus. Wenn die Sonne aufging, lagen die Straßen häufig voller Toten.

Eines Nachts knarrten die Türangeln an der Südbrücke, und fackeltragende Mönche zogen mit einem Sarge heraus. Der Rattenfänger, saß noch immer getreulich in seinem Winkel. Halb im Schlafe fragte er, wer denn unter dem Bahrtuch liege.

»Die junge Königin,« lautete die Antwort.

Einer der Mönche, der einen Augenblick anhielt, die Kohlen von seiner Fackel abzuschütteln, fügte bitter hinzu: »Morgen wird nicht mehr in Karl Knutssons Rittersaal getanzt. Wie siegessicher war er doch an jenem Maitag, wo er einzog, um König zu werden.«

Karl Knutsson hatte auch keine Zeit, in dem verödeten Frauengemach zu trauern. Statt dessen zog er eilig in den Krieg gegen die Dänen, die seinem Königtum in Norwegen schon ein Ende gemacht hatten.

Aber ein kleines Heer von Bauern auszurüsten, die sonst hinter den Heuhaufen saßen und ihre Schuhe ausbesserten, war nicht nach Karl Knutssons Geschmack. Ein Bauer, der das Königsheer sehen wollte, lief an einen kleinen Waldpfad, wo alle Soldaten vorüber mußten, einer nach dem andern. Da stand ein Mann, der Einschnitte in Kerbhölzer machte und diese dann neben sich auf den Boden warf.

»Was tust du hier?« fragte der Bauer.

»Immer beim zehnten Kopf mache ich einen Kerbschnitt, damit der König erfährt, wie viele Männer er in der Schlacht hat.«

Der Bauer ging wieder heim, kochte sich seine Grütze und arbeitete den ganzen Tag. Als es dämmerte, ging er wieder an den Waldpfad, Aber noch immer zog das Heer in endloser Reihe vorüber: Sturmhauben, Speere, Armbrüste, Banner und Geschützwagen, auf deren Dach das schwedische Reichswappen unter der Krone gemalt war. Ein anderer Mann stand da und machte Kerbschnitte, und hinter ihm lag ein großer Haufen Kerbhölzer.

»Kommt der letzte Schütze niemals?« fragte der Bauer.

»Schlaf du nur beruhigt, alter Vater,« antwortete der Mann, »und komm morgen wieder, wenn der Tag graut. Dann wirst du ihn vielleicht sehen. Und dann werden wohl fünfzig bis sechzig Tausend Köpfe vorübergezogen sein.

Jöns Bangtsson saß auch nicht gerne auf seinem Gute Stäket, nur um in aller Ruhe die vortrefflichen Bergamottbirnen zu schälen, die ihm die Nonnen von Badstena schickten. Vor seinen Augen reiften jetzt andere herrliche Früchte heran. Seit jener Versammlung in dem Zunfthause trug jeder Mönch, der bei ihm ein- oder ausging, einen dichtbeschriebenen Brief unter seinem Mantel.

Oben im Turme war eine kleine, klösterliche Zelle mit einem einfachen tannenen Tisch, einigen Wachskerzen und einem schwarzen hölzernen Kreuz an der Wand. Jöns Bängtsson stand am Tisch und hielt seine Hand hinter das Licht, damit der Luftzug von der mit Fell verhängten Luke die Flamme nicht ausblase.

»Woher bläst der Wind heute abend?« fragte er.

»Von allen Seiten, aber immer Karl Knutsson entgegen,« antwortete der Schreiber, der eben einen Brief zusiegelte. Als dies getan war, stand er auf und sagte in fröhlicherem Ton: »Das große Königsheer hat ja in Schonen tüchtig gehaust, aber es ist schon lange zerstreut und wieder daheim angelangt. Die Zeit ist vergangen, und bald wird, sich ein Südwind erheben, der für uns Priester mild einzuatmen sein wird. In dem ganzen langen Netz der Verschwörung ist nicht eine einzige Masche, die nicht fest zusammengezogen wäre. Ehrwürdigster Vater, die Zeit zum Handeln ist da.«

Jöns Bängtsson öffnete das Fellfenster und steckte den Kopf hinaus. »Ich sehe, daß die Reiter aufgestellt sind und uns auf dem Eise des Mälar erwarten,« sagte er. »Kommt!«

Der Ritt ging nach Uppsala. Dort war kaum eine Scheune, die nicht wie eine Rüstkammer ausgesehen hätte, denn die Uppländer waren schon bewaffnet und versammelt. Seine Priester hinter sich und in vollem Ornat ging Jöns Bängtsson in den Dom. Vor dem Hochaltar nahm er seinen Bischofshut, seinen Mantel und seinen mit dem Saphir geschmückten Ring ab und gelobte mit einem heiligen Eide, den Ornat nicht mehr anzulegen, bis Karl Knutsson verjagt sei. Statt des geistlichen Gewands legte er Harnisch und Helm an und umgürtete sich mit dem Schwert.

»Keine Pracht der Welt ist mir kostbar genug, wenn ich deine Messe singen soll, o heilige Jungfrau!« sagte er. »Dir, dir allein will ich dienen! Aber die Steine unter deiner Kirche fangen an zu wanken. Seit die Großen einen aus ihrer eigenen Reihe gewählt haben, will niemand mehr gehorchen, so lehre du mich wenigstens befehlen!«

Von loderndem Haß erfüllt und furchtbar in seiner Tatkraft, nagelte er an die Kirchtür seinen Fehdebrief gegen den König. Dann zog er mit seiner Mannschaft nach Västerås und von da über das Eis in die Gegend von Strängnäs.

Einige Tage später wurden die Bettler auf der Südbrücke zu Stockholm in aller Frühe durch Pferdegetrappel geweckt. Die Schlacht war geschlagen worden. Verwundet und blutüberstömt ritt Karl Knutsson auf einem ärmlichen Bauerngaul und nur von einem einzigen Knappen begleitet in die Stadt herein. Es war im Februar und sehr kalt. Da warf ihm der Rattenfänger sein Schaffell aufs Pferd hinauf, denn er sah, daß der König fror.

»Das letzte Mal hast du über mein abgeschabtes Schaffell gelacht,« sagte er. »Sei nun froh, daß ich es noch habe, aber vergiß nicht, es mir wiederzugeben, wenn du es nicht mehr brauchst.«

Karl Knutsson hüllte seinen Knappen, dem die Wangen und Ohren schon ganz weiß gefroren waren, in das Fell und ritt weiter aufs Schloß. Am nächsten Tage versammelte er die Bürger im Zunfthause, und von seiner Beredsamkeit hingerissen versprachen sie ihm Gehorsam. Die Vorstädte wurden auf seinen Befehl niedergebrannt, damit die Aufrührerischen sich da nicht festsetzen konnten.

Dann ließ er eines Abends drei starken Männern die Augen verbinden, damit sie nicht wüßten, wohin sie geführt wurden. Dies geschah in einem Gewölbe unter dem Schloß. Dann wurde jedem ein schwerer Sack auf den Rücken geladen, dessen Inhalt klirrte und klang, wenn die Säcke in einem engen Durchgang gegen die Wand stießen. Der Knappe ging voraus, dann kam der König mit einer Tranlampe. Er ließ sie Wendeltreppen hinunter steigen, die seit Jahren kein Fuß mehr betreten hatte, und öffnete Türen, von denen außer ihm kein Mensch etwas wußte. Bisweilen gab es einen langen Aufenthalt, weil der König mehrere Schlüssel in den verrosteten Schlössern probieren mußte.

Schließlich gelangten sie in einen langen, unterirdischen Gang. Ein dumpfes Rollen erschütterte die Erde, und den drei Männern wurde angst und bange. Aber der König beruhigte sie und sagte, das sei nur ein Wagen, der über ihren Köpfen durch die Straßen fahre. Nach einigen weiteren Schlitten standen sie vor einer Tür, und der König ließ fünf kurze Schläge ertönen.

»Wer da?« fragte eine Stimme jenseits der Tür.

»Der Erwartete,« antwortete der König.

Die Tür tat sich auf, aber nur mit großer Schwierigkeit, denn sie war seit langer Zeit verschlossen gewesen. Unbekannte Hände nahmen die Säcke in Empfang, und dann führte der Knappe die drei Träger ins Schloß zurück, der König aber war durch die Tür verschwunden.

Schwarzgekleidete Mönche mit Fackeln umringten den König und ließen dann die Säcke vorsichtig in eine gemauerte Vertiefung hinunter, die einem Brunnen glich. Er befand sich in dem Kloster der Schwarzen Brüder, denen er seine Kostbarkeiten, die er in die Säcke gepackt hatte, in Verwahrung gab. Nachdem der ganze Schatz in die Grube versenkt war, deckten die Mönche eine Steinplatte darüber und warfen Erde darauf, die sie feststampften, so daß kein Uneingeweihter den Ort finden konnte. Ehe der Tag anbrach, ruderte der König hinüber auf ein Schiff, das ihn fortführte.

Selbst des Königs Töchter mußten kurze Zeit nachher in einer stürmischen Winternacht auf einem Schiffe entfliehen.

»Wohin?« rief ein Schiffer, der auf den Wogen in der Nähe der deutschen Küste an ihnen vorüberfuhr.

Erfroren und verweint saßen die Königskinder auf Deck beisammen und antworteten klagend: »Wir suchen unsern Vater. Wüßtest du, wer wir sind, du würdest mit uns weinen! Daheim wird er jetzt Landesverräter genannt.«

Es wurde Frühling und Sommer, Frühling und Sommer einmal ums andere, und der Gaukler auf der Südbrücke ließ seine zahmen Ratten fleißig tanzen. Jeden Tag zog ein endloser Zug an ihm vorüber: Bürger zu Pferd, die ihre Frauen vor sich im Sattel hatten, herrenlose Hunde, mit Gemüsekörben beladene Pferde, Lanzknechte und Mönche und halbnackte Kinder. Bisweilen wurde ihm ein Stück Brot, oder ein freundliches Wort zugeworfen.

Gar vieles hätte er erzählen können. Er sah, wie die Dänen schließlich mit ihrer Flotte landeten und überall nach den von Karl Knutsson verborgenen Schätzen suchten, ja an verdächtigen Stellen einfach Löcher in die Schloßmauer brachen. Auf dem Turme wurde sogar ein Gerüst aufgeführt und die große Kugel, die oben auf der Spitze blinkte, heruntergenommen und erbrochen, damit man sähe, ob nicht etwa Geld darin verborgen sei. Eine Wahrsagerin ging umher und suchte mit einer Wünschelrute; aber auch sie hatte kein Glück. Statt dessen verkündeten eines Tages Herolde mit lauten Trompetenstößen, daß Karl Knutsson zurückgekehrt sei.

Als Jöns Bängtsson dies erfuhr, sprang er von seinem Sitz auf, obgleich die Tür diesmal vor ihm von Eisen und mit einem Riegel verschlossen war. Auch er hatte sich durch seine trotzigen Reden schließlich mit den Dänen verfeindet und war gefangen genommen worden. Aber noch vom Gefängnis aus sehnte sich seine Seele darnach, wie ein Brand über die Ereignisse hinzufahren, und nachdem er den dänischen König auf den Knieen um Verzeihung gebeten hatte, durfte er auch wirklich heimkehren und seine Umtriebe fortsetzen.

Schon nach kurzem versammelten sich neue Aufrührerheere vor Stockholm, und Karl Knutsson eilte mit seinen Scharen vor dem Gråmunkeholm aufs Eis hinaus, aber sie mußten vor dem Pfeilregen zurückweichen. An geflüsterten Worten und verstohlenen Blicken um ihn her merkte Karl Knutsson, daß er von Verrat umgeben war. Und so war es; er wurde gezwungen, der Krone zu entsagen, wofür ihm dann einige Länderstrecken zum Lehen versprochen wurden.

»Immer habe ich versucht, ritterlich und schonend gegen meine Neider zu sein,« sagte er eines Abends zu seinem Knappen. »Deshalb bin ich jetzt auch von den Letzten verraten, die sich meine Freunde nannten.«

In diesem Augenblick ertönten laute Stimmen von der Stadt her, und der Knappe warf hastig ein: »Es wäre besser gewesen, du hattest uns die Tore schließen lassen und mit den Herren kurzen Prozeß gemacht.«

Der König atmete schwer und erwiderte: »Die Gefängnisse in meiner Burg haben in meiner Zeit leer gestanden, und ich möchte nicht gerne den Schlüssel in den Schlössern sehen müssen. Gib mir lieber deine Kleider, damit man mich nicht erkennen kann und ich nicht schließlich selbst meine Tage innerhalb der Turmmauern beschließen muß.«

Da gab der Knappe dem König seine Kleider, und um ihn noch unkenntlicher zu machen, hüllte er ihn in das Schaffell des Rattenfängers. Er hatte es als Decke benützt, deshalb lag es noch auf seinem Strohlager.

In Sturm und Dunkelheit streifte Karl Knutsson durch die Straßen. Er stieß mit dem Ellbogen gegen die Brandfässer vor den Häusern und wurde von den schläfrigen Nachtwächtern angerufen, die in feuerroten Mänteln gebrechlich an ihm vorüberwankten. Als er glücklich zum Südtor hinausgekommen war, wo er keine Begegnung mit den Bewohnern der Stadt mehr zu fürchten hatte, schüttelte er den Rattenfänger bei der Schulter.

»Hier hast du dein Schaffell wieder, obgleich es lange gedauert hat,« sagte er. »Ich wollte, es lägen ein Paar Geldstücke drin, aber heute bin ich so arm, daß ich nicht einmal eine Schuld von fünfzig Heller habe bezahlen können. Und jetzt will ich dir ein Lied singen, das ich auf dem Wege hierher gedichtet habe:

»Als ich auf Fagelvik Herre noch war,
War reich und mächtig ich viele Jahr –
Doch als ich ward Herr über Schwedens Reich
Ward ein armer, unglücklicher Mann ich gleich.«

Mit diesen Worten auf den Lippen wendete sich Karl Knutsson dem Schiffe zu, das ihn am Fuß des Hügels erwartete. Im Kloster der Grauen Brüder zu Abo durfte er dann in seiner Armut und mit seinen schweren Gedanken weilen.

Zum dritten Male König

Die Winternebel wogten über das kahle Öland hin, wo Sand und verfaulter Seetang von den Wogen bespült wurden. Einige starre Halme zitterten zwischen den Kalksteinblöcken, aber so weit das Auge reichte, wuchs weder Busch noch Baum.

Neben einem steinernen Kreuz stand ein einsamer Flüchtling und las einen Brief.

»... Drei wichtige Ereignisse sind in Umlauf, und eine merkwürdigere Geschichte als Karl Knutssons hat selten ein Hauskaplan bei einem Feste vorgelesen. Deshalb ist auch Karl Knutsson jetzt zum dritten Male König geworden. Sein neuer Freund und Hofmann, Herr Sten Sture, hat noch festere Hände als du, Jöns Bängtsson, weil er zugleich auch ein kluger und guter Mann ist. Anstatt daß du deinen Haß an deinen unterdrückten Feinden gestillt hättest, hast du dich von den bösen Geistern in deinem Herzen unterdrücken lassen, und darum hast du Hut und Bischofsstab verloren. So geht es den Rachgierigen.«

Jöns Bängtsson zerknüllte den Brief in seiner Hand und verzog die Lippen ein wenig, doch wohl kaum zu dem Lächeln, wie er selbst wähnte. Sein Anzug sah ärmlich und mitgenommen aus, und er zog den Mantel fest um den Arm, damit ihn der Sturm ihm nicht entreiße. Stundenlang stand er am Strande, um wenigstens gegen Wind und Wetter zu kämpfen, da er nicht mehr stark genug war, mit Menschen zu streiten. Düster und todeskrank starrte er westwärts übers Wasser nach Schweden hinüber, wo glänzender Abendschein über den Kirchen der Heiligen und den Klöstern schimmerte.

»Die Sonne, der ich dienen wollte, ist am Untergehen,« murmelte er und lehnte den Kopf gegen das steinerne Kreuz.

Sausend fegte der Schneesturm daher. Auf dem Festlande, wo Dalmänner, Gästriker und Uppländer unter verschiedenen Führern gegeneinander gekämpft hatten, wurde es allmählich still, und die Weiber hackten Wacholderzweige zum Osterfest. In Stockholm rüsteten sich die Bürger zur Feier der stillen Woche, und die Altäre wurden mit schwarzen Tüchern bekleidet.

Eines Morgens ging Karl Knutsson mit Sten Sture über die Südbrücke. Er war ein gebrochener Mann, und der Rattenfänger, der jetzt beinahe blind war, erkannte ihn fast nicht wieder.

Als der König nahe genug herangekommen war, daß er ihn hören konnte, sagte der Gaukler: »Ich glaube, jetzt darf ich bald mit dir gehen, König, wie du es mir bei unserem ersten Zusammentreffen versprochen hast, obgleich du eine steinerne Tafel erhältst, ich aber nur eine Schaufel Erde.«

Zuerst schwieg Karl Knutsson, aber auf dem Rückweg ins Schloß sagte er: »Sei du ein weiser Reichsverweser, Sten Sture. Ich weiß, ich bin ein rasch ermüdeter Mann gewesen, wenn es sich darum handelte, das Gewonnene zu erhalten, aber auch wie ein neunzehnjähriger Waffenträger, sobald die Ehre winkte.« Das Gehen wurde ihm schwer, und er mußte oft still stehen.«

»Gewiß, gewiß, wir haben alle unsere Schwächen,« erwiderte Herr Sten, indem er den König stützte, »aber du bist ein echter schwedischer Ritterkönig gewesen.«

Und als solcher hat auch Karl Knutsson sein Grab neben dem großen Ritterkönig Magnus Ladulås vor dem Altar in der Kirche der Grauen Mönche, der Riddarholmskirche, erhalten.

Magnus Lådulas und Karl Knutssons Gräber in der Niddarholmskirche


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