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Die ehrlichen und guten Dalmänner hatten es sehr wichtig auf dem Kirchenplatz. Da schnürten sie ihre Säcke und Körbe auf, denn ehe die friedvolle Weihnachtszeit anbrach, mußten Pfarrer und Vogt ihre Abgaben erhalten haben.
In einem der Dörfer war der Pfarrer eben dabei, diese Steuern in Empfang zu nehmen. Möglich, daß der Pfarrer nicht übermäßig gelehrt war, ehrwürdig und väterlich sah er trotzdem aus. Er befühlte die herbeigebrachten Kälber und Hühner genau, um sich zu vergewissern, daß sie wenigstens neun Nächte alt seien. Und dann rechnete er: »Vier Mark Lichter von dem neugetrauten Ehepaar ... den Zehnten von der Butter und den sechzehnten Strang vom Hanf der Witwe Malin. Und dann sechs Ellen Fries für die Messe für den seligen Ehemann ...« Er musterte und beroch einen mit Rauhreif bedeckten Bärenbug. Ja, man konnte ihn für voll gelten lasten. Wenn es not tat, ließ der Pfarrer gerne etwas nach. Da er selbst unter den Bauern wohnte und lebte, wußte er wohl, wo der Schuh drückte. Deshalb ging alles unter freundlichen Zwiegesprächen ab, wie das seit hundert Jahren immer gewesen war.
Plötzlich schaute er auf und fragte: »Was ist das für ein Geklingel?«
Und das war wahrlich nicht das Geklingel eines gewöhnlichen Bauernschlitten. Der grausame dänische Vogt Jösse Eriksson von Västerås war es, der mit seinen Mannen dahergeritten kam und schon am Waldessaum auftauchte. Ihm genügten nicht ein paar Schellen an seinem Pferd, er trug solche auch an seinen Kleidern, an den Ärmeln, auf den Achseln, am Gürtel, und dann waren sie überdies aus reinem Silber. Er zog seine Handschuhe aus und hielt die kleinen weißen Hände halb in der Luft, denn Jösse Eriksson war viel zu fein und vornehm, die schmutzigen Zügel mit den bloßen Händen anzufassen. Als er aus dem Sattel sprang, lachte er.
»Was meint ihr denn. Leute?« rief er, und sein glattrasiertes Gesicht wurde beim Sprechen immer röter, »Gedenket ihr auf diese Weise mir und meinem gnädigen Herrn König Erik Steuer zu bezahlen? Habe ich nicht befohlen, alles in barem Gelde abzuliefern, damit ich es leichter aus dem Reiche hinausführen kann? König Erik sitzt drunten in Dänemark und führt Krieg mit den Holsteinern und den Hanseaten, er bekommt daher nie einen Bissen von euren gefrorenen Bären und geräucherten Schweinen zu kosten.«
»Ich habe seit Jahr und Tag nicht einen Pfennig gesehen,« sagte ein junger Bauer, namens Mats.
Aber er hatte noch nicht ausgesprochen, als ihm auch schon zwanzig Reitgerten um die Ohren sausten. »Dann müssen wir tun, wie es uns selbst am besten dünkt!« riefen die Lanzknechte. Und sie fingen auch sogleich an, Pferde und Mehlsäcke aus den Höfen herauszuholen. Ein paar Bauern, die ihre eigene Tür zu verteidigen suchten, wurden einfach über den Rauch im Brauhaus gehängt, ihre Frauen aber gefesselt. Diese könne man ja doch nicht vor die Heuwagen spannen, sagten die Knechte.
Mats eilte an die Scheunenmauer, wo er seine Schneeschuhe hatte, und lief wie der Blitz über den Schnee hin, um Hilfe herbeizuholen. Es war weit bis zum nächsten Dorfe, und die dort wohnenden Leute lebten in der Regel still für sich, ohne gastfreundlichen Verkehr mit andern. Aber Mats wußte, daß es handfeste Männer waren, die die einfachen Sitten der Väter noch in Ehren hielten und ihre Freiheit hoch schätzten.
Der Bauer auf den Schneeschuhen traf bald mit andern Flüchtlingen zusammen, die ihm von noch größeren Scheußlichkeiten berichteten; und nun wurde während des ganzen Winters rundum in den Häusern beratschlagt, wie man sich schützen könnte. Als die erste Frühlingsahnung durchs Land zog, ging Mats einmal hinaus in den Wald und lauschte. »Sind das Baumfäller, die ich höre?« fragte er laut. »Man könnte meinen, jede Tanne habe eine Kehle unter der Rinde.«
Da stürzten hinter allen Tannen gebückte Schneeschuhläufer hervor mit dem Bogen auf dem Rücken und Stöcken in den Händen, hügelauf, hügelab bückten sie sich noch tiefer und hielten die Stöcke vor sich hin.
So bald diese verschwunden waren, eilten andere Rücken unter den Zweigen dahin. Ein untersetzter, breitschultriger Mann mit einem roten Bart und fröhlichen braunen Augen blieb stehen, deutete mit seinem Stock auf Mats und sagte: »Wer bist du?«
»Wer bist du selbst, Vater?« fragte Mats mit weitaufgerissenen Augen, denn er hatte noch nichts von der Welt gesehen, und alles war ihm neu und unbekannt.
»Ich bin Engelbrecht, Engelbrechtsson aus den Bergen. Komm mit, lieber Junge, anstatt hier stehen zu bleiben und mich anzustarren. Weißt du nicht, daß die Dalmänner mich zu ihrem Hauptmann ernannt haben, damit ich mit diesen schurkigen Vögten ein Ende mache?«
Die Stimme tönte im höchsten Grade treuherzig und hatte einen sichern und aufrichtigen Klang, und Mats fühlte, daß er ihr folgen müsse. Er wendete sich auf seinen Schneeschuhen um und zog mitten in der Schar über die Hügel. Endlich lichteten sich die meilenlangen Wälder, und sie kamen an Höfen vorüber. Die Bauern stürzten heraus und riefen: »Gott tröste den, der jetzt ein böses Gewissen hat! Da kommt das ganze Heer der Dalmänner!« Hierauf bliesen sie in die Luren, Bogenstränge wurden gedreht und Pfeile geschnitzt.
Als der Schnee schmolz und der Sommer im Anzug war, leuchtete einstmals ein Feuerschein über dem Dalälf auf, der breit und dunkel unter den Hängebirken dahinschäumte. Dort wurde die Zwingburg zu Borganäs niedergebrannt; von da zog das Bauernheer südwärts nach dem Bergbezirk Köping, wo Västerås eingenommen wurde. Unverzagt und entschlossen stand Engelbrecht auf seinem Schlitten in einem schlichten grüngelben Pelzrock und begrüßte die großen Herren, die sich nun auch um ihn scharten.
Uppländer, sowie einzelne Scharen aus den verschiedenen Mälarbezirken, zogen mit ihm nach Stockholm. Der schwedenfreundliche Vogt, Hans Kröpelin, verlangte einen Waffenstillstand. Und mit der Zeit erfuhr Engelbrecht, daß die Herren eine Ratsversammlung in Vadstena halten wollten.
Er ritt dorthin und trat unvermutet in den Saal. Aber trotz des Zorns hatte seine Stimme noch immer den gutmütigen Klang seiner Heimat.
»Wohl habt ihr gewußt, ihr edlen Herren, daß aus Dalarna Sumpferz gewonnen wird; aber daß es in der Zeit der Not dort auch freiheitsliebende Bauern gibt, das sollt ihr jetzt erfahren. In den Tagen des heiligen Erik hatten wir eingeborene Könige, die uns nicht durch Vögte und ungerechte Steuern unterdrückten. Schweden liegt in der Mitte des Nordens und ist das größte der drei Reiche, deshalb ist es auch von Gott dem Vater dazu bestimmt, das Hauptland zu sein. Aber der Erich von Pommern, der jetzt regieren soll, kümmert sich nicht mehr um Schweden als um einen verkommenen Edelhof, wo Seiner Gnaden nicht einmal wohnen möchte. Deshalb geht die Union in Rauch und Flammen auf, wie ein Haus, wo man den Herd nicht in der Mitte unter der Dachöffnung angebracht hat, sondern unter dem Giebelbalken an der Tür.«
Als die Herren ihm widersprechen wollten, ergriff Engelbrecht den Bischof von Linköping am Rockkragen und zog ihn zur Fensterluke hin. Drunten auf dem Markte standen tausend Dalmänner in der heißen Augustsonne, die verblichenen Hüte im Nacken und die in ein Bündel gerollten weißen Schafpelze auf dem Rücken.
»Du, Bischof,« sagte Engelbrecht, »mein Leben und meine Ersparnisse und alles, was mein gehörte, habe ich für die Befreiung des Landes drangegeben. Jetzt ist die Reihe an euch, ihr Herren. Ihr werdet jetzt alle sofort unterschreiben, daß ihr Erich den Gehorsam und die Treue aufsaget. Oder ich führe dich hinunter zu dem Volke auf dem Markte.«
Da mußten die Herren ihm willfahren.
Eine Stunde später warfen die Dalmänner die Bogen wieder über die Schulter und zogen mit ihrem Hauptmann von dannen. Hinter ihnen kamen die Pferde, beladen mit Tonnen, die mit Pfeilen gefüllt waren. Unter der Schar herrschte musterhafte Kriegszucht, und auf den Höfen wurde kaum je eine Henne mit Gewalt genommen.
Vor der Feste auf dem Ringstadaholm, die der Motala auf allen Seiten umschäumte, wurde Halt gemacht.
Einige von den Männern gingen in ein Haus hinein, um zu kochen, und Mats war der Hungrigste von allen. Ein junger Mensch, der wohl in dem Hause wohnte, nahm ein langes eisernes Rohr zur Hand und schüttete etwas hinein, das er aus einer kleinen Tonne herauslangte. Es sah aus wie Erde, oder wie graues verdorbenes Mehl. Dann stopfte er das Rohr tüchtig mit Moos zu und reichte es Mats.
»Ich sehe, daß du einen Teig rühren kannst, Bursche,« sagte er. »Aber zünde einmal dies mit einem Span an, dann lernst du auch, wie man blitzen lassen kann.«
Mats stand da und machte ein sehr langes Gesicht. Für ihn, der bis jetzt nur in den Wäldern gelebt hatte, war alles noch eben so neu wie merkwürdig. Er dachte, es sei unnötig, erst einen Span anzuzünden, und so hielt er mit jener Gemütsruhe, die den Bauern kennzeichnet, das eiserne Rohr ins Feuer.
Ein Knall, wie er noch nie einen gehört hatte, schleuderte Kohlen und brennende Scheite zur Decke empor, und alle Dalmänner flogen an die Wand. Als Mats schließlich wieder zu sich kam, saß er im Ofenwinkel, und in dem ganzen Räume fand sich kaum noch eine einzige heile Schüssel oder eine unzerbrochene Bank.
Engelbrecht eilte herein. Als er sah, was geschehen war, nahm er ein wenig Pulver aus dem unbeschädigten Tönnchen und zeigte es seinen Leuten auf der Hand.
»Seht, ihr Dalmänner, jetzt ist das Pulver in die Welt gekommen. Ob zu Jammer oder Freude, das kann, niemand voraussagen.«
Und gleichsam als Antwort auf seine Frage flammte jetzt ein Licht über der Burgmauer auf. Auf dem ganzen Ringstadaholm war nur ein einziger Mann, der einen Schuß abfeuern konnte, und der wurde deshalb der Büchsenmeister genannt. Dieser kam eben mit der brennenden Lunte herbei, um die einzige Kanone oder Feldschlange, wie sie damals hieß, abzubrennen. Vorne lag sie in einer eisernen Klammer und hinten stützte sie sich auf ihren eigenen langen Schwanz. Sie sah aus wie eine riesige Eidechse mit aufgesperrtem Maul.
Oben auf dem Turm stand der deutsche Vogt Styke, die Hände in den Haaren vergraben und aufs höchste gespannt, wie es gehen würde. Vorsichtig und mit angewendetem Gesicht legte der Büchsenmeister die Lunte auf einer Stange an die Kanone. Aber diese richtete sich auf ihren Schwanz auf, spie Kugel und Feuer gerade in die Höhe und purzelte dann rückwärts in die Burg hinunter. So ging es mit dem einzigen Schuß von Ringstadaholm.
Da kam Leben in die Dalmänner. Hunger und Müdigkeit waren vergessen, und sie richteten eine große »Blida« auf. Das war eine zwischen zwei Pfosten befestigte Schwebestange, an deren einem Ende Gewichte und am andern ein Sack aus Ochsenhäuten festgebunden war. In den Sack wurden Felsstücke und Steine geladen, die dann gegen die Mauern geschleudert wurden. Einige von den Steinen flogen sogar bis in den Burghof hinein. Als die Dalmänner sahen, wie die Funken stoben, wurden sie noch übermütiger, und Kehricht und tote Pferde wurden denselben Weg geschickt. »Styke, da hast du Leckerbissen zum Abendbrot!« riefen sie.
Entrüstet trat Engelbrecht unter sie. »Ihr müßt das Kriegshandwerk erst besser lernen,« ermahnte er.
»Nun, Vater, du bist ja ein Waffenmeister und in deiner Jugend bei Hofe gewesen!« riefen sie ihm zu. »Lehre du uns dies Neue, lehre uns mit Pulver schießen.«
Ein ungläubiges Lächeln stahl sich aus Engelbrechts Bart hervor. Er ließ aber doch aus zusammengeschweißten Eisenstangen eine gewaltige, mit einem eisernen Reif umgebene Steinbüchse herstellen. Dann wurde das Ungetüm bis zur Hälfte in die Erde eingegraben und mit Ketten an zwei Pfosten gelegt. An Pulver fanden sich nur zwei Tönnchen, deshalb mußte man beim Eingießen in die Büchse haushälterisch damit umgehen. Die Steine, die als Kugeln dienen sollten, mußte man aus dem Flusse selbst herausholen.
»Du weißt alles,« sagten die Dalmänner, die wieder zu Engelbrecht kamen. »Es fängt an zu regnen, und die Lunte will nicht brennen. Was sollen wir jetzt tun?«
»Hier habe ich einen Feuerstein gekocht, der brennt, wenn er naß wird,« erwiderte Engelbrecht. Er zog ihn unter seinem Rock hervor und hielt ihn in den Regen; da schlugen gleich die Flammen heraus. Mats trug das Feuer zur Steinbüchse hin. Aber Paff! die Büchse zersprang in lauter kleine Stücke, und unter Lachsalven von der Burg oben spie der Boden Hüte ringsumher. Da fühlten sich die Dalmänner so entehrt, daß einer von ihnen sogar in Tränen ausbrach.
»Ich glaube, der Bogen und eure Dalköcher sind noch immer eure rechten Streitwaffen,« sagte Engelbrecht. »Ich habe euch indes diesen Zeitvertreib hier nur treiben lassen, damit die Leute auf der Burg nicht acht darauf gaben, was meine Zimmerleute auf der andern Seite der Landzunge zusammengezimmert haben. Kommt und seht!«
Die Männer gingen mit ihm auf die andere Seite der Landzunge. Da schwamm ein fertiggebauter, fünfstöckiger, hölzerner Turm auf dem Wasser. Noch ganz erbittert und aufgeregt stürmten so viele Dalmänner in den Turm hinein, als dieser nur fassen konnte, und dann ließ man ihn gegen die Burg treiben.
Rasch spannten die Dalmänner ihre Bogen mit dem Fuß. Auf eine solche Entfernung zu zielen, hätte keinen Wert gehabt; sie schossen deshalb schräg in die Luft und ließen den Pfeilregen über die Mauern in die Burg hineinsausen. »Er ist schlau, unser Engelbrecht, und nun nehmen wir die Burg!« riefen sie, und gleich stimmten alle miteinander eine ihrer Kampfweisen an.
Sobald Ringstadaholm seine Pforten geöffnet hatte, zog Engelbrecht weiter von Burg zu Burg und setzte überall die Vögte ab. Schließlich traf er mit seinem Verbündeten, Erik Puke, zusammen, der den Aufruhr in nördlicher Richtung geleitet hatte. Von der Sonne fast schwarzgebrannt und mit Narben bedeckt, hob er sich im Sattel und schwang laut jubelnd seinen Hut. Sein Schwert war halb aus der Scheide gezogen.
»Bruder,« rief er, »kaum dreizehn Wochen lang haben wir gekämpft, und schon ist Schweden befreit!«
Vor kurzem war ein großes Schiff von Stockholm abgefahren und lag nun zwischen den äußersten Schären verankert. Es war eine Herbstnacht, und der Sturm pfiff im Takelwerk. Bis an die Augen in einen schwarzen Mantel gehüllt, stand Erich von Pommern auf Deck.
Die Mannschaft war an Land und machte einen Streifzug, um Lebensmittel herbeizuschaffen. Über dem Wasser lag undurchdringliche Finsternis. Wenn nicht die Flammen eines brennenden Hofes zum Himmel aufgelodert wären, hätte man auch nicht einen Schein von dem König wahrnehmen können. Jetzt erglänzte eine Rüstung hinter ihm.
»Hahaha!« lachte er kalt und unheimlich wie ein wilder Freibeuter. »Karl Knutsson, mein junger Marschall, was hast du mir zum Abschied zu sagen?«
Der Panzer bewegte sich, und eine klangvolle Stimme antwortete: »Daß uns Schweden das Schwedische noch einmal lieb geworden ist ... daß ich selbst neben Engelbrecht gekämpft habe ... daß er schon auf dem Schlosse zu Örebro wie in seinem eigenen Hause sitzt, und daß er sich kürzlich nicht einmal in Stockholm einfand, um Eure Herrlichkeit zu begrüßen.«
»Ich habe mit diesen Gebirgsmännern nichts zu tun. Morgen setze ich die Segel und fahre heimwärts nach Dänemark. Du aber gedenke des Rates, den ich dir früher schon gegeben habe: strecke die Füße nicht weiter, als deine Pelzdecke reicht.«
»Zum allerletzten Male,« fuhr Karl Knutsson mit zunehmender Leidenschaft fort, »haben wir Treue und Gehorsam versprochen, wenn Eure Herrlichkeit nur Ihre Versprechungen und Eide halten wollte; aber ebenso heilig haben wir einander auch versprochen, einen neuen Aufruhr zu beginnen, wenn die Güte Eurer Herrlichkeit nicht länger währt als bis zum letzten Händedruck. Ihr laßt hier an der eigenen Küste die Höfe plündern und setzt, meineidig wie früher, fremde Vögte ein.«
Der König antwortete nur mit einem leiseren, aber ebenso verächtlichen Lachen, aber nach einer Pause sagte er: »Die Welt ist eine Räuberhöhle, wo die Bischöfe auf dem Altar Geld zahlen und Gesetzübertreter sich um ihre befestigten Häuser reißen. Ich würde wie ein Narr ausgelacht, wenn ich besser sein wollte als sie.«
Damit ging er die Treppe zum Achterdeck hinunter, doch auf der letzten Stufe drehte er sich um und rief: »Wenn mir das Spiel eines Tages nicht mehr gefällt, werfe ich ohne Groll alle drei Reiche hin wie leere Säcke. Jetzt aber muß ich hinunter und mein Abendgebet verrichten.«
Karl Knutsson tastete sich zur Fallrepstreppe hin und stieg sie hinunter. An seinen raschen Schritten hörte man wohl, daß er gewandt und elastisch war, und bald verloren sich seine Ruderschläge in der Dunkelheit.
Schon nach kurzer Zeit riefen die Luren wieder zum Streit, und auf den Wegen erklang Pferdegetrappel und Räderrollen. Mitten im Schneegestöber erschienen Engelbrechts und Karl Knutssons Scharen vor Stockholm. Die Tore wurden verschlossen, aber sie hörten, wie die schwedischen Bürger mit den dänischen Wächtern in Streit gerieten. Schließlich wurde der Riegel aufgestoßen, die Wächter aber entflohen nach dem Schlosse.
Unter lautem Jubel wurde das schwedische Banner durch die Straßen getragen, und Karl Knutsson trat auf den Altan des Rathauses, um zu dem Volke zu reden.
Seine Haltung war edel und frei, wie die eines reichen und stolzen Adligen. Seine Rüstung funkelte wie lauter Silber. Er war ein guter Redner, und je lauter der Beifall über den Platz hinrollte, desto höher färbten sich die Wangen des zwanzigjährigen Jünglings. Die Ehre, die Ehre! das war der Leitstern, der über seiner Seele leuchtete. Gern hätte er seine Jugend hingegeben, nur um die Gebeine des heiligen Erik in dem Schrein zu Uppsala beschützen zu dürfen.
Nachdem er die schwedischen Bürger der Stadt mit seinen Worten geblendet und gewonnen hatte, war er wieder Krieger. Er ließ durch seine Mannen zwischen der Kirche und dem Strome Schanzen auswerfen. Da stellte er sich mit seinen Rittern auf und richtete seine Lotbüchsen aufs Schloß. Jenseits der Kirche und auf dem östlichen Hügel standen die Bürger sowie Puke mit seinen Haufen. In Pukes zerstochenem Rock war kaum noch ein Fetzen, und sein Schwert fuhr jeden Augenblick aus der Scheide. Aber sein Blick lief wachsam und mißtrauisch über die ehrgeizige Ritterschar hin.
»Ihr sehnt euch nach einem eingeborenen König, ihr Herren,« rief er mürrisch und drohend, indem er trotzig den Hut noch tiefer über die Stirne hereinzog. »Nun ja, das ist auch der Wunsch der kleinen Leute. So stellt den ersten besten Bauern auf den Morastein und huldigt ihm!«
Die Bürger waren ein langsames, bedächtiges Volk, und es wurde ihnen schwer, Erdwälle auszuwerfen. Sie saßen lieber daheim und rechneten an den Runenstäben nach, wie viele Tage es noch bis zu einen Kerbschnitt war, der einen Leuchter vorstellte. Der Leuchter war das Zeichen der Kindelmesse oder des großen Lichtfestes.
An diesem Tage warfen sie die Spaten weg und zogen ihre Festkleider an. Dann wählten sie aus den Wachskerzen, die ihre Frauen gegossen hatten, die schönsten und längsten heraus und trugen sie in die Kirche. Diese Lichter wurden dann im Laufe des Jahres an der Wiege der Neugeborenen oder an den Särgen der Verstorbenen angezündet, und der Pfarrer besprengte sie mit Weihwasser. Hierauf zogen die Bauern mit brennenden Kerzen um den Kirchhof herum. Auch in den Häusern wurden so viele Lichter angezündet wie nur möglich, und ganz Stockholm erstrahlte in hellem Lichterglanz. Da aber vorher die Fastenzeit gewesen war, kreiste jetzt der Becher fleißig an den reichbesetzten Tischen.
Plötzlich ertönte ein Heerruf: Die Dänen stürzten aus dem Schlosse heraus und drangen in die Häuser ein. Speere und kurze Schwerter kreuzten sich unter den Torbogen und auf den Treppen, und flammende Feuerkugeln wurden von den Schloßmauern auf die Dächer heruntergeworfen. Die Fleischstände vor der Kirche gingen in Flammen auf, und der Wind trieb das lodernde Feuer in die Stadt hinein. Ein solches Lichtfest war noch nie gefeiert worden, Stockholm konnte jeden Augenblick ein Raub der Flammen werden.
Doch plötzlich schlug der Wind um, die Dänen mußten die Flucht ergreifen und sich zurückziehen. Hierauf versammelten sich die Schweden in der Kirche und dankten der Mutter Gottes für ihre Rettung. Aber auf dem Heimwege sagten sie zueinander: »Wo ist Engelbrecht? Er ist wieder draußen auf den Dörfern mit seinen Dalmännern und verjagt die neuen Vögte. Wir brauchen ihn, denn wir müssen jetzt einen Reichsverweser wählen.«
Engelbrecht traf auch nach einiger Zeit ein, aber trüber gestimmt als sonst. Zwischen den Häuserreihen und unter den vornehmen Kaufleuten, die sich über seinen Gebirgsdialekt lustig machten, fühlte er sich fremd und bedrückt. Er ging ins Kloster der Schwarzen Brüder, wo die erlesenen Wahlmänner und viele andere schon ihre Plätze eingenommen hatten. Vor dem Kloster wartete Mats mit seinem Pferd.
Puke trat Engelbrecht mit aufgeregter Gebärde entgegen, ergriff dessen Hände und drückte sie an sein Herz. »Siehst du, wie die Herren sich zueinander hinneigen und miteinander tuscheln. Ich fürchte, sie reden gegen dich.«
Aber Engelbrecht erwiderte: »Wenn Böses über jemand getuschelt wird, dann ist eines sicher: der Mann, der Böses von andern aussagt, ist selbst keiner von den Besten.«
Er schaute sich im Saale um. Die großen Herren, die fürchteten, die Bauern könnten ihnen schließlich ganz über den Kopf wachsen, begrüßten ihn mißtrauisch. Es war kalt im Saale, und viele hatten deshalb den Rockkragen hinaufgeschlagen, so daß man sie kaum erkennen konnte.
»Wer sind die Leute dort in der Ecke?« fragte Engelbrecht. »Sie sehen recht mißvergnügt aus.«
Puke erwiderte leise: »Das sind deine Neider, deine eigenen Nachbarn aus dem Närker Bezirk. Es ist ja Bängt Stensson von Göksholm und sein Sohn M(?)ns, die du wegen ihrer Räubereien verurteilt hast. Sei auf deiner Hut, großmütiger Freund, um einen Engelbrecht her finden sich immer solche Mißvergnügte.«
Jetzt wurde abgestimmt, und dann bat ein Ritter ums Wort.
»Zwei haben für Puke gestimmt,« tat er kund. »Drei für Engelbrecht und« – er zögerte einen Augenblick und senkte den Kopf, – »fünfundzwanzig für Karl Knutsson, unsern hochedlen Marschall. Er ist zum Reichsverweser ernannt.«
Da sprang Puke heftig und leidenschaftlich von seinem Sitz auf. Sein ungeknöpfter Rock flatterte auseinander und seine Stiefel waren mit Schmutz bedeckt.
»Undankbare Schweden, die immer feilschen und nie etwas ganz tun können!« rief er mit schallender Stimme. »Hier steht Engelbrecht, euer entschlossener Anführer, der Befreier des Landes. Und wie lohnt ihr ihm? Vergesset nicht, daß er die Bauern für diese Reichsversammlung gewonnen hat und daß das Bauernheer noch unter Waffen steht!«
Damit riß er sein Schwert an sich und stürzte hinaus, wie um den Kampf sofort aufzunehmen.
Da wurden die Herren bedenklich und ließen Engelbrecht den Oberbefehl über einen Teil des Heeres. Als nun Engelbrecht den Saal verließ, machte er vor Karl Knutsson Halt; er mußte sich auf die Zehenspitzen aufrichten, um ihm die Hände auf die Schultern legen zu können, von solch mächtiger Gestalt war der neue Reichsverweser. Mit einem wehmütigen, guten und ehrlichen Blick schaute Engelbrecht ihn an.
»Mein junger Waffenbruder und Edelmann,« sagte er, »nun bekommst du die Sorgen. Vielleicht wird dir deretwegen manches graue Haar wachsen, ehe du in deinem Grabe schläfst.«
Mit diesen Worten verließ er das Kloster, und nach einer Weile erklangen die Sackpfeifen der abziehenden Bauern von der südlichen Brücke herüber.
Ein eigenes Haus zu besitzen, war damals etwas Großes, und Engelbrecht hatte sich die Örebroer Burg um tausend Mark Silber von dem deutschen Vogt gekauft. Die Mauern waren drei Ellen und mehr dick, aber es sah ganz kahl und leer in den niedrig gewölbten Räumen aus, denn in jenen unruhigen Zeiten hatten die meisten keine Muße, an Wohlbehagen zu denken, und auch Engelbrecht konnte nur selten ruhig daheim weilen.
Am Abend des 27. April 1436 landete er mit zwei Ruderbooten an einem kleinen Holm im Hjälmar, um da Nachtruhe zu halten. Er kam von Örebro und war, nur von seiner Gattin und ein paar Diener begleitet, auf dem Wege nach Stockholm zu einer Ratsversammlung. Während der Belagerung von Axevall war er krank geworden und auch jetzt noch so schwach, daß er sich auf einen Stock stützen mußte.
Decken und Felle waren schon ausgebreitet, und die vorsorgliche Hausfrau nahm eben einige Leckerbissen in zugebundenen Töpfen aus dem Vorratskorbe. Mats lag vorgebeugt am Boden und blies in das Feuer unter dem dampfenden Kessel.
Die Luft war noch eisig kalt, und Engelbrecht hielt die Hände übers Feuer, um sie zu wärmen. Zufällig wendete er den Kopf auf die Seite. In der Ferne ragten die ziegelroten Zinnen von Göksholm über die Baumwipfel auf, und dorther kam durch den Frühlingsnebel, der flimmernd übers Wasser hinglitt, ein Boot, von raschen Ruderschlägen getrieben, rasch näher.
»Jetzt werdet ihr alle sehen,« rief Engelbrecht mit freudestrahlendem Gesicht, »daß mein früherer Feind, Herr Bängt, mich in aller Freundschaft zu Gaste laden wird; aber meiner Krankheit wegen will ich die Einladung lieber nicht annehmen.«
»Sehe ich recht,« fuhr er fort und trat einige Schritte näher ans Ufer, »so steht nicht er selbst, sondern sein Sohn Måns am Steuer. Mats, geh und zeig ihm, wo er am besten anlegen kann!«
»Bekomme ich wohl Frieden in Schweden?« rief Måns Bängtsson, indem er mit erhobener Axt ans Land sprang.
Krank und matt hob Engelbrecht seinen Stock zur Wehr und fragte: »Weißt du nicht, daß dein Vater vor kurzem bei mir gewesen ist, und daß wir uns versöhnt haben? Er hat mir freies Geleit versprochen.«
Ohne eine Antwort zu geben, schlug Måns mit der Axt zu. Der Schlag sauste auf Engelbrechts Stock und Hand und hieb ihm drei Finger ab. Als Engelbrecht sich abwendete, hieb er noch zweimal auf ihn ein, daß der kranke Mann zu Boden fiel und neben einem Felsblock verschied.
Die andern Männer im Boot stürzten nun auch herbei und schossen ihre Pfeile in den schon entseelten Körper. Dann schleppten sie Engelbrechts Gattin und Diener mit sich fort und führten sie als Gefangene nach Göksholm.
In aller Eile ritt die Schar nach Örebrohaus. Sie hatten einen der gefangenen Diener mitgenommen, den sie nun zwangen, ans Tor zu gehen und zu rufen, man solle ihm aufmachen, denn er komme mit einer Botschaft von Engelbrecht. Der Burgvogt erkannte zwar die Stimme, ließ sich jedoch nicht täuschen, sondern antwortete, zuerst müsse es Tag sein, vorher mache er nicht auf. Da plünderte M(?)ns Bängtsson mit seinen Leuten einstweilen die Stadt und zog dann mit seinem Raub wieder heim nach Göksholm. Aber weder er noch sein Vater wagten auf Göksholm zu bleiben, aus Angst vor den Bauern; sie entflohen und fanden von da an niemals wieder Frieden noch Gewissensruhe.
Als die Bauern erfuhren, was geschehen war, ruderten sie nach dem Holm, wo Engelbrechts Leichnam einsam und verlassen lag. Weinend zogen sie die Pfeile aus seinem Körper und sagten zueinander: »Hier richtete er ruhig sein Abendbrot her auf dem Boden seines Feindes. So war unser Engelbrecht, edler hätte er auch nicht unter seinem Banner im Kampfe fallen können.«
Sie brachten den tiefbetrauerten Leichnam ihres Hauptmanns nach Mellösa und von dort schließlich in die Kirche zu Örebro. Wallfahrer stellten später brennende Kerzen auf sein Grab, weil sie glaubten, daß da Wunder geschähen.
Dichter Rauch stieg von Göksholm auf, als andere Scharen die Gefangenen befreiten. Ringsum in allen Dörfern war das Volk in großer Erregung. Der feine Jösse Eriksson verbarg sich im Kloster Vadstena, aber die Askarbauern drangen in das Kloster ein und schleiften ihn an den Füßen die Treppe herunter. Unter Hieben und Schlägen fuhren sie ihn auf einem Schlitten nach der Burg Motala, und dort mußte er sein gelocktes Haupt auf den Block legen. Viel besser ging es auch Puke nicht, obgleich er der Freund der Bauern war, denn er fiel in Karl Knutssons Hände und wurde auch enthauptet. Piken und Sturmhauben glänzten auf Brücken und Wegen, und über die Ebene hin, und durch die Wälder ertönte der Gesang des zur Tat erwachten heranziehenden schwedischen Bauernheers.
Einstmals, als viele Landleute um Engelbrechts Grab versammelt waren, sahen sie einen Mann mit langem Haar, wie es die Dalmänner zu tragen pflegten, an dem Grabe knieen. Sein Licht war eben am Verlöschen, und doch stand er nicht auf. Die Leute sahen, daß es Mats war, und fuhren fort, einander von ihren Kämpfen zu erzählen.
»Und König Erich, wie ist es ihm ergangen?« murmelten sie. »Abgesetzt ist er in allen seinen drei Reichen, und jetzt thront er auf Gotland als Seeräuberhauptmann.«
Jetzt stand Mats auf; sein Licht war ausgebrannt. »Dann ist es wohl Zeit,« sagte er und griff nach seinem Bogen und Pfeilköcher, »daß jeder von euch auf ein paar Jahre heimgeht.«