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Die Jungfrauen von Amathunt

Venus herrschte über die Erdscheibe, und die Nacktheit glühte als Isisstern von Ägypten bis Israel, Syrien bis Lydien, Medien bis Bithynien.

Rings um die heiligen Tempel Milittas zu Babylon saßen die Jungfrauen Syriens, ihre strahlende Nacktheit gegürtet mit Schnüren aus Bast, und zwischen den weißen Reihen ihrer Körper wandelten die Fremdlinge, die Eine zu suchen ... Und sie wählten und eilten in die Schatten der heiligen Bäume, die Schamgürtel im Feuer der heiligen Liebe zu zerreißen und ein Opfer zu bringen, auf daß sie der Göttin der Fruchtbarkeit angenehm seien.

Und so in den Töchterhütten zu Carthago, so zu Byblos, wo dem strahlenden Adonis zu Ehren zwischen Sonnen-Auf- und Niedergang Kraft und Schönheit erhabene Orgien feierten, so zu Zelas und Comanes, wo »Jungfrauen«

ihr Heiratsgut erwarben, so zu Susa und Ekbatana bis zu den Amazonen, wo die gattenberaubte Venus sich an heißen Schwesternkörpern berauschte.

Ägyptens schönste Pyramide hat Rhodopis erbaut von dem Golde, das ihr Schoß erworben unter dem Schutze Astartes.

So herrschte Venus, wo Menschen lebten, und nie war die Liebe göttlicher als zu jenen Zeiten der menschlichen Reife.

Und so strahlte Isis über Kypern, der Tempel des Kinyras wuchs zu Paphos empor, und die Meerentsprossene brauchte sich wahrlich nicht des Heiligtums zu schämen, wo Kypris, eines Königs Geliebte, ihren Schoß der Göttin zu Ehren den Fremdlingen dargeboten.

Keuschheit herrschte jedoch zu Amathunt, der herrlichsten Stadt am weißen Strande des Mittelmeeres. Allabendlich ergingen sich daselbst die Jungfrauen und Matronen der Kühlung, wenn die Sonne zum letztenmal ihre roten Küsse über die Klippen sandte.

Die Jungfrauen von Amathunt boten kaum den blendenden Hals dem Abendtau. Ihre Glieder lagen in feinen Geweben aus Byssos, und ihr Haar war in welligen Knoten über den Nacken geschürzt.

Denn keines Sterblichen Auge durfte die Reize der Jungfrauen bewundern, außer denen, die den Weg zu den starren Herzen der Schönen gefunden.

Und einstmals, in einer strahlenden Nacht, kam Venus über das Meer.

Das Erscheinen einer mondänen Frau im Salon übt oft die gleiche Wirkung auf die Männer aus wie das Auftauchen eines Hais in den Gewässern des Ozeans auf die hilflosen Fische.
Macdonald Home, London

Auf einer Welle purpurroten Schaumes trieb sie an das Ufer von Amathunt, schwebte aus den Wogen, ihr nasses Goldhaar mit den zierlichen Händen windend, daß sich der Strand mit tausend weißen Perlen füllte, und schritt über den Kies in lächelnder Nacktheit.

Don Juans Traum
›Le Rire‹

Rings am Gestade aber standen in ihren weißen Gewändern die Jungfrauen von Amathunt und starrten auf die Göttin, die ihre Glieder dem Abendwinde zum Kusse bot, und deren Nacktheit blühender war als ihre Lippen.

Die Jungfrauen von Amathunt lachten über die nackte Göttin, die gekommen war, ihnen die Liebe zu lehren.

Und sie standen still und sahen und lachten.

Gäbe es einen größeren Frevel, als über die Nacktheit zu spotten?

Damals wohl nicht, denn die Strafe war furchtbar.

Die lächelnden Augen der Liebesgöttin wurden starr wie die Felsen von Behistun, die Linien ihres Leibes zuckten wie Schlangen und ihre Lippen erbleichten.

»So fliehe denn das Leben, die Liebe und alle Kraft mit ihren Strömen und Pulsen aus euren Leibern, ihr Undankbaren, denen ich die Schönheit verlieh, um Glück zu spenden. Ihr aber geizt mit dem Reichtum und höhnt, was ewig war, sein wird und ist – werdet Stein, auf daß ihr wenigstens bereuen lernt!«

Und die Töchter von Amathunt standen und regten sich nicht. Ihre Leiber wurden hart, ihre Gewänder erstarrten, und der Notus stieß seine Flügel wund an ihren Haaren, die plötzlich hart geworden waren wie die Worte der Göttin. Die aber lächelte und verschwand in den Wellen ...

Seitdem sind viele, viele Jahre verflossen. Die Jungfrauen von Amathunt stehen immer noch unbeweglich am Strande des Meeres und klagen, ohne doch reden zu können, und von fern schon erblicken die Schiffer auf dem Meere die weißen Leiber über den grünen Wellen.

Die heutigen Töchter Amathunts ließen sich das Strafgericht der liebenden Göttin zur Warnung dienen. Ihre Leiber sind schön wie die Venus zu Knidos, ihre Glieder leuchten wie Kandias Marmor. Aber kein Linnen deckt geizig ihre Blößen, kein Sterblicher naht unerhört als Bittender ihrer Liebe.

Und der schönste Tempel Astartes stand Jahrhunderte lang zu Amathunt, nicht weit hinter den Marmorbildern am Meer, und das Rauschen der heiligen Bäume wird oft genug übertönt von dem Jauchzen der liebenden Jungfrauen.

*

Dies also war eines der ersten Gotteslästerungsurteile. Gelästert worden war Venus, die Schaumgeborene, als Prinzip der Liebe, der man sich hingibt in Anbetung und Scheu, ohne den Wunsch, hinter ihre Geheimnisse zu kommen. Der man dient, ohne zu fragen oder zu prüfen, als dem Sinn alles Lebens!

In der Blütenperiode der griechischen Kultur finden wir die Hetären als Begleiterinnen aller Männer, die durch Reichtum, Geburt oder Genie sich aus der Menge hervortaten. Kein Gastmahl wurde ohne die bekannten Auletriden (Flötenspielerinnen) abgehalten, und die Kunst dieser meist noch sehr jungen Mädchen übte besonders auf die Jünglinge oft größeren Reiz aus als die witzigsten Worte der gereiften Kurtisanen.

Plato allerdings meinte, man brauchte Hetären nur in solchen Vereinen, wo geistiger Mangel herrschte, allein die berühmtesten seiner Zeitgenossen wetteiferten darin, ihn Lügen zu strafen. Der Standpunkt, von dem aus der Liebenswürdigkeit der Hetären der Vorzug vor der Ehrbarkeit der Matronen gegeben wurde, ist für unsere Weltanschauung nicht moralisch, aber – auch für uns – nicht ohne weiteres verwerflich.

Und sicher waren die Hetären besser als der Ruf, den ihnen die spätere Zeit, auf das Zeugnis einiger antiker Satiriker gestützt, andichtete.

Es beweist eine völlige Verkennung der hellenischen Kultur, wenn Pauw behauptet: »Wenn die einzelne Hetäre den Bürger in Athen mit Zärtlichkeit und Leidenschaft gefesselt hat, vielleicht öfter als die Matrone, so hat doch gewiß die gute Sitte eine solche Verbindung weder für schön noch für edel gehalten ...«

Derartige Naivitäten verwirren das moderne Auffassungsvermögen von antiken Lebensbegriffen. Man muß es als beabsichtigte Blasphemie bezeichnen, wenn Forscher mit der Laterne der »Guten Sitte« die Antike durchsuchen. Es ist erwiesen, daß die Korinther Hetären, die die Mehrzahl der hellenischen Kurtisanen ausmachten – der Aphrodite-Tempel beherbergte allein über tausend Hierodulen – in hohem Ansehen standen!

So berichtet uns Athenäus: Als der Perserkönig seine Heere gegen Hellas führte, begaben sich die korinthischen Hetären, wie Teopompus und Timäus erzählen, in den Tempel der Aphrodite und flehten für die Rettung der Griechen zu ihr. Die Korinther weihten hierauf der Göttin eine Tafel, die auch jetzt noch vorhanden ist, und zeichneten die Hetären auf, die damals die Opfer verrichtet und bei dem Opfer gegenwärtig gewesen waren. Simonides schrieb darauf folgendes Epigramm:

Die hier hoben die betende Hand zu der göttlichen Kypris
Für des hellenischen Volkes kämpfende Männer empor.
Und es erhörte ihr Flehn die Erhabene.
Denn sie verriet dem bogenbewaffneten
Volke Hellas Akropolis nicht.

Der Korinther Xenophon weihte nach seinem Siege in Olympia der Aphrodite Hetären, die Pindar in einem Skolion auf diesen Sieg anredete. Daß es keineswegs gegen die guten Sitten verstieß, mit Hetären zu verkehren, beweisen wohl die innigen Beziehungen zwischen Staatsmännern und Philosophen zu den Kurtisanen. Ich habe bereits an Aspasia und Perikles erinnert – ich will mich begnügen, auf das innige Verhältnis zwischen Glycera und Menander, zwischen Aristippos und Laïs, zwischen Alkibiades und Theodota, zwischen Phryne und Apelles hinzuweisen, wie jedermann in den Hetärenbriefen des Alkiphron, in den Hetärengesprächen des Lucian und all den Hetärengeschichten des Athenäus, Appollodorus, Aristophanes, Kallistratus, Gorgias und Antiphanes nachlesen kann. Dieser Schriftsteller zählt nicht weniger als 135 berühmte Hetären auf, sicherlich ebenso ein Beweis für die bedeutende Rolle, die diese Frauen spielten, wie für die Tatsache, daß in solchen Liebesbündnissen die Hörigkeit nur eine untergeordnete Rolle spielen konnte.

Die meisten Lustspiele spätgriechischer Zeit trugen die Namen bekannter Hetären. Antiphanes meint dazu, daß, wer an dieser Art von Gedichten Vergnügen haben wolle, manchen Schlag von einer Hetäre empfangen oder ausgeteilt haben müsse. Die einzige Anklage, welche sich Hetären zuziehen konnten, war, wie erwähnt, die der Asebie (Gottlosigkeit), und der Prozeß der schönen Phryne war nicht dazu angetan, den Vorwurf über allzu große Strenge der griechischen Richter aufkommen zu lassen. Phryne war von Euthias, einem unglücklichen Liebhaber, aus Rache der Gottlosigkeit beschuldigt worden. Es konnte ihrem genialen Verteidiger Hyperides nicht gelingen, ihre Freisprechung zu erlangen. Schon erheben sich die Richter, das Todesurteil zu fällen, da reißt Hyperides den Mantel von Phrynes herrlichem Leibe, und die nackte Schönheit wird freigesprochen!

Der bürgerliche Liebhaber
Daumier

Das aber war Hellas, Hellas in Laïs, der Unsterblichen, die die modernen Forscher zur Verzweiflung brachte wie einst ihre Liebhaber, welche die Armut wählten, um einmal die Königin aller Kurtisanen besessen zu haben. Hätte eine Matrone mehr geehrt werden können als Phythionice, die Geliebte des Harpalus, der ein doppeltes Grabmal in Babylon und Attika errichtet wurde? Fürwahr, von Helena, dem liebreizenden Zankapfel zwischen Hellas und Troja, bis auf die mascula Sappho, wie Horaz die Lehrmeisterin der unglücklichen Atthis nennt, waren diese Frauen prangende Blumen im Garten der hellenischen Kultur, hervorgebracht durch die Sehnsucht nach Schönheit, geadelt durch die Liebe zur Kunst. Was tut es, daß auch die Knabenliebe ein Privileg dieser Genies gewesen ist? Dem Genie ist vieles erlaubt.

Es war die Zeit des Alkibiades, des ersten Repräsentanten des Übermenschentums, von dem Anthistenes zu sagen wußte, er habe gleich den Persern die Mutter, Tochter und Schwester beschlafen.

Ähnlich wie bei den Griechen war das Verhältnis zwischen Ehe und Prostitution bei den Römern und ihren wilden Vorfahren, den Etruskern. Die Frauen der letzteren gehörten allen gemeinsam, und Theopompus behauptet sogar in dem 43. Buche seiner Geschichte, daß diese Prostitution Gesetz gewesen sei. Diese Frauen verwendeten die größte Sorgfalt auf ihren Körper und betrieben häufig gymnastische Übung inmitten der Männer. Es war Sitte bei ihnen, sich nackt zu zeigen, und keine Frau empfand es als etwas Beschämendes, bei öffentlicher Ausübung geschlechtlicher Handlungen betroffen zu werden. »Wie bei allen alten Völkern,« schreibt Pierre Dufour in seiner Geschichte der Prostitution, »huldigte man durch Vermischung der Geschlechter der Natur ...«

Zwei Frauen – Zwei Welten.
Kopf der Mädchenstatue in Pelos
Brigitte Helm

Trotzdem hieße es die Wahrheit übergehen, wollte man behaupten, sexuelle Hörigkeit sei den alten Völkern vollkommen unbekannt gewesen. Keineswegs!

Auch unter ihnen gab es sexuell Hörige, aber fast nie im Sinne unserer Hörigkeit, die immer einen Zusammenbruch der Persönlichkeit darstellt!

Die Hörigkeit der Hellenen war anders beschaffen. Sie zu verstehen, muß man berichten. Denn das Ereignis ist Parabel und beweist zugleich mehr als hundert Erörterungen. Man muß das Epos dieser Erotik der Alten anschaulich gestalten. Man muß sich plastisch den Vorgang eines solchen – übrigens oft genug in Gesellschaft geübten – Sexualfestes vorstellen, um zu begreifen, wie viel gesünder diese Liebenden waren als die heutigen, und warum man von ihnen – (was heute nur ein törichter Irrtum ist) – sagen konnte:

Pares inter pares!


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