Verner von Heidenstam
Die Schweden und ihre Häuptlinge
Verner von Heidenstam

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXVIII. Von dem dicken Abt, sowie von dem Horn und der Pfeife zu Ljungby

(Anfang des sechzehnten Jahrhunderts)

Auf der Ebene von Ljungby in Schonen liegt ein Stein, der so hoch und breit ist wie ein kleines Haus. Dieser Stein heißt der Magelstein. Heutigen Tages ist das ganze Zwergenvolk vom Blitz erschlagen, aber in den alten Zeiten wurde dieser Stein in der Christnacht auf goldene Stützen gehoben, darunter zündeten die Zwerge ihre Zauberlichter an und spielten und schwangen sich im Kreise.

Jens Holgersson, der auf dem Bauernhofe wohnte, war ein tapferer Krieger aus dem mächtigen Geschlechte der Ulvstand. Zu Wasser und zu Land hatte er viele Abenteuer bestanden, sich aber dabei allezeit seine frohe Laune bewahrt. Nur eins störte ihm die Ruhe, seine langjährigen Streitigkeiten um die Grenzscheide mit seinem Nachbarn, dem dicken Abt auf Bäckawald, der ihn immer überlistete und jedesmal gewann.

Eines Mittags bei hellem Sonnenschein stand Jens im Schatten des Magelsteins und betrachtete den Stand seiner Felder. Da sah er den Abt des Weges daherkommen. Ob ihm nun der Zwerg einen verschmitzten Rat zuflüsterte, oder ob er selbst einen seiner lustigen Einfälle hatte, ist nicht zu ergründen, jedenfalls begann er plötzlich sich die Hände zu reiben und mit den Augen zu zwinkern. Vergnügt lief er heim auf sein Schloß, das sich höchst friedlich im Wallgraben spiegelte.

Nach einer kleinen Weile hörte er den dicken Abt die Treppe heraufstapfen. Jens Holgersson bat ihn, sich zu setzen, und ließ sofort auf seine eine Seite einen Krug leichten und auf die andere einen Krug schweren Biers stellen. Mitten vor den Gottesmann hin aber stellte man eine Gans, eine Ente, einen Brachsen und eine mit Pfeffer und Ingwer gewürzte Suppe. Der Abt ließ es sich wohl schmecken, war aber so kurzatmig, daß er kaum sprechen konnte. Da befahl Jens seinem Gesinde, zwei Gürtel zusammenzuspannen und den Abt um die Mitte damit zu messen. Aber die beiden Gürtel gingen nicht zu. Da schnallten sie noch einen dritten Gürtel daran, und da reichte es fast so weit, daß man zuschnallen konnte.

»Mein verehrter Freund und Vater,« sagte Jens Holgersson, »ich weiß ein sicheres Mittel gegen deine Beleibtheit, und überdies eines, bei dem du dein mir so teures Leben durch innerliche Mittel keinerlei Gefahr auszusetzen brauchst.«

»Aber dann sprich doch, lieber Freund,« keuchte der Abt und erquickte sich mit einem tiefen Zug aus dem größeren Kruge. »Ich werde es dir nach Kräften lohnen.«

»Mein Mittel ist ein Geheimnis, das ich nicht gerne jemand verrate,« flüsterte Jens nachdenklich. »Aber um unserer alten Freundschaft willen werde ich dir unter einer Bedingung willfahren. Du mußt unterschreiben, daß du mir hundert Mark bezahlen und zehn Wochen lang hier in meinem Hause wohnen willst, während welcher Zeit ich dich so schlank wie einen jungen Perlenstickergesellen machen werde.«

Der Kontrakt wurde ohne Zögern auf einem Pergament aufgesetzt, und die beiden Männer unterschrieben ihn.

Als der Abt nach einiger Zeit auf dem Schlosse eintraf, führte Jens seinen erhitzten Gast hinunter in die Schmiede, wo es recht rußig und dunkel war. Mißgestimmt wollte seiner Hochwürden gleich wieder umkehren, aber ein paar starke Schmiede sprangen zu und zogen ihm die Kleider aus. Der Abt schrie und schalt, aber es half alles nichts. die Männer legten ihm Fesseln um die Beine, schmiedeten ihn an den Amboß und gaben ihm einen gewaltigen Hammer in die Hand. Jens aber stand vergnügt an der Tür, und nachdem er den Schmieden noch einige Befehle zugeflüstert hatte, ging er von dannen.

Der Abt warf den Hammer weg und setzte sich laut schmälend auf den Amboß. Gegen Abend wurde er indes milder gestimmt und bat um etwas zu essen.

»Nicht, ehe du hämmerst, daß die Funken stieben,« erwiderten die Schmiede. »Dann erst erhältst du jede dritte Stunde ein halbes Fladenbrot und einen Becher frischen Quellwassers. Wir stellen deine Mahlzeit indessen hier unter die Tür, dann kannst du dir die Sache überlegen. Sieh nun, wie es schmeckt, wenn man einen leeren Magen hat und arbeiten muß.«

Der Abt zuckte die Schultern. Aber am nächsten Morgen in aller Frühe wurden die Schmiede doch von lauten Hammerschlägen und keuchenden Atemzügen geweckt. Der hungrige Abt hieb mit dem Hammer drauf los. Er glänzte wie ein Apfel, hatte die Wangen aufgeblasen wie ein Trompeter, und der Schweiß tropfte an ihm herunter. Aber der Arm wurde geschwungen, geschwungen. Da endlich wurde ihm die dürftige Mahlzeit hereingereicht; und das Brot wurde bis aufs letzte Brosamlein verzehrt, und im Becher blieb kaum ein Tröpflein Wasser zurück.

Bum, bum! erklang es Tag um Tag aus der Schmiede, und immer weniger schwer und langsam, jemehr die Eßlust zunahm. Bis in sein Schlafgemach hörte Jens, wie sich sein Widersacher im Schweiß seines Angesichts abschindete.

Als die erste Woche vergangen war, erschien Jens mit den drei zusammengeschnallten Gürteln in der Schmiede und maß den Abt um den Leib.

»Sieh, sieh,« tröstete er, »schon um einen Gürtel schlanker geworden. Noch neun Wochen, und die Brüder im Kloster zünden Weihrauch an vor Freuden, wenn sie sehen, welches Wunder sich an dir vollzogen hat.« Der Abt rang die Hände, jammerte und flehte; aber geschrieben war geschrieben. Nach einer weiteren Woche war er so schlank und zart, daß er nur einen Gürtel um den Leib maß, und als er noch eine Woche gehämmert hatte, ging der Gürtel um mehr als die Hälfte übereinander. Der Ruß hatte ihn vollständig unkenntlich gemacht, und sein Hemd, sowie seine nackten Beine waren ebenso schwarz wie sein Gesicht.

In seiner Verzweiflung wußte er sich keinen andern Rat, als einem Lehrling goldene Berge zu versprechen, wenn er ihm eine Botschaft nach dem Kloster besorge, von wo der Brief dann eiligst an den Bischof und den dänischen König weitergeschickt wurde.

Da endlich wurde die Schmiede von Reitern umringt, die den abgemagerten Abt befreiten. Zur Strafe für seine unsinnige Missetat mußte Jens die hundert Mark bezahlen, die er sich für seine Heilkur ausbedungen hatte; er verlor aber dadurch weder des Königs Gunst noch seine eigene frohe Laune.

Das Zwergenvolk unter dem Magelstein schien sich auch nicht zu bessern, und einige Jahre nach dem eben beschriebenen Ereignis hielten sie in der Christnacht wie gewöhnlich ihr lärmendes Trinkgelage.

Damals lebte auf Ljungby als Wittib Frau Sissela Ulvstand. Diese plagte die Neugier, und sie befahl ihrem Stallknecht, aufs Pferd zu steigen und hinzureiten, um zu sehen, was es dort gebe.

Als der Reiter vor dem Magelstein erschien, lugten die Unterirdischen, denen hinter jedem Ohre ein kleiner schwarzer Haarschopf hervorstand, unter dem Stein hervor und reichten dem Knecht ein gefülltes Trinkhorn und eine Pfeife hin.

»Trink auf das Wohl des Zwergenkönigs,« sagten sie, »und blase dann ihm zu Ehren an beiden Enden in die Pfeife.«

Daß die Pfeife von Elfenbein war, konnte der Knecht wohl sehen, denn die Zwerge leuchteten ihm mit ihren grünen Lichtlein. Das Horn aber hatte einen goldschimmernden Beschlag und war aus dem Gehörn einer dem Manne vollständig unbekannten Tierart gemacht. Beide Sachen sahen sehr altertümlich aus, und der Knecht wollte eben das Horn an den Mund setzen, um zu trinken, als er sah, daß ein verzaubertes Mägdlein, das tief drinnen unter dem Stein kauerte, warnend die Hand aufhob und abwehrend den Finger bewegte.

Zuerst wußte der Knecht nicht, was er tun sollte; er fuhr sich ein paarmal mit dem Ärmel über den Mund und sah in den Met hinein. Dann warf er plötzlich das Horn über die Achsel; dabei fielen indes ein paar Tropfen dem Pferd auf die Flanke, die es so brannten, daß es spornstreichs über Gräben und Äcker davonjagte.

Im Schlosse hatte man kaum Zeit, die Zugbrücke hinter dem Knechte aufzuziehen, als auch schon die Zwerge vor dem Wallgraben standen.

»Frau Sissela!« riefen sie und fuchtelten im blassen Sternenschimmer drohend mit den aufgehobenen Händen. »Dein Reich soll das erste im Dänenreiche werden, wenn du uns unsere Kleinode zurückgibst! Aber der Unglücklichste unter der Sonne soll der sein, der sie aus der Gegend fortbringt.«

Frau Sissela stand lachend an der Fensterluke und kümmerte sich nicht im geringsten um die Drohung der Zwerge, und schließlich mußte sich die ganze Schar nach dem Magelstein heimtrollen.

Am nächsten Tag stürzte das Pferd des Stallknechts, und am übernächsten erkrankte er selbst und starb. So oft die Zwergkleinode später fortgebracht wurden, ereigneten sich bei dem, der sie verwahrte, immer die seltsamsten Begebenheiten. In Jens Holgerssons altem Schloß brach auch des öfteren Feuer aus. Deshalb meinten schließlich viele, es wäre am ratsamsten, die Zwerge in diesem Stücke nicht zu sehr zu reizen, sondern ihre früheren Besitztümer ruhig auf Ljungby verbleiben zu lassen.

Dort sind sie auch noch bis auf den heutigen Tag, und so du Lust hast, kannst du selbst dem Zwergenkönig zu Ehren auf beiden Seiten in die Pfeife blasen.


 << zurück weiter >>