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Es war in der Nacht vor Christi Himmelfahrt, am heiligen Donnerstag, und das Zwergenvolk öffnete die Tür seines Berges. Zauberkundige Fischer fuhren in ihrem Einbaum aus dem Schilf heraus gerade der Sonne entgegen, in jeder Hand einen Spieß. Und bucklige Hexeriche suchten auf dem Boden umher; denn da konnte man in dieser Nacht mit bloßen Händen Gold und Silber pflücken.
Ohne auf ihre Beschwörungen zu hören, ritt der heilige Erik mit seinen Streitern, die heilige Lieder sangen, den Weg entlang. Auf seinem blondlockigen Haupt trug er eine blaue Mütze, die von einem goldenen mit geschliffenen Steinen gezierten Goldreif festgehalten wurde, und sein blauer Mantel hing ihm bis übers Schwert herab. Vor ihm her wurde eine Kreuzesfahne getragen, unter der Erik in Finnland gekämpft hatte; diese wollte er jetzt in der Kirche bei den Königshügeln zu Uppsala aufhängen.
Im Walde herrschte ein mildes Dämmerlicht, und Erik sah, daß ein kleiner Zwerg mit einer roten Zipfelmütze neben ihm herging und sein Pferd führte. Aber der fromme König schlug die Augen nieder, damit er nicht in seinen Gebeten gestört würde, und ließ hurtig die Perlen seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten. Erst bei der letzten Perle schaute er auf.
Da stieß der Zwerg ein boshaftes Lachen aus, denn er hatte den König in den Berg hineingeführt und versuchte nun die Felsentür hinter ihm zuzumachen. Aber Erik machte das Zeichen des Kreuzes, da konnte der Zwerg die Tür mit aller Gewalt nicht bewegen. Kalte Tropfen fielen von der Decke der Höhle herunter, und ein Haufe kleiner tüchtiger Schmiede hämmerte und klopfte um ein grünes Feuer herum. Ganz am Ende lag etwas, das beim ersten Anblick wie ein Haufen Staub und vermodertes Holz aussah. Aber plötzlich bewegte es sich, ein junges Mädchen richtete sich auf und schlug ihren Schleier zurück. Sie hatte ein braunes, rundes Gesicht, trug eine Steinaxt in ihrem Gürtel und war ganz in Felle gehüllt.
»Fremdling,« flüsterte sie verschlafen und wie im Traum. »Du hast vorhin das Zeichen des Hammers gemacht, gerade wie Ura-Kaipa, der große Häuptling tat, wenn er die Steine anbetete. Lebt Ura-Kaipa noch? Ist er sehr gealtert? Ich war eine seiner Sklavinnen. Sieh, sieh, jetzt wird es hell in meinem Gedächtnis! In einer dunkeln Nacht beim Schneesturm bin ich in den Berg entführt worden.«
»Seither müssen viele tausend Jahre vergangen sein,« erwiderte Erik, »denn ich habe meiner Lebetage noch kein Menschenkind gesehen, das ausgesehen hätte wie du.«
»Für mich ist es wie eine einzige Nacht gewesen,« fuhr das Mädchen mit festerer Stimme fort. »Aber auch ich habe noch niemals so ein schnaubendes Wunder gesehen, wie das, aus dem du sitzest. Steig ab und laß dich auf meinen Daunenkissen nieder.«
Ihre Daunenkissen waren nur ein elendiges Lager aus Moos und Erde; aber der Berggeist hatte ihr die Augen verhext, daß sich ihr alles anders darstellte, als es war.
»Welche wundervolle Wohnung! Nimm ein Licht und leuchte umher!« bat sie, indem sie an den schimmelbedeckten Wänden der Höhle umherschaute, und das Licht, daß sie ihm reichte, war nur ein grauer Stein. »Ihr kleinen Wichtelchen, tragt das Festmahl auf!« fuhr sie fort. »Ura Kaipas Sklavin verlangt es, mit dem Unbekannten zu reden und Neues von den Menschen zu erfahren.«
Da brachten die Zwerge Eidechsen, Kröten und zerquetschtes Holz, und unterwegs schmausten sie selbst ein wenig davon. Aber sie waren keine großen Esser und wurden von einem einzigen Bissen satt.
»Du arme Verzauberte,« sagte Erik. »Dein Geschlecht ist ausgestorben, und du hast hier immerfort in der Höhle geschlafen. Komm mit mir und schaue selbst, wie es jetzt auf der Welt aussieht!«
Er hob sie vor sich in den Sattel und ritt so zum Berge hinaus. Die Zwerge liefen in einer langen Reihe mit tollen Sprüngen neugierig hinter ihnen drein und hielten erst am Waldessaum an. Sie waren allmählich die Freunde der armen Verzauberten geworden, und sie freute sich, als sie deren rote Zipfelmützen zwischen den Wacholderbüschen leuchten sah.
Aber jetzt machte sie große Augen. Auf der Ebene an der Mündung des Fyris, da, wo jetzt das neue Uppsala steht, tauchte Ost-Aros im Frühlicht auf. Aber da fanden sich keine Zelte und Laubhütten mehr wie bei Ura-Kaipas Waldlagern, jetzt waren ganze Stämme zu Häusern aufeinander gelegt. Am merkwürdigsten erschien ihr aber doch der rötliche Berg in der Mitte.
»Das ist die heilige Dreifaltigkeitskirche,« berichtete Erik. »Jetzt können die Menschen mit Steinen bauen, daß sie hoch in der Luft schweben, ohne herunterzufallen. Aber da muß auch jeder noch so kleine Stein nach genauer Berechnung aufgesetzt werden.«
Nur ab und zu verstand das arme Mädchen einige Worte, denn auch die Sprache hatte sich verändert. Sie schmiegte sich dichter an Erik an, und sein Panzerhemd stach sie durch seine Kleider hindurch; aber ihr war, als sei er schon ein guter Vater für sie. Ängstlich fragte sie, was denn so merkwürdig dröhne und singe.
»Das sind die Glocken, die die Luft vor Zauber und Hexenspuk beschützen.«
Die Verzauberte wendete den Kopf und brach unwillkürlich in ein helles Gelächter aus, als sie sah, daß die Zwerge bei dem Glockenklang in wilder Flucht in den Wald zurückrannten. Die einen purzelten vornüber und überschlugen sich, die andern fielen auf den Rücken. Sie konnten nicht rasch genug entfliehen. Und jetzt ging überdies die Sonne auf.
»Ach, da ist die Sonne!« jubelte die Verzauberte, und das Herz klopfte ihr mit heftigen Schlägen bei dem herrlichen Anblick. Sie ist noch ebenso strahlend wie einst. »Ja, lebst du denn noch, o Sonne?«
»Ja, das ist die Sonne,« sagte Erik zustimmend, dann hob er sie aus dem Sattel. »Wir müssen während der Messe hier bleiben,« sagte er zu seinen Mannen, die schon vor der Kirchentür warteten.
Er hielt sich noch eine Weile auf, um zwischen Armen und Reichen, die sich um ihn sammelten, Recht zu sprechen, und er tat es mit überaus gütigen Worten, bei denen sich die streitenden Parteien allmählich beruhigten. Dann traten alle in die Kirche, nur das Mädchen blieb zögernd auf der Schwelle stehen und schaute mißtrauisch zu der gewölbten Decke empor.
»Wie viel auch Ura-Kaipa den Steinen geopfert hat, er konnte sie doch nicht dazu bringen, hoch in der Luft zu schweben,« dachte sie. »Dieser neue Häuptling ist ein merkwürdiger Mann. Vorhin hat er nicht vor den Zwergen gezittert, und jetzt steht er ebenso ruhig unter den hängenden Steinen.«
In der Kirche brannten unzählige Lichter, und der Weihrauch duftete. Während das Mädchen so auf der Schwelle stand und darüber nachdachte, wie sich mit Ausnahme der Sonne und des Waldes doch alles verändert habe, sah sie ein Kriegsheer mit funkelnden Waffen heranziehen. Da vergaß sie ihre Furcht und lief zwischen die Streiter in das Gewölbe hinein, den dort knieenden König zu warnen.
»Das werden meine dänischen Feinde sein, die nach meiner Krone und nach meinem Leben trachten,« erwiderte er leise, doch ohne aufzustehen. »Mädchen, setz dich auf die Schwelle und fasse dich in Geduld. Ich muß diese herrliche Messe zu Ende hören. Wir Menschen haben uns allmählich viel erworben, was uns lieber ist als das Leben.«
Als die Messe zu Ende war, trat er vor die Kirche. Es entspann sich ein heftiger Kampf. Der heilige Erik wurde übermannt und zu Boden geworfen. Einer der Feinde schwang ein breites Schwert über seinem Nacken.
»Nun will ich doch sehen, ob er keine Angst hat,« schluchzte das Mädchen und starrte trotz ihres Entsetzens verwundert auf den König.
Sein Gesicht, das vorher ganz bleich gewesen war, strahlte jetzt in heller Röte, wie in Erwartung des höchsten Glückes.
»Mehr als die Erde und die eben aufgegangene Sonne,« sagte er flüsternd und küßte das Kreuz in seinem Rosenkranz, »liebe ich etwas in weiter Ferne, das ich noch nie mit meinen Augen gesehen, noch mit meinen Händen betastet habe. Und für diese Liebe sterben zu dürfen, ist mir eine Ehre und ein seliger Augenblick.«
Das Schwert fiel, und sein Haupt rollte zur Erde.18. Mai 1160. Aber an der Stelle, wo es den Boden berührte, quoll eine klare Quelle hervor. Mönche und andere fromme Männer hoben seinen Leichnam auf, und Blinde, die ihn berührten, wurden wieder sehend. Seine Kreuzesfahne wurde als Schwedens heiligstes Banner verwahrt, und sein Todestag im Mai, wenn die Halme Ähren treiben und der Wacholder blüht, wird selbst in der kleinsten Kirche gefeiert. König Eriks Gebeine wurden auf den Äckern umhergetragen, wie einst in alten Zeiten Frejas Bild angefleht wurde, damit die Ernte gesegnet werde, und heute noch ruhen diese Gebeine in einem silbernen Schrein in dem Dom zu Uppsala.
Aber am Abend des Tages, wo dieser fromme Held gefallen war, klopfte es an der Felsentür.
»Machet auf, ihr Zwerge!« flehte eine zitternde Stimme. »Für Ura-Kaipas Sklavin ist hier draußen alles so gar neu und fremd. Ihr und ich, wir passen besser zusammen. O ihr Zwerge, ihr Zwerge, jetzt ist es so weit gekommen, daß die Menschen sich für etwas töten lassen, das weit, weit weg ist und das sie weder sehen noch mit ihren Händen betasten können! Wie soll das enden? Ich will lieber bei euch im Berge sitzen und träumen.«
Baumwurzeln und Gebüsche sind über der Felsentür ineinander gewachsen, und Jahrhunderte sind vorübergeeilt wie kurze Wintertage. Ura-Kaipas Sklavin erwache und komme noch einmal heraus, schaue dich um und verwundere dich! Bald ist es Zeit dazu!